Die seit Jahren überfällige Reform des Psychotherapeutengesetzes soll nun, so kündigten Gesundheitsminister Bahr und auch Mitarbeiter/innen des Ministeriums wiederholt an, endlich erfolgen. Gleich nach der Bundestagswahl. Dabei gibt es Hinweise darauf, dass im Ministerium – auch wenn die Kammern und Verbände es nicht so unterstützen – eine Reform vorbereitet wird, die auf eine fundamentale Neufassung der Psychotherapeutenausbildung hinausläuft, nämlich die sogenannte Direktausbildung. Darunter versteht man zumeist ein grundständiges Psychotherapiestudium, welches dann, ggf. nach anschließender mehrjähriger Weiterbildungsphase zu einer Approbation (Zulassung zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde) führen kann. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen in der psychotherapeutischen Versorgung, werden nachfolgend einige Überlegungen angestellt, wie eine zukünftige Psychotherapieaus- oder -weiterbildung ausgestaltet werden kann.
Die Konzeption der Psychotherapieausbildung des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) entspricht weitgehend den Zulassungsvoraussetzungen für „Delegationspsychologen“ der KBV-Vereinbarungen in der damaligen Form, die ursprünglich eigentlich auf die psychoanalytischen Ausbildungsinstitute zugeschnitten war. Die psychoanalytische Ausbildung war von Anbeginn an eine außeruniversitäre Ausbildung. Das KBV-Modell war eine Vereinbarung, die den Reformbestrebungen an den psychologischen Instituten der Universitäten entgegenstand. Das PsychThG hat letztlich diese Struktur, wie sie von analytischen Instituten geschaffen worden war, für das Gesetz übernommen.
Reformansätze, die von Verhaltenstherapeuten an Hochschulen und in Fortbildungsarbeitskreisen vorgelegt waren, wurden beim PsychThG im Wesentlichen nicht einbezogen.
15 Jahre nach Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes (Juni 1998) zeigt sich, dass die mit dem PsychThG geregelte Ausbildung einige Systemfehler hat bzw. Probleme mit sich brachte:
Der Artikel von Eva Jaeggi im Psychotherapeutenjournal 4/2012 und ein mündlicher Beitrag von Professor Schulte bei der Kammerversammlung in NRW im Dezember 2012 haben mich dazu angeregt, die Psychotherapieausbildung in Bezug auf ihre wissenschaftlichen Grundlagen bzw. ihre wissenschaftliche Orientierung näher zu betrachten.
Die Psychotherapie, wie wir sie heute praktizieren, basiert auf Erkenntnissen sehr unterschiedlicher wissenschaftlicher Vorgehensweisen und unterschiedlicher Fächer. Daraus sind verschiedene Verfahren entstanden. Alle versuchen „das Psychische“ auf Grund ihrer jeweiligen Modelle zu erklären und Wege zur Gesundung zu beschreiben. Psychotherapeuten handeln auf Grund dieser Modelle, ihr Vorgehen ist somit wissenschaftlich fundiert. Sie handeln dazu noch in jedem Einzelfall wissenschaftlich, indem sie ihr wissenschaftliches Vorgehen auf Fallanalyse und Fallverstehen anwenden. Es reicht nicht aus, Psychotherapeuten ein noch so gutes Handwerkszeug von Manualen oder Methoden zu geben. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten müssen an jeden Einzelfall wissenschaftlich begründet herangehen, sich nachvollziehbar klar machen, wie sie die Erkrankung verstehen und welches die besten Mittel zu ihrer Behandlung sind. Verfügen sie selbst nicht über diese Mittel, so haben sie für eine entsprechende Weitervermittlung zu sorgen oder sich diese Mittel anzueignen. Dieser Beruf hat deshalb die gesamte Bandbreite psychotherapeutischen Handelns und deren Entwicklung im Blick zu halten. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sollten in der Lage sein, sich auf dem jeweiligen Forschungsstand zu halten, die Ergebnisse zu bewerten und deren Umsetzung in der eigenen Praxis zu hinterfragen. Nur so ist sichergestellt, dass den Patienten die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Gute kommen.
Die wissenschaftliche Basis der Psychotherapie findet sich u.a. in der Psychologie, in der Medizin, der Anthropologie, der (Sozial-)Pädagogik und der Gesundheitsforschung. Diese Fächer möchte ich cum grano salis unter dem Begriff Psychotherapiewissenschaften zusammenfassen.
Die Ausübung von Psychotherapie sollte in engem Bezug zu den Psychotherapiewissenschaften stattfinden. Psychotherapeutisches Handeln ist einerseits wissenschaftlich fundiert und kann andererseits selbst als wissenschaftliches Handeln interpretiert werden. Deshalb sollten Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote viel stärker als bisher auf die Psychotherapiewissenschaften bezogen sein.
Bei einer Neugestaltung der Ausbildung zum Psychotherapeuten könnte bzw. sollte der direkte Bezug zu den Psychotherapiewissenschaften die Verfahrensabhängigkeit weitgehend ersetzen. Es fragt sich, ob und wie z.B. eine Direktausbildung dem gerecht werden kann. Die Ausgestaltung einer Direktausbildung bietet neben Risiken für die Qualität der Ausbildung sicher auch erhebliche Möglichkeiten für deren Neustrukturierung bzw. -konzipierung. Es reicht dementsprechend nicht aus, das Psychologiestudium zur Psychotherapeutenausbildung umzudefinieren. Erforderlich wäre ein regelrechtes Psychotherapiestudium, das auch Psychotherapieforschung bündelt. Aber auch die darauf aufbauenden Weiterbildungen bräuchten einen Bezug zur Wissenschaft.
Würde man die Psychotherapieausbildung in die Universitäten verlegen, wäre der Bezug zur Wissenschaft zwar theoretisch gesichert. Dies erscheint aber unrealistisch und entspricht nicht den Erfordernissen einer Ausbildung in und mit der Versorgung von Patienten. Bisher werden psychiatrische Kliniken für bestimmte Bausteine der klinischen Ausbildung („praktische Tätigkeit“) herangezogen. Da diese Kliniken aber nicht unter dem Primat von Psychotherapie stehen, sondern psychiatrisch dominiert sind, ist deren Nutzung für die Psychotherapieausbildung fragwürdig. Psychotherapeutisch geführte stationäre Versorgungseinrichtungen stehen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung.
Demgegenüber bietet sich folgendes Ausbildungsmodell an:
In der ärztlichen Weiterbildung nach Studium, Staatsexamen und Approbation übernehmen Kliniken mit Weiterbildungsbefugnis diese Funktion. Die Facharztweiterbildung ist ins System der Gesundheitsversorgung integriert und hat hierin ihre Finanzierungsgrundlage. Beim Aufbau der Psychotherapieausbildung wurde demgegenüber auf eigenständige Institute zurückgegriffen, die den Ausbildungsteil „Praktische Tätigkeit“ an eine psychiatrische Klinik delegieren sollen - dieses Konzept entsprach, wie erwähnt, dem früheren KBV-PT-Richtlinienmodell. Mittlerweile hat sich aber die Versorgungslandschaft so verändert, dass man andere Ausbildungsstrukturen anbieten könnte. Die Ausbildungsambulanzen stellen mittlerweile einen wichtigen regionalen Versorgungsbereich sicher. Sie ermöglichen den an der Ausbildung Teilnehmenden die praktische Ausbildung zu Lasten der GKV zu durchlaufen. Verträge zur integrierten Versorgung ließen sich auch gut zu Zwecken der praktischen Ausbildung nutzen. Daneben besteht eine Vielzahl von Institutionen, in denen Psychotherapeuten an maßgeblichen oder leitenden Stellen sitzen, sodass die entsprechenden Teile der Psychotherapie-Weiter/Ausbildung dort angedockt werden könnten. Die Psychotherapie ist auf die Hilfe durch die Psychiatrie nicht mehr angewiesen. Die derzeitigen Ausbildungsambulanzen der Institute ließen sich nach diesem Modell ausbauen zu Einrichtungen integrierter regionaler Versorgung. Sie könnten Forschungsaufgaben übernehmen und eng mit Universitäten/Hochschulen und Institutionen in der Region zusammenarbeiten, die im Bereich der Psychotherapie tätig sind. Der Schwerpunkt einer solchen Aus-/Weiterbildungseinrichtung ist nicht nur Aus- bzw. Weiterbildung sondern auch Versorgung und Forschung/Wissenschaft. Darin eingebettet findet die Fachausbildung in Psychotherapie statt.
Das hier angedachte, quasi zweistufige Modell der Psychotherapieaus-/-weiterbildung könnte auch eine realistische Perspektive für die neuropsychologische Spezialisierung bieten. Hier wäre die neuropsychologische Weiterbildung richtig verortet, parallel zu Ausbildung in Verfahren. Dies wäre möglich, wenn ein Psychotherapiestudium zu einem ersten Staatsexamen mit begrenzter Heilkundeberechtigung führen würde.
Dies spricht dafür, dass neben einem Verfahrensbezug auch Neuropsychologie eine Spezialisierung im zweiten Ausbildungsabschnitt darstellen kann. Auch eine Zentrierung auf Kindheit und Jugend oder Erwachsenenalter wäre dabei denkbar.
Die ca. 200 Psychotherapieausbildungsinstitute bundesweit haben zumeist erhebliche Erfahrung in der klinischen Ausbildung und auch mehr oder weniger enge Verknüpfung mit den Psychotherapiewissenschaften bzw. den Hochschulen/Universitäten. Auf dieser Grundlage könnte eine strukturiertere Zusammenarbeit in einer neuen Form der Psychotherapieaus-/weiterbildung entwickelt werden, die an die Weiterentwicklungen der psychotherapeutischen Versorgung in den letzten fünfzehn Jahren sowie an die aktuellen Bedarfslagen anknüpft und vorhandene Kapazitäten und Erfahrungen sinnvoll nutzt. Das Modell ist hier nur in Ansätzen beschrieben und muss in vielen Punkten noch weiter ausgearbeitet und auf Umsetzbarkeit geprüft werden. Es bietet aber möglicherweise auch einen konzeptionellen Rahmen, um eine neue Ausbildungsstruktur entsprechend dem sog. „Gleiniger-Modell“ zu realisieren.
Werden die Ausbildungsinstitute als wissenschaftliche Versorgungseinrichtungen definiert, ermöglicht dies eine ganz neue Perspektive für die Ausbildungsdebatte. Das Modell bietet den Ausbildungsteilnehmern einen finanzierten Status als angestellte Psychotherapieassistenten. Die Psychotherapieausbildung wird unabhängig von der Psychiatrie. Die regionale Versorgung wird verbessert. Der Beruf des Psychotherapeuten wird als wissenschaftlicher Heilberuf qualifiziert, der sich eigene Versorgungsstrukturen schafft.
Johannes Broil, Köln
Der Autor ist Landessprecher von DGVT & DGVT-BV in Nordrhein-Westfalen, Mitglied der dortigen Landespsychotherapeutenkammer sowie Mitglied des Ethikbeirats von DGVT & DGVT-BV.