Dies gilt für die Angehörigen der Gesundheitsberufe, also auch die PsychotherapeutInnen, ebenso wie für alle anderen Berufstätigen. Insofern ist das Konzept der Qualitätssicherung, welches seit mehr als 10 Jahren für den Gesundheitssektor in Deutschland propagiert wird, keinesfalls neu oder ungewöhnlich.
Der moderne Ansatz der Qualitätssicherung geht jedoch weiter: Er fordert zunächst, dass Qualitätsziele und Qualitätsmaßstäbe für die verschiedenen Bereiche expliziert werden, um sie einer transparenten Diskussion und Weiterentwicklung zugänglich zu machen. Zudem verlangt das Qualitätssicherungskonzept, dass auch routinemäßige Maßnahmen zur Überprüfung und Gewährleistung der Zielerreichung vorgenommen werden, um die erreichte Qualität gegenüber den Auftraggebern, d.h. den Kostenträgern und den Patienten, zu dokumentieren. Zugleich geht das Konzept von der Möglichkeit einer kontinuierlichen Qualitätsverbesserung aus, die sich insbesondere im Rahmen regelmäßiger kritischer Selbstreflexion - wie sie im Prozess der Qualitätsentwicklung angestrebt wird - ergibt. Neu ist auch, dass von allen Institutionen des Gesundheitswesens, einschließlich der niedergelassenen Vertragsärzte/-ärztinnen und -psychotherapeutInnen, verlangt wird, dass sie ihre Qualitätssicherungsbemühungen darlegen.
Da die Definition von "Qualität" in der Gesundheitsversorgung schwierig und oft divergierend ist, wird an dieser Stelle zunächst die Definition der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) zitiert, wenngleich sie etwas umständlich scheint:
"Qualität ist die Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen eines Produkts oder einer Dienstleistung, die sich auf ihre Eignung zur Erfüllung festgelegter oder vorausgesetzter Erfordernisse beziehen." (ISO 9004, Teil 2, 1991)
Qualität meint damit das Verhältnis des "Ist-Wertes" zum "Soll-Wert" von Produkten oder Dienstleistungen. Qualität ist somit nicht a priori - wie es dem normalen Sprachgebrauch des Wortes implizit zu entnehmen ist - mit guter Qualität gleichzusetzen. Wichtig ist auch, dass Qualität nicht isoliert entsteht, sondern erst im Verhältnis zu einem Ziel (Soll-Wert) zu bestimmen ist. Das Bemühen, eine hohe oder gute Qualität zu erreichen, wird dann allgemein Qualitätssicherung genannt.
Vor dem Hintergrund der skizzierten kybernetischen Beschreibung des Qualitätsbegriffs ergeben sich für die Qualitätssicherung gleich mehrere Herausforderungen: Welche Eigenschaften sind die Wesentlichen an einem Produkt bzw. einer Dienstleistung? Wie lassen sich dort Sollwerte definieren? Und: Wie lassen sich die Ist-Werte in diesen Dimensionen messen (so dass Abweichungen festgestellt werden können)? Dabei ist zu wichtig, dass nicht einfach jene Dimensionen zu relevanten Qualitätsdimensionen erklärt werden, die einfach zu "messen" sind. Systematisch lassen sich für die Qualitätssicherung in der Psychotherapie die folgenden Aufgaben unterscheiden:
Das Vorgehen lässt sich in den heuristischen Rahmen eines Problemlöse- oder Handlungsmodells einordnen, um die Zusammenhänge der Teilaufgaben zu verdeutlichen. Die verschiedenen Ansätze zur Qualitätssicherung konzentrieren sich dabei jeweils auf Teilbereiche des Problemlöseprozesses.
Exkurs: Interne versus externe QualitätssicherungWährend die externe Qualitätssicherung den bewertenden/vergleichenden Blick des Auftraggebers oder Kostenträger und Leistungsträgers, ggf. auch des Kunden oder Nutzers, auf die Institution bezeichnet, meint interne Qualitätssicherung, häufig auch Qualitätsmanagement (QM) genannt, die Ansätze und Bemühungen innerhalb der Einrichtung um Qualitätsverbesserungen. Dabei ist festzuhalten, dass eine externe Qualitätssicherung eigentlich "nur" eine Qualitätskontrolle darstellt und in aller Regel keine differenzierten Problemanalysen vorlegen und keine gezielten Anregungen zur Qualitätsverbesserung liefern kann. Dies ist nur bei interner QS denkbar. Der externen QS fällt die Aufgabe zu, interne QS anzuregen und zu unterstützen. |
Die meisten TherapeutInnen werden ihre Arbeit strukturiert dokumentieren. Nicht nur, weil sie durch ihren fachlichen Anspruch und berufsethische Normen dazu verpflichtet sind, sondern auch, weil dies der eigenen Arbeit dient und sinnvolle Ansatzpunkte zur kritischen Selbstüberprüfung und zur Reflexion der Arbeit in der Supervision bietet. Es handelt sich zumeist um "freie", teilweise inhaltlich strukturierte Berichte über Ziele, Verlauf und Ergebnisse der einzelnen Therapiestunden, die sich überwiegend - mit Ausnahme bestimmter Items - als qualitative Dokumentationsinstrumente kennzeichnen lassen. Gelegentlich werden ergänzend einzelne Patienten-Fragebögen oder indikationsspezifische Symptomlisten und Schweregradinstrumente eingesetzt.
Allerdings werden niedergelassene TherapeutInnen kaum die Dokumentationsstandards von Universitätsambulanzen erfüllen, und sie werden insbesondere auch keine umfangreichen Standardfragebogenbatterien zur Evaluation benutzen. Wozu auch? Was gut für die Forschung ist, muss nicht gut sein für die Qualitätssicherung (Rudolf, Laszig & Henningsen, 1997). Da gibt es zum Einen methodische Fragen, die sich aus den unterschiedlichen Aufgabenstellungen der Einrichtungen ergeben. Es geht zum Anderen aber auch um das aus Sicht der PraktikerInnen häufig ungünstige Verhältnis von Aufwand und Nutzen.
Leitlinien sind Orientierungshilfen bei bestimmten Problemstellungen oder Therapeutischen Fragen im Sinne von "Handlungs- und Entscheidungskorridoren", von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss. Sie sollen also in der Regel befolgt werden, lassen aber im individuellen Fall bei entsprechender Begründung auch Handlungsspielraum (BÄK / KBV, 1997). Wichtig ist dabei, entsprechend internationalen Standards, dass
Leitlinien, d.h. allgemeine Handlungsregeln für eine wissenschaftlich begründete, fachlich kompetente und angemessene Versorgungspraxis, sind im Kontext einer umfassenden Qualitätsentwicklung ein wesentlicher Baustein für die Gewährleistung von hoher Prozessqualität. Sie liefern Hinweise für die Unterscheidung von begründeten und weniger begründeten Interventionen und haben insofern eine hohe Relevanz für die Ausgestaltung eines Versorgungsgebietes.
Die Aufgabe der Leitlinienerstellung lässt sich als außerordentlich spannend beschreiben, bedeutet sie doch, für die Kreativität der Praktiker und die notwendige Individualität der jeweiligen Interventionen einen Rahmen vorzugeben, der nicht zu eng sein darf (um Engagement und Initiative zu begrenzen), der aber andererseits auch nicht zu weit sein sollte, um damit der Beliebigkeit anheim zu fallen.
Im Psychotherapiebereich sind auf Veranlassung der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften bereits recht viele Leitlinien entwickelt und über die AWMF-Homepage (http://www.awmf-leitlinien.de) zur Verfügung gestellt worden (im Überschneidungsbereich Psychiatrie/Psychotherapie derzeit 74 von insgesamt über 1.000 Leitlinien in der AWMF-Homepage). Leider sind niedergelassene PsychotherapeutInnen in den meisten Arbeitsgruppen kaum oder zumindest unzureichend vertreten gewesen, so dass dies sicher bei regelmäßig notwendigen Revisionen der Leitlinien vorzusehen ist (vgl. Vogel & Schieweck, 2000).
Qualitätszertifikate sollen bestätigen, dass das zertifizierte Werkstück oder die zertifizierte Dienstleistung bestimmte, definierte Qualitätsstandards erfüllt. Beim TÜV-geprüften Auto kann man beispielsweise davon ausgehen, dass eine Reihe von wesentlichen, die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Qualitätsmängeln ausgeschlossen sind. Ein ähnlich sinnvolles Ziel liegt auch den Überlegungen zu Qualitätszertifikaten für Gesundheitseinrichtungen zugrunde.
Die zur Zeit oft vorgeschlagenen Qualitätszertifikate nach DIN-ISO 9000:2000 ff. für Gesundheits- und Sozialeinrichtungen können bestätigen, dass die Einrichtung Anforderungen an die eigene Arbeitsweise in bestimmter, näher definierter Weise erarbeitet hat (welche in einem Qualitätshandbuch dokumentiert sind) und dass sie diesen eigenen Anforderungen auch entsprechen will. Ob diese einrichtungsspezifischen Qualitätsziele (hinsichtlich Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität) mit den Qualitätsstandards der Kostenträger und der KlientInnen zusammenfallen, ist damit zunächst nicht gesagt. Ebenso bleibt offen, wie weit die definierten Prozessstandards tatsächlich auch umgesetzt werden.
Mehr noch als im industriellen Bereich ist die Qualität von Psychotherapie allerdings von Prozessmerkmalen bestimmt, die in einer Zertifizierung nicht thematisiert werden können. Dazu gehört auch die Psychotherapieforschung thematisierte "Person des Therapeuten bzw. der Therapeutin" als bedeutsamen Wirkfaktor und die komplexen Interaktionen mit PatientInnen- und Verlaufsvariablen. Eine Zertifizierung, die bei Vorliegen bestimmter struktureller Voraussetzungen in der Behandlungseinrichtung eine "gute Qualität" bescheinigt, dabei aber wesentliche oder wesentlichere Aspekte der Therapiequalität außer Acht lässt, bezieht sich nur auf einen eingeschränkten Qualitätsbegriff und wird dadurch missverständlich. Insgesamt stellt die Zertifizierung ein sehr zeit- und kostenintensives Verfahren, das in größeren Institutionen durchaus zu zweckmäßigen Verbesserungen im Bereich von Strukturqualität beitragen und damit auch bessere Grundlagen für die Prozessqualität ermöglichen kann. Für ambulante Psychotherapiepraxen dürfte die Zertifizierung aber keine wesentlichen Qualitätseffekte haben.
Qualitätszirkel werden allgemein als Methode beschrieben, kollegial bestehende Qualitätsprobleme zu analysieren und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Während sie sich in der industriellen Qualitätssicherung stärker mit Fragen der betrieblichen Organisationsentwicklung beschäftigen, wurden Qualitätszirkel von den Kassenärztlichen Vereinigungen vor wenigen Jahren als Methode ausgearbeitet, bei der niedergelassene Ärzte unter Anleitung eines geschulten Moderators fachliche Probleme der Arbeit beraten und Lösungen suchen (vgl. Schreyer-Schubert et al., 2000; Tausch, 2000).
Prinzipiell sind Qualitätszirkel ein sinnvoller Ansatz, um Qualitätsprobleme in der eigenen Arbeit zu analysieren und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Dieser Ansatz ist allerdings keinesfalls neu, sondern gehört für PsychotherapeutInnen als Supervision (kollegial oder unter externer Anleitung) schon seit langem zum Standard und stellt insofern keine wirkliche Neuerung dar.
Evidenzbasierte Medizin und Leitlinien stellen wichtige Schritte zur Qualitätsentwicklung der Psychotherapie dar, sie sind jedoch bis heute nur begrenzt für den Versorgungsalltag brauchbar. Und ihre Nutzung in der ambulanten Psychotherapie scheitert gegenwärtig vor allem an der traditionellen Schulenbindung der Psychotherapierichtlinien: Wenn man eine hohe Qualität der psychotherapeutischen Versorgung fordert, dann ist die Therapieschulen- oder Verfahrensorientierung der Psychotherapierichtlinien ein besonderes Hindernis. Während die moderne Psychotherapieforschung längst eine methodenübergreifende Störungsorientierung in der Psychotherapie fordert und dies beispielsweise in den meisten psychotherapeutischen Kliniken auch realisiert wird, so sind die niedergelassenen PsychotherapeutInnen weiterhin verpflichtet, sich in ihrer Praxis streng an die Vorgaben der eigenen Schule zu halten (auch wenn sie darüber hinausgehende Kompetenzen nachweisen könnten).
Nebenwirkungen von Qualitätssicherung, insbesondere von externer Qualitätssicherung: Bereits die jetzigen Vorgaben der Psychotherapierichtlinien und das Gutachterverfahren haben vielfältige Auswirkungen auf die Umsetzung von Psychotherapie. So wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass das Gutachterverfahren aus prinzipiell methodischen Gründen nur eine geringe Bedeutung für die Qualitätssicherung hat und haben kann (vgl. Vogel et al., 2002). Eine weitere Veränderung der Psychotherapierichtlinien oder -vereinbarungen mit stärker reglementierenden Vorgaben (Dokumentationspflicht, ggf. mit Erfolgskontrolle) dürfte den bereits heute feststellbaren Trend verstärken, dass viele PsychotherapeutInnen sich auf kurzfristig erfolgreich zu behandelnde PatientInnen konzentrieren werden und chronifizierte PatientInnen sowie solche mit Mehrfachdiagnosen oder Persönlichkeitsstörungen unversorgt bleiben.
Qualitätssicherung ist für alle Bereiche der Gesundheitsversorgung eine notwendige Herausforderung für die Zukunft. Gerade im Bereich der Krankenhausversorgung wird sie in den nächsten Jahren wichtig sein, um die zu erwartenden Qualitätseinbu�?en im Zusammenhang mit der fallpauschalierten Finanzierung (Stichwort DRG) zu begrenzen. Prinzipiell ist Qualitätssicherung auch in anderen Bereichen der Versorgung und speziell im Bereich der Psychotherapie zweckmäßig. Nur müssen hier die Besonderheiten der psychotherapeutischen Arbeit berücksichtigt werden.
Angemessene Qualitätssicherung wird in erster Linie als interne Qualitätssicherung erfolgen (Fortbildung, Supervision, Dokumentation). Hierfür sind seitens der zuständigen Einrichtungen (Kammern, KVen) entsprechende Vorgaben zu entwickeln. Externe Qualitätssicherung könnte dazu wichtige Anregungen geben. Um dafür die notwendigen Grundlagen zu erarbeiten, sind Modellvorhaben dringend erforderlich.
Unter dem Blickwinkel der gewünschten hohen Qualität der psychotherapeutischen Versorgung sind beträchtliche weitere Anstrengungen erforderlich:
Qualität in der Psychotherapie zu fördern ist eine wichtige Herausforderung. Qualität der Psychotherapie ist jedoch ein "zerbrechliches Gut". Psychotherapie impliziert einen komplexen Prozess der Beziehungsaufnahme und -entwicklung und durch zu viel bzw. unangemessene Formen der Kontrolle besteht die Gefahr, dass Widerstand oder Abwehr gefördert werden, die letztlich die Qualität gefährden (Vogel & Laireiter, 1998).
Literatur beim Verfasser
Dipl.-Psych. Dr. phil. Heiner Vogel
Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg
Klinikstr. 3, 97070 Würzburg
eMail: h.vogel(at)mail.uni-wuerzburg(dot)de