In einem Beitrag von Herrn Gleiniger wird ein Modell der „Dualen Direktausbildung“ vorgestellt. Dieses begründet sich großteils mit einer Kritik an einem Modell der „Basalen Direktausbildung“, wie es z.T. von der DGPs vertreten wird. Während die Kritik z.B. am DGPs-Modell an verschiedenen Stellen wenig stichhaltig ist, verdient das Alternativmodell trotzdem, sich mit ihm intensiv zu beschäftigen und seine Vor- und Nachteile abzuwägen.
Kritik von Herrn Gleiniger am DGPs-Modell
Die Kritik von Herrn Gleiniger am DGPs-Modell ist deshalb über weite Strecken unbegründet, da er zuerst selbst Inhalte eines Direktstudiums festlegt, die abweichen von dem, was die DGPs vorschlägt, um dann seine persönlichen Ausgestaltungen als nicht umsetzbar zu entlarven. So ist z.B. die Vorverlagerung des Psychiatriejahres in das Studium kein Vorschlag der DGPs, während Herr Gleiniger dies so darstellt, um dann zu kritisieren, dass damit kein Vergütungsanspruch besteht (was wir genauso sehen und deshalb nicht befürworten). Auch führt er auf, dass im Kontext einer Weiterbildung kein Vergütungsanspruch bestehen würde, der durch den Bund geregelt wäre; dies ist richtig, da der Vergütungsanspruch dann durch das Land geregelt ist sowie durch die Tarifvereinbarungen. Auch geht der Autor nicht darauf ein, dass für die Finanzierung von angehenden Psychotherapeutenstellen im Rahmen der neuen Krankenhaus-Finanzierungspläne (PEP-Vergütungssystem Psychiatrie und Psychosomatik; DRG-Systeme) eine Weiterbildungstätigkeit notwendig ist („Assistenz-Psychotherapeutenstellen), während die aktuellen PiA-Ausbildungsstellen nicht berücksichtigt werden können, da es Ausbildungsstellen sind. Damit haben die Kliniken keine direkten Finanzierungsmöglichkeiten für diese Personengruppe. Schließlich und endlich geht er von einem Flaschenhals von Bachelor auf Master in der Psychologie aus, der laut neuesten Erhebungen nicht existiert. Im Gegenteil: z.Z. werden deutlich mehr Nachwuchs-Psychotherapeuten ausgebildet, als für die Versorgung benötigt werden. Allerdings soll der Schwerpunkt dieses Kommentars weniger auf der Kritik an der Kritik von Herrn Gleiniger liegen, sondern auf der Diskussion des von ihm vorgestellten Modells.
Einige Gedanken zum Modell von Herrn Gleiniger
Das Modell von 2 Staatsexamina ähnlich wie bei der Rechtswissenschaft hat einige offensichtliche Vorteile. Nach einem ersten Staatsexamen (z.B. nach einem Psychologie-nahen Studiengang) wird ein Praxisteil durchgeführt und begleitend dazu die Verfahrens- und altersspezifische Vertiefung, um danach den zweiten Ausbildungsteil mit dem zweiten Staatsexamen abzuschließen. Damit wird und bleibt auch der zweite Ausbildungsteil innerhalb der Regelungshoheit des Bundes und nicht der Landespsychotherapeutenkammern/ Landesregelungen. Eine entsprechend hohe Qualität und Einheitlichkeit der eigentlichen Psychotherapieweiterbildung bleibt damit wie bisher gewährleistet, kann staatlicherseits eingefordert werden und unterscheidet sich nicht von Land zu Land. Mit diesem 2. Ausbildungsteil kann ein Referendariat-Gehalt vereinbart werden, das bisher laut Gesetzgebung „eine angemessene Vergütung“ (was immer das sein mag) beinhaltet.
Durch diese Regelung wird auch der Druck zur Vorverlagerung des bisherigen „Psychiatriejahres“ z.B. in das Psychologie-Studium hinfällig, da der Praxisanteil in der zweiten Ausbildungsphase nach dem ersten Staatsexamen absolviert wird (trotzdem sollte so oder so die Sinnhaftigkeit eines Psychiatriejahres diskutiert werden, wie auch die von Herrn Gleiniger zitierte Stellungnahme der Bundesregierung deutlich macht, die in keinster Weise eine einjährige Zeitspanne rechtfertigt). Das duale Direktausbildungsmodell könnte zusätzlich die Chance mit sich bringen, den zweiten Ausbildungsteil auf 2 Jahre zu verkürzen, wie dies bei solchen 2-Staatsexamensstudiengängen üblich ist (bei Rechtswissenschaft: 2 Jahre; bei Lehrern: 21 Monate). Außerdem wäre ggf. die Modifikation des § 117 SGB V leichter zu regeln, jedoch auch hierbei ist genauso eine Revision notwendig wie beim echten Direktausbildungsmodell. Die apodiktische Aussage von Herrn Gleiniger, dass dies bei letzterem nicht möglich sei, wird durch aktuelle juristische Expertisen ziemlich relativiert, die bereits Formulierungsvorschläge unterbreiten (s. RA Gerlach; unter Aktuelles auf unith.de); diesbezüglich scheinen auch die Entwicklung aus der Medizin bzgl. Facharztweiterbildung in ambulanten Einrichtungen in die gleiche Richtung zu gehen wie die Vorschläge eines echten Direktstudiums (s. Beschluss des Ärztetages 06/2013).
Ein gewisser Vorteil des dualen Direktausbildungsmodells kann auch sein, dass für den notwendigen wissenschaftlichen Nachwuchs die 2jährige zweite Ausbildungsphase ggf. leichter mit einer wissenschaftlichen Laufbahn kombinierbar ist (insbesondere wenn viele Praxisteile im Rahmen der Hochschul-Ambulanzen absolviert werden können), als z.B. eine aufwändige 3-5jährige Weiterbildung.
Neben diesen Chancen und z.T. auch eindeutigen Vorteilen des dualen Direktausbildungsmodells bleiben jedoch viele Fragen offen und manche Kritik bestehen. Eindeutig ist, dass damit der Unterschied der Approbationsbegriffe zwischen den Psychotherapeuten und der ärztlichen Ausbildung bestehen bleibt. Während der angehende Assistenzarzt im Bereich Psychotherapeutische Medizin oder Psychiatrie und Psychotherapie ab dem ersten Tag seiner Facharztweiterbildung selbstständig behandeln darf, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen etc. ausfüllen kann (obwohl er oder sie bisher für die psychotherapeutische Tätigkeit sowie für den Umgang mit psychisch Kranken kaum ausgebildet ist), kann angehenden Psychotherapeuten auch in der zweiten Ausbildungsphase diese Kompetenz noch nicht zugebilligt werden, trotz deutlich besserer und spezifischerer Vorbildung für diese Aufgaben. Auch weitere Aspekte der Kompetenzausweitung und der Erfüllung der Ausbildungsziele für alle Facetten des Berufsbildes bis hin zur Übernahme von Leitungsfunktionen sind für das duale Direktausbildungsmodell zu prüfen.
Das vorgeschlagene duale Modell sieht keine Kompatibilität mit Bachelor-Master-Studiengängen vor, sondern geht von einem eigenen Studium der Psychotherapiewissenschaften aus. Wenn ein solches Studium jedoch mit den bestehenden Bachelor-Master-Strukturen nicht kompatibel ist, wären alle diese Studienplätze neu zu schaffen. Um z.B. jedes Jahr 2.000 approbierten Psychotherapeuten einen Abschluss zu ermöglichen, müssen bei einem 5jährigen Studium 12-15.000 Studienplätze geschaffen werden, die finanziert werden wollen. In einer Überschlagsrechnung sind hierfür schnell über 80-100 Mio. EUR pro Jahr zu veranschlagen, und die Kultus-und Wissenschaftsseite hat bereits verkündet, dass nicht mit größeren neuen Mittelzuweisungen gerechnet werden kann. Die akademische Psychologie wird sich vehement wehren, wenn die universitären Psychologie-Studiengänge substantiell reduziert werden sollten, um ein solches neues Studium zu ermöglichen. Auch hat die Kultus-Seite der Länder bereits eindeutig signalisiert, dass sie ein reines Staatsexamen-Studium für antiquiert halten und auf eine Berücksichtigung der neuen Studienabschlüsse beharre. Diese Vorgaben sind in dem Vorschlag des dualen Direktstudium-Modells nicht integriert.
Für die 2. Ausbildungsphase („Referendariat“) sieht das duale Direktausbildungsmodell vor, dass dies entweder großteils in den Ausbildungs-Ambulanzen, jedoch auch in stationären Einrichtungen erfolgen kann und soll. Es stellt sich die Frage, wie diese finanziert werden sollen. Eine echte Finanzierung über die Krankenhäuser ist nur möglich, wenn diese die Stellen für Psychotherapeuten in Aus- und Weiterbildung in ihre Krankenhausfinanzierungspläne einrechnen können. Dies ist bei reinen Ausbildungsstellen im Gegensatz zu Weiterbildungsplätzen bisher nicht möglich. Für das duale Modell wäre deshalb zu prüfen, ob es irgendeinen Weg gibt, aufbauend auf ein erstes Staatsexamen solche Stellen auch in die Krankenhausfinanzierungspläne einbringen zu können. Für das basale Direktstudiumsmodell ist demgegenüber die Gleichstellung entsprechend der Assistenzarzt-Stellen und damit die Berücksichtigung in den Krankenhausfinanzierungsregelungen einfach zu regeln.
Auch muss selbstverständlich Klarheit geschaffen werden, was denn hier „angemessene Vergütung“ überhaupt heißen soll. Bei der Rechtswissenschaft bedeutet es 800-950 EUR/Monat (siehe www.juraforum.de/juraexamen/rechtsreferendariat/gehalt), bei den Lehramts-Referendaren bis zu 1100,-- EUR pro Monat. Wenn diese Gehaltsstufe für 2-3 Jahre Referendariat festgeschrieben ist, sind schnell viele jetzige PiAs besser dran, wenn sie im Psychiatrie-Jahr kein Gehalt bekommen, danach aber auf bezahlten Stellen deutlich mehr Einkommen als solche Referendare haben. Ein finanzieller Missstand würde durch einen anderen finanziellen Missstand ersetzt.
Schließlich muss auch noch darauf hingewiesen werden, dass einige Versorgungsprobleme durch das duale Direktstudiumsmodell nicht gelöst werden, die im Rahmen eines echten Direktstudiums jedoch gelöst werden könnten. Dies betrifft zuvorderst die Klinische Neuropsychologie und damit die Versorgung von Patienten nach erworbenen Hirnschädigungen. Zwar wurde für diese Gruppe eine exklusive Weiterbildungsregelung erreicht, die jedoch als Nebeneffekt mit sich brachte, dass die Gesamt-Aus- und Weiterbildungszeit so lang ist, dass kaum mehr jemand eine spezifische Weiterbildung in Klinischer Neuropsychologie abschließt und die Patienten noch weniger versorgt werden, als dies bereits defizitär in der Vergangenheit der Fall war. Hier und an anderen Beispielen muss die Profession überlegen, wie sie durch neue Aus- und Weiterbildungsmodelle mit regulieren möchte, dass bestehende Versorgungsnotstände (z.B. bei Patienten mit Psychosen, mit erworbenen Hirnschädigungen, Patienten mit psychischen Problemkonstellationen im Kontext körperlicher Erkrankungen) reduziert werden können.
Momentan schließen über 2.000 Personen pro Jahr mit der Psychotherapie-Approbation ab (IMPP 2012), mit weiterhin steigender Tendenz, wobei nur ca. 1200-1500 Neuapprobierte zur ausreichenden Nachwuchssicherung notwendig wären. Für alle Vorschläge zur Neuregulierung des PsychThGs sind deshalb Schätzungen vorzunehmen, wie die zu erwartende Anzahl Neuapprobierter in einem sinnvollen Verhältnis zum Bedarf stehen kann. Unterversorgung ist inakzeptabel, aber der Profession ist auch nicht damit gedient, wenn 8-10.000 Neuapprobierte jedes Jahr hinzukommen. Diese Zahl wird bei liberalen Regelungen jedoch schnell erreicht werden, insbesondere wenn alle Personen, die Interesse haben, für ein Psychotherapie-Studium zugelassen werden, und auch alle Hochschul- und Universitätsstudiengänge, die Interesse angemeldet haben, dafür zugelassen werden (s. Gesamtinteresse an Psychologie-Studienplätzen; Aufnahmezahlen der FU Hagen; u.a.). Auch hier müssen deshalb Präzisierungen (bei allen vorliegenden Modellen) vorgenommen werden.
Zusammenfassung:
Weder das Modell einer „dualen Direktausbildung“ noch ein irgendwie geartetes Modell eines „echten Direktstudiums“ lösen für sich genommen automatisch alle anstehenden Probleme und Herausforderungen. In beiden Fällen muss offensiv an verschiedensten Stellen nach reguliert werden (bis hin zu Veränderungen des SGB V, die bei beiden Modellen notwendig sind), es sind Zusatzspezifikationen vorzunehmen etc. Deshalb ist ein Schwarz-Weiß-Malen unangebracht, dass eines der beiden Modelle alle Probleme löst, während das andere verwerflich ist. Es geht vielmehr um die Frage, welches Modell einen guten Startpunkt für eine Durchregulierung zur Verbesserung der Gesamtsituation ermöglicht. Das DGPs-Modell des „echten Direktstudiums“ ermöglicht sicherlich die eindeutigeren und radikaleren Lösungen, die mit einer Gleichstellung des Psychotherapeuten-Berufs mit dem Arzt-Beruf mit Facharzt-Weiterbildung, Status als Assistenzpsychotherapeut, Kompetenzerweiterung etc. einhergehen. Andererseits ist die Festlegung der Qualitätsstandards für den zweiten Ausbildungsabschnitt im dualen Direktstudiumsmodell ein durchaus ernst zu nehmender Pluspunkt.
Alle zu lösenden Probleme, alle Vor-und Nachteile bei der Durchregulierung sollten in gemeinsamen Gesprächen aufgegriffen und diskutiert werden. Ziel muss ein langfristig stabiles Aus- und Weiterbildungsmodell sein, an dem nicht in einigen Jahren die nächsten Nachregulierungen notwendig werden, das gleichzeitig bestehende positive Erfahrungen und Strukturen zu nutzen und zu erhalten weiß.
Bei allen Modellen kommt den Hochschullehrerinnen und -lehrer eine Hauptaufgabe bei der Ausbildung zu, sei es im zuführenden Studium oder im Direktstudium. Um die Vorteile eines Direktstudiums in der Form eines dualen Modells (wie von Gleiniger dargestellt) und die eines echten Direktstudiumsmodells der DGPs abzuwägen und möglicherweise in Einklang zu bringen, werden irgendwann konkretere Gespräche z.B. des dgvt-Vorstands mit den Hochschul-Vertretern notwendig werden. Die DGPs-Vertreter warten mit Offenheit und Interesse darauf.
Prof. Dr. Winfried Rief
Leiter der Psychotherapie-Ambulanz Marburg, Philipps-Universität Marburg