Der wichtigste Tagesordnungspunkt beim diesjährigen Deutschen Ärztetag DÄT) waren die Wahlen zum Vorstand. Wenn’s um Posten geht, dann kommt Bewegung auf. Professor Hoppe wurde als Präsident mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. Bei der Besetzung zum Vizepräsidenten traten vier Kandidaten vom Marburger Bund an: Andreas Crusius aus Mecklenburg-Vorpommern, Günther Jonitz aus Berlin, Frank Ulrich Montgomery aus Hamburg und Ursula Stüve aus Hessen. Die Entscheidung fiel dann zwischen Jonitz und Montgomery zugunsten von Montgomery. Cornelia Goesmann, eine Allgemeinärztin wurde im ersten Wahlgang im Amt als zweite Vizepräsidentin bestätigt.
Bei den weiteren Ärzten setzte sich Rudolf Henke, der Vorsitzende des mb Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz und dort auch CDU-Landtagsabgeordneter gegen Max Kaplan, einen Allgemeinarzt aus Bayern durch. Überraschenderweise trat Kaplan dann gegen Astrid Bühren, die Vorsitzende des Ärztinnenbunds, an und setzte sich knapp mit 120 zu 116 Stimmen durch. Damit ist Frau Bühren als Verfechterin für eine bessere Arbeitssituation von ÄrztInnen mit Familie dem Vorstand verloren gegangen. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich durch die Zusammensetzung von drei mb-Vertretern und zwei niedergelassenen Allgemeinärzten an der Gesamtausrichtung der Bundesärztekammer etwas ändern wird.
Die Eröffnung des DÄT ist am Besten zu so beschreiben: „the same procedure as every year“. Wahrscheinlich ist es egal, was Ministerin Ulla Schmidt sagt – in den Augen der Standesvertreter ist sie einfach unfähig. Alles was von Seiten staatlicher Repräsentanten gesagt wird, passt diesen „Freiheitskämpfern“, das Wort ist mehrere Male gefallen, nicht. Bei der Eröffnung wurde an mehrere Gruppen ein Preis für Forschungsarbeiten zum Thema: „Die Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus“ ausgelobt, der vom Bundesgesundheitsministerium, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gestiftet wurde. Ulla Schmidt hielt dazu die Laudatio. Sie hat die Rolle der Ärzteschaft und ihre Zustimmung zur Machtübernahme sehr deutlich formuliert, aber auch darauf hingewiesen, dass es nur wenige Ärzte gab, die sich öffentlich gegenüber dem NS-Regime ablehnend geäußert haben. Dafür wurde sie dann in der Diskussion heftigst angegriffen, da ihr unterstellt wurde, sie hätte alle Ärzte als Unterstützer des Nationalsozialismus bezichtigt.
Bei TOP 1 Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik setzte sich die Diskussion inhaltlich fort: „Die Politiker sind die Bösen, die Ärzte die Guten“. Volker Pickerodt und Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser haben sich kritisch zu dem Solidaritätsbegriff von Hoppe geäußert. Er spricht von Solidarität und der Gefahr der Zweiklassenmedizin, meint aber lediglich Beibehaltung der privaten Krankenversicherung, mehr Geld ins System und Kopfpauschale. Bei der Verleihung der Paracelsus-Medaille hat Bruno Müller-Oerlinghausen, ehemals Vorsitzender der Arzneimittelkommission, eine mutige, sehr kritische Rede zur Rolle der Pharmaindustrie gehalten. Unvorstellbar, wenn man sich erinnert, wie noch vor zehn Jahren unsere Anträge zur Rolle der Pharmaindustrie von den DÄT niedergestimmt wurden. Seine positive Einstellung zur elektronischen Gesundheitskarte, die Müller-Oerlinghausen an dieser Stelle äußerte, liegt sicher in dem unumstritten nützlichen Punkt der besseren Arzneimittelsicherheit bei Erfassung der Medikamente auf einer solchen Karte.
Bei dem TOP 2 Ethische Aspekte der Organ- und Gewebetransplantation kam klar zum Ausdruck, dass sich die Ärzteschaft möglichst wenig Einfluss des Staates wünscht und dringend vor Überregulierung und Einflussnahme warnt. Hoppe hat sich, wie schon der Nationale Ethikrat, für eine Widerspruchslösung, Ulla Schmidt für eine Zustimmungslösung ausgesprochen. Im Ziel sind sich aber beide einig, mehr Organe für Transplantationen zu bekommen und eine Kommerzialisierung von Organhandel zu verhindern.
TOP 3 Kindergesundheit in Deutschland war wenig kontrovers. Einig waren sich alle, dass es Defizite gibt; schuld sei – wie immer– der Staat. Die Forderung nach besserem Zugang zum Gesundheitswesen, unabhängig vom sozialen und kulturellen Status, war Konsens. Zu erwähnen ist der Antrag von Prof. Winfried Kahlke aus Hamburg zur Kindergesundheit bei Migranten, der sich klar für den Zugang aller, auch der Illegalen in Deutschland zur Gesundheitsversorgung ausspricht (siehe Seite xy). Die Aussagen zum Problem Adipositas und der notwendigen Prävention sind ebenfalls klar und eindeutig. Dass eine bessere Durchimpfungsrate erreicht werden muss, war unstrittig.
Unter dem TOP 4 Musterweiterbildungsordnung wurde nochmals heftigst über die Wiedereinführung des Allgemeininternisten gestritten. Dieser ist in fünf Ärztekammern schon beibehalten worden. Die Europäische Aufsichtskommission hat nun Einspruch erhoben, da für den „europäischen“ Internisten eine immigrationsfähige Alternative gebraucht wird. Umstritten bleibt, ob und wie die Inneren Schwerpunkte innerhalb Europas anerkannt werden. In der sachlichen Diskussion ging es unter anderem auch um die Frage der Funktion eines solchen Allgemeininternisten, der sich primär nicht als Hausarzt niederlassen kann, da ihm in seiner Ausbildung Praxiszeiten fehlen. Der Vorschlag des Vorstandes der Bundärztekammer zur Wiedereinführung des Allgemeininternisten wurde schließlich angenommen.
Unter dem Tätigkeitsbericht wurden ca. 120 Anträge abgestimmt. Der wichtigste Block war dabei die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Der von Winfried Kahlke und unseren Delegierten eingebrachte Antrag, der eine Ablehnung der Einführung fordert, wurde heftig diskutiert. Der ÄK-Präsident Berlins Günter Jonitz forderte sogar in der laufenden Diskussion eine „Nicht-Befassung“ dieses Antrages. Er wurde von Jörg-Dietrich Hoppe darauf aufmerksam gemacht, dass dies nur noch „im Abstimmungssinne“ sein könne. Ein solcher Vorschlag, der das Element der Abstimmung aushebeln möchte, lässt sich schwer mit einer offenen Auseinandersetzung mit allen Aspekten bei so einem diffizilen Thema vereinbaren. Der Antrag, mit dem Zusatz, die eGK „in der jetzigen Form“ abzulehnen, wurde mit knapper Mehrheit angenommen – mit der Stimme von Günter Jonitz. Die Anträge des Vorstandes waren somit hinfällig, die allesamt die kritische Begleitung bei der Einführung der eGK forderten.
Ein Antrag von Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser “Keine Beteiligung von Ärzten bei der Altersfeststellung im Asylverfahren“ wurde mit großer Mehrheit verabschiedet. Als Novum ist anzusehen, dass Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser zusammen mit dem KV-Vorsitzenden in Bayern einen Antrag „Pharmaindustrie –Mein Essen zahl` ich selbst (MEZIS)“ eingebracht hat. Dieser wurde unter dem Eindruck der Rede von Müller-Oerlinghausen positiv beschieden. Zu erwähnen ist noch ein Antrag von mehren Delegierten der Bayerischen Ärztekammer, in dem in der Versorgungsforschung von der Pharmaindustrie unabhängige Arzneimittelstudien gefordert werden. Eindeutig lehnt der DÄT auch die Verschärfung von Gesundheitspatenten ab.
Die „Aufnahme eines ethischen Kodex zur Ablehnung der Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie in die Musterberufsordnung“ hat BÄK-Mitglied und brandenburgischer Ärztekammer-Präsident Udo Wolter begrüßt, dabei aber darauf hingewiesen, dass ein solcher in Arbeit sei. So wurde der Vorschlag an den Vorstand überwiesen.
Die Forderung, dass ärztliche Standesorganisationen konstruktiv mit der Unabhängigen Patientenberatung zusammenarbeiten sollten, wurde an den Vorstand ebenfalls überwiesen. Erfreulich war ein vom Vorstand der Bundesärztekammer eingebrachter Antrag auf Aufhebung der öffentlichen Meldepflicht nach §87 Aufenthaltsgesetz. Ein parallel dazu erarbeiteter Antrag des Menschenrechtsausschusses Berlin konnte dort mit einfließen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der DÄT deutlich an Format gewonnen hat – wenn es nicht um Pfründe oder die Einflussnahme des Staates in die Medizin geht. Inhalte von uns, den so genannten „Oppositionellen“, die vor Jahren noch heftigen Protest hervorgerufen haben, sind inzwischen Konsens.
Charlotte Lutz/Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser
[1]Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift des verein demokratischer ärztinnen und ärzte (vdää) – Rundbrief Nr: 2/2007