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Bericht zum Fachgespräch zur"Qualitätssicherung in der Prävention und Therapie von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen" am 14.11.2006 in Köln

Von: Andrea Benecke

Zu diesem Gespräch hatte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eingeladen. Es waren Vertreter aller in diesem Bereich relevanten Berufsgruppen vertreten:

  • Ernährungsberater/Oecotrophologen/Diätassistenten,
  • Sportmediziner/Sportwissenschaftler
  • Pädiater
  • Für den Bereich "Psychosoziales" Vertreter der GwG, des BDP und der DGVT

Frau Goldapp von der BZgA leitete die Sitzung federführend.
Die BZgA strebt seit einigen Jahren an, mit Hilfe eines Qualitätssicherungsprozesses die Qualität der Angebote erstens zu überprüfen, zweitens aber auch zu verbessern. Dies scheint vor dem Hintergrund steigender Prävalenzzahlen übergewichtiger bzw. adipöser Kinder und Jugendlicher sinnvoll. Bisher waren keine Empfehlungen möglich, da die Datengrundlage zu schlecht war.
Nachdem die Konsensusgruppe des BMG 2003 Qualitätskriterien für die Behandlung von übergewichtigen und adipösen Kindern/Jugendlichen beschlossen hatte (hierüber wurde in VPP 1/05 berichtet) berichtet, wurde nun die Fachpublikation "Qualitätskriterien für Programme zur Prävention und Therapie von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen" vorgestellt. Es gibt zudem eine Broschüre für Eltern betroffener Kinder mit dem Titel "Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen". Diese erscheint demnächst auch auf türkisch. Unter den Teilnehmern herrschte schnell ein Konsens, dass es gerade bei Kindern wesentlich erscheint, auch die Eltern zu erreichen. Kinder mit einem Gewichtsproblem, für das sich die Eltern aber nicht interessieren, haben größere Probleme Gewicht zu reduzieren und das reduzierte Gewicht zu halten. An diesem Punkt schloss sich auch Kritik an der Broschüre an, die sich nach Meinung einiger Teilnehmer an Mittel- und Oberschichtangehörige richtet, die aber sowieso eher auf die Bedürfnisse ihrer Kinder reagiert. Die Frage sei, wie man die bildungsfernen Schichten erreichen kann und ob dafür eine Broschüre das geeignete Medium ist. Allerdings ist die Nachfrage nach der Broschüre durchaus hoch, wie Fr. Goldapp von der BZgA mitteilte. Und natürlich solle die "Mittelschicht" die Möglichkeit bekommen, adäquat informiert zu werden. Trotzdem bleibt sicher die spannende Frage, wie man Angehörige des "Prekariats", wo das Problem am drängendsten ist, erreicht.
Des Weiteren wurde eine Versorgungsstudie vorgestellt, die im Auftrag des BZgA vom Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf durchgeführt wurde. Ziel war es, die Versorgungslandschaft zu beleuchten und die Qualität der Angebote zu erfassen. Es zeigte sich, dass es eine Unmenge an verschiedensten Angeboten gibt, die aber ganz unterschiedliche Qualität widerspiegeln. Insofern ist natürlich auch eine Vergleichbarkeit der Angebote sehr schwierig. Schon die stationären Angebote sind sehr unterschiedlich, aber wie will man diese noch mit ambulanten Angeboten vergleichen, die unter völlig anderen Bedingungen "funktionieren" und deren Bandbreite mindestens ebenso groß ist? Der betriebene Aufwand schlägt sich dann auch im Preis nieder, der zwischen 116 € und 2.316 € liegt. Dabei korrespondiert die erhobene Qualität in keiner Weise mit dem Preis. Dies ist sicherlich ein wesentliches Ergebnis dieser Studie. Man hat es vorher schon vermutet, nun kann man es mit Sicherheit behaupten. Allerdings hat die Studie auch deutliche Grenzen: ist z.B. die Motivation von Teilnehmern ambulanter Angebote vergleichbar mit der von Teilnehmern an stationären Programmen (Bsp. Motivation)? Welche Ausschlusskriterien haben einzelne Maßnahmen und wie transparent sind sie? Macht es vielleicht Sinn, einfach Vor- und Nachteile bestimmter Angebote zu bestimmen und sich bei der Interpretation der Ergebnisse weitgehend zurückzuhalten?
Diskutiert wurde dann die durch die BZgA zurzeit finanzierte Beobachtungsstudie, die aus Geldmangel nicht randomisiert durchgeführt wird und bis 2008 finanziell abgesichert ist. Hier werden verschiedene Angebote in ihren einzelnen Aspeken und Ergebnissen erfasst. Problematisch erscheint dabei, dass das Therapieende der jeweiligen Programmen unterschiedlich definiert wird (z.B. werden Booster-Sessions angeboten – zählen die noch zur "Therapie" oder ist diese davor zu Ende?). Des Weiteren erscheint schwierig, dass die körperliche Fitness nur unzureichend erfasst werden kann, da hier keine definierten Empfehlungen vorliegen. Von einigen Teilnehmern wurde angemerkt, dass eine längere Nachbeobachtungsdauer notwendig wäre, um den Effekt der Maßnahmen zuverlässiger beurteilen zu können. Dazu braucht die BZgA allerdings mehr Geld, das im Moment aber nicht zur Verfügung gestellt ist. In der Diskussion wurde wieder stark bemängelt, dass es zurzeit keine Strategie gibt, die gewährleitstet, dass die Eltern der betroffenen Kinder zuverlässig erreicht werden. Es wurde auch an dieser Stelle wieder der berechtigte Verdacht geäußert, dass Eltern aus bildungsfernen Schichten wahrscheinlich nicht erreicht werden. Es wurde am Ende darüber diskutiert, welche Aufgaben an die Nationale Obesity Task Force gestellt werden sollen. Dies reichte von der Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel zur Erforschung der Wirksamkeit von Therapien, über die Schaffung politischer Rahmenbedingungen bis zu der Entwicklung von Gesundheitszielen. Großer Konsens bestand darin, dass die Task Force an eine "neutrale" Institution angesiedelt werden soll, z.B. an die BZgA oder das Bundesgesundheitsministerium.
Was bedeuten solche Diskussionen für unsere Profession? Man muss vor dem Hintergrund der Diskussion von Standards die Frage stellen, ob Psychologen/Psychotherapeuten ausreichend auf die Anforderungen der Therapie übergewichtiger/adipöser Kinder und Jugendlicher vorbereitet sind. Gibt es überhaupt genügend Interesse an dieser Fragestellung? Sollten dafür spezielle Fortbildungen angeboten werden? Soll es ein Zertifikat geben? Wie sollten denn die zu vermittelnden Inhalte aussehen? Die Antworten auf diese Fragen werden sicher kontrovers diskutiert. Aber wenn wir den Stein der Weisen schon gefunden haben und wir alle Strategien sowieso schon kennen, weil sie grundlegende Strategien der Psychotherapie sind, warum sind die Ergebnisse immer noch so schlecht? Sind tatsächlich die resistenten Eltern oder die widrigen Umweltbedingungen schuld und wir kämpfen vor diesem Hintergrund sowieso nur gegen Windmühlen? Vielleicht ergeben sich durch die Beobachtungsstudie einige Antworten, aber auch innerhalb unserer Profession sollten diese Fragen diskutiert und beantwortet werden.


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