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Ein Organisationsstatus wie ein Kegelverein - Kommentar des vdää-Vorsitzenden zum 116. Deutschen Ärztetag


Man muss es sich immer wieder klar machen: Die Bundesärztekammer (BÄK) ist eine Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern, sie hat keinen öffentlich-rechtlichen Status, sie hat letztlich den Organisationsstatus eines Kegelvereins. Und der Deutsche Ärztetag ist die Versammlung der gewählten Landesfunktionäre. Der Ablauf eines Ärztetages steht in diametralem Gegensatz zu dieser organisatorischen Bedeutungslosigkeit. Minister und Oberbürgermeister reden, Altfunktionäre bekommen Orden verliehen und die Nationalhymne wird gesungen. Es ist wie das Singen im Wald: Der Ärztetag will sich aus seiner Bedeutungslosigkeit heraussingen und feiern. Und das gelingt ihm - leider - hervorragend. Der Präsident präsidiert mit seinen Assistenten über seinen 17 Landesfürsten auf der imposanten Bühne und bestimmt das Geschehen.

Leider passen, auch in diesem Jahr wieder, die Inhalte der Diskussionen nicht zu diesem pompösen Rahmen. Das beginnt schon mit dem TOP I „Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik“. Hier legte der Vorstand der BÄK ein krudes Papier vor, das schon im Vorfeld der Presse als Meinung der deutschen Ärzteschaft zur Reform der Krankenversicherung vorgelegt wurde. In diesem Papier wird die Einführung einer von allen politischen Parteien zwischenzeitlich schon ad acta gelegten Kopfpauschale sowie der Erhalt bzw. der Ausbau der privaten Krankenversicherung gefordert. Völlig unklar bleibt, ob es eine Versicherungspflichtgrenze geben soll oder ob die PKV jeden unabhängig vom Einkommen versichern kann. Anfang des Jahres wurde die Abschaffung der Praxisgebühr gefeiert, jetzt wird wieder mehr Selbstbeteiligung der Patienten verlangt. Das Modell einer kapitalgedeckten Versicherung wird als zukunftsträchtig gepriesen, die enorm steigenden Tarife in der PKV spielen keine Rolle – dass die umlagefinanzierte GKV ein ganz solides Finanzpolster angespart hat, ebenso wenig.

Natürlich kann man über die Probleme einer gerechten und solidarischen Krankenversicherung trefflich diskutieren. Doch war das Niveau der Diskussion auf diesem Ärztetag erschreckend. Der Antrag des Vorstandes wurde angenommen, doch stimmten etwa ein Drittel der Delegierten dagegen. Der vdää-Antrag auf Rücküberweisung an den Vorstand wurde abgelehnt. Das verabschiedete Konzept ist peinlich, aber nicht tragisch, denn politisch ernst genommen werden diese Vorstellungen von keiner Partei; selbst von der FDP nicht, mit deren Gesundheitsminister der Ärztetag einen engen Schulterschluss übte.

So richtig in Fahrt gekommen, wurde dann auch gleich noch die Bürgerversicherung (welche?) in Bausch und Bogen als „“Einheitsversicherung“ abgelehnt. Als wäre die GKV, die 90 Prozent der Bevölkerung versichert, nicht auch eine Einheitsversicherung, und auch die PKV wird durch den Rahmen der GOÄ einheitlich bestimmt. Aber solche Feinheiten zählen nicht auf einem Ärztetag. Als medizinethischen Kontrapunkt zu diesem unsozialen Sammelsurium durfte dann Prof. Dr. Giovanni Maio, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg einen Vortrag über „Wie viel Markt verträgt die Medizin?“ halten. Aus konservativ ethischer Sicht wurde hier die Stärkung der ärztlichen Zuwendung der ökonomischen Logik des kommerzgesteuerten Gesundheitswesens gegenübergestellt. Doch dieser Appell wurde schnell vergessen, als es später in der Diskussion dann wieder um Geld und Bezahlung ging.

Aufgeblasen: Unter TOP V “Deutscher Ärztetag“ wurde ein Antrag des vorigen Ärztetages behandelt. Ganz simpel: Es war beantragt worden, in die Geschäftsordnung die Möglichkeit des Antrages auf “Schluss der Rednerliste“ neben “Schluss der Debatte“ aufzunehmen. Jeder Turnverein kennt diese Regelung, man muss kein Aufheben davon machen. Der Ärztetag aber kann! Ein eigener Tagesordnungspunkt mit langem Vortrag der Justiziarin über Für und Wider einer solchen Änderung. Als würde hier nicht eine einfache Abstimmung reichen.

Der Höhepunkt der Absurditäten wurde im TOP IV “Musterweiterbildungsordnung“ (MWBO) erreicht. Der Ärztetag kann nur eine Musterweiterbildungsordnung verabschieden, die dann von den Landesärztekammern ratifiziert werden muss. Ein erster grober Entwurf wurde jetzt vorgetragen. Aber statt die Inhalte einer zukünftigen Weiterbildung zu diskutieren, biss sich der Ärztetag an der Frage der Weiterbildung im ambulanten Bereich fest. Unstrittig ist, dass einige Fertigkeiten nur im ambulanten Sektor erlernt werden können, da bestimmte Behandlungen stationär nicht mehr durchgeführt werden. Aber das war nicht der Punkt. Der “Krieg“ entbrannte – ja wirklich, der Marburger Bund drohte mit “Krieg an allen Fronten“, sollten sich die KV-Vertreter mit ihren Vorstellungen einer Pflichtweiterbildung im ambulanten Bereiche durchsetzen – an der Frage der Bezahlung. Wer soll diese Weiterbildung zahlen? Eineinhalb Tage wurde mit über 100 Wortmeldungen über diese Frage gestritten. Es wurde eine Schlichtungskommission eingesetzt, deren Ergebnis schließlich mit der Papstwahl verglichen wurde. Und wie sah der “Kompromiss“ aus? Aus “Pflicht“ wurde ein “Muss“ und bezahlen sollen die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds (die geliebte PKV ist somit draußen). Richtig bemerkte ein Delegierter: “Der Berg kreißte und gebar – eine Maus“.

In grenzenloser Selbstüberschätzung fordert der Ärztetag, dass die MWBO erst verändert werden kann, wenn mindestens gleiches Gehalt im ambulanten Bereich wie im stationären Bereich gezahlt wird, wenn im SGB V der Orientierungswert geändert wird, wenn die Zahlung aus dem Gesundheitsfonds geklärt ist (warum soll der nicht auch die stationär Weiterzubildenden zahlen?), wenn durch gesetzliche Regelung durch den Bundestag die Finanzierung sichergestellt ist. Dies alles sollte geändert werden, bevor die MWBO geändert werden kann. Gibt es eine größere Selbstüberschätzung der Einflussmöglichkeit ärztlicher Standesorganisationen? Sicher ist, dass es unter diesen Prämissen keine Änderung der MWBO geben wird.

Aktuelle Themen wie Korruption im Gesundheitswesen oder die ethischen Probleme der Transplantationsmedizin wurden nur am Rande angesprochen. Man hat ein gutes Gewissen und braucht sich mit diesen Themen nicht weiter zu beschäftigen. Interessant ist die Transplantationsmedizin: Hier hat der Gesetzgeber der BÄK den Auftrag erteilt, Richtlinien zur Durchführung von Transplantationen zu entwickeln und deren Durchführung zu überwachen. Eine unter Juristen durchaus umstrittene Kompetenz, da es sich hierbei doch um die Zuteilung von Lebenschancen handelt, und es zu diskutieren ist, ob die Öffentlichkeit bzw. die Politik hier nicht mehr Einfluss nehmen sollten. (Dieser Punkt wurde zwischenzeitlich geändert und die Richtlinien müssen von der Politik genehmigt werden). Aber diese “Feinheiten“ wurden auf dem Ärztetag nicht diskutiert.

Also außer Spesen nichts gewesen? Nicht ganz, denn es ist schon wichtig, dass auf einem Ärztetag auch die Minderheiten innerhalb der Ärzteschaft zu Wort kommen. Die Ärzteschaft ist nicht so homogen, wie es nach außen manchmal scheint. Da ist es wichtig, auch abweichende Meinungen zu äußern, auch wenn sie unter den Ärztefunktionären nicht mehrheitsfähig sind. Der Ärztetag ist eine Möglichkeit dazu, auch wenn es sich um eine aufgeblasene Veranstaltung handelt.

Wulf Dietrich

Prof. Dr. Wulf Dietrich ist Vorsitzender des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää). Er war mehrfach Delegierter der Bayerischen Landesärztekammer auf Deutschen Ärztetagen. Weitere Informationen: www.vdaeae.de


[1] Zuerst erschienen unter dem Titel „Aufgeblasen“ in: Gesundheit braucht Politik – Zeitschrift für eine soziale Medizin 2/2013. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


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