Prof. Dr. Michael Borg-Laufs
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychologischer Psychotherapeut, Dipl.-Psych. Sprecher der Fachgruppe Kinder und Jugendlichenpsychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT)
Stellungnahme der psychotherapeutischen Berufs- und Fachverbände zu den aktuell vorliegenden Gesetzentwürfen zur Änderung des SGB VIII
Die psychotherapeutischen Berufs- und Fachverbände lehnen die Einführung einer Kostenbeteiligung für Leistungen der Jugendhilfe (§§ 27, 28 SGB VIII) bzw. die Ermöglichung, Leistungen der Jugend- und Sozialhilfe entsprechend der regionalen Finanzkraft einzuschränken (§ 33 Abs. 3 SGB I; §§ 69 und 85 SGB VIII), ebenso wie die Verlagerung der Leistungszuständigkeit für seelisch Behinderte von der Jugend- auf die Sozialhilfe entschieden ab. Auch die übrigen vorgesehenen Einschränkungen sind keinesfalls zielführend, wenn man eine Optimierung der Jugendhilfeleistungen und eine Förderung der Erziehungsfähigkeit der Eltern im Blick hat.
Die Verbände konzedieren, dass Leistungen in allen Sozialbereichen nur auf hohem Qualitätsniveau erfolgen dürfen und eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Leistungsformen und -konzepte notwendig ist, um mit den Anforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft Schritt zu halten. Dabei muss es auch immer darum gehen, die Selbsthilfefähigkeiten und Kompetenzen der Bürger zu stärken und entsprechend bedarfsgerechte Leistungen anzubieten. Die vorgesehenen Einschränkungen bewirken jedoch gerade das Gegenteil:
In den zurück liegenden Dekaden ist in der Bundesrepublik ein Netz von Erziehungsberatungsstellen aufgebaut worden. Es ist kein dichtes Netz, gerade in dünn besiedelten Regionen gibt es viele Lücken, die derzeit sogar noch größer werden. Aber immerhin. Die geplante Kostenbeteiligung (bzw. die Möglichkeit dazu) würde, wie zahlreiche Modellrechnungen zwischenzeitlich verdeutlich haben, keinesfalls die erhofften finanziellen Entlastungen für die Kommunen bringen. Vielmehr würden sie die Niedrigschwelligkeit von Erziehungsberatungen abbauen und dazu beitragen, dass Hilfe zur Erziehung und zur Entwicklungsförderung nicht "früh und mit den Mitteln der Beratung" erfolgen kann, sondern erst "bei chronifizierten Entwicklungen". Auch würde wegen der notwendigen Prüfung auf Bedürftigkeit die Anonymität von Beratung entfallen, und es würde ein erheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand erforderlich, der über die erzielbaren Kostenbeiträge nur bedingt refinanziert werden kann. Im Ergebnis würde die Schwelle zur Inanspruchnahme von psychosozialer Beratung durch Familien und Eltern deutlich angehoben und bestehende Probleme wieter eskalieren und chronifizieren. Häufig werden dann psychotherapeutische oder gar stationäre Hilfen unvermeidlich sein, die insgesamt wesentlich teurer sind und die Sozialsysteme, die Kommunen und auch die Familien wesentlich mehr und nachhaltiger belasten dürften.
Bereits heute ist festzustellen, dass der Bedarf an Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen durch die ambulant tätigen Psychotherapeuten nicht mehr gedeckt werden kann - Wartezeiten von einem halben bis zu einem Jahr sind häufig. Zudem gibt es erhebliche Probleme im Bereich der bedarfsgerechten Zulassungen. Aus Sicht der Psychotherapeut/inn/en und speziell der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/inn/en ist somit nicht erkennbar, wie ein zusätzlicher Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung von Kindern und Jugendlichen, der durch die Einschränkungen im Bereich der Erziehungsberatung unweigerlich entstehen würde, gedeckt werden könnte.
Leistungsverlagerungen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche aus dem Bereich der Jugendhilfe in den (subsidiären) Bereich der Sozialhilfe, gefährden und verzögern ebenfalls die sachgerechte und frühzeitige Förderung bei zahlreichen Problemkonstellationen, bei denen noch erhebliche Verbesserungen für die Betroffenen erreicht werden können.
Insgesamt unterstützen wir die bereits vorliegenden ausführlicheren Stellungnahmen der Bundespsychotherapeutenkammer, der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung sowie der Trägerverbände für die Beratungsstellen.
Die Veränderungen in der Gesellschaft, die Zunahme von Ein-Eltern-Familien, von Scheidungskindern, Entwurzelungsphänomene, z.B. aufgrund der bei Eltern berufsbedingt notwendigen regionalen Mobilität, verlangen nach einer Neu-Ausrichtung der Beratungsarbeit im Jugendhilfebereich. Gleiches gilt für die Veränderungen im Schulwesen (Stichwort PISA). Kurzfristige Sparbemühungen, die zudem zu mittelfristig zu Mehrausgaben führen werden, sind sicher nicht der richtige Weg. Es sind zahlreiche Vorschläge in der Diskussion, viele Modelle befinden sich in der Erprobung. Sie werden sicher nicht umsonst zu haben sein, aber dieses Geld wird gut investiert sein: Entwicklungsförderung sowie Hilfen zur Erziehung bei entwicklungsbedrohten Kindern und soziale Integration von benachteiligten und seelisch behinderten Jugendlichen und Heranwachsenden sind die beste Vorsorge für eine zukunftsfähige Gesellschaft!
[1] anlässlich der dritten wissenschaftlichen Jahrestagung des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (bkj) vom 4.-6.3.2005 in Frankfurt a.M.
[2]Derzeitige Geschäftsführung: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT)
Neckarhalde 55, 72070 Tübingen, Tel. 07071-94 34-0, Fax 07071-94 34-35,
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