Positionen der DGVT-Landesgruppe Niedersachsen zur Wahl der Psychotherapeutenkammer in Niedersachsen im Februar 2010
Im Februar nächsten Jahres wird in Niedersachsen die Delegiertenversammlung der Psychotherapeutenkammer neu gewählt. Aus diesem Anlass hat die Landesgruppe in vielen Diskussionen und Treffen ihre inhaltlichen Positionen erarbeitet. Den Auftakt machte im Januar 2009 eine Informationsveranstaltung zur Kammerpolitik mit anschließender Zukunftswerkstatt. Die dort erarbeiteten Inhalte wurden auf der Mitgliederversammlung am 9. Juni 2009 vorgestellt und diskutiert und in drei weiteren Treffen der Landesgruppe weiterentwickelt. Das Ergebnis dieses Prozesses möchten wir im folgenden Beitrag vorstellen.
Alle Mitglieder, die sich an der Diskussion beteiligen möchten, sind herzlich eingeladen, dies zu tun. Sie können uns mailen, schreiben oder zum nächsten Treffen der Landesgruppe am 10.11.2009 in Göttingen kommen (um 19:30 Uhr im TBZ, Käte-Hamburger-Weg 4, Seminarraum 0.118, Erdgeschoss). Wir suchen auch noch KandidatInnen für die Listen der DGVT: Wenn Sie die Ziele der DGVT-Landesgruppe Niedersachsen unterstützen und sich eine Kandidatur für die DGVT vorstellen können, bitten wir Sie, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Kontakt: niedersachsen@dgvt.de.
Vorbemerkung
In der nächsten Wahlperiode möchte die DGVT Niedersachsen ihre bisherige konstruktive Mitarbeit in der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen fortsetzen. In vielen Fragen gab es bisher in der Kammerversammlung eine hohe Übereinstimmung, und selbstverständlich werden wir auch weiterhin sinnvolle Initiativen anderer Gruppierungen unterstützen. Für zwei Punkte haben sich die Delegierten der DGVT Niedersachsen jedoch besonders intensiv engagiert: Sie haben sich entschieden gegen eine Abwertung der Approbation durch überzogene Fort- und Weiterbildungsordnungen der Landes- und Bundespsychotherapeutenkammer eingesetzt. Zudem haben sie dafür gesorgt, dass die Kammerbeiträge recht stabil geblieben sind. Für beides wollen wir auch in der nächsten Wahlperiode konstruktiv streiten.
Solidarisches Gesundheitssystem
Wir engagieren uns für ein Gesundheitssystem, das eine bedarfsgerechte psychotherapeutische Versorgung der PatientInnen auf solidarischer Grundlage sicherstellt. In der Behandlung psychischer Störungen spielt Psychotherapie die entscheidende Rolle. Psychotherapie muss daher für alle Betroffenen bei Bedarf zugänglich und die angemessene Kostenübernahme durch die Krankenkassen weiterhin vorab gesichert sein. Psychotherapie als Krankenkassenleistung muss integraler Bestandteil einer gesamtvertraglich geregelten Basisversorgung der Bevölkerung bleiben. Die Rechte der PatientInnen und der Datenschutz sind sicherzustellen und zu stärken.
Für die PsychotherapeutInnen ist dafür eine angemessene Bezahlung unabdingbar. Die Psychotherapie-Richtlinien sollen entsprechend dem wissenschaftlichen Fortschritt weiterentwickelt werden, ohne dass das solidarische Prinzip der Krankenversicherung in Frage gestellt wird und ohne dass es zu einer Verschlechterung der Vergütung kommt.
Von den Privatkassen fordern wir den Verzicht auf Vertragsbedingungen, welche Psychotherapie ausschließen oder so beschränken, dass eine adäquate Versorgung nicht möglich ist. Wir engagieren uns für die Aufnahme aller wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, die GOP und die Beihilfeverordnungen.
Kooperation und Gleichbehandlung im Gesundheitswesen
Wir treten ein für eine stärkere Vernetzung und Kooperation der verschiedenen professionellen Berufsgruppen im Gesundheitswesen zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen PatientInnenversorgung. Die weitestgehende Gleichstellung von ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen ist für uns dabei unabdingbar. Dies betrifft sowohl die Arbeit in Institutionen als auch in der ambulanten Versorgung.
PsychotherapeutInnen in Institutionen sind sowohl im Dienstrecht als auch bei der Besoldung den FachärztInnen gleichzustellen. In somatischen Krankenhäusern, in psychiatrischen und psychosomatischen Fachkliniken und in Reha-Einrichtungen mit Psychotherapie-Angeboten sind Stellen für PsychotherapeutInnen einzurichten. PsychotherapeutInnen müssen Leitungsfunktionen übernehmen können.
In forensischen Einrichtungen oder anderen Institutionen der Justizverwaltung sollte die verantwortliche Leitung der Psychotherapie auch an Psychologische PsychotherapeutInnen übertragen werden können.
In der ambulanten Versorgung müssen Ungleichbehandlung im EBM (Grundleistungen, psychosomatische Grundversorgung) beseitigt und eine angemessene Honorierung garantiert werden. In ambulanten Einrichtungen, die sich mit psychischen Störungen befassen, sind die besonderen Kompetenzen von PsychotherapeutInnen in die Arbeit der Teams einzubeziehen und entsprechende Stellen für PsychotherapeutInnen zu schaffen.
Wir streben eine Erweiterung der kurativen Tätigkeitserlaubnis auch für präventive und rehabilitative Aufgabenstellungen an. Die kinder- und jugendpsychotherapeutische Versorgung muss durch eine Veränderung der Bedarfsplanung verbessert werden. Psychotherapeutische Leistungen müssen in die Disease Management Programme (DMP), in die integrierte Versorgung und in die Gesundheitszentren einbezogen werden: Chronische und andere körperliche Krankheiten können durch seelische Faktoren entstehen und aufrechterhalten werden.
Letztlich ist hierfür auch die Stärkung und Ausweitung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der PsychotherapeutInnen in der Kassenärztlichen Vereinigung nötig. Die begonnene Kooperation mit der Ärztekammer soll ausgebaut werden.
Forschung und Wissenschaft
Wir setzen uns für eine moderate Novellierung des Psychotherapeutengesetzes ein, insbesondere der „Legaldefinition von Psychotherapie“ (§ 1 Abs. 3 PsychThG). Hierbei geht es vor allem um die Anerkennung der präventiven und rehabilitativen Fachkompetenzen der PsychotherapeutInnen. Für den Erhalt und Ausbau der Vielfalt der psychotherapeutischen Kompetenz und der Methodenvielfalt fordern wir die Anerkennung aller wissenschaftlich begründeten psychotherapeutischen Verfahren im Rahmen der Versorgung.
Für die Weiterentwicklung der Psychotherapie ist Forschung im Bereich der Psychotherapie und der psychosozialen Versorgung nötig, welche patienten- und anwendungsorientiert angelegt ist. Für die Sicherung hochrangiger Forschung im Bereich der Psychotherapie fordern wir eine finanzielle Förderung, die nicht hinter der industriellen Forschungsförderung (die letztlich von den Versicherten über die Medikamentenpreise bezahlt wird) zurücksteht. Die bestehenden „Forschungsverbünde zur Psychotherapie“ sind dauerhaft zu etablieren und auszubauen.
Erweiterung psychotherapeutischer Kompetenz als Chance
Die Erweiterung psychotherapeutischer Kompetenzen stellt für alle PsychotherapeutInnen berufspolitisch eine große Chance dar. Außerdem trägt sie zur Sicherung einer ökonomischen und qualitativ hochwertigen Versorgung psychisch erkrankter Menschen bei und hilft, Behandlungspfade übersichtlich, transparent und kurz zu halten. Die KandidatInnen der DGVT setzen sich dafür ein, dass PsychotherapeutInnen optional Kompetenzen übertragen werden können, welche im SGB V § 73, den Länder-PsychKGs und in § 70 FGG geregelt sind. Hierzu zählen beispielsweise die:
Erstellung von Betreuungsgutachten.
Bei der Verordnung von Psychopharmaka und der Einleitung von Zwangseinweisungen sehen wir noch weiteren Diskussions- und Abstimmungsbedarf innerhalb unseres Berufsstands.
Angemessene Bezahlung der PsychotherapeutInnen in Ausbildung
Die finanzielle Situation der PiA während der praktischen Zeit (vor allem im sog. „Psychiatriejahr“) ist nach wie vor katastrophal. Während einige Kliniken zumindest eine Aufwandsentschädigung für die Leistungen der PiA zahlen, arbeiten viele PiAs weiterhin unentgeltlich. Die Tatsache, dass einige politische Parteien keine Stellung zu dieser, in der deutschen Ausbildungslandschaft wohl einmaligen Problematik beziehen oder auf eine Ausbildungsreform vertrösten, ist nicht hinnehmbar. Wir setzen uns für eine umgehende angemessene Bezahlung ein.
Angemessene Bezahlung der stationär arbeitenden PsychotherapeutInnen
Stationär arbeitende PsychotherapeutInnen erhalten in den Kliniken oftmals eine Bezahlung, die sich ausschließlich an ihrem Herkunftsberuf orientiert. Ihre psychotherapeutische Ausbildung wird somit nicht anerkannt. Wir setzen uns für eine angemessene Bezahlung der stationär tätigen PsychotherapeutInnen ein, die sich am Facharztgehalt orientieren sollte.
Interessenvertretung von ArbeitnehmerInnen
Zur Schaffung und Wahrung einer starken Identifikation von angestellten und beamteten Mitgliedern ist es wichtig, dass die Psychotherapeutenkammer sich nachhaltig für die Interessen der Angestellten und Beamten einsetzt. Die KandidatInnen der DGVT engagieren sich deshalb für folgende Ziele:
Generationengerechtigkeit
Seit dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) stellt die Ausbildung nach dem PsychThG die Voraussetzung für die selbstständige Ausübung der heilberuflichen Tätigkeit in Psychologischer Psychotherapie sowie in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie dar. Unter dem Stichwort „Generationengerechtigkeit“ wollen wir uns für die folgenden Inhalte einsetzen:
Ein Beitrag hierzu ist die Förderung alternativer Arbeitszeitmodelle, wie z.B. Jobsharing, Anstellung, Sicherstellungsassistenz oder Teilung von Kassensitzen, die zur Entlastung etablierter Therapeutinnen und Therapeuten sowie zur Eingliederung junger Approbierter beitragen können. Wir wollen uns in der Psychotherapeutenkammer dafür einsetzen, dass die genannten Modelle unkompliziert umgesetzt werden können und als Obergrenze der maximale Auslastungsgrad einer Praxis gilt. Wir treten dabei für faire Vertragsbedingungen zwischen den Generationen ein. Ein konkreter Schritt zur Umsetzung ist zum Beispiel die Einrichtung einer zentralen Jobbörse.
Keine Abwertung der Approbation durch Fort- und Weiterbildungen
bzw. durch Listen „qualifizierter BehandlerInnen“
Mit der Approbation haben PsychotherapeutInnen die Kompetenz und Berechtigung erworben, das gesamte Spektrum psychischer Störungen erfolgreich zu behandeln. Die kontinuierliche Fortbildung ist für uns dabei selbstverständlich und bereits verbindlich geregelt.
Mit großer Sorge nehmen wir jedoch Bestrebungen zur Kenntnis, mit Fort- und Weiterbildungsrichtlinien, deren Umfang seinesgleichen im ärztlichen Bereich sucht, die Tätigkeit der PsychotherapeutInnen durch die Kammern reglementieren zu lassen. Bisher konnten die VertreterInnen der DGVT in den Kammern die schlimmsten Auswüchse verhindern, aber auch der Entwurf zur neuen "Musterfortbildungsrichtlinie zur gutachterlichen Tätigkeit im Bereich der Forensik für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten" zeigt, dass weiterhin unverhältnismäßige Anforderungen gestellt werden. Dieser Entwurf fordert mit über 400 Unterrichtseinheiten, nochmals mehr als 2/3 der Unterrichtseinheiten des theoretischen Teils der Psychotherapieausbildung. Besonders pikant ist dabei, dass selbst eine ausgebildete Neuropsychologin die 32 Unterrichtseinheiten zur Neuropsychologie erneut absolvieren muss. Wir können die fachliche Notwendigkeit solcher Entwürfe nicht nachvollziehen und befürchten, dass sie aus fachfremden, wie z.B. wirtschaftlichen Interessen lanciert werden.
Vor diesem Hintergrund halten wir Fort- und Weiterbildungen der Kammern oder von diesen geführte Listen sogenannter „qualifizierter BehandlerInnen“, die maßlos im Umfang sind und zu einer Entwertung der Approbation führen können, für überflüssig und gefährlich. Damit wird suggeriert, dass PsychotherapeutInnen – im Vergleich zu ÄrztInnen - inkompetent sind und dass die Approbation alleine nicht für Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen ausreicht. Wenn wir uns selbst diese Kompetenzen absprechen, ist es eine Frage der Zeit, bis dies auch die Kostenträger tun.
Jede/r PsychotherapeutIn soll selbst entscheiden, welche Fort- oder Weiterbildung sie oder er für die Arbeit benötigt. Eine zusätzliche Reglementierung durch die Kammer oder die Unterstützung entsprechender Curricula sowie die Erstellung von bestimmten „Behandlerlisten“ lehnen wir ab.
Für eine transparente, unbürokratische Kammer
Wie bei vielen institutionellen Systemen zeigt sich auch bei den Psychotherapeutenkammern
die Tendenz zur Bürokratisierung, wobei immer mehr Bereiche durch Vorschriften reglementiert und damit Freiheiten eingeschränkt werden.
Mit unserer Arbeit in der Kammer möchten wir den Meinungs- und Informationsfluss zwischen der Kammer und ihren Mitglieder in beide Richtungen verstärken und so für mehr Transparenz sorgen. Wir wollen in der Kammer dafür eintreten, dass nicht unnötig Freiheiten und Spielräume eingeschränkt, sondern erhalten und erweitert werden. Durch Transparenz, Entbürokratisierung, eine offene Diskussionskultur und direkte Beteiligungsmöglichkeiten möchten wir dafür sorgen, dass die Gremien der Kammer von allen Mitgliedern als ihre Interessenvertretung wahrgenommen werden.
Für eine effiziente, schlanke, „dienstleistende“ Kammer
Es darf keine Beitragserhöhung geben, von der wir als Mitglieder nicht profitieren. Dies setzt voraus, dass das Engagement der Kammerdelegierten auch weiterhin als Ehrenamt gesehen wird, für das es nur eine – wenn auch angemessene - Aufwandsentschädigung gibt. In diesem Sinne werden wir uns entschieden gegen Beitragserhöhungen einsetzen.
Beitragsstabilität setzt auch voraus, dass sich die Kammer auf ihre Kernaufgaben konzentriert und diese effizient erledigt. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben gehört dazu auch die Interessenvertretung gegenüber Politik, Kassenärztlicher Vereinigung, Krankenkassen und Arbeitgebern, während bestimmte Aktivitäten der jetzigen Kammer, wie z. B. das Anbieten von Fort- und Weiterbildungen, keine Kernaufgabe der Kammer darstellt. Wir fordern, dass die Kammer ihren Mitgliedern gegenüber auch konsequent als „Dienstleister“ auftritt, der z. B. durch Beratung und Unterstützung bei Musterprozessen hilft.
Neben niedergelassenen und angestellten PsychotherapeutInnen sollen besonders AusbildungsteilnehmerInnen und KollegInnen ohne Zulassung durch unsere Kammer gefördert und unterstützt werden.
Die Nordkammer: Kostenreduktion durch Nutzung von Synergien
Zur Reduzierung von Kosten wollen wir weiter an der Umsetzung der Nordkammer arbeiten. Es ist besser, durch Kooperation und Synergien Ressourcen einzusparen, anstatt durch einen Flickenteppich bundesweit unterschiedlicher Regelungen bürokratische Hürden erst aufzubauen.
Ziele speziell für den Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
Im Bereich der Niederlassung und Versorgung fordern wir
Sicherung des Zugangsniveaus zur KJP-Ausbildung
Die Frage, welche Abschlüsse mit welcher inhaltlichen Ausrichtung die Zulassungsvoraussetzung für den Beruf des/r Psychotherapeuten/in erfüllen, ist in erster Linie an fachlich-inhaltlichen Überlegungen und nicht an berufspolitischen Fragen zu orientieren. Die Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen muss auch die dringlichen psychosozialen Problemlagen, die sich z. B. aus Migrationsprozessen und aus den Auswirkungen von Exklusionsprozessen ergeben, ausreichend beantworten. Daher ist es wichtig, dass sich die interdisziplinär angelegte Berufspraxis in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie bereits in den Zugangsvoraussetzungen widerspiegelt.
Aus diesem Grund setzen wir uns für eine Sicherung des Zugangsniveaus zur KJP-Ausbildung ein: Der Masterabschluss in Sozialarbeit, Sozialpädagogik, (Heil-) Pädagogik oder Psychologie, aufbauend auf einem Bachelor-Studiengang in einer der gleichen Disziplinen an einer Hochschule oder Universität ist daher in jedem Falle als verbindlich festzusetzen.
Reinhold Albrecht, Stefanie Brida, Klaus Ditterich, Susanne Ehrhorn, Janina Fiedler, Dieter Haberstroh, Nina Hagenberg, Andrea Kaiser, Alexandra Klich, Prof. Dr. Eric Leibing, Dr. Michael Lingen, Florian Loose, Jörg Lutzke, Susanne Schöning, Atima Westenberger-Zarach