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Globale Gesundheit - Bericht über die Konferenz »global, gerecht, gesund« von Nadja Rakowitz[1]


Der im Oktober 2009 in Berlin an der Charité zum ersten Mal stattfindende und von den Regierungen Deutschlands und Frankreichs unterstützte »World Health Summit« stieß schon im Vorfeld auf massive Kritik eines breites Bündnisses von gesundheits- und entwicklungspolitischen Organisationen sowie Gewerkschaften. Ihm gehörte auch der vdää gehörte an. Nicht Fragen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge bestimmten das Programm des Kongresses, sondern Überlegungen, wie Forschung und private Gesundheitswirtschaft zur  Verbesserung individueller Versorgung beitragen können. Das Bündnis hielt den Gesundheitsgipfel aufgrund seiner inhaltlichen wie organisatorischen Ausrichtung nicht für geeignet, weltweite Gesundheitsprobleme anzugehen und warf ihm vor stattdessen eher zu den Problemen beizutragen.

Deshalb wurde von diesem kritischen Bündnis – in kürzester Zeit – unter dem Titel »Public Eye on Berlin« ein Gegengipfel aus dem Boden gestampft, der sich sehen lassen konnte und für Aufsehen gesorgt hat: eine Protestaktion vor dem Eingang der Charité und eine ganztägige Diskussionsveranstaltung mit Vertretern der verschiedenen Organisationen (siehe auch: »Erklärung zum ›World Health Summit‹ in Berlin«, auf der Homepage des vdää unter Themen/Gesundheitspolitik international).

Aus der Erfahrung dieser spontanen und für alle Beteiligten sehr angenehmen und produktiven – und politisch so wichtigen – Kooperation von ganz unterschiedlichen Organisationen, wie z.B. attac, Büros für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin und Hamburg, BUKO Pharmakampagne, Difäm, EED, IPPNW, medico international, ver.di, DGB, vdää, vdpp und einigen mehr, entstand die Idee, im Jahr 2010 einen gemeinsamen Kongress zu organisieren, der diese Zusammenarbeit fortsetzen sollte.

Initiiert von medico international und Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V. und unterstützt von ver.di, zahlreichen gesundheits- und entwicklungspolitischen Organisationen und Gesundheitsaktivistinnen und –aktivisten aus Zimbabwe, Indien, Brasilien, Deutschland und den USA fand vom 17. bis 18. September in Berlin im Rathaus Schöneberg die Konferenz »global – gerecht – gesund. Zu den Perspektiven von ›Globaler Gesundheit‹ statt«, an der der vdää auch mit verschieden Beiträgen und Workshops teilgenommen hat. Fragen der weltweiten gerechten Verteilung und der politischen Gestaltung des öffentlichen Guts Gesundheit standen im Zentrum der Debatten. Gegen die scheinbare Alternativlosigkeit der gesundheitlichen Ungleichheit hat die Konferenz Möglichkeiten solidarischen Handelns und Perspektiven für Veränderungen aufgezeigt.

Die Organisatoren beschrieben die Zielsetzung der Konferenz folgendermaßen: »Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht – war das Postulat des Neoliberalismus … Heute ist die vermeintliche Alternativlosigkeit das letzte, was vom neoliberalen Versprechen geblieben ist. Werden öffentliche Güter privatisiert, soziale Rechte ›eingespart‹ und Schutz-, gar Gleichheitsansprüche abgewiesen, soll das ›Zwang‹ des globalen Marktes sein, dem sich niemand entziehen könne. In Sachen der Gesundheit wird die behauptete Ausweglosigkeit zur Frage von Leben und Tod. Deshalb will die internationale Konferenz ›global, gerecht, gesund‹ den neoliberalen Sachzwang gerade hier auflösen. Wenn wir dem globalen Zwang der Märkte individuell, lokal und national nur begrenzt entkommen können, dann muss die Verteidigung solidarischer sozialer Absicherung, der Ausbau des sozialen Eigentums und die Entwicklung solidarischer Alternativen auch in ihren globalen Zusammenhängen diskutiert und realisiert werden.

Dabei versucht die Konferenz nicht nur, diese Zusammenhänge selbst sichtbar zu machen. Vielmehr geht es immer auch darum, beispielhafte Alternativen aus unterschiedlichen Regionen und Kontexten zusammenzutragen. Ideen, wie Gesundheit als öffentliches Gut global gestaltet werden kann, werden genauso diskutiert wie lokale Initiativen, die mögliche solidarische Alternativen bereits vorwegnehmen. Deshalb beteiligen sich an dieser Konferenz Gesundheitsaktivisten, Expertinnen und Sachverständige aus Deutschland wie aus anderen Regionen. Darunter: Simbabwe, Indien, Brasilien, den USA.«

Debattiert wurde in Plenen, Foren und ca. 20 verschiedenen Arbeitsgruppen. Zu Beginn erfolgte eine kritische Bestandsaufnahme über die wachsende Gesundheitskluft bzw. das drohende Ende der Gleichheitsidee von Thomas Gebauer, (medico international), aus der Perspektive des Südens Dr. Narendra Gupta (People’s Health Movement, Bangalore) und aus der Perspektive des Nordens Dr. Cornelia Füllkrug-Weitzel (Brot für die Welt, Stuttgart). Im Anschluss daran gab es fünf Eingangsstatements zu den fünf Foren der Konferenz zu den Themen 1) Gesundheit als Menschenrecht – Von der Idee zur Politik, 2) Demokratische Partizipation – Als Vorraussetzung für gesundheitliche Eigenverantwortung, 3) Öffentliches Gut – Verteidigen und entwickeln, 4) Umverteilung – Globale Finanzierung statt Privatisierung und 5) Handeln und Behandeln - Berufsethische Perspektiven in der Globalisierung, zu dem Bernhard Winter vom vdää sprach1. Am Nachmittag wurden diese Themen in parallelen Arbeitsgruppen/Workshops weiterdiskutiert. Für den vdää referierte im Workshop zum Thema: »Eine neue Ethik: Prinzipien und Regulierung professionellen Handelns« Nadja Rakowitz zusammen mit Remco van de Pas von medicus mundi international aus den Niederlanden.

Am Abend fand dann noch eine Podiumsdiskussion mit Harald Siem (Norwegian Directorate of Health, Oslo), Jörg Alt SJ (Kampagne »Steuer gegen Armut: Die Finanztransaktionssteuer «, Nürnberg), Hartmut Reiners (Ökonom und Publizist, Brandenburg), Armando de Negri (Gesundheitsverwaltung Porto Alegre und Universität Rio Grande do Sul, Porto Alegre) und Annelie Buntenbach (dgb, Berlin). Vor allem Armando de Negri fiel hier auf durch seine – völlig berechtigte – Betonung des weltweiten Reichtums, die er dem Armuts- bzw. Geldmangeldiskurs entgegenhielt. Statt für die ärmsten Länder bloß Mindeststandards für die Gesundheitsversorgung zu fordern, die weit unter denen der entwickelten Gesellschaften des reichen Nordens liegen, sollte man sich nicht mehr länger den ökonomischen Sachzwängen unterwerfen und politisch agieren mit der Perspektive der bestmöglichen gesundheitlichen Versorgung aller Menschen.

Am Samstag referierte dann zunächst Thomas Pogge über »Weltgesundheit/Weltgerechtigkeit. Nächste Schritte«, bevor eine zweite Arbeitsgruppenphase begann. Thomas Kunkel, Mitglied im erweiterten Vorstand des vdää, referierte neben Narendra Gupta aus Bangalore im Workshop »Gesundheit für alle! – Kampagnen für Gesundheitsrechte«, wo Gesundheitskampagnen auf globaler und nationaler Ebene vorgestellt wurden. Ziel war ein Erfahrungsaustausch und die daran anknüpfende Entwicklung und Vorstellung von Strategien im Kampagnenbereich. Es zeigte sich allerdings, dass es ziemlich schwierig ist, die Verhältnisse in Deutschland und die in einem Land wie Indien aufeinander zu beziehen. Auch bei den Diskussionsteilnehmern gab es die einen, die über die sich verschlechternden deutschen Verhältnisse diskutieren wollten und die anderen, die über soziale Verhältnisse, Initiativen und Kampagnen in Indien diskutieren wollten. Beide Diskussionen fanden nur schwer zueinander. Eine ähnliche Erfahrung gab es auch in dem Workshop zur neuen Ethik, wo die Berichte über Indonesien von Remco van de Pas und die Überlegungen von Nadja Rakowitz weitgehend nebeneinander stehenblieben und nur schwer aufeinander bezogen werden konnten. Das spricht natürlich nicht gegen das sinnvolle Vorhaben. Man wird sich bei der Planung weiterer solcher Treffen/Diskussionen in Zukunft überlegen, wie man die Kommunikation verbessern kann.

Erwartungsgemäß hatte der andere 2-teilige Workshop, den der vdää zusammen mit attac vorbereitet hatte, solche Probleme nicht, denn er beschäftigte sich mit der »Privatisierung und Ökonomisierung des Gesundheitswesens « und es sollten dort ökonomische und ideologische Hintergründe des gegenwärtigen Privatisierungsdrucks im Gesundheitswesen und die Auswirkungen auf die Finanzierungsformen untersucht und Gegenperspektiven entworfen werden. Es referierten dort von attac: Manfred Baberg, Roland Heuwinkel und Werner Schüßler und für den vdää: Bernhard Winter und Nadja Rakowitz. Es zeigte sich in der Diskussion, dass die Kollegen von attac den Mangel an Ressourcen in den Vordergrund der Diskussion stellten, während die vdää-Vertreter insbesondere auf die Strukturprobleme des Gesundheitswesens fokussierten.

Besonders gelungen aus der Sicht des vdää war der von Thomas Kunkel und Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser geleitete Workshop: »Gesundheitspolitik für Einsteiger«. Der Workshop wollte einen historischen Abriss sowie Begriffs- und Definitionsklärungen häufiger Begriffe bieten und Neulingen in der gesundheitspolitischen Szene einen Ein- und Überblick über die Strukturen des Gesundheitssystems verschaffen. Es sollten dabei sowohl deutsche als auch internationale Zusammenhänge berücksichtigt werden. Es kamen ca. 20 vorwiegend junge Leute, die entweder politisch aktiv waren oder im Gesundheitswesen arbeiteten oder Medizin studieren.

Beim Abschlussplenum zum Thema »Globale Gesundheit – Grundlagen eines alternativen Aktionsplans«2 diskutierten Thomas Gebauer (medico international, Frankfurt), Herbert Weisbrod-Frey (ver.di Bundesvorstand, Berlin), Nicoletta Dentico (Italian Global Health Watch, Genf) und Narendra Gupta. Die Konferenz war mit 300 TeilnehmerInnen gut besucht und hat im Wesentlichen ihre Zielsetzung erreicht. Bei einem »Follow up«-Treffen der Organisatoren im Rahmen der Konferenz »Armut & Gesundheit« Anfang Dezember in Berlin sollen weitere Planungen angestellt werden. Der vdää hat hiermit gewissermaßen Neuland betreten und in einer Liga mitgespielt, zu der er bislang wenig Kontakt – wenn auch inhaltlich und politisch viele Übereinstimmungen – hatte. Ich hoffe, es gelingt dem vdää, in diesem sich konstituierenden Netzwerk weiter mitzuarbeiten.

Nadja Rakowitz


[1]Quelle: Rundbrief des vdää Nr. 4/2010, 25. Jg.; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin.

 


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