< vorheriger Artikel

Über den Tellerrand geschaut – Bericht über die ambulante Psychotherapie in England [1]


Bei den andauernden Diskussionen um Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten lade ich zum Blick „über den Tellerrand“, bzw. über den Kanal ein, der vielleicht ernüchternd wirkt, aber eher zum „Kämpfen“ und Durchhalten animieren soll.

Ich bin September 2007 mit meinem Partner nach Durham ins regnerische, manchmal aber  auch tatsächlich sonnige NO-England gezogen. Hier erlebte ich dann, dass es mit europäischen Kooperationen bezüglich der Anerkennung aller Psychotherapeutenberufe und Grundberufe nicht so fortgeschritten ist, wie ich erhofft hatte

Meine ersten Versuche, mich mit ins Englische übersetzen Zeugnissen direkt auf Stellen zu bewerben, (inklusive solcher, für die ich meines Erachtens unterbezahlt wäre) scheiterten vor allem an der Inkompatibilität meines Grundberufes. So wie in Deutschland sind die Stellen meistens mit den Grundberufen ausgeschrieben und es werden alle Bewerber, die nicht genau die gesuchte Ausbildung vorweisen können, aussortiert. Die teilweise starken Unterschiede der englischen und deutschen Grundberufe sowie der Weiterbildungen erschwerten dabei den Vergleich. Höher oder ähnlich Qualifizierte werden anscheinend nur sehr selten in Erwägung gezogen, unbekannte Berufe und die eigentliche Praxiserfahrung und -kenntnis nicht weiter erforscht. Es gibt hier offensichtlich soziale/medizinische Berufe mit kürzeren Ausbildungen, aber auch welche, die längere und umfangreichere erfordern. So haben z.B. die so genannten „Nurses“ eine umfangreichere Ausbildung und können dann auch Therapieausbildungen machen. Sie spielen hier im Gesundheitswesen National Health Service (NHS) eine deutlich größere Rolle und sind daher nur schwer mit unseren Krankenschwestern/-pflegern oder Praxisassistenten zu vergleichen (Ich arbeite momentan z.B. in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Präventiv-Ambulanz, die von einem „nurse“, also einem Krankenpfleger mit einer Verhaltenstherapieausbildung geleitet wird – undenkbar in Deutschland mit der medizinischen Hierarchie, oder?).

(Heil)pädagogik, mein Grundberuf, ist hier so gut wie gar nicht bekannt. Somit passte ich in keine „Schublade“ und wurde bei Auswahlverfahren oft sofort aussortiert.

Parallel versuchte ich also als Verhaltenstherapeutin anerkannt zu werden und musste feststellen, dass die Vielfalt an (psycho)therapeutischen Richtungen wie in Deutschland groß und die Anerkennung im Gesundheitswesen und der Gesellschaft unterschiedlich ist. Die Kunsttherapeuten sind hierzulande z.B. anerkannter als in Deutschland, bereits staatlich reguliert und oft besser bezahlt. Ein Psychotherapeutengesetz wie in Deutschland ist mir hier nicht bekannt, d.h. der Beruf ist nicht vollständig staatlich geregelt. Die psychoanalytischen/tiefenpsy­cholo­gischen Kindertherapeuten scheinen hier schon sowohl hinsichtlich der nationalen Anerkennung als auch der europäischen Anerkennung fortgeschrittener zu sein - bei umfangreicher Ausbildung. Das englische Amt für europäische Anerkennungsfragen kann dem analytischen Kindertherapeuten z.B. weiterhelfen, wobei den Verhaltenstherapeuten nicht.

Nach weiteren Nachforschungen fand ich heraus, dass es für mich zwar (noch) keine staatliche Regulierungsbehörde gibt, aber wichtige Vereinigungen bzw. Berufsverbände, und dass eine Mitgliedschaft und teilweise auch die Akkreditierung von vielen Arbeitgebern verlangt wird. Diese Verbände können eigene Aufnahme- und Akkreditierungskriterien bestimmen, die meiner Meinung nach leider teilweise elitär und nicht nur fachlich geprägt sind. Sie vertreten ihre Mitglieder bei anderen Verbänden und versuchen „marktführend“ zu sein. Mit umfangreichen und teilweise kostspieligen Antragsverfahren kann man versuchen, bei ihnen Mitglied zu werden, und nach entsprechender praktischer Erfahrung und Weiterbildung, sich akkreditieren zu lassen. Zwei der bekanntesten und großen Vereinigungen sind der Health Professions Council (HPC) und der United Kingdom Council for Psychotherapy (UKCP), die sich auch beide an der staatlichen Anerkennung der (Psycho)therapeutenberufe beteiligen. In der europäischen Assoziation der Psychotherapeuten (EAP) wird England von dem UKCP vertreten und Deutschland von dem deutschen Dachverband für Psychotherapie (DVP). Der EAP stellt europäische Zertifikate ausstellt, die die Mobilität der Therapeuten in Europa erleichtern soll.

Die Zulassungen zu den verschiedenen Therapieverfahren sind aufgrund der verschiedenen Grundberufe schwierig mit dem deutschen System zu vergleichen. Prinzipiell werden aber auch soziale, psychologische oder medizinische Ausbildungen verlangt (z.B. Bachelor oder sogar weniger). Sobald man eine Therapieausbildung in England abgeschlossen hat, kann man Mitglied in den Verbänden werden und in eigener Praxis privat oder z.B. mit Unfallversicherungen abrechnen. Um weiterhin Mitglied zu bleiben, muss man für manche Verbände die ständige Fortbildung und Supervision nachweisen, erst recht wenn man sich akkreditieren lassen will. Da man für eine Akkreditierung etliche Therapiestunden und Supervision, teilweise Videokassetten/DVDs von Therapiestunden nachweisen muss, ist die Akkreditierung meines Erachtens mit unserer deutschen Approbation vergleichbar, nur dass wir uns in Deutschland eben erst danach! Psychotherapeut(in) nennen und mit den Krankenkassen abrechnen dürfen.

Ein weiterer Unterschied besteht in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu der von Erwachsenen: Die Ausbildung und Anerkennung der Kinder- und Jugendlichen(psycho)therapeuten („KJP“) scheint mir in England teilweise noch in den „Kinderschuhen“ zu stecken bzw. ein „nettes Extra“ zu sein, was sich leider zu wenige leisten. Für eine Anerkennung als Therapeutin in den Berufsverbänden wird momentan „nur“ die Therapieausbildung für die Behandlung Erwachsener akzeptiert und danach darf man trotzdem auch Kinder behandeln. D.h. es gibt Therapeuten, die mit Kindern arbeiten, aber keine! oder nur wenige Fortbildungen dafür besucht haben. Gut ausgebildete und erfahrene Kindertherapeuten sind daher selten, vor allem hier im Nordosten. Für mich persönlich war das die große Chance doch noch eine Stelle zu bekommen.

Birgit Lütke Wissing

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie

Senior Cognitive Behavioural Therapist im Community Child and Adolescent Mental Health Service (CCAMHS) in Sunderland

Kontakt: birgit@luetkewissing.de



[1]Quelle: bkj Mitgliederrundbrief II/2010 vom 22.04.2010, erschienen unter dem Titel „Alreet mate? – Alles o.k., Kumpel? Erfahrungsbericht aus dem Nordosten Englands“. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin Birgit Lütke Wissing.

 


Zurück