Der 14. Psychotherapeutentag wurde umrahmt von zwei Veranstaltungen, die anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Psychotherapeutengesetzes ausgerichtet wurden – einerseits eine interessante Fachtagung „Psychotherapie bei alten Menschen“, andererseits eine Festveranstaltung mit Verleihung des erstmals von der Bundespsychotherapeutenkammer vergebenen Diotima-Preises der Deutschen Psychotherapeutenschaft. Beides fand am Vortag zum Psychotherapeutentag statt - bemerkenswert war neben den fundierten Beiträgen der Fachtagung auch der Vortrag von Staatssekretär Theo Schröder vom Bundesgesundheitsministerium anlässlich der Festveranstaltung. Er erwähnte das gerade überreichte Forschungsgutachten zur Umsetzung und zum Revisionsbedarf des Psychotherapeutengesetzes und verwies insbesondere darauf, dass das BMG zwei Dinge möglichst sofort versuchen wolle umzusetzen: einerseits eine Verbesserung der stark kritisierten Lage der PiA in den Kliniken, andererseits die angeregte Ermöglichung von Fördermaßnahmen für Ausbildungsteilnehmer, z.B. analog zum „Meister-Bafög“.
Der DPT am 9. Mai begann dann traditionell mit dem Vorstandsbericht durch den Präsidenten Rainer Richter. Er wies in seinem Tätigkeitsbericht eingangs auf den Versorgungsbedarf psychisch kranker Menschen hin. Nach konservativen Schätzungen liege der Versorgungsbedarf über alle Altersgruppen hinweg bei ca. 5 Millionen Menschen. Ambulant oder stationär behandelt werden können aber nur maximal 1,5 Millionen Menschen. Er sprach von einer Fehlversorgung: die Bedarfsplanungsrichtlinien nehmen den tatsächlichen Bedarf nicht zur Kenntnis, die Behandlung psychisch Kranker ist pharmakolastig und häufig nicht an evidenzbasierten Leitlinien orientiert. Der Zugang zur Psychotherapie ist mit langen Wartezeiten verbunden. Die Bedarfsplanung ist eine Zugangsplanung, eine Rationierung der Leistungen.
Erfreulich seien die Beschlüsse des erweiterten Bewertungsausschusses im August 2008, wonach nun psychotherapeutische Leistungen angemessen vergütet werden und flexiblere Behandlungsmöglichkeiten ermöglicht wurden. Er sprach seinen Dank an die Kollegen Döbert und Best für ihren Einsatz aus.
Es ist deutlich, dass „mehr Psychotherapie“ in der Versorgung gebraucht wird. Diesem Versorgungsgesichtspunkt steht die Frage der Finanzierung gegenüber. Richter stellt die Frage, ob sich die Psychotherapeutenschaft auf die Debatte „Rationalisierung vor Rationierung“ einlassen will und warnt davor, dies nicht den Ökonomen zu überlassen. In dieser Debatte werden Fragen aufgegriffen wie: Wer erhält wie viel Psychotherapie? Welche andere Behandlungssettings sollten beispielsweise stärker gefördert werden? Wie könnte ein stärker gestuftes Behandlungsangebot aussehen? Weitere Punkte sind die Leitung z.B. von Tageskliniken und MVZs durch Psychotherapeuten, die Anstellung von Ärzten in Praxen. Eine präventiv ausgerichtete psychotherapeutische Versorgung erfordere eine Klarstellung im SGB V.
Die Versorgungsforschung soll einige dieser Fragen beantworten, die Bundespsychotherapeutenkammer will sich hier verstärkt engagieren. Der Präsident betonte dabei, dass sich eine Unter- und Fehlversorgung allerdings nur dann nachweisen lässt, wenn die Diagnosen den Umfang der psychischen Erkrankung zeigen.
Zusammenfassend plädiert der Präsident dafür, n die Diskussion zur Rationalisierung und Priorisierung von Leistungen einzusteigen.
In der anschließenden Diskussion wurde erneut auf die Wichtigkeit der Versorgungsforschung hingewiesen. Die Beiträge drehten sich um den Punkt „Rationierung und Rationalisierung“, mit Verweis auf die horrenden Zahlen des Versorgungsbedarfs. In mehreren Beiträgen wurde auf zukünftige Entwicklungen hingewiesen und dabei die Chancen und Risiken betont. Aufgeworfene Fragen waren dabei: Wie sehen wir die Psychotherapie zukünftig? Überwiegend als Einzeltherapie? Arbeiten Psychotherapeuten verstärkt in Teams? Werden sie stärker tätig als „Supervisoren“ für andere Berufe? Welchen Stellenwert erhält zukünftig die Prävention?
Ein Beitrag, der kritisch darauf hinwies, man solle nicht schon vorwegnehmen, dass die Kosten im Bereich Psychotherapie nicht steigen dürfen, fand große Zustimmung unter den Delegierten.
Des Weiteren wurde betont, dass die Psychotherapeutenschaft auf die nächste Gesundheitsreform sehen solle und sich überlegen solle, welche Forderungen zu stellen sind, auch im Konsens mit den Verbänden und Fachgesellschaften. Es solle jetzt schon auf die besonderen Belange der psychisch Kranken hingewiesen werden.
Der DPT verabschiedete eine Resolution „Psychotherapeutische Versorgung sicherstellen“, in der auf die Versorgungsdefizite hingewiesen und Bestrebungen entschieden entgegengetreten wird, Behandlungskapazitäten einzuschränken. Die Deutsche Psychotherapeutenschaft betrachtet die Unter- und Fehlversorgung psychisch kranker Menschen als eines der großen gesundheitspolitischen Themen der 17. Legislaturperiode. Die Bedarfsplanung muss der realen Versorgungssituation gerecht werden.
Der weitere Verlauf des 14. Deutsche Psychotherapeutentags stand ganz im Zeichen des Forschungsgutachtens zur Ausbildung von PP und KJP. Das Gutachten wurde von dem Vorsitzenden der Gutachtergruppe Professor Strauß am 7. Mai 2009 der Ministerin Ulla Schmidt übergeben und am gleichen Tag im Internet bereitgestellt. Strauß erläuterte zunächst den Hintergrund des Forschungsgutachtens. Dies waren im Einzelnen, die neuen Studienabschlüsse (BA und MA) im Zuge der Bologna-Reform, die uneinheitlichen Zugänge zur Ausbildung in PP und KJP, die Finanzierung des Studiums, Redundanzen in der Ausbildung, die Unterscheidung zwischen ärztlicher Weiterbildung und Ausbildung in PP und KJP. Strauß beschrieb den Ablauf der gesamten Untersuchung, die durch Stellungnahmen unterschiedlicher Gruppen gekennzeichnet war. Am 28. Januar 2009 fand ein Panel in Berlin statt. Die sehr umfangreiche Untersuchung und Stellungnahme wurde innerhalb von nur 16 Monaten durchgeführt.
Professor Strauß stellte ausgewählte Ergebnisse des Forschungsgutachtens zur Ausbildung von PP und KJP vor. Es gibt zurzeit 173 anerkannte Ausbildungsstätten für Psychologische PsychotherapeutInnen (PP) und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen (KJP), 18% der Ausbildungen finden in einer Universität oder in einem mit der Universität verbundenen Institut statt. Es überwiegen davon in 52% aller Institute Ausbildungen in einem psychodynamischen Vertiefungsfach und 42% in Verhaltenstherapie. Allerdings absolviert der größte Teil der ca. 11 000 AusbildungsteilnehmerInnen die Ausbildung in Verhaltenstherapie (PP/VT: 72%; KJP/VT:62%). Die AusbildungsteilnehmerInnen bewerten die praktische Ausbildung, die Supervision, die Selbsterfahrung und den Theorieteil als positiv, Unzufriedenheit herrscht bei der praktischen Tätigkeit und der „Freien Spitze“. 49% der TeilnehmerInnen erhalten keine Vergütung während der praktischen Tätigkeit.
Die Praxisstätten sind unterschiedlich spezialisiert, nicht überall lernen die TeilnehmerInnen die ganze Bandbreite psychischer Erkrankungen kennen. Hier sei eine klarere curriculare Struktur im Sinne von „Logbüchern“ notwendig sowie die Zuweisung eines Status.
Hinsichtlich der Ausbildungsdauer ist ein Trend zur Bevorzugung einer Teilzeitausbildung in 5 Jahren zu erkennen. 36% der TeilnehmerInnen absolvieren die Ausbildung in 3 Jahren.
Bei den Ausbildungskosten besteht eine große Varianz. Sie bewegen sich im Mittel zwischen 20 000 und 30 000 Euro, eine verhaltenstherapeutische Ausbildung ist insgesamt preisgünstiger. In diesen Beträgen seien noch nicht die Kosten für die Lebenshaltung enthalten. Die Kosten sind nicht in allen Fällen transparent. Nur 39% der TeilnehmerInnen erhalten eine ausbildungsbezogene Vergütung.
Ein wesentlicher Auftrag des Gutachtens war die Frage nach dem Zugang zur PsychotherapeutInnenausbildung. Im Bereich der KJP-Ausbildung ist dieser Zugang sehr heterogen. In den schriftlichen Abschlussprüfungen schneiden die KJPler im Vergleich zu PPlern schlechter ab. Auch zeigen sich Zusammenhänge zwischen den Noten der mündlichen Prüfung und speziellen Studienabschlüssen.
Die Ergebnisse der Befragung von Studierenden zeigen, dass 54% eine PsychotherapeutInnenausbildung anstreben. Bei der Frage nach den Gründen, die gegen eine Ausbildung sprechen, werden in 87% der Fälle finanzielle Gründe genannt. Es wird das vertiefte Verfahren bevorzugt, das auch an der Universität gelehrt wird.
In seiner abschließenden Bewertung der Ergebnisse benennt Professor Strauß folgende Punkte:
In seinem Fazit betont Professor Strauß, dass sich die Befragten in ihren Beurteilungen überraschend einig gewesen seien, ebenso die Gutachter. Es wies auf die Notwendigkeit hin, die Ausbildung weiter zu entwickeln und durch eine Ausbildungsforschung zu begleiten. Internationale Entwicklung sollten verfolgt werden.
Die nachfolgende Diskussion zeigte, dass die Delegierten die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Gutachterkommission im Wesentlichen teilen. Es wurde darauf hingewiesen, dass in der praktischen Ausbildung sowohl stationäre als auch ambulante Fallbehandlungen möglich sind und dies auch stärker genutzt werden sollte. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen sollte jedoch an einigen Stellen präzisiert werden. Außerdem wurde vorgeschlagen, die Ausbildungsermächtigung der Kliniken nicht von der ärztlichen Weiterbildungsermächtigung abhängig zu machen.
In den folgenden Beiträgen griff Professor Richter nochmals den Versorgungsbedarf auf und die Notwendigkeit, die Strukturen und Angebote im Gesundheitswesen zu flexibilisieren. Wer soll in Zukunft diesen Bedarf decken? Welche Szenarien sind vorstellbar? Andrea Mrazek, Mitglied des BPtK-Vorstandes, konkretisierte diese Überlegungen in ihrem Statement und nannte Beispiele wie – eine stärkere Berücksichtigung von Gruppenverfahren.
In einem kabarettreifen Vortragsduo von Monika Konitzer und Peter Lehndorfer, ebenfalls BPtK-Vorstandsmitglieder, wurde die zukünftige Ausbildung der KJPler debattiert. Beide waren sich einig, dass eine wissenschaftliche Methodenkompetenz und psychologische Basiskompetenzen wichtige Voraussetzungen für die Ausbildung sind und der Masterabschluss zur Ausbildung führen soll.
Dr. Dietrich Munz, BPtK-Vizepräsident, ging in seinem Beitrag der Frage nach, welche Kompetenzen in welcher Phase der Qualifikation vorliegen müssen. Er unterstrich nochmals die Notwendigkeit, die praktische Tätigkeit zu vergüten.
Folgende Beschlüsse wurden gefasst:
Eine weitere Resolution „Bessere Versorgung für Kinder und Jugendliche nicht länger verzögern“ wurde verabschiedet sowie eine Resolution, in der das neue BKA-Gesetz als rechtsstaatlicher Tabubruch kritisiert und mit Nachdruck Verfassungsbeschwerden unterstützt werden.
Insgesamt ein beinahe harmonischer DPT, der vielleicht damit auch dokumentiert, dass die Psychotherapeutenschaft als normale Mitwirkende im Gesundheitssystem angekommen sind.
Ursula Luka-Krausgrill, Mainz