Die Aussage, dass sich unser Gesundheitssystem in einer ökonomischen Krise befindet, ist inzwischen eine Trivialität. Nicht trivial ist die Suche nach Lösungen, welche das System kollektiver Risikoteilung im Prinzip erhalten. Schon heute ist klar, dass die bisherigen Lösungsversuche gescheitert sind. Damit bleibt die Aufgabe, mit Kreativität die etablierten Strukturen anzugehen und zu verändern. Dies wird von allen Gruppen, die heute im Gesundheitssystem arbeiten, Anpassung, zum Teil schmerzhafter Art, verlangen. Ist die Psychotherapeutenkammer, die von der Anlage her - wie alle Erfahrungen mit Kammern zeigen - inhärent konservativ ist, in der Lage, hierzu einen wesentlichen Beitrag zu leisten? Die DGVT hat in den vergangenen Jahren diese Frage mit "eher nein" beantwortet. Die bisherigen Erfahrungen im Errichtungsausschuß lassen keine vorläufige Antwort zu, allerdings sind die Zweifel nicht ausgeräumt. Wir denken, dass es sinnvoll ist, die lange gesundheitspolitische Erfahrung der DGVT in die Arbeit der künftigen Psychotherapeutenkammer einzubringen und für die Lösung der anstehenden Probleme zu nutzen, nicht allein oder gar primär zur Durchsetzung egoistischer Gruppenvorteile - die wesentlich an der aktuellen Misere schuld sind - sondern für die Suche nach solidarischen Ansätzen, die einen vernünftigen Ausgleich der verschiedenen Interessenlagen ermöglichen.
Die folgende Gegenüberstellung soll die Grundlagen der DGVT, wie sie in der Satzung festgehalten sind, den Aufgaben der Psychotherapeutenkammer gegenüberstellen. Der Vergleich zeigt Überschneidungen in wesentlichen Bereichen:
Zweck/Aufgaben der DGVT | Gesetzlich vorgegebene Aufgaben der Kammer ... |
Nach der Satzung hat die DGVT die Aufgabe, sich "für die Verwirklichung einer psychosozialen und psychotherapeutischen Versorgung" einzusetzen. Grundlage dieser Arbeit sei ein "sozialwissenschaftliches Krankheitsmodell", das soziale Bedingungen psychischer Störungen betont. Daraus folge, dass im "Vordergrund der Bemühungen" Maßnahmen präventiver Art" stehen müssen, "die auf die Veränderung krankmachender Umweltbedingungen abzielt". Zum Thema Versorgung hält § 2 der Satzung fest, dass sie insbesondere auch "von multiprofessionellen Teams in integrierten gemeindenahen Einrichtungen öffentlicher Träger erfüllt werden" soll. Daraus ergibt sich die Forderung nach Inter- bzw. Multidisziplinarität in der Behandlungskonzeption, Ausbau rehabilitativer Ansätze, Integration psychosozialer Ansätze in der kurativen Versorgung somatischer Störungen, Vernetzung, wissenschaftliche Fundierung und Qualitätsorientierung, Entwicklung bedarfsgerechter psychosozialer Versorgungsstrukturen im ambulanten und stationären Bereich. (Satzung der DGVT in der Fassung vom 28.2.2000). |
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Die Arbeit im Errichtungsausschuss war bisher durch Formalia gekennzeichnet. Es ging um Satzungen, Verfahren bei der Erfassung der Mitglieder, immer wieder musste rechtlicher Rat eingeholt werden. Auch wenn es "in der Natur der Sache" liegt, dass Administratives ein wesentliches Thema bleiben wird, sollen die zukünftigen Schwerpunkte der Arbeit an anderen Stellen liegen. Satzungen sind abstrakt und bleiben blutleer, bis sie in der Alltagsarbeit mit Inhalten gefüllt werden. Die Kammeraufgaben der Berufsaufsicht und Wettbewerbssicherung sollten nur einen geringen Raum einnehmen, gegenüber der (hoffentlich) zunehmenden inhaltlichen Arbeit - wofür sich die VertreterInnen der DGVT besonders einsetzen werden.
Welche Prioritäten sollen in der Kammer also gesetzt werden im Umgang mit den übertragenen Einflussmöglichkeiten, den personellen und finanziellen Ressourcen?
Die VertreterInnen der DGVT werden sich für folgende Ziele schwerpunktmäßig engagieren:
Die DGVT hat eine psychosoziale und basisdemokratische Tradition. Kammern entwickeln sich leicht - das zeigt die Erfahrung - zu bürokratischen und wenig transparenten Organisationen, die Macht ausüben zum Schutz der etablierten Interessen und der Abwehr von (potentiell) bedrohlichem Neuem. Die Diskussionen um die Abschaffung der eingeschränkten Heilpraktikererlaubnis zeigen genau diesen Trend.
Die Mitglieder der DGVT im Errichtungsausschuss bemühten sich darum, die Stellung der Kammerversammlung zu stärken und die Vorstandsarbeit engmaschiger Kontrolle zu unterwerfen. Dabei sind wir aber an rechtliche Grenzen gestoßen. So sieht das Kammergesetz für die Heilberufe nicht die von uns gewünschte Möglichkeit vor, während einer Wahlperiode ein "konstruktives Mi�?trauensvotum" einzubringen. Allerdings haben die Ausschüsse in der verabschiedeten Fassung relativ weitgehende Rechte. Eine Einschränkung der Möglichkeit der Wiederwahl der Vorstände ist nicht vorgesehen, sollte aber in der Praxis umgesetzt werden, um die Herausbildung einer Kaste von Berufsfunktionären zu vermeiden.
Auch in Zukunft werden die Kosten der Psychotherapeutenkammer ein wesentliches Thema bleiben. Die DGVT, die aus Kostengründen für länderübergreifende Kammern plädierte, fühlt sich angesichts der Entwicklung in Bremen in ihrer Befürchtung bestätigt, dass Kammern in kleinen Ländern oder Stadtstaaten teuer werden. Der Vorschlag der DGVT wurde von keiner Seite ernsthaft aufgenommen. Da es nicht gelang, eine gemeinsame Kammer zu realisieren, wird es jetzt darauf ankommen, soweit rechtlich möglich, auf vielen Feldern Kooperationen zur Reduktion der Kosten anzustreben.
Die Position der Multiprofessionalität schlug sich im Hinblick auf die Zusammensetzung der Psychotherapeutenkammer in dem Vorschlag der DGVT nieder, ärztliche Psychotherapeuten, deren ärztliche Tätigkeit zu mehr als 50 % der aufgewandten Zeit aus Psychotherapie besteht, als Mitglieder in die Psychotherapeutenkammer zu integrieren. Dies hat sich nicht durchsetzen lassen. Die Lösung, im Beirat den Kontakt zwischen ärztlichen und Psychologischen PsychotherapeutInnen und KJP aufrechtzuerhalten, ist nicht sehr befriedigend, da er nur begrenzt kontrollierbar ist und die Gefahr eines von der Kammerversammlung nicht überschaubaren undemokratischen Raums beinhaltet.
Die Erfahrungen (Kuhr, Med. Hochschule) über ca. 20 Jahre innerhalb des medizinischen Systems zeigten, dass die scharfen Auseinandersetzungen auf der berufspolitischen Ebene (Ärzte- und Psychologen-Funktionäre) die Alltagsarbeit nur begrenzt beeinträchtigt haben. Die KollegInnen hatten in aller Regel wenig Berührungsängste gegenüber den anderen Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen, weil sich im Alltag zeigte, dass eine befriedigende Arbeit ohne Kooperation nicht möglich ist. Neben dem fachlichen ist es auch vom wissenschaftlichen Standpunkt her gesehen nicht sinnvoll, den Psychotherapeutenberuf aufzusplitten. Nachdem dies aber nun geschehen ist, sollten wir uns bemühen, Strukturen zu entwickeln, welche den Verbund aller Behandlergruppen und die Solidarität zwischen der psychotherapeutischen Gruppierungen stärkt.
Sinnvoll erscheint es in diesem Zusammenhang, das Konsiliarverfahren auf Grund der bisherigen Erfahrungen zu ersetzen. Eine vernünftige, gleichberechtigte und auf Gegenseitigkeit beruhende Kooperation mit mitbehandelnden ÄrztInnen ist noch nicht erreicht, sollte aber selbstverständlich werden. Die Psychotherapeutenkammer sollte ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um diesem Ziel näher zu kommen.
Über die Wahrung bzw. Stärkung der interdiziplinären Kooperation hinaus sollten wir die Fachgesellschaften, die die Breite unserer Disziplin repräsentieren (z.B. Gesprächspsychotherapie, Systemische Therapie, Neuropsychologie, Schmerztherapie etc.) aktiv an der Kammerarbeit beteiligen (z.B. im Bereich der Fort- und Weiterbildung).
Bislang fehlt ein Forum, welches wirksam die Gesundheitsinteressen der Bevölkerung, die Erfahrungskompetenz der betroffenen Patienten oder die Vorstellungen der anderen, nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe "zur Geltung" bringen kann. Hier sollte die Psychotherapeutenkammer aktiv werden. Eine Möglichkeit besteht darin, die Nutzer von Gesundheitsdienstleistungen (die wir letztlich natürlich alle sind) in einem "Beirat" zu organisieren (zunächst rekrutiert z. B. aus Selbsthilfegruppen). Eine weitere Möglichkeit wäre die Unterstützung von Patienteninformations- und Beratungsstellen (Beispiel: Satzung der Ärztekammer Bremen).
Seit Jahrzehnten wird die Kluft zwischen psychotherapeutischer Forschung und psychotherapeutischer Praxis beklagt. Die Psychotherapeutenkammer mag Hilfestellung dabei geben, Praxis und Wissenschaft als einander ergänzende Einheiten zu verstehen und Modelle zu entwickeln, welche die gegenseitige Befruchtung fördern. Aktuelle Schwerpunkte sind die Messung von Psychotherapie (Evaluation/Qualitätssicherung) und die Frage, inwieweit andere psychotherapeutische Ansätze (Gesprächspsychotherapie, Systemische Therapie) zu den "wissenschaftlich anerkannten Verfahren" hinzugerechnet werden können.
Mit der Weiterentwicklung praxisgerechter, wissenschaftlich fundierter und wirtschaftlicher Qualitätssicherung wird nicht nur etwas für den Schutz der PatientInnen, sondern auch der PsychotherapeutInnen getan.
Nicht erst seit Köhlke (1999 2 ) ist das Gutachterverfahren in der Diskussion. Die Bestellung von KBV-Gutachtern in wenig transparenter und undemokratischer Form, die Interessenverquickung (Gutachter sitzen in Gremien, die über das Gutachterverfahren entscheiden) und - vor allem - die inhaltliche Kritik stellen das bisherige System in Frage. Das Gutachterverfahren trägt nicht zu einer ergebnisorientierten Qualitätssicherung bei, die in den kommenden Jahren im Vordergrund stehen wird. Nicht nur, weil wir die Effizienz unserer Arbeit nachweisen müssen (und können), sondern weil auch der wirtschaftliche Druck auf Psychotherapie weiter ansteigen wird. Nur wenn die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Psychotherapie (im Vergleich zu anderen Methoden) in der Alltagsarbeit nachgewiesen wird, werden PsychotherapeutInnen sich mit ihrer Dienstleistung im Gesundheitssystem fest etablieren können.
Künftige Formen der Qualitätssicherung sollten von den Berufsgruppen der Psychologischen PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen eigenständig in breiter fachöffentlicher Diskussion entwickelt und umgesetzt werden. Nach Bewährung als Methode der internen Qualitätssicherung ist sie sicher auch einsetzbar als eine externe Qualitätskontrolle (der wir uns langfristig nicht entziehen können).
Das Vorgehen in der Vergangenheit, bei dem wenige Experten in nicht-öffentlichen Gremien Leitlinien entwickelten, sollte nicht mehr praktiziert werden.
Im August 2000 hat der wissenschaftliche Beirat Psychotherapie zur (mangelnden) finanziellen Förderung der Psychotherapie-Evaluationsforschung Stellung genommen. Es wird darauf hingewiesen, dass im Vergleich zur Pharmaindustrie, die jedes Jahr viele Millionen DM für die Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsuntersuchungen neuer Psychopharmaka ausgeben kann, im Bereich der Psychotherapieforschung nur relativ geringe Möglichkeiten der Forschungsfinanzierung bestehen. Um methodisch angemessene Studien mit hinreichenden Patientenzahlen durchführen zu können, muß nach Möglichkeiten gesucht werden, diese Forschung zu fördern. Diese Forschung ist, worauf der wissenschaftliche Beirat hinweist, nicht "Grundlagenforschung im engeren Sinne, sondern .....Forschung im Rahmen der Strukturqualitätssicherung." (Deutsches Ärzteblatt, 97, Heft 33 vom 18.8.2000, A-2191). Dieser Lobbyarbeit sollte sich die Psychotherapeutenkammer anschließen, wobei es nicht nur darum gehen kann, mehr Geld zu fordern, sondern auch (z. B. über Versorgungsforschung) die Fehlallokation von Mitteln zu reduzieren und damit finanzielle Ressourcen zu erschließen.
Die Sicherung der Einkommen von PsychotherapeutInnen ist auch unter dem Aspekt der Strukturqualität nötig. So zeigte eine Umfrage von Bowe (Psychotherapeut, 44, Heft 4, 1999, 251-256), dass ca. 2/3 der befragten PsychotherapeutInnen aufgrund der Honorarmisere weniger Fachbücher/-zeitschriften kauften und den Besuch von Fortbildungen/Kongressen einschränkten. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, dass sie die Supervision eingeschränkt hätten. Diese Entwicklung ist unter Qualitätsgesichtspunkten außerordentlich bedenklich.
Die Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats haben unmittelbare Bedeutung für die Ausbildung von Psychotherapeuten und stellen die Legitimationsgrundlage für die Ausübung von Psychotherapie da. Die Psychotherapeutenkammer sollte sich in diesen Prozess einmischen und ihr Gewicht zur Geltung bringen (primär wohl über die zu gründende Bundespsychotherapeutenkammer).
Außerdem sollte Einfluss auf die sozialrechtliche Seite der Psychotherapie genommen werden: Die bestehenden verfahrensbezogenen Festlegungen der Psychotherapie-Richtlinien geraten in wissenschaftlicher und gesundheitsökonomischer Hinsicht und unter der Perspektive der Berufspraxis immer mehr in die Diskussion. Sie stehen einer sachgerechten Integration psychotherapeutischer Methoden entsprechend moderner problem- und störungsspezifischer Ansätze im Wege und hemmen den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in den Versorgungsalltag (vgl. Vogel, Borg-Laufs & Wagner, 1999 3). Entsprechend dem aktuellen Stand der Psychotherapieforschung sind deshalb �?nderungen der Psychotherapie-Richtlinien dahingehend erforderlich, dass auch die Kombination von unterschiedlichen wissenschaftlich anerkannten Therapiemethoden und -verfahren im Rahmen eines problem- und störungsspezifischen Behandlungskonzeptes, das auf die Besonderheiten des individuellen Patienten abgestimmt ist, möglich wird.
Das Antragsverfahren für die Gruppenpsychotherapie ist zu vereinfachen und die zugelassenen Gruppengrößen sind indikations- und verfahrensbezogen anzupassen (Ermöglichung von Kleingruppen, z.B. in der Verhaltenstherapie aber auch im Bereich der Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen).
Analog zu den psychosomatischen Grundleistungen sind auch für Psychotherapeuten antragsfreie Leistungen für stützende Psychotherapie im Rahmen der Langzeitbehandlung von Patienten mit chronischen Erkrankungen vorzusehen.
Die Entscheidungen des Wissenschaftlichen Beirats (VT) müssen Auswirkungen nicht nur auf die Ausbildung von PsychotherapeutInnen, sondern auch auf die ärztliche Weiterbildung im Bereich Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin haben, um die Einheit der Psychotherapie zu fördern.
Dem Ziel der Gesundheitsförderung (Prävention) sollte jede Krankheitsbehandlung und -verwaltung übergeordnet sein. Werden beeinflussbare, krankmachende Belastungen für den Einzelnen und Bevölkerungsgruppen vermieden bzw. vermindert und gesundheitsförderliche Ressourcen individuell und kollektiv gefördert, führt das zu einer erheblichen Verringerung direkter und indirekter gesellschaftlicher Kosten. So kommt eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Internationalen Arbeitsamt (ILO) erarbeitete Studie zu dem Schluss, dass in Europa über 37 Millionen Personen an beschäftigungsbedingter Depression leiden, und dass Stress und psychische Belastung am Arbeitsplatz der europäischen und nordamerikanischen Wirtschaft jährliche Kosten von 120 Milliarden Dollar verursacht (Neue Züricher Zeitung, 11.10.2000, Nr. 237, S. 43).
Die Rolle der Psychotherapie im Bereich der Gesundheitsförderung sollte intensiviert werden.
Welche Bedeutung die Öffentlichkeitsarbeit hat, zeigt z. B. die Überschrift eines Artikels aus der Ärztezeitung (30.8.2000): "Nur die Psychotherapeuten selbst sind überzeugt, dass sie Milliarden sparen." Offensichtlich reicht der Hinweis auf die dazu bisher vorliegende Forschung nicht aus. Es ist also nötig, nicht nur weiter Forschungsprojekte zu initiieren und zu begleiten, sondern auch die erhobenen Informationen an Politik und Gesellschaft weiterzugeben.
Wahrnehmung der Interessen angestellter und beamteter PsychologInnen
Im Satzungsausschuss wurden Schutzklauseln für Minoritäten diskutiert, entsprechende Ansätze scheiterten aber an rechtlichen Bedenken und an Fragen der Praktikabilität. Aus diesem Grund bleibt allen approbierten "Untergruppierungen" nur die Möglichkeit, durch entsprechendes Wahlverhalten dafür zu sorgen, dass ihre Interessen in der Kammerversammlung personell repräsentiert sind.
Die Einrichtung der Psychotherapeutenkammer wurde vorwiegend von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen betrieben. Daher ist diese Gruppe im Errichtungsausschuss weit überproportional vertreten. Für die VertreterInnen der DGVT ist es ein bedeutsames Anliegen, neben den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen besonders auch die Gruppe der angestellten und beamteten Kolleginnen und Kollegen zu vertreten. Nur die Einbindung dieser KollegInnen in die Kammerarbeit wird die bestehende Skepsis vermindern (im Moment wird die Kammer von vielen als ein unnötiges und kostenträchtiges Kontrollorgan erlebt).
Worum soll es inhaltlich gehen: Eigene Erfahrungen (Kuhr, MHH) haben gezeigt, dass PsychologInnen in den siebziger und achtziger Jahren unbestritten die Leitung von Stationen (z.B. Sucht, Langzeitbereich) übernehmen konnten und diese Rolle gut ausfüllten. Mit der Veränderung des Arbeitsmarktes für Ärzte wurde der Druck grösser, die entsprechenden Stellen durch diese Berufsgruppe zu besetzen. Inzwischen ist die Situation eingetreten, dass es im Bereich der Psychiatrie nur noch wenig ärztlichen Nachwuchs gibt und somit eine "historische" Gelegenheit besteht, politische Forderungen für PsychologInnen im Klinikbereich nicht nur zu stellen, sondern auch durchzusetzen:
Diese Forderungen sind nicht unrealistisch, wie die Erfahrung in Bayern zeigt. Dort ist im Juli 2000 ein "Entgeldtarifvertrag" in Kraft getreten, in dem die PsychologInnen den ÄrztIinnen gleichgestellt sind.
Über ihren Einfluss auf das Thema Fort- und Weiterbildung kann die Kammer nicht nur Einfluss nehmen auf die Ausbildung in Psychotherapie (wie sie nach dem Psychotherapeutengesetz festgeschrieben ist) sondern sich auch darum bemühen, die Psychotherapie-Richtlinien entsprechend dem aktuellen wissenschaftlichen Stand fortzuschreiben.
Mit der Etablierung psychotherapeutischer Verfahren entstehen Ausbildungsinstitutionen, deren Träger eigene wirtschaftliche und persönliche Interessen entwickeln. Durch Verlängerung der Ausbildungen soll das Verfahren aufgewertet werden, außerdem verbessern sich die Möglichkeiten, aus der entsprechenden Tätigkeit finanzielle Vorteile zu ziehen. Die DGVT - einer der größten PT-Ausbildungsträger in Deutschland - hat sich darum bemüht, die Ausbildungskosten für Verhaltenstherapie niedrig zu halten. Außerdem hat sie als wissenschaftlicher Fachverband, im Gegensatz zu manchen anderen Ausbildungsinstitutionen, erfolgreich vermieden, dass sich die Curricula ideologisch verhärteten. Im Gegenteil, bei klarer Verankerung in der Verhaltenstherapie, wurde beständig nach inhaltlichen Verbesserungen, die dem wissenschaftlichen Stand entsprechen gesucht (z.B. Vergabe eines Gutachtenauftrages zur Weiterentwicklung der Ausbildung, 1995).
Der Titel der Ausbildung "Psychotherapie mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie" ist Programm. Die übermässige Fixierung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung auf traditionelle Therapieverfahren ist in Übereinstimmung mit dem derzeitigen Stand der internationalen Psychotherapieforschung und der wissenschaftlichen Diskussion über integrative Perspektiven in der Psychotherapie zu modifizieren. Mittelfristig sind Ausbildungs- und Prüfungsordnungen und Ausbildungscurricula anzustreben, die in der psychotherapeutischen Praxis eine optimale Passung effizienter problem- und störungsspezifischer Vorgehensweisen an die individuellen Besonderheiten der Patienten auf wissenschaftlicher Grundlage ermöglichen.
Die gegenwärtig gültigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen sehen die Vermittlung von Kenntnissen vor, die PsychologInnen bereits im großen Umfang im Rahmen ihrer universitären Ausbildung erworben haben. Wir fordern daher die Anrechnung psychotherapierelevanter Ausbildungsinhalte aus dem universitären Psychologiestudium. Dies gilt entsprechend für die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Ebenso sind die Anforderungen bzgl. des Psychiatrienachweises auf ihre sachliche Notwendigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus sollte die Einrichtung bezahlter Praktikumsstellen in Klinik und Ambulanz vorangetrieben werden. Die gegenwärtig unangemessenen hohen Kosten der Ausbildung könnten dadurch sachadäquat reduziert werden, was sich u.a. vorteilhaft auf die Ausbildungsnachfrage auswirken wird. Dadurch könnte auch einer mittel- bis langfristig infolge einer zu geringen Ausbildungsnachfrage drohenden erheblichen Unterversorgung mit Psychotherapie entgegengewirkt werden.
Die VertreterInnen der DGVT in der Kammerversammlung werden darauf hinwirken, dass AusbildungsteilnehmerInnen als Betroffene und "Fachleute" zu den die Aus-, Fort- und Weiterbildung betreffenden relevanten Fragen nicht nur angehört, sondern auch aktiv in die Arbeit eingebunden werden.
Anke Martiny von der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International, die kürzlich eine Studie zum Mißbrauch, Betrug und Korruption im deutschen Gesundheitswesen vorgelegt hat, antwortete im Interview der Süddeutschen Zeitung (24.10.2000) auf die Frage "Halten Sie unser Gesundheitssystem noch für reformfähig?": "Mein Eindruck ist, so wie es jetzt ist, haben sich bestimmte verhängnisvolle Mechanismen so verselbständigt, dass man das nicht mehr reformieren kann, sondern man muß jetzt ganz neu denken." Mit diesem Satz endet der Text, so dass unklar bleibt, ob Frau Martiny die angedeuteten revolutionären Veränderungen schon im Kopf hat. Wir, die wir Teil des Systems geworden sind, orientieren uns natürlich nach wie vor an der Hoffnung (trotz vieler negativer Erfahrungen in den letzten Jahren), dass das System doch reformierbar ist.
Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten und Aussichten wird sich die DGVT nun, da die Kammer eine Realität ist, der Herausforderung stellen. Sie wird sich bemühen, wie eingangs dargestellt, ihre gesundheitspolitischen Zielsetzungen in die Kammerarbeit einzubringen. Das mag in der gegenwärtigen Situation wie die Quadratur des Kreises erscheinen, aber, wie wir als PsychotherapeutInnen wissen: In jeder Krise steckt eine Chance! Nehmen wir sie wahr.
Dieter Haberstroh, Armin Kuhr, Heinz Liebeck, Gisela Petersen und Evelin Vollert
(DGVT-KandidatInnen für die Wahl zur Vertreterversammlung der Psychotherapeutenkammer Nds.)
Fussnoten:
1) Das Ende der Wahlzeit wurde auf den 21. Februar 2001 festgelegt. Die Wahlzeit dauert mindestens 14 Tage und beginnt mit der Absendung der Briefwahlunterlagen an die Kammermitglieder (s. http://www.pk-nds.de/).
2) Köhlke, H.-U. (2000). Das Gutachterverfahren in der Vertragspsychotherapie. Eine Praxisstudie zu Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit. Tübingen, DGVT.
3) Vogel, H., Wagner, R. & Borg-Laufs, M. (1999). Von der Richtlinienpsychotherapie zur wissenschaftlichen Psychotherapie - eine Chance für die ambulante psychotherapeutische Versorgung in Deutschland?! Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 31 (1), 145-150.