Dabei stützte sich die KV Brandenburg auf den Sitzungsbegriff von Wezel/Liebold (Handkommentar, Kapitel 7, Seite 7), wonach "eine neue Sitzung dann vorliegt, wenn eine Leistung nach ihrer eigenen Typik in mehrere Phasen aufgeteilt werden muss, die sich nicht unmittelbar aneinander anschließen können". Dies ist aber nach Auffassung der KV in den psychotherapeutischen Sitzungen nicht der Fall, womit der KV zufolge zwei Sitzungen an einem Tag nur dann abgerechnet werden können, wenn sie zeitlich deutlich voneinander getrennt werden. Diese Argumentation führt dazu, dass überhaupt keine Doppelstunden für die KV akzeptabel sind. Damit nimmt die KV nicht nur auf verhaltenstherapeutische Methoden, die mehrstündige Sitzungen erfordern können, Einfluss, sondern interpretiert EBM wie Kommentare willkürlich um. Zu dieser Problematik sind mehrere Verfahren beim Sozialgericht Potsdam anhängig. Im Folgenden werden einige der Argumente zusammengestellt, die in den anstehenden gerichtlichen Verfahren gegen die KV relevant sind. 1
In § 11 Abs. 14 der Psychotherapievereinbarungen ist die Durchführung von einzeltherapeutischen Doppelsitzungen ausdrücklich in Krisensituationen oder bei Anwendung besonderer Methoden der Verhaltenstherapie zugelassen. Dies ist wiederholt auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), insbesondere vom Referatsleiter der KBV, Dr. Dahm, bestätigt worden, ebenso von Wezel/Liebold (a.O.), die ausdrücklich darauf verweisen, dass die verhaltenstherapeutische, zumeist mehrere Stunden am Stück umfassende Expositionsbehandlung als Richtlinienverfahren zugelassen ist. Nach dem Kommentar Faber/Haarstrick (S.72 in der 5.Auflage) kann die Expositionsbehandlung drei bis fünf Einheiten in Folge umfassen. Dies ergibt sich aus methodischen Gründen, weil die wichtigste Variable dieser verhaltenstherapeutischen Methode die Dauer der Exposition ist. Hans Reinecker hat in seinen Standardwerken zur verhaltenstherapeutischen Exposition festgestellt, dass "Expositionszeiten von 100 bis 120 Minuten optimal" sind. Hinzuzufügen ist, dass ein vorzeitiger Abbruch nicht nur folgenlos beim Beschwerdeabbau wäre, sondern sogar kontraproduktiv. Es würde zur Verstärkung der Krankheitssymptomatik führen. Eben aus diesen Gründen hat der Referatsleiter Psychotherapie der KBV, Dr. Dahm in einem Schreiben vom 31.10.01 auch die Auffassung vertreten, dass auf der Grundlage des EBM die verhaltenstherapeutische Einzelbehandlung als Expositionstherapie mit maximal vier Stunden pro Tag möglich sein muss. Diese Meinung wird vom Beratenden Fachausschuss Psychotherapie der KBV geteilt.
In den Psychotherapierichtlinien (E. 1.1.7) heißt es: "Die Therapiestunde im Rahmen der Psychotherapie umfasst mindestens 50 Minuten". Wenn es aber um Therapie-STUNDEN geht, dann hat auch der Ausdruck Doppel-STUNDEN bzw. Dreifach-STUNDEN rechtlich-formale Aussagekraft. Dieser Ausdrucksweise wird auch der Referatsleiter Psychotherapie der KBV, Dr. Dahm, in seinem Schreiben vom 31.10.01 gerecht, wenn er sagt, dass "Verhaltenstherapie als Einzelbehandlung" mit "vier STUNDEN (!)" möglich sein muss. Entsprechend schreiben Faber/Haarstrick von der Möglichkeit, "Behandlungsblöcke im Umfang von drei bis fünf EINHEITEN" zu genehmigen. Und mit Einheiten sind hier wiederum STUNDEN gemeint. Kurz und gut: Wenn die Abrechnungsabteilung der KV davon spricht, dass die Erbringung einer Doppelstunde nach den Psychotherapie-Richtlinien nicht zum Doppelansatz der Gebührennummern führt, dann ist dies überwiegend von der KV selbst erdacht. Dieser Interpretation der KV widersprechen dabei also
Die KV stützt sich auf den Handkommentar von Wezel/Liebold zum EBM, der den Begriff der Sitzung mittels "medizinischen und praxisorganisatorischen" Kriterien erläutert. Die Vorstellung dort ist so, dass ein Patient in eine Praxis kommt, dort eventuell behandelt wird, dann vielleicht wieder ins Wartezimmer oder ein anderes Behandlungszimmer geht, um die Wirkungen einer medizinischen Intervention abzuwarten, teilweise auch nur durch das Praxispersonal behandelt wird... Daher hat der Ausdruck "Sitzung" in diesem medizinischen Kontext die Funktion, die Behandlungsdauer nicht von unmittelbarem Arzt- oder Instrumentenkontakt abhängig zu machen. Auch die Wirkungszeit einer Intervention gehört danach zur Behandlung, damit zur Sitzung dazu. Eine medizinische Sitzung ist dann beendet, wenn die Leistung oder Interventionsform mit allen Rahmenbedingungen (Wirkungszeit, Wirkungskontrolle etc.) abgeschlossen ist. Dies ist sinnvoll. Jedoch - und das ist der Denkfehler: Es macht nur Sinn im medizinischen Kontext. Es macht keinen Sinn im psychotherapeutischen Kontext. Denn hier gibt es in der Regel einen durchgehenden Therapeuten-Patientenkontakt und das Instrumentarium ist immer an den Therapeuten selbst gebunden. Meistens ist das therapeutische Instrumentarium die Art des Umgangs oder der Beziehungsgestaltung selbst. Davon lebt Psychotherapie.
Somit kann das alleinige Kriterium für eine psychotherapeutische Einzelsitzung nur der Zeitumfang sein (50-60 Minuten als Einheit). Genau deshalb auch sind unter dem EBM Gnr. Schlüssel 881/2 auch ganz verschiedene Interventionsformen zusammengefasst, die eben nicht - wie in der Inneren Medizin, Chirurgie etc. - detailliert nummern- und sitzungsmäßig aufgeschlüsselt werden können. Und eben deswegen muss der Ausdruck "Verhaltenstherapie als Einzelbehandlung" als (jetzt komme ich auf das geplagte Wort zurück) - "Sitzung" (Gnr: 881/2) sämtliche Interventionsformen einschließlich der Expositionsbehandlung abdecken können. Dies kann der Begriff aber nur, wenn erstens von der zeitlichen Dauer als Kriterium und zweitens von der Notwendigkeit einer mehrere Stunden umfassenden Expositionsbehandlung ausgegangen werden kann.
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Frank Mutterlose
Ebräer Str. 8
14467 Potsdam
1 Die ausführliche Argumentation kann beim Autor angefordert werden.