Kammer-Delegiertenversammlung ändert Weiterbildungsordnung
Am 29. und 30. Oktober 2011 tagte die Delegiertenversammlung der hessischen Psychotherapeutenkammer in Wiesbaden. Wichtiges Thema der Tagesordnung war die Diskussion über die Veränderung der Weiterbildungsordnung. Die Verbände der Systemischen Therapie und Gesprächspsychotherapie hatten eine Aufnahme ihrer Verfahren als Weiterbildung (nicht Fortbildung) in die entsprechende Ordnung der hessischen Kammer gefordert.
Schon im Vorfeld hatte die Liste VT-AS (Verhaltenstherapie - Angestellte und Selbständige), an der die DGVT mit zwei von sechs Delegiertenmandaten beteiligt ist, deutliche Bedenken vorgetragen: Welchen Sinn macht es, wenn Verfahren, die an sich schon zur Approbation führen, auch als Weiterbildung erlernt werden können, dann aber mit erheblich geringerem Aufwand? Welche Folgen hat es für das Sozialrecht, wenn eine Psychotherapeutin/ein Psychotherapeut ein praktiziertes Richtlinienverfahren abrechnet, aber ein ebenso praktiziertes Verfahren (Systemische Therapie bzw. Gesprächspsychotherapie) nur privat liquidieren kann? Zu welchen Kontrollen seitens der KV oder der Kassen kann eine solche Konstellation führen? Wie verwirrend muss die Dienstleistung „Psychotherapie“ den Klientinnen und Klienten erscheinen? Wie werden sich die Qualifikationsanforderungen für Angestellte entwickeln, wenn z. B. in der Erziehungsberatung nach der Approbation noch eine Weiterbildung in Systemischer Therapie verlangt würde?
Um kein falsches Bild aufkommen zu lassen: Auch wir treten nachdrücklich für „Vielfalt in der Psychotherapielandschaft“ ein, wenn immer es sich dabei um wissenschaftlich fundierte Ansätze handelt und „politische Nebenwirkungen“ gering gehalten werden können. VT-AS hat keine Einwände, wenn Systemische Therapie und Gesprächspsychotherapie im Rahmen einer Fortbildung erlernt werden. Diese beiden Verfahren in die Weiterbildungsordnung aufzunehmen, in der bisher in Hessen nur die Neuropsychologie verankert ist, stellt aber eine andere Qualität dar.
Nach unserer Einschätzung ist dies ein Schritt auf dem Weg zu einer eklektisch erscheinenden Psychotherapie, allerdings ohne die Implikation ausreichend diskutiert zu haben. Die Frage, ob eine Psychotherapeutin/ein Psychotherapeut wirklich zwei verschiedene Verfahren nebeneinander anwenden kann (oder vielleicht auch gleichzeitig und gemixt) und ob diese eklektische psychotherapeutische Praxis noch wissenschaftlich fundiert ist (oder vielleicht nur noch „gefühlt fundiert“), wurden bisher in Hessen nur in Ansätzen diskutiert. Wenn jedoch außerhalb unseres Berufsstandes der Eindruck entstehen würde, die Psychotherapie könne die wissenschaftliche Fundierung der im Einzelfall erbrachten psychotherapeutischen Leistungen nicht mehr nachweisen, wäre unseres Erachtens der Status der Psychotherapie als eigenständige Heilkunde insgesamt gefährdet.
Schließlich werden alle Kolleginnen und Kollegen, die gerade ihre Ausbildung durchgeführt und ihre Approbation erreicht haben, mit Recht solch eine Berufspolitik hinterfragen: Wird diese deutliche Ausweitung der hessischen Weiterbildungsordnung die soeben erreichte Approbation vielleicht entwerten oder zumindest relativieren?
Die Delegiertenversammlung der Kammer führte die Diskussion mit nachdrücklichem Engagement und erheblichem Druck in Richtung einer beschleunigten Entscheidung. Schließlich setzten Kammervorstand und die Mehrheitsfraktionen, unterstützt von der Integrativen Liste (die mit dem Verband Hessischer Vertragspsychotherapeuten VHVP verbunden ist), eine Abstimmung zur Änderung der Weiterbildungsordnung durch - ohne dass der Antrag zu Beginn der Sitzung schriftlich vorgelegen hätte, wie dies die Satzung vorsieht. (Dies führte dann zu einem Protokollvermerk durch VT-AS, der die Rechtmäßigkeit des Vorgehens anzweifelte, was aus juristischer Sicht allerdings vom Kammervorstand nicht so gesehen wurde).
Gesprächspsychotherapie (für Erwachsene) und Systemische Therapie sind damit in Hessen mit Unterstützung der Psychodynamischen Listen, der Listen der Humanistischen Verfahren und der Integrativen Liste in die Weiterbildungsordnung aufgenommen.
Beleuchtet man nun die Argumente der Befürworter dieser Regelung, so bleibt es aus Sicht von VT-AS zweifelhaft, ob die „Solidarität mit Systemischer Therapie und GT“ und die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz derer, die mit systemischer und gesprächspsychotherapeutischer Ausbildung und Therapie ihr Geld verdienen, hinreichende Gründe sind, einen solch risikobehafteten Weg in die Zukunft unseres Berufsstandes zu beschreiten.
Erfreuliches am Schluss: In einem Punkt griff die Delegiertenversammlung unsere Bedenken auf. Im allgemeinen Teil der Weiterbildungsordnung wurde sichergestellt, dass es auch künftig in Hessen keine Weiterbildung in den Richtlinienverfahren (VT, TP, PA) geben wird.
Karl-Wilhelm Höffler (DGVT Hessen)
Weitere Themen
„Versorgungssteuerung“: Ausführlich befasste sich die Delegiertenversammlung in einer Vorveranstaltung mit diesem Thema. Da die psychotherapeutische Versorgung von Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen sowohl in den einzelnen Regionen Hessens wie auch bundesweit sehr unterschiedlich sichergestellt ist, bleibt die Frage, wie mehr finanzielle Mittel zur Psychotherapie und dann auch in Regionen mit geringer Versorgungsdichte gesteuert werden können.
Senkung der Kammerbeiträge: Nachdem sich die Mehrheitslisten und der Kammervorstand zu Beginn der Amtsperiode mehrfach geweigert hatten, einer Senkung der Kammerbeiträge zuzustimmen, konnte diese Position für das Jahr 2010 und nun auch für 2011 aufgeweicht werden. Auch für 2011 wird es – ganz im Sinne von VT-AS – wieder zu einer Senkung der Kammerbeiträge kommen, da in größerem Umfang Rücklagen der Kammer bestehen.
EDV-/Internet-Therapie: VT-AS nahm Stellung zu einem Positionspapier des Ausschusses für Qualitätssicherung, das den Einsatz von EDV und Internet im Rahmen der Unterstützung bei psychischen Problemen sehr kritisch kommentierte (und dabei das besondere Engagement der VT auf diesem Gebiet hervorhob). VT-AS wies darauf hin, dass die wichtige Frage, wann und wie eine Unterstützung der psychotherapeutischen Versorgung mittels EDV und Internet sinnvoll erscheint und wann nicht, durch die hessische Kammer bisher noch nicht differenziert genug beleuchtet wurde.
Prävention bei Pädophilie: Schließlich beschloss die Delegiertenversammlung eine Resolution, die die hessische Landesregierung zur Förderung einer Beratungsstelle für Menschen auffordert, die pädophile sexuelle Phantasien bei sich feststellen und befürchten, sexuelle Übergriffe zu begehen. Die Diskussion zeigte, dass die Konzeption eines entsprechenden präventiven Modellprojekts, in dem alle Sachverständigen zusammen arbeiten, einhellig für sehr wichtig erachtet wird.
Kammer und Ausbildungsinstitute: Nicht unerwähnt bleiben sollen die Spannungen, die es zwischen dem Kammervorstand und den hessischen Ausbildungsinstituten gegeben hat. In diesem Zusammenhang wies VT-AS darauf hin, dass wir vom Kammervorstand ein Zugehen auf die Ausbildungsinstitute auf gleicher Augenhöhe und in partnerschaftlichem Geist erwarten. Deutliche Kritik übten wir an dem Vorgehen des Vorstandes, ausbildungsbezogene Papiere zu verfassen und Anträge in der Delegiertenversammlung beschließen zu lassen und erst danach das Gespräch mit den Ausbildungsinstituten zu suchen.
Karl-Wilhelm Höffler