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Psychotherapie braucht ein breites Fundament

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie zu den Beschlüssen des 16. Deutschen Psychotherapeutentages zur Psychotherapieausbildungsreform


Die Beschlüsse des 16. Deutschen Psychotherapeutentages (DPT) zur Veränderung der Zugangsvoraussetzungen zur Psychotherapieausbildung liegen vor. Demnach sollen als Zugangsqualifikation für die Aufnahme einer Psychotherapieausbildung zukünftig 260 fachspezifische ECTS-Punkte nachgewiesen werden, die im Studium erworben wurden. Damit ist klar, dass der Zugang nur über eine Master-Qualifikation (300 ECTS) erfolgen kann, was von uns auch eindeutig begrüßt wird.

Schaut man sich die Verteilung der geforderten ECTS-Punkte an, so wird allerdings deutlich, dass das sowohl von den Delegierten des DPT als auch von den Autor(inn)en des im vergangenen Jahr vorgelegten Forschungsgutachtens zur Bewertung der Psychotherapieausbildung verfolgte Ziel des Erhaltes eines breiten Zugangs zum Psychotherapeutenberuf deutlich verfehlt wird. Insgesamt werden 150 ECTS-Punkte Psychologie gefordert, was fünf kompletten Studiensemestern in Psychologie entspricht. In diesem Gesamtumfang macht die klinische Psychologie, deren Zusammenhang mit einer psychotherapeutischen Tätigkeit evident ist, nur einen geringen Teil aus. Stattdessen sind annähernd 4/5 der geforderten psychologischen Inhalte nicht anwendungsbezogen, sondern umfassen ausschließlich grundlagenpsychologische Fächer (Wahrnehmungspsychologie, Persönlichkeitspsychologie u.a.). Erste Untersuchungen (Beck & Borg-Laufs, i. Dr.; Psychotherapeutenkammer Hessen, 2010) belegen das wenig überraschende Ergebnis, dass nicht-psychologische Studiengänge weit davon entfernt sind, dieses Kriterium erfüllen zu können. Würden sie sie nämlich erfüllen, dann wären es eben Psychologie-Studiengänge und nicht Studiengänge in Sozialer Arbeit, Sozialpädagogik, Erziehungswissenschaften oder Heilpädagogik – Studiengänge, die bislang den Zugang zum Psychotherapeutenberuf (KJP) ermöglichen und deren Absolventen sich in Ausbildung, Prüfung und Berufspraxis bewährt haben.
Im Sinne eines bio-psycho-sozialen Krankheitsverständnisses scheint diese Fokussierung auf psychologische Inhalte einseitig. Dies gilt insbesondere dann, wenn man die wenigen vorliegenden Belege zu der Frage psychotherapeutischer Wirkfaktoren (etwa Grawe, 2002) ernst nimmt. Demnach kommt es u.a. ganz wesentlich auf Fähigkeiten wie Beziehungsaufbau und Ressourcenaktivierung an – Fähigkeiten, die durch ein Studium etwa wahrnehmungspsychologischer Grundlagen wohl kaum verbessert werden, andererseits aber in (sozial-)pädagogischen Ausbildungen eine wichtige Rolle spielen.

Zu der inhaltlichen Sorge um eine Einengung psychotherapeutischer Zugänge auf den psychologischen Teil des bio-psycho-sozialen Krankheitsverständnisses gesellt sich die Sorge um eine quantitative Verschlechterung der psychotherapeutischen Versorgung. Da der überwiegende Teil derjenigen, die bislang eine KJP-Ausbildung absolviert haben, die Ausbildung mit einem (sozial-)pädagogischen Hintergrund begonnen haben, würde es bei der Umsetzung dieses Vorschlages zu einem massiven Einbruch bei AusbildungsteilnehmerInnen kommen, die den Beruf der Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutIn anstreben. Verringert sich durch die – sinnvolle! – Einschränkung des Zuganges zur Psychotherapieausbildung auf Master-AbsolventInnen bereits die Grundgesamtheit derer, die eine Psychotherapie-Ausbildung aufnehmen könnten, so führt der de-facto-Ausschluss aller Nicht-PsychologInnen diesbezüglich zu einer deutlichen Verschärfung der Lage. Gerade im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, für den immer wieder eine Unterversorgung nachgewiesen wird, würde der notwendige Nachwuchs weitestgehend ausbleiben.

Aus den genannten Gründen fordert die DGVT eine Ausgestaltung der Zugangsvoraussetzungen zur Psychotherapie-Ausbildung, die ermöglicht, dass breite, auch nicht-psychologische, Zugänge zur Psychotherapieausbildung erhalten bleiben.
Die DGVT fordert eine stärkere Berücksichtigung (sozial-)pädagogischer Studieninhalte bei der Definition zugangsberechtigender Studieninhalte in einer Form, welche tatsächlich auch von AbsolventInnen nicht-psychologischer Studiengänge erfüllt werden kann.

Die hier skizzierten Problemlagen entstehen unseres Erachtens u.a. als Folge des Beschlusses des Deutschen Psychotherapeutentages, einen einheitlichen Psychotherapieberuf mit Schwerpunktbildung anzustreben. Gerade diese Entscheidung wird als Argument für die umfassende Berücksichtigung psychologischer Inhalte in den qualifizierenden Studiengängen angeführt.
Sollte eine Veränderung der Zugangskriterien in diesem Sinne nur mehrheits- bzw. konsensfähig sein, wenn es auch weiterhin zwei Berufe gibt, dann unterstützt die DGVT zum Erhalt der qualitativen und quantitativen Versorgungsqualität in der Psychotherapie den Erhalt zweier getrennter Berufe (KJP und PP).

Rudi Merod, Wolfgang Schreck, Heiner Vogel
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michael Borg-Laufs (michael.borg-laufs(at)hsnr(dot)de)
Günter Ruggaber (Ruggaber(at)dgvt(dot)de)


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