Bald nach Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 1999 entbrannte in der Profession eine Diskussion um mögliche Weiterbildungsregelungen. Weiterbildungsregelungen können von den Kammern zu Zwecken der Qualitätssicherung geschaffen werden und sind dann zulässig, wenn sie für eine adäquate Versorgung der Bevölkerung erforderlich sind. Bei den Ärzten wird über die Weiterbildung - nach Erwerb der Approbation - zunächst die Qualifikation zur Fachkunde geregelt. Es gibt dort auch Weiterbildung auf niedrigerem Niveau, wenn es beispielsweise darum geht, nach der Fachkunde weitere Zusatzbezeichnungen zu erwerben.
Die Frage, inwieweit die Aus- und Weiterbildungssystematik der Mediziner auch auf PP/KJP angewendet werden soll, gestaltet sich alleine schon deshalb schwierig, weil in der Qualifizierung von PP/KJP der Erwerb von Approbation und Fachkunde gleichzeitig erfolgt. Es ging hier (bisher) immer nur um die Frage, inwieweit es sinnvoll und erforderlich ist, Zusatzbezeichnungen innerhalb der Psychotherapie zu schaffen. Die wichtigsten Argumente pro und contra sind an dieser und anderer Stelle schon häufiger dargelegt worden. Verkürzt: Für die einen sind Weiterbildungsregelungen ein probates oder gar gebotenes Mittel, das Profil des Berufsstandes durch Spezialisierungen zu schärfen und weiter zu entwickeln, dadurch Einfluss auf sozialrechtliche Regelungen zu nehmen und letztlich den Status des Berufsstandes im Gesundheitswesen zu stärken. Für die anderen gefährden Weiterbildungsregelungen den Wert der gerade erst erkämpften Approbation, was eher als Schwächung des Berufsstandes angesehen wird, sie bergen zudem unkalkulierbare Risiken hinsichtlich zukünftiger sozialrechtlicher Bestimmungen und bauen fachlich verzichtbare Hürden in der Weiterqualifizierung von PP/KJP.
In den letzten Jahren wurde aber nicht nur kontrovers diskutiert, sondern es wurden auch Fakten geschaffen. Das bezieht sich v.a. auf die Neuropsychologische Therapie, auf die wir uns im weiteren Text begrenzen wollen. Sie nimmt insofern eine Sonderstellung ein, weil die Psychotherapierichtlinie nur die Behandlung von Menschen aus dem Diagnosespektrum F1 – F9 vorsieht, während Menschen mit F0–Diagnosen hingegen zunächst nicht von PP/KJP zulasten der GKV behandelt werden konnten.
2004 machte die Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz den Anfang und verabschiedete eine Weiterbildungsordnung und u.a. eine Weiterbildungsregelung zur Neuropsychologischen Therapie. Es zogen dann die Bundespsychotherapeutenkammer mit einer Musterweiterbildungsordnung sowie die meisten anderen Landespsychotherapeutenkammern nach. Die, die das nicht taten, denen fehlte entweder die gesetzliche Möglichkeit, Weiterbildungsordnungen zu erlassen, oder der politische Wille war nicht da, da man sich eher skeptisch gegenüber dem Weiterbildungskonstrukt zeigte. Alle verabschiedeten Weiterbildungsregelungen zur Neuropsychologischen Therapie waren und sind nahezu inhaltsgleich.
Im November 2011 beschloss dann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), dass die neuropsychologische Therapie nunmehr zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet werden könne und legte den Kreis der Leistungserbringer auf PP/KJP fest, sofern diese über die Fachkunde verfügen und eine entsprechende Weiterbildung nachweisen können. Die Befürworter des Weiterbildungskonstruktes feierten dies als Erfolg, führten sie diesen G-BA-Beschluss doch auf die eigene Weiterbildungspolitik zurück. Kritiker hingegen sahen wenig Anlass für Feierlichkeiten. Unübersehbar war bereits zu diesem Zeitpunkt, dass sich keine PP/KJP für diese Weiterbildung interessierten. Es stand also zu befürchten, dass der G-BA-Beschluss, der ja eigentlich die Versorgung der Bevölkerung mindestens sichern, möglichst verbessern sollte, durch die genaueren Bestimmungen genau diese Versorgung verhindert. Wo es keine Leistungserbringer gibt, kann auch keine Leistung erbracht werden.
An der fehlenden Nachfrage von PP/KJP nach dieser Weiterbildung hat sich auch nach der sozialrechtlichen Zulassung nicht grundsätzlich etwas geändert. Nach den Recherchen der Landespsychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein (Stand 03/2013) gibt es in den Landeskammern, die bereits seit annähernd zehn Jahren über entsprechende Weiterbildungsregelungen verfügen, keinen einzigen PP/KJP, der außerhalb bestehender Übergangsregelungen eine Weiterbildung in Neuropsychologischer Therapie begonnen hat. Nach Übergangsregelungen gibt es bundesweit bisher demnach knapp 200 KollegInnen, die diese Zusatzbezeichnung führen dürfen. Unklar ist hingegen, inwieweit diese KollegInnen tatsächlich auch über die Abrechnungsgenehmigung verfügen und in welchem Umfang sie neuropsychologische Leistungen tatsächlich ambulant zulasten der GKV erbringen. Laut Zahlen der GNP (Gesellschaft für Neuropsychologie) sind pro Jahr 40.000 bis 60.000 Menschen ambulant mit neuropsychologischer Therapie zu versorgen. Hierzu würde es nach GNP-Angaben 600 bis 1000 Leistungserbringer brauchen, die ambulant ausschließlich und in Vollzeit neuropsychologische Therapie durchführen.
Es stellt sich also unweigerlich die Frage, wie der propagierte Bedarf angesichts der bescheidenen Anzahl der berechtigten Leistungserbringer nach Übergangsregelungen und der ansonsten gänzlich ausbleibenden Nachfrage von potenziellen Leistungserbringern gedeckt werden könnte. Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich zunächst vor Augen führen, woran es wahrscheinlich liegen dürfte, wenn sich PP/KJP hierfür nicht interessieren. Folgen wir dem G-BA-Beschluss und begrenzen uns bei den Leistungserbringern auf PP/KJP mit Fachkunde, gibt es mindestens vier Sachverhalte, die hier betrachtet werden müssen:
Zumindest zum letzten Punkt hat kürzlich die Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein einen neuen Weg eingeschlagen. Sie hat eine Weiterbildungsordnung in Neuropsychologischer Therapie verabschiedet, die im Umfang gegenüber der Musterweiterbildungsordnung und den anderen Ordnungen der Landeskammern deutlich reduziert ist. Es bleibt abzuwarten, ob so eine nennenswerte Anzahl von Leistungserbringern generiert werden kann.
Aus versorgungspolitischer Sicht scheint es aber dringend geboten, die bestehenden berufsrechtlichen und sozialrechtlichen Regelungen zur Neuropsychologischen Therapie 10 Jahre nach ihrem Beginn einer ernsthaften Tauglichkeitsprüfung zu unterziehen.
Rudi Merod, Wolfgang Schreck, Heiner Vogel