Zur Geschichte
Innenpolitik
Außenpolitik
Das Verbändetreffen
Stichworte aus den aktuellen Diskussionen
Anlaufstelle für KlientInnen
Was genau macht den therapeutischen Missbrauch aus?
Wie stehen die Verbände zu sexuellen Übergriffen in der Ausbildung und Supervision?
Was muß wie in die Weiterbildungen?
Wie lange nach Abschluß der Therapie gilt das Abstinenzgebot noch?
Was für Strukturen brauchen Verbände, um handlungsfähig zu sein?
Zunächst einmal möchte ich mich im Namen des Vorstandes der DGVT und der DGVT-AG Frauen in der psychosozialen Versorgung" für die Einladung zur heutigen Fachtagung bedanken. Wir sehen darin eine Würdigung unserer langjährigen Bemühungen, sexuellen Mißbrauch in Therapie und Beratung zu ächten und KlientInnen davor zu schützen.
Aber auch persönlich möchte ich mich bei den Veranstalterinnen für die Einladung bedanken, denn dieser Vortrag zwang mich, noch einmal die Berge von Papier, die sich zu diesem Thema in meiner Zimmer stapeln, zu sichten, zu ordnen und bei der Gelegenheit auch endlich abzuheften. Ich bin ganz beglückt über diesen Ordnungszuwachs. Doch noch viel wichtiger war die zusammenfassende Rückschau über die Jahre unseres Kampfes gegen sexuellen Missbrauch in Therapie und Beratung und das, was wir tatsächlich hatten erreichen können. Erfolge werden so schnell selbstverständlich, wenn sie erst einmal da sind.
Ich möchte im folgenden zum einen die Geschichte dieses Ringens um eine Verbesserung der Situation nachzeichnen, zum andern anhand einzelner Diskussionen aufzeigen, wo die Schwierigkeiten immer noch und immer wieder liegen.
Zur Geschichte
Auf dem DGVT-Kongress 1986 in Berlin setzten sich ein paar Frauen aus Wissenschaft und Praxis zusammen und beschlossen, ein regelmäßiges Treffen von Frauen aus psychosozialen Arbeitsfeldern ins Leben zu rufen. Noch im Herbst desselben Jahres gaben sie sich einen Namen (Arbeitsgemeinschaft der DGVT "Frauen in der psychosozialen Versorgung") und eine Programmatik und der Vorstand der DGVT stattete sie mit einem kleinen Etat aus. Das war die Basis.
Mindestens zweimal im Jahr fanden offene Tagungen zu allen möglichen Themen statt und daraus folgend immer wieder Aktionen wie z.B. die nun schon in dritter Ausführung bestehende Ausstellung zur Situation von Frauen in der psychosozialen Versorgung. 1988 war das Thema einer dieser Tagungen der sexuelle Missbrauch in der Therapie und auf der Workshoptagung der DGVT im Februar 1989 gingen wir mit diesem Thema zum ersten Mal im Rahmen einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Und damit begann die Auseinandersetzung nach innen und nach außen, immer wieder geprägt durch die zwei Fragen: "Passiert das denn wirklich so häufig?" (d.h. besteht denn wirklich Handlungsbedarf?) "Und wenn, was ist daran so schlimm? Es sind doch zwei Erwachsene." (d.h. Ist Verantwortung und "Schuld" denn wirklich so eindeutig verteilt?)
Nach innen waren vor allem die Mitgliedervollversammlungen und die sogenannten Elefantentreffen die Orte der Kontroverse. Wir wollten eine eindeutige Stellungnahme des Verbandes und eine entsprechende Innenpolitik. Ethische Richtlinien sollten sexuellen Missbrauch in der Therapie verurteilen, missbrauchende Mitglieder sollten ausgeschlossen werden, die Auseinandersetzung mit dem Thema sollte verpflichtend in die Weiterbildungen aufgenommen und von der ANK geprüft werden. Für geschädigte KlientInnen sollte eine Anlaufstelle eingerichtet werden. Außerdem sollte auch in unseren Weiterbildungen sicher gestellt werden, dass AusbilderInnen und SupervisorInnen keine sexuellen Beziehungen zu AusbildungskandidatInnen eingehen, weil inzwischen bekannt war, daß TherapeutInnen, die in der Ausbildung sexuelle Beziehungen zu Ausbilderinnen gehabt hatten, mit höherer Wahrscheinlichkeit KlientInnen sexuell mißbrauchen als andere.
Nach außen wollten wir eine Übereinkunft aller Fachverbände erreichen, dass sexuelle Beziehungen in der Therapie sexueller Missbrauch sind. Diese öffentliche Übereinkunft würde KlientInnen im Rahmen einer Zivilklage die Beweisführung erleichtern. Darüberhinaus sollte eine Strafverfolgung möglich gemacht werden. Und aktuelle Forschung wollten wir anstoßen, denn die bis dahin vorliegenden repräsentativen Daten stammten alle aus den USA.
Innenpolitik
Ein Verband ist keine statische Größe, sondern eine sehr diffizile Struktur aus unterschiedlichsten Individuen mit unterschiedlich viel Macht und Einfluss auf das, was hinterher "Verbandsmeinung" heißt, und mit sehr verschiedenartigen Verantwortungsbereichen und Aufgaben.
Das höchste beschlußfassende Organ ist in der DGVT die Mitgliederversammlung. Sie kann den Gremien Aufträge erteilen. Daher brachten wir die Diskussion zunächst in die MV, um uns und allen Gremien die notwendige Rückendeckung zu verschaffen. Und die MV beauftragte den Vorstand, einen Ethikbeirat zu berufen, der ethische Rahmenrichtlinien entwickeln sollte, um eine Messlatte für die Mitglieder zu haben. Zu der Zeit war die Frauen-AG die einzige Arbeitsgemeinschaft im Verantwortungsbereich des Vorstands. Die MV unterstützte unsere Position, daß sexuelle Beziehungen in Therapie und Beratung grundsätzlich abzulehnen sind. Damit konnten die einzelnen Kommissionen arbeiten.
Im weiteren will ich die Ergebnisse dieser Arbeit und nicht den Verlauf der oft sehr intensiven Diskussionen darstellen:
Der Ethikbeirat ist eine satzungsgemäße Kommission, die unabhängig vom Vorstand der MV gegenüber rechenschaftspflichtig ist.
Ethische Rahmenrichtlinien sind verabschiedet. Ihre Kernsätze haben Satzungscharakter.
Der Vorstand muß tätig werden, wenn Mitglieder des sexuellen Mißbrauchs an PatientInnen beschuldigt werden. Er spricht diese Mitglieder an und kann sie je nach Sachlage aus dem Verein ausstoßen. Gemeinsam mit der Frauen-AG bemühte er sich um die Einrichtung einer Anlaufstelle, aber weder als Projekt noch für eine AB-Maßnahme bekamen wir bislang das Geld.
Die Anerkennungskommission hat eine Verpflichtungserklärung entworfen, die alle unterschreiben müssen, die ihre Ausbildung in der DGVT anerkannt haben wollen.
Die AWK hat gemeinsam mit der Frauen-AG Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema angeboten (die allerdings nicht nachgefragt wurden) und gemeinsam mit dem Verlag das Ausbildungsmanual "Sexuelle Übergriffe in der Therapie" herausgegeben.
Die Redaktionskommission hat im Rahmen der Verbandszeitschrift "Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis" Veröffentlichungen zum Thema vorangetrieben und Bücher herausgegeben.
Die Frauen-AG hat ein Informationsblatt für KlientInnen und PatientInnen entwickelt, das inzwischen vollkommen überarbeitet wurde und den Menschen zugeschickt wird, die sich bei der DGVT nach TherapeutInnen erkundigen. Gemeinsam mit dem Vorstand hat sie eine Anzeige in Psychologie heute gestaltet, die KlientInnen und TherapeutInnen über sexuellen Mißbrauch in der Therapie informiert. Und als sicher größten Kraftakt organisierte sie 1991 das Hearing "Sexuelle Übergriffe in der Therapie - Kunstfehler oder Kavaliersdelikt?" und lud im Anschluß zum bis heute regelmäßig stattfindenden Treffen der Berufs- und Fachverbände.
Und einzelne Frauen haben es tatsächlich geschafft, ein größeres Forschungsprojekt aufzuziehen, das zur Zeit ausgewertet und zumindest teilweise veröffentlicht wird.
Ich denke, dies ist eine stattliche Liste. Und wenn Sie jetzt sagen "Ein toller Verein!", sage ich "Find' ich auch". Die DGVT hat sich in ihrer Satzung von Anfang an den Auftrag gegeben, neben der Förderung der Verhaltenstherapie sich für eine Gesamtverbesserung der psychosozialen Versorgung einzusetzen. Das ist zwar manchmal schwer zu vereinbaren, aber es erhält die Lebendigkeit im Verein. Natürlich nicht von allein. Wenn man die einzelnen Aktivitäten gegen sexuellen Mißbrauch in der Therapie mit Namen versehen würde, wäre erkennbar, wieviel davon durch den unermüdlichen Einsatz einzelner zustande gekommen ist. Und wenn die Energie dieser einzelnen nachlässt, lässt auch die Aktivität im Gesamtverband nach. Ein Verband ist immer nur so aktiv sein wie seine Mitglieder. Aber die Grundpositionen der DGVT haben sich nicht verändert und werden entsprechend den genannten Vereinbarungen gehandhabt.
Außenpolitik
Die DGVT ist immer gegen eine Isolierung der einzelnen psychosozialen Berufsgruppen und Fachverbände angetreten. Sie tritt für bedarfsorientierte multidisziplinäre Teams ein, wie sie in Erziehungsberatungsstellen und Polikliniken üblich sind. In ihrer Mitgliederstruktur dominieren zwar die PsychologInnen, aber die DGVT ist offen für alle psychosozialen Berufsgruppen und gegen eine Verkammerung und Abschottung gegeneinander. Über Jahre hat sie gemeinsam mit der GwG und der DGSP eine Plattform für politische Aktivitäten und gemeinsame Fachdiskussion gebildet. Die Frauen-AG konnte daher an die Traditionen der DGVT anknüpfen in ihrem Bemühen, eine berufsgruppenübergreifende Regelung zu finden und mit den anderen Berufs- und Fachverbänden zu kooperieren. Erster Kooperationspartner wurde diesmal der DPWV, der als Dachverband ähnlich wie die DGVT an berufsgruppenübergreifenden Lösungen interessiert war. Gemeinsam mit dem DPWV luden wir zum öffentlichen Hearing nach Bonn.
Dieses Vorgehen hatte verschiedene Ziele:
Indem wir alle uns bekannten Berufs- und Fachverbände anschrieben und um Stellungnahmen baten erreichten wir kurzfristig eine bundesweite Fachöffentlichkeit, die sich mit dem Problem zumindest formal auseinandersetzen mußte.
Durch die Wahl von Bonn als Veranstaltungsort wollten wir die PolitikerInnen auf den Handlungsbedarf aufmerksam machen. Schließlich gab es zur der Zeit fast keine Möglichkeit, mit juristischen Mitteln gegen missbrauchende TherapeutInnen vorzugehen.
Durch die Veranstaltungsform des "öffentlichen Hearings" konnten wir unbegrenzt Presse und andere Öffentlichkeit zulassen, die ihrerseits die Information so verbreiten konnten, dass sie eventuell auch KlientInnen und PatientInnen erreichte.
Durch die erhoffte einheitliche Verurteilung von sexuellen Übergriffen in Therapie und Beratung wollten wir die Situation von klagenden KlientInnen im zivilrechtlichen Verfahren verbessern. Wenn ein Verhalten einheitlich als Kunstfehler bekannt ist, muss nicht mehr die Patientin beweisen, dass der Therapeut ihr tatsächlich geschadet hat, sondern er muss beweisen, dass er ihr trotz des Kunstfehlers nicht geschadet hat.
Die anschließende Veröffentlichung des Hearings sollte die gewonnene Information für die verschiedenen Bedürfnisse verfügbar machen.
Ich will auf das Hearing hier nicht im einzelnen eingehen. Wer mag, kann nachlesen, wie sich die einzelnen Verbände damals geäußert haben. Für uns war wichtig, dass es neben allem Schönreden zur einstimmigen Verabschiedung der nachfolgenden Resolution kam und dass die Verbände großes Interesse an weiterer Zusammenarbeit äußerten. Noch im selben Jahr luden wir wieder zusammen mit dem DPWV zum ersten Verbändetreffen nach Frankfurt, diesmal als Arbeitstreffen ohne Öffentlichkeit. Und obwohl wir am Anfang sehr viel gegenseitiges Misstrauen und auch Abneigung abbauen mussten, treffen sich die Verbände bis heute etwa zweimal im Jahr.
Für mich ist das einer unserer großen Erfolge. Unberührt von den Streitigkeiten des Psychotherapeutengesetzes und gegen die Dominierungsversuche des BdP haben wir einen offenen und vertrauensvollen Arbeitskreis geschaffen, der je nach Sachlage unsere Arbeitsergebnisse entweder im jeweiligen Verband etablieren, oder aber der Politik nahebringen muß. Es gibt nicht mehr die Abgrenzung der fortschrittlichen Verbände gegen die hinterwäldlerischen, sondern die gegenseitige Solidarität gegen die Schwierigkeiten in allen Verbänden. Die DGVT macht seitdem keine unabhängige Außenpolitik zu diesem Thema mehr, sondern baut darauf, dass wir gemeinsam vielleicht langsamer, aber sicher wirkungsvoller sind.
Das Verbändetreffen
Am Verbändetreffen beteiligen sich alle großen psychotherapeutischen Fachverbände sowie beratungsorientierte Verbände wie die BUKO oder Pro Familia und seit einiger Zeit auch die HeilpraktikerInnen.
Die Themen des Verbändetreffens wiederholen die bereits genannten Themen
Einheitlicher Umgang mit Beschuldigten
Angebote für KlientInnen und PatientInnen (Anlaufstelle, Info-Broschüre)
Ethische Rahmenrichtlinien
Forderungen für die Aus- und Weiterbildung
Stellungnahmen gegenüber der Politik
Die TeilnehmerInnen am Verbändetreffen haben innerhalb ihres Verbandes sehr unterschiedliche Funktionen (Vorstand, Ethik-Kommission, Delegierte...) und entsprechend unterschiedliche Entscheidungsbefugnis. Generell gilt, dass wir alle Absprachen aus den Treffen in den jeweiligen Vorständen und Vollversammlungen wieder rückversichern müssen. Das ist sehr zeitaufwendig, hält aber alle Verbände in der Diskussion.
Inzwischen gibt es keinen Verband mehr, der nicht ethische Rahmenrichtlinien verabschiedet hat, in denen sexueller Mißbrauch in Therapie und Beratung sanktioniert wird. Die meisten Verbände haben auch die Verantwortlichkeiten offiziell geregelt, aber nur der BDP hat ein Ehrengericht. Meist übernehmen wie auch in der DGVT die Vorstände diese Aufgabe. Und es gibt AnsprechpartnerInnen für betroffene KlientInnen. Die Etablierung der Weiterbildung zum Thema ist überall noch unzureichend.
Nach außen war das Verbändetreffen sehr engagiert im Gesetzgebungsverfahren. Wir sind zweimal zu Anhörungen in die Ministerien geladen worden und haben zu allen Entwürfen schriftlich Position bezogen. Das bedeutete natürlich, dass wir alle Probleme der Rechtsprechung gründlich diskutieren mussten, bis wir zu gemeinsamen Positionen kamen. Als Beispiel möchte ich hier nur die Frage des Offizialdeliktes nennen, d.h. wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis von der Straftat bekommt, muss sie ermitteln und bei klarem Sachverhalt Anklage erheben. Eine Patientin hätte nicht die Chance, die Anzeige zurückzuziehen, weil ihr die Belastung des Verfahrens zu groß wird. Es gab eine intensive Diskussion darüber, welches Vorgehen verantwortlicher ist mit Blick auf die Patientin. Wir haben uns schließlich für ein Offizialdelikt entschieden, weil
die Patientin dann nicht vom Therapeuten erpreßt werden kann
sie für den Verlauf des Verfahrens nicht verantwortlich ist
die Ermittlung von der Staatsanwaltschaft wesentlich intensiver betrieben wird, wenn sie selbst den Fortgang des Verfahrens kontrollieren kann
die Ernsthaftigkeit des Verbrechens dann klarer ist.
Und allein dieser Aspekt wurde auf zwei Verbändetreffen diskutiert, zwischendurch in den jeweiligen Verbänden und mit den PolitikerInnen. Ich hoffe, daß so deutlich wird, wie zeitintensiv solche Entscheidungsfindungsprozesse sind. Irgendwann gibt es dann einen formalen Abschluß, aber sobald eine neuer Diskussionsteilnehmer in die Runde kommt, kann die inhaltliche Debatte sofort wieder starten. Und inzwischen denke ich, daß es eine zentrale Aufgabe der Verbände ist, genau diese Debatte immer wieder zu führen, denn nie hat man alle Mitglieder erreicht.
Seit April 1998 ist das Gesetz in folgendem Wortlaut verabschiedet: Nach §174 b wird folgender § 174 c eingefügt:
"§ 174 c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs oder Betreuungsverhältnisses
(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich Suchtkrankheit zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt.
(3) Der Versuch ist strafbar."
Wir sind nicht zufrieden mit diesem Gesetz, weil es uns nicht eindeutig genug ist ("unter Mißbrauch des...") und keine Frist nach Abschluß der Therapie benennt. Aber endlich ist sexueller Mißbrauch in der Therapie ein Straftatbestand, und zwar berufsgruppenübergreifend und ausbildungsunabhängig, was eine unserer zentralen Forderungen war. Egal ob Scharlatan oder hochspezialisierter Therapeut, es gilt, wenn die PatientInnen glauben, daß sie in Behandlung sind.
Vom Hearing bis zur Verabschiedung des Gesetzes hat es sieben Jahre gedauert. Nach meinen bisherigen Erfahrungen in der Politik kann man über dieses Tempo echt begeistert sein. Wir werden sehen, wie es sich bewährt.
Stichworte aus den aktuellen Diskussionen
Anlaufstelle für KlientInnen: regional, überregional, welche Aufgaben, wer zahlt?
Was genau macht den therapeutischen Mißbrauch aus? Psychische Abhängigkeit der Patientin, strukturelles Machtgefälle...
Wie stehen die Verbände zu sexuellen Übergriffen in der Ausbildung und Supervision?
Was muß wie in die Weiterbildungen?
Wie lange nach Abschluß der Therapie gilt das Abstinenzgebot noch?
Was für Strukturen brauchen Verbände, um handlungsfähig zu sein?
Anlaufstelle für KlientInnen
Von Anfang an gab es die Forderung nach AnsprechpartnerInnen für betroffene KlientInnen. In der DGVT haben das zunächst Frauen aus der Frauen-AG übernommen, immer mit dem Ziel, irgendwann eine professionelle Anlaufstelle zu haben. Vom Verband aus haben wir zweimal den Versuch gemacht, mit AB-Mitteln so eine Stelle zu besetzen, leider jedesmal ohne Erfolg. So werden bis heute Anfragen an die Frauen-AG, den Vorstand oder den Ethikbeirat weitergeleitet und ehrenamtlich bearbeitet.
Auch im Verbändetreffen gibt es schon lange die Diskussion um die Anlaufstelle, bis jetzt ohne Entscheidung. Neben der Frage, wer eine solche Stelle finanziert, gibt es drei inhaltliche Probleme, die immer wieder neu diskutiert werden.
Für wen soll so eine Stelle überhaupt da sein? Die Verbände verstehen sich in erster Linie als Interessensvertreter ihrer Mitglieder, also der TherapeutInnen. Sind sie dann die richtigen Betreiber einer Anlaufstelle für KlientInnen? Wäre das nicht eher eine Aufgabe der Verbraucherschutzverbände? Aber die Verbände haben das Fachwissen und sehen auch die Verpflichtung, für eine fachlich und ethisch korrekte Arbeit ihrer Mitglieder zu bürgen. So ist der Grund für den Verbandausschluß "verbandschädigendes Verhalten". (Die Untersuchung von Arnold, Sonntag und Vogt ergibt nun erste Anhaltspunkte dazu, daß auch die TherapeutInnen sich wünschen, die Verbände mögen für die KlientInnen aktiv werden.) Wer soll sich neben den KlientInnen noch an so eine Anlaufstelle wenden können: TherapeutInnen, die eigene Fehler fürchten? FolgetherapeutInnen? (Fach)öffentlichkeit?... Wie zeitaufwendig kann die jeweilige Beratung sein?
Sollte so eine Anlaufstelle überregional sein oder regional? Eine überregionale Anlaufstelle wäre leichter publik zu machen und auch eher zu finanzieren, regionale Anlaufstellen könnten sich leichter Informationen über AnsprechpartnerInnen (AnwältInnen, TherapeutInnen...) vor Ort beschaffen.
Sollte so eine Anlaufstelle verbandsübergreifend oder therapieschulenspezifisch sein? Auch hier gilt, daß eine übergreifende Anlaufstelle leichter bekannt zu machen wäre, und außerdem viele KlientInnen gar nicht wissen, welcher Schule ihr Therapeut angehört. Spezifische Fragen könnten dann aber nur in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Fachverband geklärt werden.
Bis jetzt gibt es das Modell, das die DGVT im Rahmen der ABM-Anträge entwickelt hat, aber noch kein konsensfähiges für alle Verbände. Jeder Verband hat seine eigene Struktur entwickelt, und zwar so weit ich das überblicke, auf ehrenamtlicher Basis, abgesehen vom Ehrengericht des BDP.
Was genau macht den therapeutischen Mißbrauch aus?
Der Ministerialdirigent fragte uns in der Anhörung, ob es nicht doch sein könne, daß sich Therapeut und Klientin nach zehn Jahren Therapie ineinander verlieben und ganz einfach ein Paar werden. Abgesehen von der Frage, welchen Sinn zehn Jahre Therapie machen, steht hinter solchen Fragen immer die Angst, per Gesetz die große Liebe kaputt zu machen. Auch wenn sich alle Verbände eindeutig gegen sexuellen Mißbrauch in der Therapie aussprechen, so ist die Begründung keineswegs einheitlich.
Vor allem psychoanalytisch orientierte Verbände argumentieren mit der psychischen Abhängigkeit der Patientin durch die Regression in der Therapie. Diese Sichtweise wird von VerhaltenstherapeutInnen eher nicht geteilt. Wir denken, daß das entscheidende Argument das strukturelle Machtgefälle zwischen Therapeut und Patientin ist (der Therapeut hat das Wissen, die Patientin soll vertrauen und sich öffnen). Aber auch dazu herrscht keine Einigkeit. So ist es z.B. nicht gelungen, einen entsprechenden Satz in die ethischen Rahmenrichtlinien der DGVT zu bekommen (vgl. Folie), und ich weiß von anderen Verbänden, daß sie an der gleichen Stelle diskutieren. Aber der Gesetzgeber hat dieses Argument in seiner Begründung übernommen. Und alle sind sich einig, daß die therapeutische Beziehung eine besondere Beziehung ist, die geschützt werden muß. Ich denke allerdings, daß wir uns zu einer eindeutigen Begründung durchringen müssen, um dann auch Aussagen über vergleichbare Beziehungen (Ausbildung, Supervision) machen zu können.
Wie stehen die Verbände zu sexuellen Übergriffen in der Ausbildung und Supervision?
Die DGVT hat sich insofern eindeutig geäußert, daß sie sexuelle Übergriffe in der Ausbildung für unethisch erklärt hat, und daß entsprechende Ausbilder bei uns keinen Vertrag bekommen sollen. Mir ist aber nur ein Kollege bekannt, des deswegen keine Vertrag mehr bei uns bekommt, und so weit ich weiß, ist dies dabei kein offizielles Argument. Schließlich hat niemand ein Recht auf einen Vertrag als Ausbilder und Supervisor.
Tatsächlich ist dies eine Diskussion, mit der sich alle Verbände schwer tun, sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil es sich hier häufiger um Kollegen handelt, die wir persönlich kennen und die oft genug einen guten Ruf haben. Der Streitpunkt ist, ab wann eine Ausbildungsbeziehung einer therapeutischen Beziehung gleicht. Bzgl. Supervision und Lehrtherapie geht die Meinung deutlich zur Vergleichbarkeit mit der therapeutischen Beziehung, während bei der theoretischen Ausbildung sehr unterschiedliche Argumente ins Spiel gebracht werden. Bei Ausbildern, die nur für ein Wochenende in die Ausbildungsgruppe kommen, wie das in der DGVT der Fall ist, kann man kaum von einer therapieähnlichen Beziehung sprechen. Anders ist das bei Ausbildern, die ihre Gruppe über Jahre begleiten. Aber in jedem Fall gelten zwei andere Argumente:
Es beeinflußt die Gruppendynamik, wenn einzelne Mitglieder eine Sonderstellung zum Ausbilder bekommen, und bringt unnötig Eifersucht, Konkurrenz und Ausgrenzung in die Gruppe.Ausbilder wirken als Modelle. Es ist nachgewiesen, dass Teilnehmer von sexuell übergriffigen Ausbildern selbst eher sexuell übergriffig werden, wenn sie die Chance bekommen. Wenn Verbände gegen sexuellen Mißbrauch in Therapie und Beratung sind, wäre hier ein direkter Ansatzpunkt in ihrer Ausbildung.
Was muss wie in die Weiterbildungen?
Zu diesem Punkt ist in der DGVT sicher noch der meiste Handlungsbedarf. Zwar haben wir ein Ausbildungsmanual von Irmgard Vogt und Eva Arnold zum Thema und auch zwei Fachbücher im Verlag sowie Artikel in der VPP und im Handbuch zum sexuellen Missbrauch, aber das Thema gehört nicht verpflichtend an irgendeine Stelle der Ausbildung. Von den angebotenen Seminaren fand das innerhalb der Frauen-AG mit großer Resonanz statt, während offene Seminare für Männer und Frauen mangels TeilnehmerInnen ausfielen. Erst in der Verpflichtungserklärung, die alle unterschreiben müssen, die die Anerkennung beantragen, taucht das Thema mit Sicherheit auf.
Wir, d.h. die Frauen-AG, denken, daß Themen wie Macht, Verführung, erotische Anziehung, Ethik, Umgang mit Versuchung in jede Ausbildung zum Psychotherapeuten gehören, auch wenn das natürlich sexuellen Mißbrauch nicht sicher verhindert. Aber nicht alle Kollegen, die sexuell mißbrauchen, tun dies von vorn herein planmäßig. Und in der Ausbildung könnten wir diejenigen erreichen, die eher aus "Dummheit" sich auf sexuelle Beziehungen mit PatientInnen einlassen.
Wie lange nach Abschluß der Therapie gilt das Abstinenzgebot noch?
Es herrscht verbandsübergreifend Einigkeit, daß das Ende einer Therapie nicht automatisch die Beziehung egalisiert, schon gar nicht, wenn die Therapie beendet wird, um eine sexuelle Beziehung anfangen zu können. Die Mindestforderung ist, das Abstinenzgebot noch ein Jahr nach Abschluß der Therapie bestehen zu lassen. Aber wir wissen auch von Therapeuten, die ihre Klientin nach Abschluß der Therapie fragen, ob sie jetzt wohl ein Jahr auf ihn warten könnte.
Der Gesetzgeber hat dieses Problem nicht berücksichtigt, aber das befreit uns nicht von der Auseinandersetzung damit. Die Positionen schwanken von dem formalen Jahr bis lebenslänglich, und ich denke, wir tun gut daran, uns in ständigen Diskussionen das Problem bewußt zu halten.
Was für Strukturen brauchen Verbände, um handlungsfähig zu sein?
In der DGVT liegt wie in den meisten anderen Verbänden die Entscheidungsverantwortung beim Vorstand. Vor allem, wenn nur selten Meldungen kommen, ist das sicher ein mögliches Modell. Aber auch dann muß geregelt sein, wer AnsprechpartnerIn für die Klientin ist, wer (ob und wie) den Beschuldigten anspricht, welche Kriterien dem Vorstand als Richtschnur bei der Entscheidung dienen können. Der Verband muß mindestens veröffentlichte ethische Rahmenrichtlinien haben, auf die er seine Mitglieder verpflichtet, sonst hat er gar keine juristische Handhabe.
Es muss klar sein, ob das Ziel im weitesten Sinnen eine Sanktion gegen den Beschuldigten sein soll, oder eine Vermittlung zwischen Klägerin und Beschuldigtem. Wenn letzteres das Ziel wäre, ist meines Erachtens die Kompetenz eines Vorstands überfordert. Hier greifen die Modelle von Schiedsstelle und Ehrengericht. Und bei beiden Modellen ist die Frage, wieviele Mitglieder aus dem Verband kommen dürfen und wieviele unabhängig bzw. Profis sein müssen.
In der DGVT soll kein Ehrengericht gegründet werden. Deshalb haben wir uns so sehr für ein Strafgesetz eingesetzt. Über eine Schiedsstelle wird diskutiert, bislang ohne Entscheidung. Wenn es wirklich zu einer Verkammerung der psychologischen Psychotherapeuten kommt, wird sicher wieder die Frage der Ehrengerichtsbarkeit anstehen und damit auch des Berufsverbotes bzw. anderer Auflagen (Therapie unter Aufsicht, Eigentherapie, befristetes Berufsverbot, Nachschulung usw.). Für die Verbände wird aber immer die Frage des Ausschlusses oder auch anderer Sanktionen bestehen bleiben. Und es bleiben die Berufsgruppen, die nicht im Psychotherapeutengesetz erfasst sind.
Bislang kenne ich noch kein Modell, das zufriedenstellend funktioniert, schon gar nicht, wenn die Meldung anonym kommt, was häufig der Fall ist. Aber ich sehe die ernsthafte Auseinandersetzung in den Verbänden und auch aktive Versuche, an die Beschuldigten heranzutreten. Und verglichen mit dem, was vor neun Jahren war, ist das schon viel. Und nur, wenn es viele Meldungen gibt, werden die Verbände ihren Umgang mit dem Problem besser formalisieren und handhabbar machen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.