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Mehr Kooperation der Gesundheitsberufe

Grüne Denkanstöße zur Lösung der Probleme im Gesundheitswesen


Im Mai ein „Grüner Ärztetag“, nun – im September – ein „Grüner Tag der Gesundheitsberufe“ – die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen beackert eifrig die Dauerbaustelle Gesundheitswesen und überrascht mit neuen Ideen. Das schwarz-gelbe Versorgungsstrukturgesetz ist für den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Fritz Kuhn ein „reines Ärztebeglückungsprogramm“ und gehe die aktuellen Herausforderungen in keiner Weise an.

Rund 200 TeilnehmerInnen waren der Einladung zum „Grünen Tag der Gesundheitsberufe“ in Berlin gefolgt; in sechs Panels präsentierten ExpertInnen ihre Lösungsvorschläge, wie auf die Entwicklungen – steigende Zahl älterer/hochbetagter Patientinnen, Zunahme chronischer Leiden, Über- bzw. Unterversorgung usw. – reagiert werden könnte.

Gesundheitsberufe zwischen Jobwunder und Fachkräftemangel: Der verbreiteten Annahme, dass der Fachkräftebedarf in Deutschland enorm ansteigen werde, widersprach Dr. Bernhard Braun von der Universität Bremen: Zum einen alterten die Menschen heute aufgrund der guten medizinischen Versorgung „gesund“. Höheres Alter führe also nicht automatisch zu Pflegebedürftigkeit. Zum anderen könnten Kapazitäten eingespart werden, indem z.B. Überversorgung abgebaut wird, die durch „Disease Mongering“ – normale Reaktionen des Körpers oder der Psyche werden zu behandlungsbedürftigen Krankheiten hochstilisiert, und zwar just in dem Moment, in dem ein bestimmtes Medikament auf den Markt kommt – entstanden ist.

Von der Berufsschule an die Uni – Wie viel Bildung brauchen die Gesundheitsberufe? Um die Vor- und Nachteile einer Akademisierung von Gesundheitsberufen ging es in diesem Panel. Bessere Versorgungsqualität, internationale Anschlussfähigkeit und das Aufbrechen von Berufsgrenzen sprechen nach Ansicht von Prof. Dr. Thomas Bals (Universität Osnabrück) dafür. Kritiker dagegen fragen sich, ob der hohe Praxisanteil an der Ausbildung in einem Hochschulstudium überhaupt organisierbar sei.

Vom Einzelkämpfer zum Teamworker! Gemeinsam für eine bessere Patientenversorgung: Wie könnte eine kooperative Gesundheitsversorgung aussehen und welche Hemmnisse sind vorhanden? Ein Perspektivenwechsel sei zunächst vonnöten, betonte Prof. Dr. Michael Ewers (Charité Berlin): Das Gesundheitswesen müsse von den NutzerInnen aus gedacht werden und nicht von den Akteuren. Zudem sei das Gesundheitswesen zu „arztzentriert“, ergänzte Prof. Dr. Heidi Höppner (Fachhochschule Kiel). Hemmnisse für eine kooperative Versorgung sieht sie in der Sektoralisierung des Gesundheitswesens, fehlenden Anreizen etwa zur integrierten Versorgung und auch in massiven Unsicherheiten im Haftungsrecht (Wer darf was?).

Wie hält man bis 67 durch? Gute Arbeit braucht gute Arbeitsbedingungen: Zeitdruck, Arbeitsüberlastung, geringer eigener Handlungsspielraum, fehlende Anerkennung sowie einseitige Körperhaltungen und schweres Heben – von diesen psychischen wie physischen Faktoren sind die Gesundheitsberufe heute gekennzeichnet, erläuterte Dr. Nico Dragano (Universität Essen). Der hohe Frauenanteil führe außerdem zur typischen Doppelbelastung. Mit betrieblicher Gesundheitsförderung, systematischem Gesundheitsmanagement und flexiblen Arbeitszeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf könnte gegengesteuert werden.

Praktische Beispiele guter Zusammenarbeit – Versorgung nutzerorientiert gestalten: Beispiele für die Behandlung und Begleitung alter PatientInnen in ihrem Zuhause durch berufsgruppenübergreifende Teams wurden in diesem Panel vorgestellt, so etwa das Palliativnetz Travebogen. Hier arbeiten ÄrztInnen, Pflegekräfte, PhysiotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, HospizhelferInnen und PastorInnen eng zusammen, um den Kranken rundum zu versorgen, von der Schmerzbehandlung über die angemessene Pflege bis zum seelischen Beistand.

Was macht die Gesundheitsberufe stark? Wege zu einem neuen Selbstbewusstsein der Gesundheitsberufe: Andrea Fischer (1998 bis 2001 Bundesgesundheitsministerin „unter“ Kanzler Gerhard Schröder) appellierte an die im Gesundheitswesen Tätigen, sich nicht nur über die mangelhaften Bedingungen zu beklagen, sondern sich aktiv des Themas Versorgung anzunehmen. So plädierte sie für die Errichtung einer Pflegekammer als wichtiges politisches Signal.

Elisabeth Scharfenberg, Grünen-Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik, fasste die Ergebnisse der Tagung zusammen: Zusammenarbeit lohne sich – und zwar für alle Beteiligten. Kooperation schaffe mehr Qualität für die PatientInnen (ganzheitlichere Versorgung), aber auch für die Gesundheitsberufe (befriedigendere, sinnerfüllte Arbeit). Es müsse mehr in die Versorgungsforschung investiert werden, um den Nutzen einer kooperativen Gesundheitsversorgung zweifelsfrei zu belegen und so auch zu entsprechenden Vergütungsstrukturen zu gelangen. Außerdem müsse die Professionalisierung der Gesundheitsberufe vorangetrieben werden. Auch über den gemeinsamen institutionellen Rahmen in Form einer Gesundheitskammer oder eines Gesundheitsparlaments müsse intensiv nachgedacht werden.

Angela Baer

Weitere Informationen: www.gruene-bundestag.de (Themen A-Z, Gesundheit)


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