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(K)ein neuer Weg der Ärzteschaft?

Bericht vom 114. Deutschen Ärztetag in Kiel: Mehr Geld scheint die Lösung aller Probleme zu sein.


Der 114. Deutsche Ärztetag vom 31. Mai bis 3. Juni in Kiel war das erste große öffentliche Forum für den seit 19 Tagen amtierenden Gesundheitsminister Daniel Bahr. Seine Rede im Schloss zu Kiel war mit großer Spannung erwartet worden. Schließlich gilt er, auch wenn kein Mediziner (macht das einen guten Gesundheitsminister aus?), als ärztefreundlicher Minister. Seine Rede war dann auch freundlich, aber in weiten Teilen völlig unverbindlich. Das anstehende Versorgungsgesetz, mit dem die hausärztliche Versorgung auf dem Lande verbessert werden soll, wurde skizziert, aber wesentliche Fragen blieben offen. Zu Recht wies Bahr darauf hin, dass die hausärztliche Unterversorgung auf dem Lande in erster Linie ein Strukturproblem sei: Fehlender Arbeitsplatz für den Ehepartner, schlechtes Schulangebot, wenig kulturelle Möglichkeiten. Erst an vierter Stelle komme die finanzielle Ausgestaltung. Leider sagte er wenig über kooperative Arbeitsmodelle auf dem Lande oder auch in der Stadt, die der heutigen Arbeitsperspektive junger Mediziner vielleicht eher entgegen kommen.

Dafür sprach Bahr dann doch wieder über das Geld: keine Budgets in unterversorgten Regionen, keine Abstaffelung. Nur, wer soll das bezahlen? Soll es von den Budgets aus den überversorgten Regionen abgezweigt werden oder sollen die Kassen zahlen? Er wolle keinen finanziellen Druck auf die Kassenärzte in gut versorgten Regionen ausüben, also deren Budget nicht kürzen. Bleiben also nur noch die Kassen zur Finanzierung dieser Mehrkosten. Das gilt auch für die neue Versorgungsform der spezialärztlichen Versorgung, einer Versorgungsform, die von Kassenärzten und Krankenhausärzten angeboten werden soll. Sie soll als Einzelleistung außerhalb des Budgets abgerechnet werden können. Bei dieser Versorgungsform soll schon das Tor zur Kostenerstattung als Abrechnungsgrundlage aufgestoßen werden. Es blieb zwar unklar, aber wahrscheinlich sollen die Kassen auch für diese Versorgungsform zusätzlich aufkommen. Die Botschaft ist: Es wird wieder teurer. Alles in allem verfolgte Bahr einen Kuschelkurs mit der Ärzteschaft.

An einem Punkt aber widersprach Bahr dem scheidenden Präsidenten der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe: Eine Priorisierung oder Rationierung ärztlicher Leistungen sei nicht notwendig und eine Diskussion darüber unnötig.

Höhepunkt der Veranstaltung war die Verleihung der Paracelsus-Medaille, der höchsten Ehrung der deutschen Ärzteschaft. In diesem Jahr wurde der Mitbegründer der deutschen Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, Ärzte i sozialer Verantwortung) und deren langjähriger Vorsitzender Ulrich Gottstein für seinen unermüdlichen Einsatz für den Frieden und gegen die atomare Bedrohung ausgezeichnet. Diese Ehrung, die offenbar auf Initiative des Kammerpräsidenten Hoppe erfolgte, markiert einen Wendepunkt im friedenspolitischen Selbstverständnis der offiziellen Ärzteschaft. Wer mitbekommen hat, wie Vertreter aus der Friedensbewegung noch vor 25 Jahren auf Sitzungen der Ärztekammer als RAF-Anhänger diffamiert wurden, der weiß diese Wendung zu würdigen.

Der Tiefpunkt der Veranstaltung sollte allerdings auch nicht unerwähnt werden: Bei der jährlichen Totenehrung ließ man es sich nicht nehmen, auch den früheren, wegen seiner Nazi-Vergangenheit umstrittenen Ärztekammerpräsidenten Hans-Joachim Sewering zu ehren.

Es geht ums liebe Geld

Die Tagesordnung des Ärztetages war thematisch völlig überfrachtet. Von Gesundheitspolitik über Präimplantationsdiagnostik (PID) und Sterbehilfe bis hin zur Palliativmedizin, Prävention im Jugendalter sollten die Themen in  dreieinhalb Tagen diskutiert werden. Hinzu kam noch die Musterberufsordnung, Diskussion zur Weiterbildung, Rechenschaftsbericht des Vorstandes, und schließlich standen noch die Wahlen auf der Tagesordnung. Unmöglich, das alles gründlich in der vorgegebenen Zeit zu diskutieren. Man wurde den Verdacht nicht los, dass diese Überfrachtung gewollt war.

Durch viele Debatten zog sich wie ein roter Faden die Diskussion ums Geld. Die neue GOÄ soll die Rettung für die „darbende“ Ärzteschaft bringen. An diesem Punkt wurde wieder einmal deutlich, dass die Ärzteschaft weder getrieben noch treibend ist, sie läuft einfach der Politik hinterher. Von dem Gesundheitsminister einer untergehenden Splitterpartei, dessen Staatssekretär aus der PKV kommt, einer Kanzlerin mit dem Rücken zur Wand, einem Bundesrat, in dem die Regierungskoalition keine Mehrheit mehr hat und der die Gebührenordnung genehmigen muss, zu erwarten, dass der Ärzteschaft ein Plus von 10 bis 15 Prozent aus den Privateinnahmen genehmigt wird, ist schlichtweg Traumtänzerei. Es wäre stattdessen angebracht, sich zur Rolle der PKV unter einer Bürgerversicherung Gedanken zu machen.

PID – eine angemessene Diskussion

Zur PID hatte der Vorstand einen Antrag vorgelegt, der die Freigabe der PID in beschränktem Umfang für spezielle Indikationen forderte. Zu diesem Problem gab es eine mehrstündige, auf angemessenem Niveau geführte Debatte. Die bekannte Diskussion darum, was Leiden, was Zumutbarkeit ist, was lebenswert und was eine freie Entscheidung ist, wurde mit Für und Wider diskutiert. Präsidiumsmitglied und CDU-Mann Rudolf Henke sprach sich gegen den Vorstandsantrag auf eine eingeschränkte Freigabe der PID aus.  Insbesondere das Argument des „Dammbruchs“, Beginn der PID in stark eingeschränkter Indikation und dann Ausdehnung dieser Indikation, wurde immer wieder betont. Die Tatsache, dass seit der Einführung der Pränataldiagnostik heute kaum noch Kinder mit Down-Syndrom geboren werden, gab immer wieder Anlass zu Bedenken. Eltern mongoloider Kinder sowie diese Kinder selbst könnten in dieser Situation unter sozialen Druck geraten.

In der Abstimmung votierte eine Mehrheit für den Antrag des Vorstandes mit der Forderung nach beschränkter Freigabe der PID. Innerhalb des vdää (verein demokratischer ärztinnen und ärzte) wurde die Problematik der PID auch diskutiert, aber in dieser Frage gibt es keine „“Verbands“-Meinung, die Einschätzung bleibt jedem Mitglied selbst überlassen.

Musterberufsordnung – von der Sterbehilfe zur Bestechlichkeit

Die Berufsordnung für Ärzte regelt die kollegiale Zusammenarbeit und das ärztliche Handeln. Die Bundesärztekammer hat nur Vereinsstatus, sie kann nur eine Musterordnung verabschieden, die dann von den Landesärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechtes bindend verabschiedet werden muss.

Große öffentliche Aufmerksamkeit fand die Diskussion um den § 16, der in den Medien als Diskussion um die Sterbehilfe beschrieben wurde. Dies aber trifft die Änderungen nicht genau, denn es stand der „Beistand für Sterbende“ zur Diskussion, nicht eine allgemeine passive Suizidbegleitung. Der Änderungsvorschlag des Vorstandes lautete: “Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“. Zu diesem Passus gab es eine sehr intensive Diskussion, insbesondere um den letzten Satz. Diese Bestimmung ist eine eindeutige Verschärfung gegenüber den zu Jahresbeginn verabschiedeten Grundsätzen zur Sterbebegleitung, in denen es hieß, dass diese Hilfe „keine ärztliche Aufgabe“ sei. Mit der neuen Formulierung besteht weiterhin die Diskrepanz zwischen Strafrecht, das die Hilfe zur Selbsttötung nicht unter Strafe stellt, und Berufsordnung. In einer von der Bundesärztekammer durchgeführten Befragung hatten sich noch 30 Prozent der befragten Mediziner für die Möglichkeit einer passiven Sterbehilfe ausgesprochen.

Verschärft wurde ebenfalls die Beachtung des Willens des Patienten: Hieß es in der alten Fassung, dass Mediziner unter Vorrang des Willens des Patienten auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichten können, so wurde jetzt ein „unter Achtung des Willens...“

Etwas unredlich war die Diskussion insofern, als es eigentlich nur um den Beistand für Sterbende ging, nicht um die Assistenz beim Suizid. Es ist äußerst fraglich, ob todkranke Patienten am Lebensende überhaupt noch zur Selbsttötung in der Lage sind. Problematisch wird es zukünftig auch beim Therapieabbruch aufgrund von Patientenverfügungen werden. Es ist sicherlich nicht ganz abwegig zu vermuten, dass die Intervention von Erzbischof Robert Zollitsch und Kardinal Joachim Meisner bei der Bundesärztekammer die Verschärfung der Formulierung mitbewirkt haben. Enttäuschend, dass nach langer und sachlich geführter Diskussion doch die vom Vorstand vorgeschlagene Formulierung in die Berufsordnung ohne jegliche Änderung übernommen wurde.

Interessant dann noch die Diskussion um die §§ 32 und 33, in denen es um unerlaubte Zuwendungen geht. Zuwendungen sind jetzt nicht erlaubt, wenn “dadurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird“. Im Umkehrschluss: Wird der Eindruck nicht erweckt, so sind Zuwendungen unbegrenzt möglich - also eine Formulierung dehnbar wie Kaugummi. Auch das Sponsoring von passiven Fortbildungen durch Pharma- und Gerätehersteller soll weiterhin erlaubt bleiben. Anwendungsbeobachtungen und ihre angemessene Vergütung bleiben weiterhin erlaubt, Verträge sollten nur der Kammer vorgelegt werden. Alles in allem Verbesserungen gegenüber früher, aber lange noch keine klare Distanzierung von wirtschaftlicher Einflussnahme auf medizinische Entscheidungen.

Der neue Präsident – keine Überraschung

Ohne Überraschungen verlief die Wahl von Präsident und Vorstand. Frank Ulrich Montgomery wurde im zweiten Wahlgang mit deutlichem Vorsprung vor seinem Rivalen vom Marburger Bund und Präsidenten der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, gewählt. Montgomery hat schon angedeutet, dass er deutlich politischer als sein Vorgänger auftreten werde, dem er, etwas süffisant, starkes ethisch-moralisches Engagement als Präsident bescheinigte. Es ist fraglich, ob dieses politische Eintreten immer zum Vorteil von Patienten und Versicherten sein wird. Montgomery hat als langjähriges SPD-Mitglied zwar ein rotes Parteibuch, doch ist er nur deshalb nicht gelb oder schwarz, weil diese Farben für den modebewussten Präsidenten nicht zum Outfit passen würden. Inhaltlich dürfte er mit den aktuellen Koalitionsparteien keine Probleme haben.

Arbeitsaufträge an den neuen Vorstand gab es fast keine. Da der Ärztetag zum Schluss unter enormen Zeitdruck geriet, wurden die Anträge zum Rechenschaftsbericht, die eigentlich Arbeitsauftrag für den Vorstand sein sollten, praktisch nicht mehr diskutiert und zum Schluss kollektiv an den Vorstand überwiesen. Darunter auch eian Antrag,, aus medizinischen Gründen sofort aus der Atomenergie auszusteigen. Ein Antrag, der durchaus Aussichten auf erfolgreiche Verabschiedung gehabt hätte.

Kiel – ein neuer Weg der Ärzteschaft?

Wohl kaum. Die alten Kräfte sind gestärkt aus dem Rennen gegangen. Inhaltlich wurden keine umwerfenden Beschlüsse gefasst. Innovative Ideen zu Ärztemangel oder Neuorganisation des Gesundheitswesens wurden nicht entwickelt. Mehr Geld scheint die Lösung aller Probleme zu sein. Positiv aber muss angemerkt werden, dass durch die Ehrung von Prof. Gottstein mit der Paracelsus Medaille jetzt auch die Friedensbewegung in der offiziellen Ärzteschaft hoffähig gemacht wurde.

Dieser Artikel erschien im Rundbrief des vdää (verein demokratischer ärztinnen und ärzte), Ausgabe 2/2011. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


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