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Zur Bewertung des Gutachterverfahrens für die ambulante Verhaltenstherapie durch die GutachterInnen

(Replik auf den Text von Altherr et al. zum Gutachterverfahren in der Zeitschrift Verhaltenstherapie 1/2002)


In Heft 1/2002 (S. 75-76) der Zeitschrift "Verhaltenstherapie" äußert sich 52 von insgesamt 78 Gutachtern2 der ambulanten Verhaltenstherapie (Altherr et al.) im Rahmen der Richtlinienpsychotherapie zur Kritik am Antrags- und Gutachterverfahren3 . Das ist insofern ein erfreulicher Schritt von wichtigen Insidern des Systems in die Öffentlichkeit ist, als dieser es ermöglicht, die bislang vor allem in Mailing-Listen oder im Kollegenkreis geführte Diskussion nun öffentlich und damit auch sorgfältiger weiterzuführen.

Die Frage der Notwendigkeit von Qualitätssicherung muss hier nicht diskutiert werden, denn sie ist im Sozialgesetzbuch für alle Bereiche der gesetzlichen Krankenversicherung - zumindest pro forma - vorgeschrieben. Die spannende Frage ist aber, ob das Antrags- und Gutachterverfahren nach den Psychotherapie-Richtlinien und -vereinbarungen tatsächlich als Qualitätssicherungsinstrument bezeichnet werden kann, und falls ja, in welchem Bereich, auf welcher Ebene und mit welcher Qualität (Güte) damit Qualität gesichert wird bzw. gesichert werden kann [vgl. Vogel und Laireiter, 1998].
Angesichts des breiten Spektrums an Qualitätsanforderungen in der ambulanten Psychotherapie merken die Autoren der o. g. Stellungnahme an, dass es beim Antrags- und Gutachterverfahren weder um Prozess- noch um Ergebnisqualität geht, sondern um spezifische Aspekte der Strukturqualität, zu denen, systematisch betrachtet, folgende Fragen gestellt werden können:

    1. Ist ein Therapeut hinreichend kompetent, eine Therapie angemessen zu konzipieren?
    2. Erfüllt das berichtete Leiden des zu therapierenden Patienten die Zugangskriterien des SGB V für Krankenbehandlung, die für die ambulante Psychotherapie in den Psychotherapie-Richtlinien konkretisiert sind?
    3. Hat der Therapeut die beste und wirtschaftlichste Therapieform gewählt?

Im Folgenden werden die Fragen und die Möglichkeiten, mit dem Antrags- und Gutachterverfahren darauf Antworten zu finden, jeweils etwas ausführlicher diskutiert.

Zu A. - Prüfung der psychotherapeutischen Kompetenz des antrags-begründenden Therapeuten

Die psychotherapeutische Qualifikation des Behandlers ist, - dies braucht hier nicht näher sozial- oder berufsrechtlich ausdifferenziert zu werden - im Bereich des Gesundheitswesens grundsätzlich bereits mit der Approbation und - je nach Anwendungsfeld - mit dem Fachkundenachweis oder (bei Ärzten) mit der Weiterbildungsbezeichnung gegeben.

Über diese grundsätzliche Kompetenz hinaus ist es aber durchaus denkbar, in jedem Anwendungsfall die spezifisch hierfür erforderliche Kompetenz zu überprüfen, um so jeden Internisten, jeden Chirurgen oder jeden Handwerksmeister bei einem größeren Projekt nach seiner Eignung zur Durchführung dieser Aufgabe zu befragen. Bekanntlich ist dies bisher aber nur bei Psychotherapeuten der Fall, es gibt bislang keinen anderen Berufsstand, bei dem dies üblich ist. Sozialrechtler melden zudem Zweifel an, ob ein solches Nachprüfungs-Prozedere im Rahmen des SGB V - auch unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen und anderer Vorgaben des StGB - überhaupt zulässig ist [Bämayr, 2001].
Im Rahmen ihres - beinahe amtlichen - Kommentars zu den Psychotherapie-Richtlinien wird von Faber et al. [1999] auch nicht unmittelbar der Prüfaspekt der Kompetenz hervorgehoben, dieser wird - wie auch von Altherr et al. - ein wenig anders vermittelt: Es gehe es darum zu prüfen, ob für einen speziellen Patienten ein adäquates Therapiekonzept erstellt worden ist. Diese Darstellung ist eine geschickte Umdeutung und als solche natürlich leicht zu erkennen. Die Psychotherapie-Richtlinien und die sich darauf stützenden Psychotherapeuten gehen davon aus, dass mit den zugelassenen Verfahren alle Patienten des Indikationsspektrums behandelbar sind. Sollten die Rahmen-Bedingungen für einzelne Patienten doch einmal problematisch sein, so liegt es an der Kompetenz des antragsbegründenden Therapeuten, die Ressourcen des Patienten hervorzuheben und die Erschwernisse zu kaschieren, wenn er eine Therapiegenehmigung haben will. Dabei darf unterstellt werden, dass jeder Therapeut, der eine Therapie beantragt bzw. (formalrechtlich) den Therapieantrag eines Patienten begründet, auch wünscht, dass diese Therapie genehmigt wird. Die zu einer entsprechenden Darstellung erforderlichen Kompetenzen werden in jedem Ausbildungsgang gelehrt, und der Kollege, der dort nicht aufgepasst hat, wird diese Sozialisation spätestens nach den ersten Ablehnungen umgehend erreichen und sich zukünftig entsprechend verhalten. Dann wird im weiteren Procedere - wie gesagt - faktisch nur noch seine Kompetenz zur Darstellung überprüft, und das ist - wie ebenfalls bereits erwähnt - eigentlich nicht zulässig.

Zu B. - Überprüfung, ob die Therapie beantragenden Patienten tatsächlich ins Spektrum der Psychotherapie-Richtlinien fallen

Bei dieser Prüfung stellen die Psychotherapeuten quasi die Avantgarde der ambulanten Behandler im Bereich des SGB V dar, denn ähnliche Überprüfungen gibt es - außer in der Zahnmedizin - bislang nicht. Vor dem Hintergrund der Auskünfte des Therapeuten im formalisierten Therapieantrag sowie der - eher mageren - Datengrundlagen der Krankenkassen wird eine Bewertung darüber abgegeben, ob eine Psychotherapie bei dem jeweiligen Patienten notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Die Autoren Altherr et al. schreiben dazu: "Es erscheint schwer vorstellbar, wie diese unverzichtbare Synopsis relevanter Einflussgrößen außerhalb des Gutachterverfahrens adäquat erfolgen könnte". Kann sein, dass unsere Vorstellungskraft etwas zu begrenzt ist - allein, wir können uns nur schwer vorstellen, wie eben diese Beurteilung einigermaßen solide innerhalb des Gutachterverfahrens erfolgen kann: Weder wird der Patient zu seiner Störung befragt, noch gibt es ein standardisiertes Bewertungsschema. Zudem zeigt die - häufig zitierte - Varianz zwischen den Gutachtern in den Bewertungen (Ablehnungsquoten von 48 VT-GutachterInnen im Jahr 2000 zwischen 1 % und 7 % bei durchschnittlich 2.250 Begutachtungen pro GutachterIn; Dahm, 2001), dass hier tatsächlich keinesfalls von einer einheitlichen Bewertung auszugehen ist. Ein Prüfverfahren, das offensichtlich keine akzeptable Objektivität (hier insbesondere: Auswertungs- und Interpretationsobjektivität) hat, kann keine annehmbare Reliabilität erreichen, und damit ist die Validität der Begutachtung naturgemäß in weiter Ferne [Wirtz und Caspar, 2002].

Zu C. - Die Frage, ob der Therapeut die wirtschaftlichste Behandlung gewählt hat

Es entspricht den Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung, dass nur notwendige und wirtschaftliche Behandlungen finanziert werden sollen. Dieser hohe Anspruch wird unseres Erachtens im Rahmen des Gutachterverfahrens aber gar nicht eingelöst. Denn die nahe liegende Frage, welche Therapieform (von den drei gegenwärtig zur Auswahl stehenden) bei einer Störung angemessen ist, wird überhaupt nicht geprüft. Entsprechende differenzielle Indikationsstellungen lassen sich zumindest nicht nachweisen [Puschner und Kordy, 2001], und sie sind wohl auch nicht beabsichtigt.
Sollte es aber (wie von Altherr et al. angesprochen) um die alternative Indikation einer somatischen Therapie oder gar einer Psychopharmakotherapie gehen, stellt sich die Frage, wozu es dann noch des Konsiliarberichtes eines persönlich untersuchenden Arztes bedarf. Kann der Gutachter auf der Basis der wirklich mageren Therapieantragsunterlagen besser als ein persönlich untersuchender Arzt beurteilen, ob die gewählte Psychotherapie die beste Behandlung ist? Außerdem ist der Konsiliararzt gesetzlich vorgeschrieben. Deshalb stellt sich für uns die Frage, wie es überhaupt begründet werden kann, dass hier eine doppelte Kontrolle verlangt wird.

Erstes Resumee

Nimmt man also die drei eingangs genannten Prüfaufträge kritisch unter die Lupe, so bleibt nur der Auftrag B übrig - A ist eigentlich unzulässig, C ist nicht stimmig. B ist sinnvoll und zweckmäßig, aber es ist fraglich, ob das Antrags- und Gutachterverfahren diesen Anspruch wirklich erfüllen kann. Ohne hier näher ins Detail zu gehen, sei darauf verwiesen, dass es hinsichtlich der Interraterreliabilität von Begutachtungen im Gesundheitswesen - und um die geht es hier - bislang nur höchst unzureichende Forschung gibt. Die wenigen vorliegenden Befunde lassen auf mäßige Übereinstimmungen schließen [vgl. z.B. Frank et al., 2002]. Für den Bereich der Psychotherapieantragsbegutachtung liegen bislang nur Erhebungen aus dem Bereich der tiefenpsychologischen/psychoanalytischen Therapieanträge vor [Rudolf et al., 2002], leider noch nicht für den Bereich der verhaltenstherapeutischen Anträge [vgl. zur Übersicht Merod und Vogel, 2002b].

Weitere Aspekte der Antragsbegutachtungen

Die Autoren betonen, dass das Gutachterverfahren vergleichsweise wirtschaftlich sei. Bei Wirtschaftlichkeitsberechnungen setzt man üblicherweise die Kosten (direkte und indirekte Kosten) zu dem geschätzten Nutzen (direkter und indirekter Nutzen) in Beziehung. Darüber hinaus wird man, insbesondere wenn es um die Frage nach der Wirtschaftlichkeit geht, Vergleichswerte heranziehen. Die Berechnungen von Köhlke [2001] erscheinen uns in diesem Zusammenhang als wegweisend. Köhlke kann zwar - ebenso wie die AutorInnen Altherr et al. - keine unmittelbaren finanziellen Nutzenaspekte des Verfahrens benennen, berechnet immerhin aber die Kostenseite wesentlich umfassender und realistischer (DM 240,-- bei Langzeittherapieantrag, DM 145,-- bei Kurzzeittherapieantrag). Er rechnet sie auf eine "per Gutachten genehmigte" Therapiestunde um und vergleicht diese mit den entsprechenden Zahlen für die Psychoanalyse und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (differenziert für die einzelnen Antragsschritte und für die gesamte Therapie). Diese Kostenschätzung zeigt, dass die durch das Prüf-/Qualitätssicherungsinstrument Gutachterverfahren verursachten Kosten in der Verhaltenstherapie mit 7,8% der Kosten einer genehmigten Therapie deutlich höher liegen als bei der Psychoanalyse mit 2,1% der Kosten einer genehmigten Psychotherapie (6,2% bei der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie)4 , obwohl für die Verhaltenstherapie (auf Grund bisher vorliegender Studien) ein höherer Grad an empirischer Evidenz bzw. eine höhere Wirksamkeit angenommen werden kann.

Ein besonderes qualitätssicherndes Element des Gutachterverfahrens ist nach Ansicht der Autoren der subtile Effekt der Selbstreflexion der Therapeuten. Der Therapeut würde beim Antragschreiben angeregt, selbstkritisch über die Therapie zu reflektieren, und damit beim internen Qualitätsmanagement unterstützt. Dies ist eine ungeprüfte Annahme, die zudem unterstellt, dass der Therapeut bzw. die Therapeutin ohne den Therapieantrag nicht hinreichend über eine geplante Therapie reflektieren würde. Man könnte aus unserer Sicht alternativ zur erwähnten "Reflexionsanregungsannahme" mit der gleichen Plausibilität auch folgende Annahme formulieren: Wenn die Krankenkasse anstelle des Gutachterverfahrens für die Hälfte der eingesparten Kosten (s.o.) dem Therapeuten aktuelle Bücher oder Literaturgutscheine schenken würde, dann wäre er vielleicht genauso stark motiviert, seine eigenen Therapiekonzepte zu hinterfragen und weiter zu entwickeln. Eingedenk der empirischen Orientierung in der Verhaltenstherapie halten wir es durchaus für realisierbar, eine Studie zu initiieren, in der beide Hypothesen vergleichend geprüft werden. Wir sind gespannt auf deren Ergebnisse.

Perspektiven der Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie

Abschließend reflektieren Altherr et al. über Verbesserungsmöglichkeiten im Gutachterverfahren und bei der Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie:

    • Sie schreiben zunächst von Qualitätszirkeln, zu denen die Gutachter sich treffen könnten. Darin liegt sicher wertvolles Verbesserungspotenzial, vor allem, wenn es auch darum geht, auf der Basis definierter Kriterien an einer Verbesserung der Interraterreliabilität der Begutachtungen zu arbeiten.
    • Eine weitere Verbesserungsmöglichkeit sehen die Gutachter darin, dass zukünftig die Antrag stellenden Therapeuten einen Abschlussbericht schreiben könnten. Hier wird wirklich Pionierarbeit vorgeschlagen, die tendenziell sogar das System der Gesundheitsversorgung in Deutschland umwandeln könnte. Wie Linden [1998, S. 503] ausführt, bedeutet ein solcher Vorschlag juristisch, dass die therapeutische Arbeit, die bisher in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung als Dienstleistung konzipiert ist, tendenziell in eine Werkvertragsleistung umgewandelt wird, bei der die Kostenübernahme von dem Erreichen des angekündigten Gesundheitsziels abhängig gemacht wird. Auch im alten China soll es so gewesen sein, dass der Arzt das Honorar nur bei erfolgreicher Behandlung beanspruchen konnte und die Schwäbisch-Gmünder-Ersatzkasse erprobt zur Zeit ein ähnliches Modell für die Pflegesätze bei Reha-Behandlungen. Der Abschlussbericht liegt somit durchaus im Trend, nur sollte er dann nicht la pour la eingeführt werden, sondern mit klarer Festlegung der Bewertungskriterien, ihrer Konsequenzen und einer sorgfältigen Begleitforschung, die dabei perspektivisch das gesamte ambulante Gesundheitswesen ins Blickfeld nimmt.
    • Schließlich wird die Idee angesprochen, die Patienten selbst zu Wort kommen zu lassen, etwa indem eigene Problemschilderungen bei der Begutachtung berücksichtigt werden. Auch dies ist erwägenswert und wurde so bereits von Köhlke [1998] vorgeschlagen, der bald darauf auch entsprechende Handreichungen publizierte [Köhlke, 2000].
    • Eng mit dem letzten Vorschlag verbunden ist die Anregung, Symptomlisten oder Standardfragebögen durch die Patienten bearbeiten zu lassen und dem Therapieantrag beizufügen. Nach unserer Einschätzung ist auch dies prinzipiell durchaus möglich. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Ergebnisse derartiger Fragebögen keinesfalls mit den Normwerten dieser Bögen in Verbindung gebracht werden dürfen. Wenn Tests oder kriteriumsorientierte Fragebögen in "Begehrenssituationen", wie es der Therapieantrag nun einmal darstellt, ausgefüllt werden, ist keinesfalls mit einer neutralen Fragebogenbearbeitung durch den Klienten/Patienten und auch nicht mit einer neutralen Instruktion durch den Therapeuten zu rechnen und die Abweichungen sind indikations- bzw. personenbezogen nicht zu kalkulieren. Daher scheidet der Vergleich der individuellen Testergebnisse mit Standardnormwerten des Fragebogens aus [vgl. hierzu Lienert und Raatz, 1994, sowie Bortz und Döring, 1995, S. 178]. Dann aber muss die Frage gestellt werden: Wozu können die Fragebögen noch verwendet werden, wenn die Ergebnisse nur qualitativ interpretiert werden dürfen? Wohl kaum anders als die Patientenfragen von Köhlke [2000].

Eine Weiterentwicklung bzw. ein Überdenken des Gutachterverfahrens sollte die Funktion externer Qualitätssicherung - und um die geht es ja - berücksichtigen. Dazu gehört hier insbesondere die Prüfung des Zugangs zu den Behandlern. Weitere Fragen der externen Qualitätssicherung sind zwar prinzipiell denkbar, aber für die ambulante Gesundheitsversorgung gegenwärtig ausgeschlossen. Externe Qualitätssicherung sollte ferner darauf ausgerichtet sein, (internes) Qualitätsmanagement der Psychotherapeuten zu ermöglichen und zu fördern, keinesfalls sollte externe Qualitätssicherung das interne Qualitätsmanagement aber behindern oder die Therapeuten veranlassen, sich mit wenig zielführenden Nebenbeschäftigungen aufzuhalten anstatt den Therapieprozess kontinuierlich ergebnisorientiert zu hinterfragen.
Den von Altherr et al. vorgelegten Veränderungsvorschläge für das Gutachterverfahren lassen sich vor diesem Hintergrund noch eine Reihe weiterer hinzufügen:

    • Man könnte die Therapeuten (nicht nur die Gutachter) zur Teilnahme an strukturierten Qualitätszirkeln verpflichten oder diese Teilnahme mit Entlastung, z. B. bei der Begutachtung, honorieren [vgl. DPTV, 2001]. Natürlich setzt dieser Vorschlag, wie auch der nächste, eine Zusammenführung von Daten über die Begutachtungen für die verschiedenen Krankenkassen, über die Gutachter und die Therapeuten hinweg voraus. Aber die - beinahe anarchisch zu nennende - Intransparenz des Systems ist ja auch ein zentraler Kritikpunkt, und sie hat mit moderner Qualitätssicherung ohnehin wenig zu tun.
    • Man könnte sich beim Kontrollsystem des Gutachterverfahrens auf Stichprobenprüfungen (wie bei den meisten etablierten Prüfverfahren, z.B. TÜV für PKW: Zeitstichprobe) begrenzen, diese dann aber ggf. erweitern bzw. ergänzen, z. B. um persönliche Begutachtungen, Verlaufsbögen oder ähnliches [vgl. Merod und Vogel, 2002a].
    • Man könnte das Auswahlverfahren der Gutachterberufung transparent machen, Gutachter auf Zeit berufen und alle zugelassenen Psychotherapeuten oder zumindest alle zugelassenen Supervisoren - jeweils für bestimmte Zeitabschnitte - zu Gutachtern berufen. Dann käme das Verfahren dem gelegentlich reklamierten Anspruch, ein Peer-Review-Verfahren zu sein, etwas näher.
    • Man könnte schließlich gar die anachronistische Schulenbezogenheit der Psychotherapierichtlinien aufheben oder zumindest eingrenzen, vergleichbare Stundenkontingente für alle Psychotherapeuten festlegen und sie auf einen störungsbezogenen und evidenzbasierten Therapieplan verpflichten [vgl. Vogel, Wagner und Borg-Laufs, 1999].

Wir denken, dass es an der Zeit wäre - auch angesichts der bekannten vielfältigen Kritik am Gutachterverfahren - systematische und qualifizierte Erprobungen von Alternativ- und Veränderungsmodellen einzuleiten (Modellprojekte nach §§ 63-65 SGB V). Die Leitfrage dieser Erprobungen müsste sein: Welches System führt zu den besten Ergebnissen bei der Psychotherapieversorgung und ermöglicht gleichzeitig eine hohe Wirtschaftlichkeit sowie hohe Zufriedenheit von Therapeuten und Patienten. Angesichts der beträchtlichen Kosten des Gutachterverfahrens und der Einsparpotenziale der angesprochenen Alternativen wären diese nicht nur in der Erprobung und späteren Umsetzung kostengünstiger sondern sie versprechen wegen der anzunehmenden höheren Wirksamkeit auch eine deutlich bessere Wirtschaftlichkeit der ambulanten Psychotherapie.

Literatur

    • Bämayr A: Unzulässigkeit des "Gutachterverfahrens vor Psychotherapien" aus strafrechtlichen Gründen. Psychotherapeuten Forum 2001;8(6): 32-38.
    • Bortz J, Döring N: Forschungsmethoden und Evaluation für Sozialwissenschaftler. 2. Aufl.. Berlin, Springer, 1995.
    • Dahm A: Gutachterstatistik 2000 für die analytischen Psychotherapieverfahren und die Verhaltenstherapie. Rundschreiben an alle Gutachter für tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie und an Gutachter für Verhaltenstherapie vom 19.4.2001.
    • Deutscher Psychotherapeutenverband / DPTV: Modellprojekt zur Erprobung eines Qualitätssicherungssystems in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Psychotherapeutenforum 2001;8(4): 17-25.
    • Faber FR, Dahm A, Kallinke D: Faber/Haarstrick: Kommentar Psychotherapie-Richtlinien. 5. Aufl. München, Urban & Fischer, 1999.
    • Frank S, Vogel H, Holderied A, Schmidt, D: Vergleich unterschiedlicher sozialmedizinischer Verfahren der Reha-Zugangssteuerung bei der Rentenversicherung. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation 2002;15(3):107-112.
    • Köhlke H-U (1998). Qualitätssicherung durch Gutachterverfahren - Aber wie qualitätsgesichert ist das Verfahren selbst?; in Laireiter A-R, Vogel H (Hrsg): Qualitätssicherung in der Psychotherapie und psychosozialen Versorgung. Tübingen, DGVT-Verlag; 1998, S: 785-832.
    • Köhlke H-U: Psychotherapie-Gutachterverfahren: Formulare zur Rationalisierung des Berichtsaufwands. Materialie 43. Tübingen, DGVT-Verlag, 2000.
    • Köhlke H-U: Zur Verhältnismäßigkeit des Psychotherapie-Gutachterverfahrens. Keine Legitimation für zu kurze Antragsschritte. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis 2001;33(4): 746-753.
    • Lienert GA, Raatz U: Testaufbau und Testanalyse. 5. Aufl. Weinheim, Beltz, 1994.
    • Linden M: Diskussionsbeitrag; in Vogel H, Merod R (hrsg.): Gutachterverfahren in der ambulanten Psychotherapie. Bericht über eine Podiumsdiskussion beim DGVT-Kongress für Klinische Psychologie und Psychotherapie in Berlin am 19.2.1998. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 1998;30(4):481-508.
    • Merod FR, Vogel H: Zur Weiterentwicklung des Gutachterverfahrens in der ambulanten Verhaltenstherapie. Ein Diskussionsvorschlag. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 2002a;34(1):105-112.
    • Merod FR, Vogel H: Das Gutachterverfahren als Mittel und Gegenstand von Qualitätssicherung - aus der Perspektive ambulanter Verhaltenstherapie; in Linster HW, Härter M, Stieglitz RD (Hrsg), Qualitätsmanagement in Psychotherapie und Beratung. Göttingen, Hogrefe, 2002b, im Druck.
    • Puschner B, Kordy H: Der Zugang zur ambulanten Psychotherapie - eine Evaluation des Gutachterverfahrens. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis 2001;33(3):487-502.
    • Rudolf G, Jakobsen T, Hohage R, Schlösser A.: Wie urteilen Psychotherapiegutachter? Entscheidungsmuster von Psychotherapiegutachtern auf der Grundlage der Gutachtenkriterienliste. Psychotherapeut 2002;47(4):249-253.
    • Vogel H, Laireiter A: Qualitätssicherung in der Psychotherapie und psychosozialen Versorgung; Auf der Suche nach geeigneten Werkzeugen für ein zerbrechliches Material; in Laireiter A, Vogel H (Hrsg.): Qualitätssicherung in der Psychotherapie und psychosozialen Versorgung. Tübingen, DGVT-Verlag, 1998, S. 835-859.
    • Vogel H, Wagner R, Borg-Laufs M: Von der Richtlinienpsychotherapie zur wissenschaftlichen Psychotherapie - eine Chance für die ambulante psychotherapeutische Versorgung in Deutschland?! Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 1999;31(1):145-150.
    • Vollmer RJ, Vollmer PM: Psychotherapie in der Vertragsärztlichen Versorgung, Loseblattsammlung, 14. Ergänzungslieferung. Remagen, AOK-Verlag, 2002.
    • Wirtz M, Caspar F: Beobachterübereinstimmung und Beurteilerreliabilität. Göttingen, Hogrefe, 2002.

 


`Verhaltenstherapie´, Jg. 12 (3), 228-231.
mit freundlicher Genehmigung der S. Karger GmbH

Heiner Vogel a, Werner Lemisz b, Heinz Liebeck c, Wolfgang Palm d


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