Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit mit Schwerpunktthema „Psychiatrie und seelische Erkrankungen“ – Minister Bahr mit ablaufender Legislaturperiode zufrieden
In rund 180 Veranstaltungen mit über 600 ReferentInnen werden beim alljährlichen Hauptstadtkongress „Medizin und Gesundheit 2013“ gesundheitspolitische Themen diskutiert. Die Themenpalette reicht von den Auswirkungen des europäischen Fiskalpakts auf das deutsche Gesundheitswesen über die Neuausrichtung der Pflegeversicherung bis hin zur Patientensicherheit in den Kliniken. VertreterInnen aller Gesundheitsberufe kommen miteinander ins Gespräch. Alle wichtigen Menschen müssen hin, weil alle anderen wichtigen Menschen schon da sind. Die Eröffnungsrede hielt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr.
Kongress-Veranstalterin Ingrid Völker wies eingangs darauf hin, dass es neben dem Ärzte-, Klinik- und Pflegekongress es in diesem Jahr zum ersten Mal ein Forum für ApothekerInnen gibt. In Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den KVen wurde für den ersten Kongresstag ein „Tag der Niedergelassenen“ vorbereitet. Im Mittelpunkt der Zentralen Veranstaltung stand die Frage: Wie viel Gesundheit wollen wir uns zukünftig leisten?
Beim Tag der Niedergelassenen konnten sich Ärzte außerdem über Formen ärztlicher Kooperationen, den Einstieg in die Niederlassung oder über Handlungsoptionen bei drohendem Regress informieren. Weitere Themen: Welchen Wert hat meine Praxis? Wann lohnen sich Investitionen in die eigene Praxis? Und: Was müssen Ärzte/Psychotherapeuten dabei beachten?
Das Thema „Psychiatrie und seelische Erkrankungen“ bildete beim Hauptstadtkongress 2013 einen weiteren Schwerpunkt. Der gesamte Themenkomplex wurde in mehreren Veranstaltungen in allen drei Fachkongressen sowie beim „Hauptstadtforum Gesundheitspolitik“ intensiv beleuchtet. Darüber hinaus fand gemeinsam mit der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde) und einigen Ausstellern im Brückenfoyer des ICC (Internationales Congress Centrum Berlin) das „Psychiatrie Forum“ mit eigenen inhaltlichen Angeboten und Präsentationen statt.
Eine weitere Neuheit bei diesjährigem Hauptstadtkongress ist, so Ingrid Völker in ihrem Einführungsreferat, dass die TeilnehmerInnen zu wichtigen Fragen in der Gesundheitspolitik abstimmen sollen (TED-System). Der Hauptstadtkongress fand übrigens zum letzten Mal im ICC statt, das ab dem nächsten Jahr grundlegend saniert wird. Das „City Tube Berlin“, die neue Kongressstätte, feierte bereits Richtfest, so dass davon auszugehen ist, dass das Gebäude rechtzeitig fertiggestellt sein wird und dass – hier ist Berlin auch immer für eine Überraschung gut – sich die Kosten sehr wahrscheinlich im vorgegebenen Rahmen halten werden.
Daniel Bahr zog in seiner Eröffnungsrede eine positive Bilanz der Gesundheitspolitik der zu Ende gehenden Legislaturperiode. Er skizzierte den Gesundheitssektor als bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Deutschland mit 4,9 Millionen MitarbeiterInnen und als „Beschäftigungsmotor“ und er erläuterte die noch anstehenden Aufgaben, die er vor der Bundestagswahl noch zu erledigen habe: Die Neuregelungen zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen, das Präventionsgesetz, das Notfallsanitätergesetz, das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung und das Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz. Erst danach, so Bahr, komme für ihn der Wahlkampf. Trotz der Überschüsse in der GKV warnte er vor zu vielen Versprechungen im Gesundheitswesen, die am Ende nicht eingehalten werden können.
Bahr betont, dass die Deutschen zufrieden seien mit ihrem Gesundheitswesen; dies sei den Leistungserbringern im Gesundheitswesen zu verdanken und nicht der Politik. Das Gesundheitswesen in Deutschland ist wohnortnah, jeder, unabhängig von seinem Alter und seinem Einkommen, hat Zugang zu den für ihn notwendigen Leistungen. Bei der Übernahme des Bundesgesundheitsministeriums durch einen FDPler vermuteten wohl einige, dass „man nur noch mit der Kreditkarte zum Arzt gehen kann“, scherzte Bahr. Tatsache sei aber, dass keine einzige Leistung aus dem Leistungskatalog gestrichen worden sei. Im Gegenteil: Die Leistungen hätten sich verbessert. Das Defizit und die Krise wurden überwunden und die gesetzliche Krankenversicherung hat zusammen mit dem Gesundheitsfonds eine Reserve von über 28 Milliarden Euro gebildet. Dies wurde, so Bahr weiter, möglich unter anderem durch einen rigiden Sparkurs für die Arzneimittelversorgung - durch erhöhte Rabatte, insbesondere für die forschenden Arzneimittelhersteller. Weitere Einsparungen wurden mit Rabattverträgen im Generika-Sektor erzielt. Jeder zweite Euro, den die Krankenkassen zwischen 2010 und 2012 als Überschuss verbuchen konnten, stammt aus Einsparungen in der Arzneimittelversorgung. Auch dies sei eine Bilanz, die man gerade nicht bei der gelb-schwarzen Koalition vermutet hätte, resümierte Bahr.
Als Kernelemente des Gesundheitswesens nannte Bahr regionale Verantwortung, Leistungsgerechtigkeit und Wahlfreiheit. Er bezeichnet sich als ein Anhänger der Selbstverwaltung, obwohl er sich manchmal ein schnelleres Tempo von der Selbstverwaltung wünsche und eine schnellere Einigung, ohne eine Schiedsstellenentscheidung zu benötigen. Wenn diese denn allerdings gefordert ist, so habe die Selbstverwaltung sie dann auch zu akzeptieren. Den Krankenkassen empfahl er, die Integrierte Versorgung besser zu nutzen und die Sektorengrenzen zu überwinden. Eine künftige Aufgabe ist es laut Bahr, ein Modell zu entwickeln, in dem bessere Qualität und bessere Leistung auch besser honoriert werden. Hierfür sind aber angemessene Qualitätsindikatoren zu entwickeln - eine Herausforderung der nächsten Jahre. Bahr wünscht sich eine „Kultur des Vertrauens“ und nicht eine „Kultur der Kontrolle“, die dem Selbstzweck dient.
In Bezug auf die Pflege möchte der Minister, ähnlich wie bereits für Mediziner und Ingenieure 2011, die Grenzen öffnen und Zuwanderung ermöglichen. Was die Ausbildung anbelangt, soll es erst eine grundständige Ausbildung und dann Spezialisierungen für die einzelnen Pflegebereiche geben. Er verwies auf die Empfehlungen des Expertenbeirates zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, die kurz vor der Veröffentlichung stünden.
Bei den Kliniken hält Bahr nach wie vor das „Selektive Kontrahieren“ für den richtigen Weg im Qualitätswettbewerb. Konkret regte er an, Kassenpatienten von der Zuzahlung zu befreien, wenn sie in die Klinik gingen, die von ihrer Krankenkasse empfohlen wurde. Allerding war Bahr mit diesem Vorschlag bereits auf Widerstand in der Koalition gestoßen.
Die anschließende Podiumsdiskussion mit den GesundheitspolitikerInnen Birgitt Bender (Gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen), Karl W. Lauterbach (Gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion) und Jens Spahn (Gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion) fiel einer Sitzung des Gesundheitsausschusses zum Opfer. Kongresspräsident Ulf Fink bewies Organisationstalent und bat kurz entschlossen Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, den ehemaligen „Wirtschaftsweisen“ Prof. Bert Rürup und den als Vertreter von Lauterbach gekommenen SPD-Politiker Dr. Edgar Franke auf das Podium. Themen waren „Wird zu viel in Deutschland operiert?“ und „Bürgerversicherung versus Kopfpauschale“.
Montgomery reagierte auf die Frage, ob in Deutschland zu viel operiert würde, mit der Gegenfrage, ob in den anderen Ländern vielleicht zu wenig operiert würde, weil es so lange Wartezeiten gäbe. Rürup sah die Problematik in der dualen Finanzierung. Sobald sich die Länder aus der Investitionsfinanzierung zurückziehen, komme es in den Kliniken zu Not-Reaktionen: Durch die Fallpauschalen seien die Kliniken gezwungen, Diagnosen zu produzieren. Franke plädierte für eine Weiterentwicklung des DRG-Systems und von Qualitätsindikatoren, damit die Kliniken nicht für komplizierte und moderne Operationen benachteiligt werden.
Auseinander lagen die Diskutanten auch bei ihren Vorstellungen zur künftigen Finanzierung des Gesundheitswesens. Das von Montgomery bereits auf dem Ärztetag in Hannover vorgestellte Kopfpauschalen-Modell konterte Franke mit den Worten „Eine Kopfpauschale, in der die Praxishelferin so viel bezahlen muss wie der Chef, sei in Deutschland nicht vermittelbar. Sie haben ein totes Pferd geritten. Dieses Pferd ist von Frau Merkel schon erschossen worden.“ Rürup warnte vor der Bürgerversicherung als Projektionsfläche für nicht erfüllbare Erwartungen an das Gesundheitssystem. „Reiche werden sich immer und überall eine bessere Medizin kaufen“. Er halte die PKV auch nicht für ein so tolles Modell, aber gleichzeitig stelle sich die Frage, ob das Konzept der Kapitaldeckung noch zukunftsfähig sei, so Rürup.
Das Publikum durfte dann auch noch eine TED-Abstimmung vornehmen zu der Frage: „In welchen Bereichen sehen sie aktuell den Reformbedarf im deutschen Gesundheitswesen?“
1. Finanzierung 33,47 %
2. Pflege 28,77 %
3. Gesundheitsversorgung und Qualität 23,1 %
4. Prävention 14,66 %
Waltraud Deubert