Mitgliederversammlung
Am 25. September fand in Kiel die Mitgliederversammlung der DGVT Schleswig-Holstein statt. Zuvor hatten die Landessprecher zu einer Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Neue Versorgungsformen – Chancen und Risiken für die neuen Heilberufe“ eingeladen.
16 InteressentInnen waren ins Kieler Best Western Hotel gekommen, um sich dort von den drei ReferentInnen Joachim Speicher vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) Hamburg, Stefan Meyer-Kaven von der „Brücke Schleswig-Holstein“ und Dr. Ulrike Lupke vom Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Falkenried in Hamburg über verschiedene Modelle der psychosozialen Versorgung informieren zu lassen.
Joachim Speicher erläuterte den Teilnehmern zunächst die Grundlagen von Medizinischen Versorgungszentren. Ein MVZ ist eine ärztlich geleitete Einrichtung, die in verschiedenen zulässigen Organisationsformen gegründet werden kann, in der Ärzte als Angestellte oder auch als Vertragsärzte fachübergreifend tätig sind, soweit eine Zulassung durch die Kassenärztliche Vereinigung sie dazu berechtigt. Die medizinische Gesamtverantwortung müsse dabei einem Arzt obliegen, wobei diese Verantwortung auch kooperativ organisiert werden könne. Die ärztliche Leitung müsse jedoch nicht zwangsläufig auch die Geschäftsführung beinhalten, also die wirtschaftliche Verantwortung und die Berechtigung, Weisungen zu erteilen. Es sei auch möglich, aus haftungsrechtlichen Gründen mehrere ärztliche Leiter zu benennen. Eine sinnvolle Organisationsformen ist für Speicher die Gründung eines MVZ als Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder als GmbH. Rechtlich nicht möglich oder zumindest sehr umstritten seien Organisationsformen wie Kommanditgesellschaften, Handelsgesellschaften oder eine GmbH & Co. KG.
Darüber hinaus erläutere Speicher verschiedene Strukturformen von MVZ sowie die rechtlichen Grundlagen (vgl. § 95 SGB V: MVZ, SGB V § 140b: integrierte Versorgung). Vorteil eines MVZ seien im medizinischen Bereich die Möglichkeit integrativer Behandlung und sinnvoller Synergien und im wirtschaftlichen Bereich die Teilung von apparativen, räumlichen und personellen Ressourcen. Weitere Vorteile seien die Stärkung der Wettbewerbsposition. Das MVZ fungiere als Ausgangspunkt für weitere Kooperationen und integrierte Versorgung sowie als leistungsfähiger Partner für Krankenhäuser. Ein MVZ ermögliche die wirtschaftliche Teilhabe an ärztlichen und nicht-ärztlichen (therapeutischen, pflegerischen, rehabilitativen) Leistungen durch angestellte Dritte. Die grundlegende Umgestaltung der ambulanten Versorgung sei bereits in vollem Gange, was möglicherweise auch zur Folge haben könnte, dass solitäre Einzelpraxen langfristig mehr und mehr zurückgedrängt würden.
Stefan Meyer-Kaven von der „Brücke Schleswig-Holstein“ berichtete vom Projekt „NetzWerk psychische Gesundheit in Schleswig-Holstein (NWpG)“,ein Modell der integrativen Versorgung nach § 140 ff SGB V. Das Projekt sei als Behandlungsalternative zur stationären psychiatrischen Behandlung entwickelt worden. Die Behandlung finde in einem koordinierten Netzwerk statt und verfolge einen personen-, ressourcen- und bedürfnisorientierten Behandlungsansatz gemäß ICF (Internationale Klassifikation der funktionalen Gesundheit) und IBRP (integrierter Behandlungs- und Rehabilitationsplan). Ein entscheidendes Ziel sei es, den bedürftigen Menschen einen schnellen Zugang zu den Hilfsangeboten vor Ort zu ermöglichen und dabei die Kostenstruktur dadurch zu verbessern, dass die sehr kostenintensiven stationären Behandlungen vermieden werden.
Das Behandlungskonzept des NWpG sehe präventive Maßnahmen, die Behandlung im Krisenfall und die weitere Stabilisierung vor. Im Vordergrund dabei stehe vor allem eine 24-stündige Erreichbarkeit für sofort einsetzbare Interventionen wie z.B. das Home Treatment nach dem „Finnischen Modell“ (offener Dialog, Reduzierung von Medikamenten) und Rückzugsräume, die von den Patienten 24 Stunden täglich genutzt werden könnten.
Die Gesamtbehandlungsplanung, so Meyer-Kaven, werde zu Beginn der Teilnahme des Versicherten von einem regionalen Fall-Manager federführend übernommen. Dieser Fall-Manager sei verantwortlich für die Behandlungsplanung, die sich über alle Lebensbereiche erstrecke und alle Beteiligten (Patient, Arzt, Psychotherapeut und andere Hilfesysteme sowie die Angehörigen des Patienten) aktiv mit einschließe. Dabei würden auch weitere Leistungssysteme (gemäß SGB II, III, VI, VIII, XII; also Leistungen der Arbeitsagentur, der Rentenversicherung, der Jugendhilfe und der Sozialhilfe) sowie psychiatrische als auch nicht-psychiatrische Hilfen aktiviert.
Im NWpG werde mit einem interdisziplinären Team von Ärzten, Psychotherapeuten, Psychologen, (Sozial-)Pädagogen, Fachkrankenpflegern, Ergotherapeuten u. a. gearbeitet. Kooperationen mit niedergelassenen Psychotherapeuten und Ärzten seien ebenso erwünscht wie die Kooperation mit der regionalen Fachklinik. Das NWpG Schleswig-Holstein habe einen entsprechenden Vertrag mit der Techniker Krankenkasse geschlossen und stehe mit diversen anderen Krankenkassen in Verhandlungen. Weitere Informationen auf www.abitato.de.
Dr. Ulrike Lupke, Psychologische Leiterin und Geschäftsführerin des MVZ Falkenried, stellte die berufliche Praxis von PsychotherapeutInnen vor. Einen Therapieplatz in Hamburg zu finden, sei sehr schwierig, Wartezeiten von bis zu zwölf Monaten keine Seltenheit. Im Bereich von schweren psychischen Störungen gebe es eher eine Unter- als eine Überversorgung. Zudem würden kaum gruppentherapeutische Angebote gemacht und keine ambulante Akut-Psychotherapie geboten. Es gebe außerdem auch keine ambulante Intensivbehandlung, wodurch es nach wie vor noch zu mehr stationären Behandlungen komme als notwendig wäre. Auch die Vernetzung der verschiedenen Behandler sei bislang noch unzureichend, so Lupke.
Zur Lösung dieser Problematik biete das MVZ Falkenried Sofort- und Kurzinterventionen, Psychotherapie-Optimierung, Rückfallprophylaxe in der Postphase und ambulante Komplextherapien. Das Behandlungskonzept beinhaltet die traditionelle ambulante Richtlinienpsychotherapie, wobei sowohl eine Einzeltherapie möglich ist als auch die Kombination der Einzeltherapie mit Gruppentherapie. Zusätzlich bietet das MVZ Behandlungen im Rahmen der Integrierten Versorgung an. Durch diese Angebote sollen Krankenhausaufenthalte verkürzt oder vermieden werden.
Lupke führte weiterhin aus, dass bei der Gründung die Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit, die Verbesserung der ambulanten Patientenversorgung und die Nutzung von Synergieeffekten durch die Bündelung medizinischer Kompetenzen im Vordergrund standen. Heute umfasst Falkenried folgende Spezialambulanzen und Behandlungsschwerpunkte: Kinder- und Jugendtherapeutische Ambulanz, Borderline-Störungen, Essstörungen, Tinnitus, Biofeedback. Störungsspezifische Gruppentherapieangebote gibt es zu folgenden Störungen: Angst, Depression, Burnout, Stress, Persönlichkeitsstile, Soziale Phobie und Essstörungen. Zusätzlich gibt es Angebote für kompetenzerweiternde Gruppen mit den Themenschwerpunkten ressourcenorientierte Gruppe, Soziale-Kompetenz-Gruppe und Entspannungsgruppe.
Die Referentin erläuterte weiter, dass im MVZ verschiedene Diplomarbeiten und Dissertationen in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und der Universität Lübeck angefertigt werden, bei denen es vor allem um Evaluationsstudien, aber auch andere Forschungsprojekte gehe. Zudem würden Fortbildungen für niedergelassene Ärzte und PsychotherapeutInnen angeboten. Aktuell sind in Falkenried fünf Ärzte, 51 Psychologische Psychotherapeuten, sieben PsychotherapeutInnen in Ausbildung, 32 Verwaltungskräfte und zwischen fünf und zehn Praktikanten beschäftigt.
Aus dem Behandlungsjahr 2008/2009 stellte Lupke einige Evaluationsergebnisse vor. Hiernach habe unter anderem durch die Gruppentherapiebehandlung bei 69% aller DBT-Patienten eine vollstationäre Krankenhausbehandlung erfolgreich umgangen werden können. Zudem sei die Behandlungsdauer mit durchschnittlich 18 Behandlungstagen im Vergleich zu einer äquivalenten Krankenhausbehandlung in einer Tagesklinik (Behandlungsdauer zwei bis sechs Monate) außerordentlich niedrig gewesen.
Laut Lupke lässt sich aus den bisherigen Erfahrungen im MVZ schließen, dass eine effizientere Versorgung vieler Patienten nach diesem Konzept möglich sei. Die geschlossenen IV-Verträge (Integrierte Versorgung) ermöglichten zudem eine optimierte Therapieplanung und Therapiedurchführung sowie die Vermeidung stationärer Aufenthalte. Der Rahmen des MVZ biete durch das große Team zahlreiche Intervisions- und Fortbildungsmöglichkeiten sowie die Erweiterung der eigenen Kompetenzen durch die Mitarbeit als Dozent und Supervisor am Aus- und Weiterbildungsinstitut. Weitere Informationen auf www.vt-falkenried.de.
Die Zukunft der neuen Versorgungsformen wurde heftig diskutiert: Sowohl die Hoffnung auf neue Chancen als auch die Sorge um einen möglichen Verlust der traditionellen ambulanten Versorgungsstrukturen und Ängste bezüglich finanzieller Einbußen kamen zur Sprache.
Im Anschluss an die Fortbildung wurde ein Round Table gegründet zu der im Juli 2011 anstehenden Kammerwahl der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein. Die Kammerdelegierten der DGVT, Detlef Deutschmann, Bernd Schäfer und Andrea Radvan, die teilweise auch im Kammervorstand maßgeblich die Kammerpolitik der letzten drei Jahre mitbestimmt haben, stellten sich und ihr Tun zur Diskussion. Ein ausführlicher Bericht über den Round Table erfolgt in der nächsten Rosa Beilage.
Als krönender Abschluss des Tages fand dann noch die alljährliche Mitgliederversammlung der Landesgruppe Schleswig-Holstein statt. Erfreulicherweise waren an diesem letzten Tagesordnungspunkt noch sechs Mitglieder anwesend.
Insgesamt sei die Landesgruppenarbeit derzeit auch wegen der anstehenden Kammerwahl im Juli 2011 sehr stark von der Kammerarbeit dominiert. An den Sitzungsterminen der „Aktiven Gruppe“ ist die Arbeit der Kammermitglieder in der Psychotherapeutenkammer in Schleswig-Holstein stets von großem Interesse.
Aktuell wird wieder an der Kooperation KAM ON gearbeitet mit dem Ziel, sich im Juli 2011 wieder mit einer Kandidatenliste an der Wahl der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein zu beteiligen. Es wurde festgehalten, dass sich viele der Inhalte, mit denen man in 2007 bei der Kammerwahl antrat, umsetzen ließen, andere dagegen noch nicht. Um den eingeschlagenen Weg fortsetzen zu können, sollen in einem zukünftigen Wahlprogramm die Grundideen beibehalten bleiben. Diese Position wurde von der Mitgliederversammlung einhellig unterstützt. Angeregt wurde darüber hinaus, die Kolleginnen und Kollegen explizit anzusprechen, die jenseits klassischer Angestelltenverhältnisse und KV-Niederlassung ihren Beruf ausüben (wie z.B. in der Kostenerstattung). Erfreulicherweise fanden sich auf der Veranstaltung weitere Kolleginnen, die ernsthaft in Erwägung ziehen, bei der nächsten Kammerwahl für die DGVT zu kandidieren. Gleichwohl sind wir noch nicht genug; die Tür für Interessierte ist nach wie vor offen.
Auch vereinsintern ist die DGVT-Landesgruppe sehr aktiv und wirkt über den DGVT-Länderrat an der vereinsinternen Meinungsbildung mit. Der aktive Teil der Landesgruppe trifft sich immer vor Sitzungen des Länderrates, um die dort anstehenden Inhalte vorzubesprechen, ggf. Positionen hierzu zu erarbeiten und in den Länderrat einzubringen. Dabei war die Reform der Psychotherapieausbildung das absolut dominierende Thema im abgelaufenen Jahr, und auch die vereinsinterne Positionsfindung in zentralen Punkten der Reform gestaltete sich wahrlich nicht immer leicht. Weiter war der Länderrat im Berichtszeitraum noch mit seinem Schwerpunktthema „Europa“ befasst. Beobachtet wurde, wie die Aufgaben, die bei uns von Kammern und KVen (recht deutsche Phänomene, wie man weiß) wahrgenommen werden, um vielleicht etwas von anderen Ländern lernen zu können. Ein umfassender Vergleich aller europäischen Länder konnte hier aus Kapazitätsgründen nicht geleistet werden. Informationen wurden stattdessen aus ausgewählten Ländern (Großbritannien, Spanien, Norwegen und Polen) eingeholt und werden in einer der nächsten VPP veröffentlicht werden. Ganz aktuell ist der Länderrat mit der Weiterbildungsproblematik beschäftigt. Bei weiterhin weiterbildungskritischer Haltung sowohl der DGVT-Landesgruppe wie auch des Länderrates ist mit verstärkten Bemühungen zu rechnen, die Musterweiterbildungsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer weiter auszubauen (Zweitverfahren, Methoden, störungsspezifische Ansätze).
Eine besondere Herausforderung stellt es für die Landesgruppe immer wieder dar, rechtzeitig Texte für die Rosa Beilage anzufertigen. Beiträge der Mitglieder der DGVT in Schleswig-Holstein zu interessanten Themen sind jederzeit gern gesehen und erwünscht. Wer Ideen hat und/oder gerne schreiben mag, kann seine Texte oder Vorschläge gerne an die Landesgruppe senden.
Gemeinsam wurde die Frage diskutiert, wie sich die DGVT-Landesgruppe den neuen, ergänzenden Versorgungsstrukturen gegenüber positionieren will. Dabei war vor allem die Frage nach der Finanzierung derartiger Veränderungen interessant, hier vor allem die Finanzierung von Integrierten Versorgungs- und/oder Selektivverträgen. Soll es Vereinbarungen neben der klassischen Krankenversorgung im Rahmen der KV geben und wenn ja, wie sollte diese aussehen? Von besonderem Interesse war die Sicherung der Existenz der derzeit Niedergelassenen bei gleichzeitiger Förderung von alternativen Versorgungskonzepten. Von großem Interesse sind den Landesgruppensprechern hier auch die Meinungen weiterer DGVT-Mitglieder.
Abschließend wurden Vorschläge besprochen, wie man mehr Mitglieder im Land werben könnte. Dabei wurde die Idee „Werber-Bonus“ - zum Beispiel in Form von Bildungsgutscheinen - diskutiert. Auch könnte vielleicht der Unterschied bei den Ausbildungskosten für Mitglieder und Nicht-Mitglieder vergrößert werden. Bernd Schäfer wird diese Ideen im DGVT-Vorstand einbringen. Es wurden Möglichkeiten zur Motivation der Mitglieder zu mehr aktiver Mitarbeit in der Landesgruppe gesucht. Ein Vorschlag war, für die Teilnahme bei der Mitgliederversammlung Fortbildungspunkte zu beantragen, wobei dann jedoch die Versammlung mit einem Fortbildungsthema verknüpft werden müsste.
Die nächste regionale Mitgliederversammlung wird im Herbst 2011 stattfinden. Dann werden auch die LandessprecherInnen neu oder wieder gewählt. Nicht nur potentielle SprecherInnen sind herzlich eingeladen, an der Gestaltung der Landesgruppenarbeit aktiv mitzuwirken. Durch die Mitarbeit kann Einfluss auf die vereinsinterne Meinungsbildung und auch auf die Kammerpolitik in Schleswig-Holstein genommen werden.
Diana Will, Detlef Deutschmann und Bernd Schäfer