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Bernhard Winter über berufsethische Perspektiven in der Globalisierung[1] - Handeln und Behandeln


von Bernhard Winter

Alle im Gesundheitswesen Tätigen, also alle Gesundheitsprofessionellen, müssen zuallererst den Patienten und seine Anliegen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen. Aber das Handeln darf sich nicht nur auf das Behandeln des Patienten beschränken, handeln heißt auch, sich in die sozialen Zusammenhänge von Krankheit einzumischen. Mit seinen vier Thesen zu den ethischen Aspekten medizinischen Handelns begründet Bernhard Winter, warum ärztliches Behandeln auch politisches Handeln voraussetzt.

Wir dokumentieren hier sein Eingangsstatement zum Forum »Handeln und Behandeln – Berufsethische Perspektiven in der Globalisierung« beim Kongress »global-gerecht-gesund« in Berlin.

Ich möchte versuchen vier Punkte aus berufsethischer Sicht von, ich nenne es jetzt mal Gesundheitsprofessionellen, zu formulieren. Man möge mir nachsehen, dass ich auf Grund meiner Profession das doch sehr ärztlich formuliere.

1. Grundlegende Handlungsmaxime für Gesundheitsprofessionelle

Es gibt es eine grundlegende Handlungsmaxime für alle, die professionell im Gesundheitswesen tätig sind. Sie müssen sich bemühen, bei jedem Kranken, der sie um Hilfe bittet, nach bestem Wissen und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu behandeln. Dies ist bewusst sehr weit gefasst. Diese Maxime geht über den an dieser Stelle sonst zitierten Eid des Hippokrates weit hinaus. Sie berührt unser tägliches professionelles Handeln, aber auch unsere Auseinandersetzung in der Struktur des Gesundheitswesens und unsere Kämpfe für eine soziale Medizin. Nicht nur und keinesfalls nur unter dem Gesichtspunkt beschränkter Ressourcen für das Gesundheitswesen – die Ressourcen für das Gesundheitswesen sind immer beschränkt – bedarf dieser Punkt aus meiner Sicht zweier Ergänzungen.

2. Kultur der Selbstbegrenzung

Zu fordern ist eine Kultur der Selbstbegrenzung. Dies meint nicht nur, auf einen Teil des technisch machbaren zu verzichten, sondern vielmehr ist auch dem der modernen wissenschaftlichen Medizin innewohnenden Trend zur Überdiagnostik und Übertherapie zu begegnen. Wenn in diesem Land innerhalb von zwei Jahren die Anzahl der Computertomographien um 18 Prozent ansteigt, innerhalb von einem Jahr die Aufnahme in Krankenhäuser um 4,2 Prozent hat das nichts, aber auch gar nichts mit Gesundheit zu tun.

Diese Tendenz ist natürlich in solchen Systemen besonders ausgeprägt, die mit Gewinnstreben gepaart sind. Von uns ist eine neue Kultur zu fordern, die sich konzentriert auf den Kranken, seine Beschwerden und den Prozess der Heilung, beziehungsweise der Krankheitsbegleitung.

3. Denken vom Letzten her

Darüber hinaus ist von Gesundheitsprofessionellen zu fordern, vom letzten Patienten her mit dem Handeln zu beginnen, wenn er für alle in gleicher Weise da sein will. Oder mit den Worten von Klaus Dörner ausgedrückt: »Dies zwingt ihn, den Arzt, zu der heillosen Überforderung, dass er sich für den schwächsten, hilflosesten, benachteiligsten, letzten Patienten, bei dem es sich am wenigsten lohnt, am meisten engagiert, um ihn auch nur zur Chancengleichheit mit seinen besser gestellten Patienten zu verhelfen. Ich habe kompensatorisch mit dem Letzten zu beginnen...« Dies ist natürlich auch global zu bedenken.

4. Politische Handlungsfähigkeit

Die politische Handlungsfähigkeit der Gesundheitsprofessionellen. Um diese, in der Tat hochgesteckten Versprechen, einlösen zu können, ist der Gesundheitsprofessionelle auch gefordert, überall dort Widerstand zu leisten, wo Geld, Ökonomie, Kommerz sich in das Verhältnis, das er als Individuum zu Kranken hat, einzuschleichen beginnen. Natürlich ist der Gesundheitsprofessionelle auch gefordert, darum zu Kämpfen, dass er die Mittel erhält, die er benötigt, um seinem gesellschaftlichen Auftrag nach zu kommen. Eine gute Medizin ist heute nur möglich, wenn sie gleichzeitig auch eine politische Medizin ist, wie Erik Wulf es formulierte. Damit wären wir bei dem Motto des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte: Krankheit ist ohne Politik nicht heilbar. In diesem Sinne sollten wir uns alle einmischen.


[1] Quelle: Rundbrief des vdää Nr. 4/2010, 25. Jg.; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors.

 


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