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Bericht und Stellungnahme zur Veranstaltung „Ideenwettbewerb: wie könnte eine Weiterbildung in Psychotherapie nach einem Direktstudium aussehen?“

Die Ausbildungsreform bewegt die ganze Zunft. Lesen Sie hier einen Bericht über eine Veranstaltung von DPtV (Deutsche Psychotherapeutenvereinigung), DVT (ein VT-Fachverband) und Unith (die Interessensgemeinschaft der staatlich anerkannten universitären Ausbildungsinstitute).


Eingeladen haben DPtV (Deutsche Psychotherapeutenvereinigung), DVT (ein VT-Fachverband) und Unith (die Interessensgemeinschaft der staatlich anerkannten uni­versitären Ausbildungsinstitute). Das Programm bestand im Kern in der Vorstellung des DVT-Konzept durch drei Vor­träge aus dem Vorstand dieses Verbands: Redner waren der Assistent des Vorstands, Dr. Jürgen Tripp, der erste Vorstand Dr. Walter Ströhm und das Vorstandsmitglied Prof. Dr. Ulrich Schweiger. Hinzu kamen die Positionierungen des DPtV-Vorstands Dipl.-Psych. Dieter Best (siehe auch Lubisch 2013), des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung Dr.med. Andreas Köhler und des Präsidenten der Bundespsychotherapeutenkammer Prof. Dr. Rainer Richter (siehe auch Richter 2013). Ein Ideenwettbewerb war es also nicht, sondern eine Promotion des DVT-Konzepts. Für Fragen und Diskussion blieben 30 Minuten am Schluss der Veranstaltung sowie eine DIN A5-Karteikarte, auf die eigene Ideen geschrieben werden konnten und die am Ende der Veranstaltung eingesammelt wurde. Als Zuhörer waren anwesend: u.a. sehr viele Vertreter von Ausbildungsinstituten, über deren Schicksal ja gesprochen wurde, Mitglieder des Vorstands der Bundespsychothera­peutenkammer und viele Mitglieder der Kammervorstände der Bundesländer, in deren Hand die Weiterbildung künftig liegen wird.

Insgesamt wurde deutlich, dass die Anwesenden (Veranstalter, Redner und Zuhörer – mit Ausnahme einiger Institutsvertreter) die Stimmung und Einstellung bezüglich der einfachen Direktausbildung (einfach im Gegensatz zur dualen Direktausbildung) für selbstverständlich gegeben ansahen und diese auch begrüßten bzw. für notwendig hielten. Diese Akzeptanz und Bejahung, teils sogar Forderung der einfachen Direktausbildung mit der Approbation sofort nach dem Abschluss des Masterstudiums war die Ausgangslage der Reden und Diskussionsbeiträge. Das ist vielleicht das wirklich handfeste Fazit der Tagung: die einflussreichsten Verbände und die Kammern wollen die einfache Direktausbildung mit der sofortigen Approbation. Das vorgestellte DVT-Konzept ist dagegen ein Entwurf, eine Vision, die allerdings – und das ist das zweite wichtige Ergebnis - sehr viel Zustimmung fand und die den Entscheidungsträgern auch half, konkrete Vorstellungen ihrer künftigen Planung der Weiterbildung zu entfalten.

Für Herrn Ströhm, der ja angetreten ist, mit diesem Konzept eine Zukunft auch der Ausbildungsinstitute zu ermöglichen, wenn nicht gar zu sichern, ist das ein großer Erfolg. Das Klima war insgesamt sehr positiv, die Beiträge konstruktiv, wenn auch Gegenmei­nungen nur sehr kurz kommentiert wurden, ohne auf sie ausführlicher einzugehen. Die Moderation verlief so, dass kontroversen Positionen wenig Raum blieb, die sich aber auch nur ansatzweise zeigten. So konnte die Veranstaltung mit einer freundlichen Überein­stimmung der großen Mehrheit der Anwesenden beendet werden. So weit zum Rahmen und zum Ablauf.

Gehen wir nun auf die Inhalte ein (die Folien zu den Vorträgen können heruntergeladen werden unter: www.deutschepsychotherapeutenvereinigung.de/fileadmin/ main/g-datei-download/Veranstaltungen/2013/Ideenwettbewerb/Tripp_Weiter­bildungskonzept_02.10..pdf

Dieter Best (DPtV) skizzierte in seiner Einleitung die Ist-Situation und betonte, dass die Gleichstellung mit dem Heilberuf des Arztes das große Ziel sein muss (Dies könne auch angesichts der künftigen Entwicklung der Psychotherapie in Europa dann gesichert werden, wenn die Weiterbildung der des Arztes entspricht und ärztlichen Qualitätsnor­men genügt). Insofern sagte er, dass es keinen überzeugenden Grund gibt, der gegen das Modell der einfachen Direktausbildung spricht. Das Studium muss wie in der Medizin zur Approbation führen und die bisherige anschließende Ausbildung muss in dieses integriert werden. Eine anschließende Weiterbildung muss dahin führen, dass das Leis­tungsspektrum Psychologischer Psychotherapeuten nicht auf die Richtlinien-Verfahren und -Ziffern eingeschränkt bleibt. Es muss der uneingeschränkte Facharztstatus erreicht werden. Dies war eine sehr klare Formulierung der Position des einladenden Verbandes.

DVT-Konzept Teil 1

Jürgen Tripp (DVT) griff den Ball auf und stellte zuerst die Eckwerte der ärztlichen Weiterbildung in Psychiatrie und in Psychosomatischer Medizin dar (siehe auch Ströhm et al. 2013):

  • 5 Jahre bezahlte Vollzeittätigkeit als WeiterbildungsassistentIn
  • mindestens 24 Monate im stationären Bereich
  • 240 h bzw. 1500 Stunden Psychotherapie unter Supervision

Er verwies darauf, dass die DVT-Position in den meisten Punkten dem Abschlussstatement der Veranstaltung der anderen Psychotherapieverbände am 13. Juni 2013 entspräche (vgl. Michelmann et al., 2013). Einziger Unterschied sei der Zeitpunkt der Approbation. Dann stellten sich aber doch die Besonderheiten des DVT-Konzepts heraus. So soll bis zur Approbation noch keine Verfahrensvertiefung stattfinden. (Anmerkung: Dies impli­ziert, dass der approbierte Psychotherapeut noch keine Kompetenzen in einem Vertie­fungsverfahren besitzt, sein Handeln ist also noch nicht bestimmt durch therapeutische Interventionen, die wissenschaftlich geprüft und anerkannt sind.) Das Berufsbild soll nicht das des hochspezialisierten Psychotherapeuten sein, sondern die Weiterbildung soll so breit angelegt sein, dass alles was an Maßnahmen benötigt wird für Prävention, Behandlung und Rehabilitation eines psychisch oder psychosomatisch kran­ken Menschen vom Psychologischen Psychotherapeuten geplant, eingeleitet oder selbst durchgeführt werden kann – und zwar nicht mehr auf die Niederlassung in einer eigenen Praxis konzentriert, sondern auch im stationären oder sonstigen institutionellen Bereich. Er beruft sich auf die Heilberufegesetze der Länder: „Weiterbildung erfolgt in praktischer Berufstätigkeit und theoretischer Unterweisung und ist angemessen zu vergüten. Sie wird an einer anerkannten Weiterbildungsstätte unter Anleitung befugter Berufsangehöriger absolviert“. An dieser Stelle bringt er die Institute ins Spiel. Denn nach obiger Formulierung können die Psychotherapeutenkammern es den Ärztekammern nachmachen und einfach die Weiterbildung an die Klinik geben, so dass klinikintern Theorie und Praxis vermittelt wird und Institute dort überflüssig sind. Wie gut eine solche Entscheidung der Kammern wäre, kann beurteilt werden, wenn man die durchschnittliche Qualität der psychothera­peutischen Weiterbildung von Ärzten im Vergleich zu den Psychologischen Psychothe­rapeuten genauer betrachtet.

Tripp benennt folgende Elemente:

  • Praktische Weiterbildung an einer Weiterbildungsstätte
  • Curriculare Theorievermittlung und Selbsterfahrung an einem Institut
  • Begrenzung der Weiterbildungsbefugnis von Weiterbildungsstätten gemäß deren nachgewiesener personeller und struktureller Kapazität
  • Akkreditierung von WB-Befugten von Behandlungseinrichtungen bei einem Institut.
  • Erwachsenenpsychotherapie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sollen zwei verschiedene ((fachärztliche) Gebiete sein.

Zusammengefasst besteht der Vorschlag in:

  • 60 Monaten praktische Berufstätigkeit an einer Weiterbildungsstätte, davon
    • 24 Monate stationär (Psychiatrie, Psychosomatik, davon mindestens 6 Monate allge­meine Psychiatrie)
    • 24 Monate Psychotherapieambulanz eines Weiterbildungsinstituts.
    • Die zeitliche Verteilung kann variieren zwischen
      • ein Jahr Psychiatrische Klinik und drei Jahre Psychosomatische Klinik
      • bis zu zwei Jahre Psychiatrische Klinik und ein Jahr Psychosomatische Klinik.

Das theoretische Weiterbildungscurriculum am Weiterbildungsinstitut erstreckt sich über die ganze Zeit (60 Monate bzw. 5 Jahre). Dieses Instituts-Curriculum soll bestehen aus:

  • 400 Stunden Theorie
  • 60 dokumentierte Erstuntersuchungen
  • 1500 Therapiestunden unter Supervision (4:1), davon mindestens 150 Stunden Grup­pentherapie
  • 120 Stunden Selbsterfahrung mit mindestens 40 Stunden Gruppenselbsterfahrung.

Die Arbeitsbelastung des Weiterbildungsassistenten liegt bei 40 h pro Woche mit 20 h therapeutischer Tätigkeit (Einzeltherapie, Gruppentherapie, Erstgespräche und Akut­sprechstunde), und 20 h Organisationstätigkeiten, Supervision und Besuch der Theo­rieveranstaltungen.

Im Kassenbereich würde das einen Kassensitz vollständig ausfüllen, so dass sich die Frage stellte, ob dies in den ersten beiden Jahren eine Überforderung wäre.

Tripp zeichnet das Profil dieses Weiterbildungskonzepts zusammenfassend so:

  • breit definiertes Berufsbild
  • längere und umfassendere Qualifizierung
  • Aufrechterhaltung der Strukturqualität
  • gesicherte finanzielle Situation der WB-Teilnehmer
  • geringeres Niveau der Approbation, dafür höheres Niveau der Fachkunde

Die Abwägung der Vor- und Nachteile gibt er dem Publikum mit nach Hause, da - wie erwähnt - keine gleich anschließende Diskussion zum Vortrag vorgesehen ist. Die Vorteile sind offensichtlich und bestechend.

Hier kurz einige Gedanken zu den Nachteilen:

Breit definiertes Berufsbild: geht auf Kosten der spezifischen psychotherapeutischen Expertise, die den Psychologischen Psychotherapeuten gegenüber dem Arzt auszeichnet

Längere und umfassendere Qualifizierung: Das bisherige Ausbildungsniveau muss nicht noch gesteigert werden, der aufzubringende Aufwand für den Zuwachs an breiterer Kompetenz ist unverhältnismäßig hoch

Aufrechterhaltung der Strukturqualität: dies wird nur eintreten, sofern die Kammern Weiterbildungsinstitute für so wichtig halten, dass sie diesen einen so zentralen Stellenwert einräumen und nicht denken, dass die Kopie des ärztlichen WB-Modells ausreicht, bei dem Institute nicht vorgesehen sind.

Gesicherte finanzielle Situation der WB-Teilnehmer: Es werden nur noch 10 % der Studienabgänger die WB absolvieren können (mehr bezahlte Arbeitsstellen gibt es nicht). Die restlichen 90% müssen sich auf andere Weise aus der nach Studienabschluss entstehenden Arbeitslosigkeit retten und das gesteckte Berufsziel aufgeben, dessentwegen überhaupt das Masterstudium begonnen wurde. Das Konzept geht also hauptsächlich auf Kosten der großen Mehrzahl der Absolventen des Masterstudiums.

Geringeres Niveau der Approbation, dafür höheres Niveau der Fachkunde: Das bisherige Fachkundeniveau reicht vollkommen aus. Das Konzept ist in dieser Hinsicht keine Verbesserung im Vergleich zur bisherigen staatlichen Ausbildung. Ein zu großer Aufwand für eine von niemandem geforderte Qualitätssteigerung. Es ist dagegen zu er­warten, dass eine reine klinikinterne Weiterbildung mit ausschließlicher Ermächtigung der Kliniken erfolgen wird, so dass das Niveau auf das ärztliche Niveau absinkt. Es gibt sehr gut ärztliche Psychotherapie, z.B. über die Zusatzbezeichnung Psychoanalyse, die aber über eine berufsbegleitende Instituts-Weiterbildung erfolgt.

DVT-Konzept Teil 2

Walter Ströhm betrachtete die finanzielle Seite, um die Realisierungsmöglichkeit des Konzepts aufzuzeigen. Bezüglich der Strukturqualität zeigt er, dass kein Bestandteil der bisherigen Ausbildung verloren geht. Theorie, Supervision und Selbsterfahrung werden weiterhin vom Institut angeboten, die Ausbildungstherapiestunden werden in der Ambulanz des Instituts durch­geführt (nicht an der Klinik-Arbeitsstätte). Die praktische Tätigkeit in psychiatrischer und psychosomatischer Klinik (bisher meist unbezahltes 1,5-jähriges Praktikum) wird ersetzt durch eine 2-jährige vollbezahlte Tätigkeit in der Klinik. Wenn die Weiterbildung außer der Selbsterfahrung nichts kosten soll, ist allerdings eine höhere Vergütung durch die Krankenkassen erforderlich (Erhöhung auf 12,5 bis13,9 Cent Orientierungspunktwert). Ein Wert der vielen utopisch erschien, von Dr. Köhler in seinem nachfolgenden Vortrag jedoch als verhandelbar betrachtet wurde. Die Aufnahmekapazität der Institutsambulanz, die ja dann für jeden WB-Assistenten ein eigenes Therapiezimmer vorhalten und auch über einen ausreichend großen Patientenstrom verfügen muss, würde von derzeit 16 Teilnehmern pro Jahr auf vier pro Jahr absinken, da jeder Assistent zwei Jahre lang in der Ambulanz arbeiten würde. Die Kliniken haben noch weniger Stellen zur Verfügung. Wir können drei Punkte festhalten: Erstens ist das DVT-Konzept der bislang einzige ver­öffentlichte Versuch nach einer vorweggenommenen Gesetzesänderung, die die einfache Direktausbildung (zum Konzept bei dualer Direktausbildung (siehe Gleiniger 2013a,b, Sulz 2013) einführt, diese in ihren schädlichen Auswirkungen wirksam zu entschärfen. Zweitens birgt das Konzept die Gefahr, dass es im Belieben der Kammern sein wird, In­stitute in die Weiterbildung einzubeziehen, so dass eher zu erwarten ist, dass die WB in die Hände der Kliniken gegeben wird (damit die WB so wird wie bei den Ärzten). Und drittens wird ein Nadelöhr konstruiert, das gegenüber den Absolventen des Masterstu­diums unverantwortlich erscheint. In unserer Bildungsgesellschaft gibt es allerdings viele negative Beispiele, z. B. dass nur ein kleiner Teil von Hochschulabsolventen als Lehrer in den Schuldienst übernommen wird. Es gibt sehr viele Gründe, die einfache Direktausbildung nicht einzuführen (Fliegel 2012, Michelmann et al. 2013). Und es gibt viele Gründe, entgegen dem Konsens der Vortragenden Psychotherapie-Weiterbildung nicht als Kopie der ärztlichen Weiterbil­dung zu etablieren.

Die duale Direktausbildung als Alternativmodell

Der einzige Schutz vor den zuletzt genannten fatalen Folgen ist, statt einer einfachen eine duale Direktausbildung einzuführen, deren Kernmerkmale sind:

  • Das Psychiatrie- und Psychosomatikpraktikum (praktische Tätigkeit in der Ausbildung) entfällt und wird gekürzt auf insgesamt 12 Monate als Praktisches Jahr Bestandteil des Masterstudiums, so dass es durch BAföG finanziert wird.
  • Keine sofortige Approbation nach dem Masterstudium, sondern erst nach der Instituts-Ausbildung.
  • Die Psychotherapie-Ausbildung bleibt berufsbegleitend ohne praktische Klinik-Tätig­keit. Berufliche Tätigkeit muss nicht bei einem anerkannten Weiterbilder stattfinden (dadurch kein Assistentenstellen-Nadelöhr).
  • Die Psychotherapie-Ausbildung bleibt in den Händen der Institute (Gewährleistung der bisherigen Qualität der Ausbildung). Kliniken haben nicht genügend strukturelle und personelle Ressourcen, um diese Qualität auch nur annähernd zu erreichen.
  • Keine Pflichtjahre in einer Klinik. Weder während der Ausbildung noch während der Weiterbildung. Damit bleibt es familienfreundlich und es entsteht keine Ungerech­tigkeit, die mangels bezahlter Arbeitsstellen der Mehrzahl der Hochschulabsolventen den Zugang zu diesem Beruf verwehrt. Dies ist nur gewährleistet, wenn die Muster­weiterbildungsordnung keine Pflichtjahre in einer anerkannten Weiterbildungsstätte fordert (momentan sind 2 Jahre Klinik angedacht).
  • Die Ausbildung bleibt bundeseinheitlich staatlich, geht nicht in die Hoheit der Kam­mern über, die nach wie vor für die Weiterbildung zuständig sind.
  • Parallel zur berufsbegleitenden Ausbildung ist Berufstätigkeit erwünscht, aber nicht durchgängig zwingend, hier kann auch eine Erziehungszeit stattfinden. Dazu müssen keine neuen Stellen geschaffen werden. Arbeitsstellen sind keine Aus- oder Weiter­bildungsstätten.
  • Die anschließende Weiterbildung ist ebenfalls berufsbegleitend. Arbeitgeber erhalten keine Weiterbildungsermächtigung. Auch wenn für eine Zusatzbezeichnung z. B. ein Jahr Tätigkeit in einem Schmerztherapiezentrum notwendig ist, dient diese Tätigkeit nur der Erfahrung und dort findet keine ermächtigte Weiterbildung statt.

Wenn diese beiden Eckwerte (berufsbegleitend und Weiterbildungsbefugnis nur an Institute) nicht in der kommenden Musterweiterbildungsordnung der Bundespsycho­therapeutenkammer festgeschrieben werden, kann niemand auf eine Zukunft qualifizierter Psychotherapie-Aus- und Weiterbildung hoffen.

Zwei Irrtümer: Implizite Annahmen der Entscheidungsträger

Es gibt also zwei Entscheidungsträger, in deren Hand die Zukunft der Psychotherapie liegt: einerseits der Gesetzgeber, der sich entscheiden kann zwischen einfacher und dualer Direktausbildung und andererseits die Kammern, die entscheiden können zwi­schen berufsbegleitender und ganztägiger Weiterbildung, zwischen Klinik und Institut als Weiterbildungsstätte. Die gegenwärtige Haltung dieser beiden Entscheidungsträger lässt eine Zukunft ohne Institute und eine Zukunft ohne Qualität befürchten. Zu verfüh­rerisch ist für das Ministerium die ordnungspolitische Einfachheit ihrer Lösung und zu verführerisch ist der Wunsch der Psychologen, endlich ihr Emanzipationsziel der völligen Gleichwertigkeit durch Erreichen des Facharztstatus zu erreichen. Für so eine großes Ziel scheinen die zu erbringenden Opfer nicht groß genug sein zu können. Es geht also um Status versus Qualität und versus Ausbildungsgerechtigkeit.

Der erste Irrtum (Ministerium): Durch Abschaffung der Ausbildung und Beauftra­gung der Universitäten, die bisherigen Ausbildungsinhalte in ein Masterstudium zu integrieren, lässt sich ohne Qualitätsverlust das Ziel der Approbation erreichen (einfache Direkt­aus­bil­dung).

Der zweite Irrtum (Kammern): Durch Übertragung des Facharzt-Weiterbildungsmo­dells auf die Psychologische Psychotherapie kann ohne Qualitätsverlust Facharztstatus und damit Gleichstellung mit Ärzten erreicht werden.

Psychologische Psychotherapie auf dem hohen deutschen Niveau lässt sich nicht durch eine Facharzt-Weiterbildung erreichen. Psychotherapie-Ausbildung beinhaltet eine sehr enge Verwobenheit von Theorie und Praxis, die nur an einem Institut vermittelt werden kann. Man kann nur weiter geben, was man selbst hat. Kliniken können nur die Praxis weiter geben. Die Universität kann nur Wissen weiter geben. Institute dagegen haben beides und können beides mitgeben, so dass aus Theorie und Praxis Kompetenz wird. Der Medizin und damit den Kliniken fehlt das umfassende und spezifische Psychotherapie-Wissen. Zur Psychiatrie gehört Psychotherapie, aber Psychotherapie geht nicht in der Psychiatrie auf.

Es gibt genügend Möglichkeiten, das Niveau der Psychotherapie-Ausbildung zu erhalten. Dazu ist lediglich der Mut notwendig, immer wieder deutlich zu machen, dass Psychothe­rapie nicht durch eine Facharzt-Weiterbildung vermittelt werden kann. Psychotherapie und Medizin überlappen sich, aber Psychotherapie geht nicht in der Medizin auf, so wenig wie sie in der Psychologie aufgeht. Allerdings ist neben der bisherigen Psycho­logischen Psychotherapie auch eine Medizinische Psychotherapie und für den Kinder- und Jugend-Bereich auch eine Pädagogische Psychotherapie mit einem entsprechenden Masterstudium denkbar.

Ein Arzt könnte nach seinem Medizinstudium Zugang zum Psychotherapie-Master­studium erhalten. Dies wäre eine sehr große Bereicherung vor allem für die Psycho­somatische Medizin. Wie überhaupt die medizinische Fakultät einen neuen Lehrstuhl für Psychotherapie einrichten könnte – neben den Lehrstühlen für Psychiatrie und für Psychosomatik, der das Psychotherapie-Masterstudium anbietet, das dann ebenfalls zur Zulassung zur Psychotherapie-Ausbildung führt. Oder der Lehrstuhl für medizinische Psychologie bietet dieses Studium an, aufbauend auf dem Medizinstudium oder einem Bachelor in Medizinischer Psychologie. Und ein Pädagogik-Bachelor könnte über eine Masterstudium in Pädagogischer Psychotherapie, das in der den Weg zum approbierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten bestreiten.

Welche Fragen müssen den Kammern gestellt werden?

Wollen Sie die einfache Direktausbildung (Masterstudium – sofort anschließend Appro­

bation – Weiterbildung bis zum Erreichen der Fachkunde)? Aus welchem Grund wollen Sie die einfache Direktausbildung? Kennen Sie die duale Direktausbildung? Aus welchem Grund haben Sie sich gegen die duale Direktausbildung entschieden? Wollen Sie die ganztägige (natürlich auch in Teilzeit absovierbare) Weiterbildung in

Klinik oder vergleichbaren Weiterbildungsstätten? Wollen Sie mindestens zwei Pflichtjahre klinische Weiterbildung? Weshalb wollen Sie das?

Nehmen Sie das dadurch entstehende Nadelöhr, durch das nur noch 10 % der Hoch­schulabsolventen Zugang zum Psychotherapeutenberuf, in Kauf?

Halten Sie diese Lösung für gerecht und sozial vertretbar?

Kennen Sie die Alternative einer berufsbegleitenden Weiterbildung?

Weshalb wollen Sie die berufsbegleitende Weiterbildung nicht?

Weshalb ist Ihnen eine Weiterbildung nach dem Facharztmodell wichtig?

Kennen Sie die Qualität der ärztlichen Psychotherapie-Weiterbildung im Vergleich zur Psychologischen Psychotherapie?

Kennen Sie den Unterschied zwischen der ärztlichen Weiterbildungsordnung und der Praxis der ärztlichen Weiterbildung sowie dem Ergebnis dieser Weiterbildungspraxis (nur in Psychotherapie)?

Halten Sie es für vertretbar, ein Modell anzuwenden, das nur dieses Niveau erreicht?

Halten Sie es für vertretbar, das gegenwärtige Niveau der Psychologischen Psychothe­rapie durch Anwenden des Facharzt-Weiterbildungsmodells in diesem Ausmaß zu gefährden?

Haben Sie sich damit befasst, wie ein Facharztstatus für Psychotherapeuten auch ohne Anwendung des Facharzt-Weiterbildungsmodells möglich ist?

Beabsichtigen Sie, Kliniken eine Weiterbildungsermächtigung für z.B. zwei Jahre zu geben?

Wie und mit welchen Ressourcen können Kliniken eine qualifizierte Weiterbildung für Psychologische Psychotherapeuten anbieten? Werden Kliniken Theorie anbieten? Werden Kliniken anerkannte Supervision anbieten? Woher nehmen die Kliniken die notwendigen Ressourcen? Wer bezahlt diese Ressourcen? Werden Sie Instituten eine Weiterbildungsermächtigung geben? Wenn ja, welche Aufgaben sollten Institute übernehmen und welche nicht? Werden Institute zwingend benötigt oder können Kliniken die Weiterbildung auch ohne Institute betreiben?

Wer kann was tun, um qualifizierter Psychotherapie eine Zukunft zu geben?

Was können oder müssen diejenigen tun, die das sehr hohe Qualitätsniveau der deutschen Psychotherapie für die Zukunft retten wollen?

  • Ein oder einige wenige Alternativkonzepte zur einfachen Direktausbildung erarbeiten
  • Dabei das Prinzip der dualen Direktausbildung (Beispiel die beiden Entwürfe von Gleiniger und von Sulz) beibehalten
  • Das BMG verschonen vor einer Flut von Schreiben – stattdessen sich auf einen Al­ternativentwurf einigen, hinter dem dann fast alle stehen
  • Delegierte des Psychotherapeutentags kontaktieren, sie informieren, mit ihnen dis­kutieren, damit sie vielseitig informiert in die Abstimmung über die Musterweiter­bildungsordnung gehen können
  • Den Kammern konkrete Fragen stellen, damit sie konkrete Antworten geben müssen
  • Anstreben, dass die Musterweiterbildungsordnung
  • keine Pflichtjahre Kliniktätigkeit enthält,
  • sondern berufsbegleitend bleibt,
  • Kliniken keine Weiterbildungsermächtigung gibt,
  • den bisherigen Ausbildungs-Instituten die Weiterbildung überträgt, die zur Fachkunde führt.
  • Mitglied eines starken Berufsverbands werden, um in Mitgliederversammlungen mitzusprechen
  • selbst in die Berufspolitik gehen (Delegierte auf Landes- und Bundesebene)

Schlussbemerkung: Ich war 30 Jahre lang in der psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung sowohl von Ärzten als auch von Psychologen tätig (tiefenpsychologisch, verhaltenstherapeutisch und integrativ). Dieser Bericht ist subjektiv, geprägt durch diese subjektiven Erfahrungen. Meine langjährigen guten und nicht guten Erfahrungen gehen in die Stellungnahme ein, die allerdings hier nicht als Belege aufgeführt werden können.

Literatur

Fliegel, S. (2012). Direktausbildung Psychotherapie – ein Weg mit fatalen Konsequenzen. Unveröffent­lichtes Manuskript

Gleiniger J. W. (2013a): Basal oder dual? – Ordnungspolitische Rechtfertigungen einer Direktausbildung der Psychotherapeuten auf dem Prüfstand. Vortrag auf der Fachtagung Qualität sichern – Fachliche und strukturelle Perspektiven für eine Reform der Psychotherapieausbildung. Berlin am 13.6.2013

Gleiniger J. W. (2013b): Basal oder dual? – Ordnungspolitische Rechtfertigungen einer Direktausbildung der Psychotherapeuten auf dem Prüfstand. Verhaltenstherapie & Psychosoziale Praxis, (2), 493-517

Lubisch, B. (2012). Könnte so die Direktausbildung aussehen? Eine Skizze. Psychotherapie Aktuell, (3), 28-31.

Michelmann, A., Ruggaber, G., Timmermann, H., Trautmann-Voigt, s., Walz-Pawlita, S., Wiesemüller, b., Hoffmann, F. (2013). „Qualität sichern“ – Fachgesellschaften fürchten erheblichen Qualitätsverlust der Ausbildung. Psychotherapeutenjournal (3), 269-271.

Richter, R. (2013). Das Berufsbild von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Psychotherapeu­tenjournal, (2), 118-120.

Ströhm, W., Schweiger, U., Tripp, J. (2013): Konzept einer Weiterbildung nach einer Direktausbildung in Psychotherapie. Psychotherapeutenjournal (3), 262-268

Sulz S. (2013). Weiterbildung nach der dualen Direktausbildung in Psychotherapie – ein Konzept zur Gestaltung der Zukunft der Psychotherapie. Psychotherapie, 18 (2), 237-254.

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors
Prof. Dr. phil. Dr. med. Serge Sulz

Korrespondenzadresse
Prof. Dr. phil. Dr. med. Serge Sulz Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Postanschrift: Nymphenburger Str. 155 | 80634 München Tel.: +49-89-120 222 79 | Serge.Sulz@ku-eichstaett.de


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