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Bericht der Landesgruppe Bremen (Rosa Beilage zur VPP 4/2010)


10 Jahre Psychotherapeutenkammer in Bremen

Festakt und Fachtagung am 28. Oktober 2010

In einem Festakt in der oberen Halle des Bremer Rathauses wurde das zehnjährige Bestehen der Psychotherapeutenkammer Bremen (PKHB) gefeiert. Sie ist die älteste Psychotherapeutenkammer in Deutschland.

Mit von der Partie waren Prof. Rainer Richter, Präsident der Bundestherapeutenkammer und Präsident der Psychotherapeutenkammer Hamburg, und die Präsidentin der niedersächsischen Psychotherapeutenkammer, Gertrud Corman-Bergau. Grußworte sprachen ein Vertreter der Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter sowie Präsidenten und Präsidentinnen anderer Kammern.

In seiner Rede stellte Kammerpräsident Karl Heinz Schrömgens die Entwicklung der Kammer in den letzten zehn Jahren als außerordentlich positiv da. Er wies auf die unterschiedlichen psychotherapeutischen Versorgungssituationen in Bremen und Bremerhaven hin und auf die Notwendigkeit, die Behandlungsmöglichkeiten für psychisch Erkrankte zu intensivieren. Aus seiner Sicht arbeiten PP und KJP schon jetzt im Verbund mit KiTas und Schulen sowie sozialen Diensten und Kliniken. Dies könne aber noch intensiviert werden, wenn für die niedergelassenen PP und KJP auch Anreize geschaffen werden, diese Kooperation zu vertiefen.

Schrömgens ging auch auf die frühe Kooperation mit den Kammern in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein ein. Bei einer Mitgliederbefragung haben sich 80% für die Aufnahme von Fusionsverhandlungen ausgesprochen haben. Bei der nächsten Kammerversammlung werde darüber abgestimmt.

In seinen Ausführungen erwähnte der Vorsitzende der BPtK, Prof. Richter, dass die PP und KJP „im System angekommen“ seien. Die „Bedarfsplanung“ sei eher eine Kostenbegrenzungsrichtlinie. Die aus der Frage der Über- bzw. Unterversorgung abgeleiteten Zahlen sind laut Richter außerordentlich irreführend und stellen keine sinnvolle Bedarfserhebung da. Es gibt Vorschläge, diese Bedarfsrichtlinien zu verändern. Bei neuen Versorgungsformen habe die Bedarfsplanung ihre Berechtigung allemal verloren. Andererseits ist die Versorgung psychisch kranker Menschen zurzeit nicht im Blickpunkt der Politik (siehe auch Antworten der Bundesregierung zu Veränderungen des Psychotherapeutengesetzes).

Sinnvoll sind nach Prof. Richter Gremien, die sektorübergreifend die Planung steuern. Wichtig sei auch die Orientierung an Leitlinien, da ein Drittel der stationär behandelten Menschen keine Psychotherapie bekomme. Richter sprach sich für eine stärkere Unterstützung der Patienten bei der Beurteilung einer Klinik aus, etwa durch Verwendung von Check-Listen.

Aus Hamburger Sicht sieht Richter zwar Synergieeffekte bei der Zusammenlegung von Bremer PTK und PTK Niedersachsen, gab aber zu bedenken, dass es auch zu Interessenskonflikten kommen könnte.

Den Festvortrag hielt Prof. Dr. Ulrike Willutzki von der Ruhr-Universität Bochum über „Positive Ansätze der Psychotherapie - ein Perspektivenwechsel?“ - für die eher tiefenpsychologisch/psychoanalytisch orientierten Kolleginnen und Kollegen der PKHB sicher eine Herausforderung. Willutzki wies auf die Notwendigkeit einer Balance von Stärken und Schwächen hin und untermauerte neuropsychologisch, welche fördernden Wirkungen positive Kognitionen auf das Lernen (also auch neuer Verhaltensweisen) haben.

Am nächsten Tag wurde eine Fachtagung angeboten zu dem Thema “Psychotherapie in Zeiten des Wandels - Zwischen Erwartungen und Möglichkeiten“. Karl Heinz Schrömgens stellte in seiner Einführung die beeindruckende Versorgungssituation durch PP und KJP in Bremen dar. 380 Behandlerinnen und Behandler, vier Ausbildungsambulanzen, eine Forschungsambulanz, die psychiatrische Versorgung und Beratungsstellen mit niederschwelligem Zugang sind an der Versorgung psychisch kranker Menschen beteiligt. Optimiert werden müsse die Kooperation zwischen den verschiedenen Sektoren im Gesundheitssystem wie z.B. ambulanter Bereich, stationärer Bereich, sozialer Bereich. Nach dem Erstgespräch warten Patientinnen und Patienten 15 bis16 Wochen auf den Beginn der Therapie. Die Bedarfplanung ergibt in Bremen eine Relation von 1:2.000, in Niedersachsen von 1:10.000. Schrömgens fragte rhetorisch, ob es dort weniger psychisch Kranke gebe.

Jürgen Hardt, Präsident der PTK Hessen, zeigte in seinem kenntnisreichen Vortrag die Schwierigkeit eines Ausgleiches von politischen/gesellschaftlichen Interessen und wirtschaftlichen Interessen auf. Er deutete die Aufgabe des Solidarprinzips in der Versorgung auf dem Hintergrund philosophischer Strömungen. Hardt betonte, dass der private Raum der Psychotherapie sich immer in der Mitte der Gesellschaft befindet und von daher gegenseitige Beeinflussungen von individueller Beziehung und gesellschaftlich-politischem Umfeld unvermeidbar und erwünscht sind.

Prof. Dr. Nicolai von der Fachhochschule Ludwigshafen beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit den Schnittstellen zwischen ambulanter Therapie, Psychiatrie und anderen Versorgungsinstitutionen aus systemischer Sicht. Einbeziehung von Familien und Aushandeln von Behandlungsschritten sind hier zentrale Elemente ebenso wie die Behandlung durch niedergelassene PsychotherapeutInnen. Psychiatrie kann so zu einem Ort der kurzfristigen Bewältigung von Krisen werden. In einer Untersuchung in Zusammenarbeit mit drei psychiatrischen Kliniken konnte gezeigt werden, wie durch Schulung des Personals in systemischer Sichtweise die angestrebte Kooperation umgesetzt werden konnte. Allerdings ist festzuhalten, dass eine Verstetigung nur dann erfolgen kann, wenn Kooperation für alle be- und entlohnt wird.

Im Anschluss daran referierte Johannes Klüsener, PP und Mitarbeiter bei der Techniker-Krankenkasse (TK) im Versorgungsmanagement in Hamburg, einen Ansatz der TK, der mit dem Begriff „Netzwerk Psychische Gesundheit“ verbunden ist. Es wird ein Netzwerk mit einem eigenen Budget gebildet, aus dem Leistungen und Kooperationen finanziert werden können, wobei die Leistungsbreite über die Versorgung durch die GKV hinausgeht. So können auch Leistungen aus Nicht-Richtlinien-Verfahren finanziert werden. Es soll einen Patientenberater der Kasse geben, der den Patienten auf seinem Weg begleitet, flexible und bedarfsgerechte Leistungen sollen auch bei schweren psychischen Erkrankungen angeboten werden, sieben Tage pro Woche und 24 Stunden am Tag.

Weitere Ansätze sind die Psychoedukation in Gruppen, die Förderung der Psychotherapie in Gruppen und Hilfen im Chat als Nachsorgemaßnahme. Kritisch äußerte sich Klüsener zu qualitätssteigernden Effekten des Gutachterverfahrens. Es sei sehr formal und führe nicht zu einer Vereinheitlichung der Therapieerfolge und der Therapiedauer bei gleicher Indikation. Umschichtungen sollten generell von stationärer zu ambulanter Versorgung erfolgen. Das „Netzwerk Psychische Gesundheit“ werde sich auch positiv auf die Versorgung schwer psychisch kranker Menschen auswirken, prognostizierte Klüsener.

Dr. Lothar Wittmann versuchte, eine Zukunftsperspektive der Psychotherapie für die nächsten zehn Jahre aufzuzeigen Die Zusammensetzung der TherapeutInnenschaft werde sich verändern: Sie werde sich verjüngen, es werde mehr Frauen mit dem Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten geben, um Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren zu können. Zu erwarten sind außerdem eine starke Zentrierung der Lehrstühle an den Fachhochschulen und Universitäten mit Verhaltenstherapeuten. Integrative Tendenzen würden abnehmen. Es könnte mehr Direktstudien an Fachhochschule/Uni geben, die Postgraduiertenausbildung könnte weniger stark nachgefragt werden. Lobby-Vertretungen könnten stärker Einfluss auf die Psychotherapie nehmen, Evidenzbasierungen könnten weniger Gewicht haben.

Da die Arbeitswelt eine große Rolle bei der Entstehung und Ausprägung psychischer Störungen spielt, sollten für die Prävention Mittel bereitstellen, um (schweren) psychischen Erkrankungen vorzubeugen. Psychisch stark belastende Arbeitsplätze könnten mit einer Auflage zu einer Präventionsabgabe versehen werden. Wittmann sieht auch eine Tendenz in Richtung Mehrpersonenpraxen mit mehr Professionen.

Darüber hinaus fürchtet er die „Bachelorisierung“ der Psychotherapeutenausbildung. Es werde Überweisungen/Einweisungen durch die Psychotherapeuten geben sowie Verschreibungen, diese allerdings durch Heilhilfsberufler. Die öffentlich-rechtliche Versorgung wird dominieren. Die Anbieter werden über Homepages ihr Angebot verdeutlichen, die Patienten in Foren die angebotenen Leistungen bewerten.

An der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen außerdem noch teil: Professor Robert Francke, emeritierter Professor für Medizinrecht in Bremen, Olaf Woggan, Justitiar der AOK Bremen, und Dr. Matthias Gruhl, Abteilungsleiter bei der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales. Übereinstimmend wurde festgestellt, dass der Beruf des Psychotherapeuten inzwischen mehr oder weniger implementiert ist in der Gesellschaft und es größere Rechtssicherheit für Behandlerinnen und Behandler gibt. Die Berufe des PP und KJP ist inzwischen ein selbständiger Heilberuf geworden.

Probleme ergeben sich aus der mangelnden Versorgung bestimmter Problemgruppen, wobei hier nicht nur die schwer psychisch erkrankten Menschen genannten wurden, sondern z.B. auch Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose .Die Versorgungsbereiche müssen aus Sicht der Krankenkasse besser zusammenarbeiten. Die Bedarfsplanung muss überarbeitet werden.

Der Vertreter der Senatorin fragte nach dem Rollenverständnis der PP/KJP: Möchten sie das Gleiche tun wie die ärztlichen Psychotherapeuten? Daraus ergab sich eine rege Diskussion über die Ausweitung der Befugnisse, die aus Sicht des Vertreters der Gesundheitsbehörde Konsequenzen für die Planung hätte und gleichzeitig für die PP/KJP weitere Pflichten hätte, so etwa Notfalldienste zu übernehmen.

Ein Ergebnis ließ den Vertreter der GKV aufhorchen. Es wurde berichtet, dass 80% der Therapieerfolge nichts mit der vom Therapeuten vertretenen Schule zu tun haben, sondern eher mit der Beziehungsgestaltung. Wenn man nun bedenkt, dass die Richtlinienverfahren bei gleicher Indikation unterschiedliche Stundenanzahlen beanspruchen. Müsste man dann nicht diejenigen mit den geringeren Stundenanteilen eindeutig favorisieren und das Angebot von psychoanalytischer Therapie überdenken? Die Kooperationsdefizite wurden genannt. Als Begründung wurde erörtert, dass es keinen Anreiz zum Austausch gebe.

Es lassen sich Tendenzen beobachten, die wegführen von der individuellen Praxis hin zu integrierten Versorgungsformen wie den Medizinischen Versorgungszentren (MZV). Psychisch auch schwerer erkrankte Menschen können hier ganzheitlich versorgt werden und brauchen keinen permanenten Wechsel der Bezugspersonen zu befürchten. Die Angestelltentätigkeit würde die Freiberuflichkeit allerdings in Frage stellen. Als Zwischenschritt wurde noch einmal das „Netzwerk Psychische Gesundheit“ genannt.

Gemeinsames Anliegen aller ist die Verbesserung der Versorgungssituation, wurde abschließend betont. Deutlich wurde, welch hohen Stellenwert die Psychotherapie und die Psychotherapeutenkammer in Bremen und die Psychotherapie als Heilberuf (neben Ärzten und Apothekern) bundesweit hat.

Letzte Meldung (kurz vor Redaktionsschluss):

Bremer Kammer lehnt Fusionsverhandlungen mit Niedersachsen ab

Mit einer Stimme Mehrheit ist am 16.11.2010 die Aufnahme von Fusionsverhandlungen mit Niedersachsen abgelehnt worden. Die finanziellen Erleichterungen spielten offenbar für die anwesenden Kolleginnen und Kollegen eine geringere Rolle als die Eigenständigkeit der Kammer. Der Justitiar der Gesundheitssenatorin (Aufsichtsbehörde) hatte deutlich die Skepsis gegen Fusionsverhandlungen formuliert. Auch die Feierlichkeiten zum 10jährigen Bestehen der Bremer Kammer haben bei mehreren zu einer starken Identifikation mit der Bremer Kammer geführt. Das schriftliche Votum der Mitgliederbefragung ist berücksichtig worden, hat aber nicht das Gewicht gehabt, das sich die Bremer DGVT erhofft hätte. Die Form und Fragestellung der Mitgliederbefragung wurden von den Gegnern einer Fusion kritisiert, wie man das so macht, wenn man eine andere Meinung durchsetzen will. Letztendlich ist die Entscheidung gefallen, wenn auch mit knapper Mehrheit, bei einigen wenigen Enthaltungen.

Die Einladung der niedersächsischen Kammerpräsidentin durch den Vorstand war ein guter Schachzug der Fusions-Gegner, denn sie hat nicht gerade die Arme geöffnet, sondern auf die Situation in Niedersachsen als Flächenstaat hingewiesen, die dazu führen würde, dass Bremen eine Großstadt unter anderen wäre, die in die länderübergreifende Kammer aufgenommen wird. Die Entscheidung der Bremer Kammerversammlung gegen die Fusion war stark gefühlsmäßig geprägt, und dagegen kann mit rationalen Argumenten wenig ausgerichtet werden. Der Justitiar der Gesundheitsbehörde hatte Bedenken der Politik angedeutet, hier ein Stück Eigenständigkeit aufzugeben.

In derselben Sitzung wurde dann aber anstandslos eine Erhöhung der Entschädigungen für das Präsidium beschlossen und eine (wenn auch geringe) Anhebung des Hebesatzes. Diese moderate Anhebung konnte dadurch erreicht werden, dass die Rücklagen in Anspruch genommen wurden. Diese Entscheidungen wurden nach der Abstimmung über die Fusionsverhandlungen getroffen, also eine geschickte Dramaturgie. Die DGVT-Mitglieder haben, soweit sie mir Rückmeldungen gegeben haben, wacker für die Fusion gestimmt, aber es hat nicht gereicht. Da auch aus Hamburg keine klaren Signale kommen, hat sich die Nordkammerfrage damit wohl erst einmal erübrigt. Eine intensivere Kooperation, wie sie auch von der niedersächsischen Kammerpräsidentin angeboten wurde, ist dann auch beschlossen worden.

Peter Hegeler


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