Als vordringliche Handlungsfelder wurden dabei formuliert:
Studien haben ergeben, dass sich betroffene Frauen vor allem im Hinblick auf ihre psychosoziale Situation im augenblicklichen Behandlungsverlauf kaum oder nicht ausreichend unterstützt fühlen. So wurden von einer Arbeitsgruppe "Information, Begleitung und psychosoziale Beratung von Patientinnen mit Brustkrebs" unter Beteiligung u.a. der Ärztekammern, der Kassenärztlichen Vereinigungen, der Wohlfahrtsverbände, kommunalen Spitzenverbände und der Selbsthilfe Vorschläge zur Verbesserung der Information, psychosozialen Begleitung und ggf. psychotherapeutischen Betreuung der Patientinnen erarbeitet.
Als wesentliche Ziele wurden festgelegt:
Nach ihrer endgültigen Konstituierung wurde zu Beginn des letzten Jahres die Psychotherapeu-tenkammer NRW um Stellungnahme zu den bisher erarbeiteten Empfehlungen gebeten. Die Kammer erarbeitete eine ausführliche Stellungnahme mit einem differenzierten Konzept auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstands der Psychoonkologie.
Dieses Konzept geht davon aus, dass bei Berücksichtigung der nachgewiesenen Wirksamkeit psychologischer Interventionen und psychotherapeutischer Verfahren bei der Behandlung von Brustkrebs deutliche Verbesserungen im Behandlungsverlauf und im Behandlungsergebnis erreicht werden können. Voraussetzung dafür ist, wie dargestellt, jedoch eine fachlich begründete, pro-fessionelle Erfassung psychosozialer Belastungsfaktoren, maladaptiver Krankheitsbewältigungsmuster sowie prä- und komorbider psychischer Erkrankung und die Entwicklung und Verfügbarkeit entsprechender Behandlungs- und Betreuungsangebote bzw. der jeweiligen individuellen Situation angepasster Behandlungspfade.
Ein solches Behandlungskonzept setzt eine sektorübergreifende Zusammenarbeit zwischen vorstationärem, stationärem und rehabilitativen Bereich voraus und ermöglicht eine sinnvolle Kooperation der verschiedenen Behandlergruppen und der Selbsthilfe sowie eine bessere Berücksichtigung und Unterstützung der individuellen Ressourcen der Patientin.
Als Kammer NRW möchten wir an diesem aktuellen Thema zeigen, was und wie viel die Psychotherapeuten zu einer größeren Patientenorientierung, zu einer Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung und Lebensqualität von PatientInnen beitragen können und wie eine sinnvolle Nutzung der Fähigkeiten von PsychotherapeutInnen in einem integrierten und kooperativen Versorgungssystem konkret aussehen kann. In einem solchen System würden angestellte und niedergelassene PsychotherapeutInnen in verschiedenen Versorgungsformen miteinander, mit An-gehörigen anderer Berufe, Beratungsinstitutionen und Selbsthilfeeinrichtungen kooperieren bzw. diese spezifisch unterstützen. Richtlinienpsychotherapie wäre hierbei ein Baustein im Falle einer dafür vorliegenden spezifischen Indikation im Rahmen eines übergreifenden Behandlungskonzepts.
Im Rahmen der Diskussion zur psychosozialen Betreuung und psychotherapeutischen Versorgung im Disease-Management-Programm Brustkrebs hat der Vorstand das Konzept konkretisiert und in die Diskussion um die praktische Umsetzung der Disease-Management-Programme eingebracht.
Gleichzeitig arbeitet die Kammer daran, den Erfahrungsaustausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen, die bereits in verschiedenen Versorgungsformen psychoonkologisch arbeiten, zu verbessern und entsprechend qualifizierte Fortbildungsangebote für PsychotherapeutInnen anzubieten. Eine erste Fortbildungseinheit wurde in diesem Frühjahr durchgeführt. Weiterhin wird zusammen mit anderen Beteiligten in der "Konzertierten Aktion gegen Brustkrebs" an der Entwicklung eines psychoonkologischen Screenings, das in Brustzentren bzw. im Rahmen der DMP öko-nomisch einsetzbar ist, gearbeitet.
Mit der Integration psychologisch-psychosomatischen Fachwissens und psychotherapeutischer Kompetenzen in ein Disease-Management Programm für Brustkrebs können folgende Ziele erreicht werden:
Wie die vorliegenden Programmentwürfe für Disease-Management bei Brustkrebs zeigen, ist der international erreichte interdisziplinäre Wissenstand über eine adäquate Behandlung von Brustkrebserkrankungen nur unzureichend berücksichtigt worden. Insbesondere die psychosozialen Dimensionen der Krankheitsverarbeitung und des Krankheitsverlaufs wurden weitgehend ausgespart, obwohl empirisch gesichert ist, dass sie bedeutsam auf den Verlauf einer Brustkrebserkrankung Einfluss nehmen und empirisch bewährte psychologische Interventionen und psychotherapeutische Verfahren zur Verfügung stehen, die den Krankheitsverlauf somatisch und psychisch positiv beeinflussen können.
Um hier Fehlentwicklungen und Fehlinvestitionen zu vermeiden sowie dem Stand der internationalen evidenzbasierten Leitlinienentwicklung zu entsprechen, ist die Einbeziehung von psychologisch-psychosomatischen Experten bei der Programmentwicklung dringend angezeigt.
Interdisziplinär zusammengesetzte Behandlungsteams haben sich im Sinne einer "comprehensive care" bei Brustkrebserkrankungen international und auch in Deutschland bewährt und sollten deshalb im Rahmen eines strukturierten Behandlungsprogramms für Brustkrebs besonders gefördert werden. Die Einbeziehung der psychosozialen Dimensionen in die medizinische Behandlung von Brustkrebspatientinnen lässt sich innerhalb eines interdisziplinären Behandlungsteams unter Beteiligung von Psychotherapeuten arbeitsteilig besonders kosteneffizient realisieren. Ein interdisziplinär arbeitendes Brustkrebszentrum hat viele Vorteile: Durch die arbeitsteilige Einbeziehung von Psychotherapeuten ist die Beachtung der psychosozialen Dimensionen einer Brustkrebserkrankung vom Beginn der Behandlung an gewährleistet; durch die selbstverständliche Einbeziehung der psychischen Verarbeitung der Brustkrebserkrankung sowie der Reaktionen des sozialen Umfelds fühlen sich die Patientinnen emotional entlastet und nicht stigmatisiert; durch den ständigen Austausch im Behandlungsteam kann psychologisch-psychosomatisches Wissen zur Optimierung der medizinischen Behandlung zeitnah genutzt werden; das höhere Patientenaufkommen erleichtert die kosteneffiziente Durchführung von tertiär-präventiven Gruppenangeboten.
Zu fordern ist demnach die Einrichtung mindestens einer Psychotherapeutenstelle in jedem Brustkrebszentrum, um den Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme nach evidenzbasierten Leitlinien zu genügen und die im Folgenden ausgeführten Aufgaben zu erfüllen.
Für die frühzeitige Identifikation von psychischen Auffälligkeiten und maladaptiven Bewälti-gungsmustern der Patientinnen sowie von negativen Reaktionen des sozialen Umfelds auf die Erkrankung sind psychologische Screening-Methoden erforderlich: Zur Erfassung des emotionalen Rückhalts in der Familie bzw. im sozialen Umfeld ist der F-SozU (Fragebogen zur sozialen Unterstützung, Kurzfassung, Fydrich et al. 2002) geeignet; zur Erfassung der Lebensqualität der QLQ-BR23 der EORTC (Quality of Life Questionnaire, Sprangers et al. 1993); zur Erfassung von Depressivität und Angst der HADS-D (Hospital Anxiety and Depression Scale, Deutsche Version); zur Erfassung psychischer Auffälligkeiten der BC-PASS (Isermann et al. 2001) und das Distress-Thermometer (Holland 1999).
Diese Instrumente sollten Bestandteil der Eingangs- und Verlaufsdokumentation im Disease-Management Programm Brustkrebs sein. Der geringe Zeitaufwand bei der Bearbeitung und Aus-wertung, der durch eine entsprechende Computerisierung noch verringert werden kann, ermöglicht ein kontinuierliches Monitoring psychosozialer Risikovariablen und erleichtert die Indikations-stellung für adjuvante psychosoziale bzw. psychotherapeutische Interventionen. Darüber hinaus sind diese Verfahren auch eine notwendige Ergänzung der medizinischen Variablen bei einer fachlich fundierten Evaluation eines Disease-Management Programms.
Wenn die zur Schulung der Brustkrebspatientinnen vorgesehenen Materialien und Instruktionen ihr Ziel erreichen sollen, die Selbstverantwortung und Mitbeteiligung der Patientinnen bei der erforderlichen medizinischen Behandlung zu fördern, dann sind die vorgesehenen Unterlagen und Schulungskonzeptionen auf ihre psychologische Eignung zu überprüfen. Dazu ist psychologisches Expertenwissen erforderlich.
Die Arzt-Patienten-Kommunikation bei Brustkrebspatientinnen hat sich in vielen Untersuchungen als wenig förderlich für die Verbesserung der Patienten-Compliance herausgestellt. Ärzte ohne psychosomatische Basisqualifikation, die sich an einem Disease-Management Programm für Brustkrebs beteiligen wollen, sollten deshalb als Qualifikationsnachweis die Teilnahme an einem spezifisch auf die Anforderungen bei der Behandlung von Brustkrebspatientinnen abgestimmtes Kommunikationstraining nachweisen. Für die Entwicklung derartiger Trainingsprogramme ist psychologisches Expertenwissen erforderlich.
Zur Gewährleistung einer angemessenen Berücksichtigung der psychosozialen Dimensionen bei Brustkrebserkrankungen ist die interdisziplinäre Beteiligung von Psychotherapeuten und Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie an der Qualitätszirkelarbeit erforderlich. Da die Qualitätszirkelarbeit in der Regel strukturiert und fachorientiert erfolgt und die persönliche Beteiligung der in die Behandlung einer Brustkrebspatientin einbezogenen Ärzte und Pflegekräfte nur von untergeordneter Bedeutung ist, sollte zusätzlich zu den Qualitätszirkeln Burnout-Symptomen entgegenwirkende Balintgruppen unter Beteiligung von Psychotherapeuten angeboten werden.
Psychologische Interventionen wie supportive Gespräche, die Durchführung von Entspannungsverfahren und psychoedukativen Gruppen können auch von entsprechend geschulten Ärzten und Pflegekräften durchgeführt werden. Zur Gewährleistung einer angemessenen Qualität bei der Durchführung ist allerdings eine kontinuierliche Supervision erforderlich, die aufgrund ihrer einschlägigen Qualifikation von Psychotherapeuten durchgeführt werden sollte.
Strukturierte Gruppenangebote zur Stress- und Krankheitsbewältigung haben sich als tertiär-präventive Maßnahme bei Brustkrebspatientinnen klinisch vielfach bewährt und sind in ihrer Effektivität empirisch gesichert. Sie sollten deshalb integraler Bestandteil eines Disease-Management Programms für Brustkrebs sein. Die Teilnahme an solchen Gruppen ist insbesondere bei Patien-tinnen mit einem psychosozialen Risikoprofil (jüngere alleinstehende Frauen, habituell ängstliche Patientinnen, Frauen in einer schwierigen sozialen Lebenslage bzw. mit komorbiden somatischen und/oder psychischen Störungen) indiziert. Da der Erfolg psychologischer Interventionen wesentlich von der Eigenmotivation der Patientinnen abhängt, sollte die Teilnahme Risikopatientinnen zwar dringend empfohlen, aber nicht obligatorisch verordnet werden. Die Weigerung, an einer derartigen Maßnahme teilzunehmen, sollte deshalb auch nicht zum Ausschluss aus einem Disease-Management Programm führen.
Die Einbeziehung von Angehörigen in die ärztliche Behandlung einer Brustkrebspatientin ist grundsätzlich zur Förderung der emotionalen Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung der Patientin und als primär-präventive Maßnahme zur Verhinderung von Beziehungskrisen und Überforderungssyndromen auf Seiten der Angehörigen wünschenswert. Wie empirische Studien zeigen, ist dies auch förderlich für den Krankheitsverlauf.
Bei bereits zu Beginn oder im Verlauf der Behandlung auftretenden gravierenden Partnerschafts- oder familiären Konflikten sind allerdings spezifische paar- oder familientherapeutische Interventionen erforderlich, die nur von dafür qualifizierten Psychotherapeuten durchgeführt werden können. Indikationsabhängig sollte deshalb einer Brustkrebspatientin die Hinzuziehung einer geeigneten Psychotherapeutin empfohlen werden.
Psychotherapeutische Verfahren auf kognitiv-verhaltenstherapeutischer oder auf integrativ-psychodynamischer Grundlage haben sich bei der Behandlung von komorbiden psychischen Störungen und zur Verbesserung der Lebensqualität von Brustkrebspatientinnen in einem mittleren oder späten Krankheitsstadium klinisch bewährt und sind in ihrer Effektivität empirisch gesichert. Die Inanspruchnahme adjuvanter psychotherapeutischer Hilfestellungen sollte daher indikationsabhängig jeder Brustkrebspatientin dringend empfohlen werden. Widerstände gegen eine solche Behandlung sollten im ärztlichen Gespräch eingehend bearbeitet werden. Aus motivationspsychologischen und berufsethischen Gründen ist allerdings das Recht einer Patientin, die Durchführung einer Psychotherapie abzulehnen, zu respektieren. Die Nichtdurchführung einer indizierten Psychotherapie sollte deshalb nicht zum Ausschluss einer Patientin aus einem Disease-Management Programm führen.
Alle Patientinnen sollten in drei Schritten ein Standardprogramm durchlaufen, das im Wesentlichen Screening-Funktionen erfüllt. Die frühzeitige Erfassung des Ausmaßes der mit der Krebserkrankung einhergehenden emotionalen Beeinträchtigung sowie von psychosozialen Risikofaktoren hat den entscheidenden Vorteil, dass damit der Entwicklung einer krankheitsaggravierenden psychischen Störung durch die frühzeitige Einbeziehung psychologischer Bewältigungshilfen vorgebeugt werden kann. Sie erleichtert eine Fokussierung des ärztlichen Gesprächs auf psychosoziale Dimensionen des Krankheitsverlaufs und kann dadurch zur emotionalen Entlastung der betroffenen Patientinnen beitragen. Die routinemäßige Erfassung krankheitsrelevanter psychosozialer Variablen im Rahmen eines Disease-Management Programms ermöglicht zudem die Definition von Entscheidungsalgorithmen für die frühzeitige Einbeziehung psychologischer Interventionen und psychotherapeutischer Maßnahmen und trägt damit zur Entstigmatisierung der betroffenen Patientinnen und zu einer Verbesserung ihrer selbstverantwortlichen Beteiligung an der Krebsbehandlung und ihrer Lebensqualität bei.
Im ersten Schritt sollte ein exploratives Einzelgespräch durchgeführt werden, um die für die Krankheitsprognose relevanten psychosozialen Bedingungen zu erfassen. Im zweiten Schritt sollten die o.a. psychologischen Screening-Verfahren eingesetzt werden, um die im Einzelgespräch erhobenen Daten als Entscheidungsgrundlagen für weitergehende Interventionen zu objektivieren. Im dritten Schritt sollte ein Auswertungs- und Beratungsgespräch erfolgen, um die Ergebnisse der vorhergehenden Schritte transparent zu machen und weiteren Maßnahmen gemeinsam mit der Patientin festzulegen.
Exploratives Einzelgespräch (ca. 100 min)Zur Erfassung der für die Krankheitsprognose bedeutsamen psychosozialen Bedingungen (emotionale und soziale Befindlichkeit).
| Zuweisung zu individuellen Interventionsmodulen in Abhängigkeit von kritischen Testwerten |
| V | |
Einsatz psychologischer Screening-Verfahren | |
HADS-DZur Erfassung von Angst und Depression | |
F-SozUZur Erfassung der sozialen Unterstützung | |
QLQ-BR23Zur Erfassung der Lebensqualität | |
BC-PASSZur Erfassung der emotionalen Belastungsreaktionen | |
Distress-ThermometerZur Erfassung der emotionalen Beeinträchtigung | |
| V | |
Auswertungs- und Beratungsgespräch (ca. 50 min)
|
Ein Teil der Patientinnen (ca. 20 - 30 %) aus dem Psychologischen Standardprogramm wird sich als derart belastet erweisen, dass sie durch Maßnahmen der psychosomatischen Grundversorgung nicht ausreichend versorgt werden können. Diese Patientinnen bedürfen zusätzlicher, auf den individuellen Bedarf abgestimmter Interventionsmodule, wie sie in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt wurden, ggf. in Abhängigkeit von weiteren gezielten psychodiagnostischen Untersuchungen.
Zu nennen sind hier insbesondere folgende Leistungsangebote, die in der Regel kostenökonomisch als Kurzzeitinterventionen im Gruppensetting durchgeführt werden können:
Die empirischen Ergebnisse zu diesen psychologischen Interventionen und psychotherapeutischen Verfahren zur Krankheitsbewältigung, zur Behandlung von sekundären psychischen Störungen und zur Verbesserung der Lebensqualität während einer Brustkrebserkrankung zeigen, dass auf diese Weise ein bedeutsamer und kosteffizienter Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Versorgung von Brustkrebspatientinnen geleistet werden kann. Ein Disease-Management Programm für Brustkrebs, das international anerkannten Qualitätsstandards genügen will, kann auf solche Vorgehensweisen, welche die Wirksamkeit einer medizinischen Behandlung optimieren und die Lebensqualität im Verlauf einer Brustkrebserkrankung entscheidend verbessern können, nicht verzichten. Psychologisches und psychosomatisches Fachwissen sowie psychotherapeutische Kompetenzen sind nach dem heutigen Stand der Wissenschaft zu einem unverzichtbaren Bestandteil für eine qualitätsorientierte Entwicklung und Umsetzung von strukturierten Behandlungsprogrammen geworden, wie die internationale Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien zeigt.
Quelle: Homepage der Psychotherapeutenkammer NRW, Internetadresse: www.ptk-nrw.de