< vorheriger Artikel

Aktuelle Entscheidung des BSG zur Vertragssitzabgabe

Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Zulassung im Nachbesetzungsverfahren, in der verschiedene Rechtsthemen im Zusammenhang mit der Praxisnachbesetzung angeschnitten werden.


Das Bundessozialgericht hat am 11.12.2013 eine lesenswerte Entscheidung (Aktenzeichen: B 6 KA 49/12 R) zum Themenbereich der Zulassung im Nachbesetzungsverfahren getroffen, in der eine ganze Reihe von Rechtsthemen im Zusammenhang mit der Praxisnachbesetzung angeschnitten werden.

Nachstehend das Wichtigste in Kürze:

1. Bis zu welchem Zeitpunkt sind vom Gericht grundsätzlich Tatsachenänderungen und Rechtsänderungen zu berücksichtigen?

Bei Zulassungssachen sind grundsätzlich (Ausnahme siehe Ziffer 3) alle Änderungen der Sachlage bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz sowie alle Rechtsänderungen bis gegebenenfalls zur Revisionsinstanz zu berücksichtigen. Ausnahme: Steht die begehrte Nachbesetzung damit in Zusammenhang, dass eine Drittanfechtung der Begünstigung eines für die Praxisnachfolge ausgewählten Bewerbers damit einhergeht, dann gilt, falls sich für die Zulassung des begünstigten Dritten die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (das wäre der Berufungsausschuss) vorteilhafter darstellt, dieser Zeitpunkt.

2. Was bedeutet „Fortführungsfähige Praxis“?

Das gesetzliche Ziel der Nachbesetzung ist die „Fortführung“ der Praxis, weshalb eine Ausschreibung und Nachbesetzung einer Praxis nur so lange erfolgen kann, wie das Praxissubstrat noch vorhanden ist. Eine vertragsärztliche Tätigkeit setzt den (Mit-)Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur voraus. Jedenfalls, wenn es an alldem fehlt, dann existiert auch keine Praxis mehr, die fortgeführt werden könnte. Nicht der Vertragsarztsitz, sondern die Arztpraxis ist veräußerbar, wo keine Praxis mehr existiert, kann auch keine Nachbesetzung mehr stattfinden.

Eine generelle Festlegung, nach welcher Zeitspanne eine fortführungsfähige Praxis nicht mehr existiert, hat der Senat nicht getroffen, sondern macht dies von der Bewertung der gesamten Umstände des Einzelfalles abhängig. Vorliegend wurde die Praxis zum 1.7.2010 und damit zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landessozialgerichts seit mehr als zwei Jahren nicht mehr betrieben. Der Praxisbetrieb sei auch bereits mehr als ein Jahr vor der Entscheidung des Landessozialgerichts vollständig eingestellt worden. Es spreche deshalb Vieles dafür, dass ein fortführungsfähiger Sitz unter diesen Umständen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landessozialgerichts tatsächlich nicht mehr existiert hat.

3. Muss die „fortführungsfähige Praxis“ noch zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht vorhanden sein?

Nein, darauf kommt es nicht an. Der Hintergrund liegt in Folgendem: Wenn der ausgewählte Bewerber nicht eine sofortige Vollziehung der Zulassungsentscheidung erreichen kann oder will, wäre - weil ein Gerichtsverfahren ja sehr langwierig sein kann - im Ergebnis nicht sichergestellt, dass ein zu Unrecht übergangener Bewerber um die Praxisnachfolge die erstrebte Zulassung noch erhalten könnte, wenn die fortführungsfähige Praxis auch noch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz (dem Landessozialgericht) gefordert würde. Denn zu diesem Zeitpunkt gäbe es dann gar keine fortführungsfähige Praxis mehr. Ausreichend ist deshalb grundsätzlich die Existenz der fortführungsfähigen Praxis zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Ausschreibung des Praxissitzes.

4. Angemessene Berücksichtigung der Interessen der Partner einer örtlichen oder überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft – auch bei Gründung der Berufsausübungsgemeinschaft mit dem Ziel die Auswahlentscheidung bei der Nachbesetzung zu beeinflussen?

Nach dem Gesetzeszweck sind nicht nur die Interessen einer örtlichen Berufsausübungsgemeinschaft zu berücksichtigen, sondern auch die der Partner einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft. Denn auch diese müssen sich über eine Vielzahl gesellschaftsrechtlicher, arbeitsrechtlicher und organisatorischer Fragen verständigen und entsprechende vertragliche Vereinbarungen mit dem erfolgreichen Bewerber treffen. Dies muss gewährleistet sein.

Dieser angemessenen Berücksichtigung der Interessen kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft im vorliegenden Falle angeblich nur zum Schein und mit dem Ziel gegründet worden sei, die Auswahlentscheidung im Verfahren um die Praxisnachfolge zu beeinflussen. Ob die Kriterien einer Gemeinschaftspraxis erfüllt sind, wird in dafür vorgesehenen Genehmigungsverfahren geprüft. Diese Entscheidung zum Status der Arztpraxis entfaltet grundsätzlich Bindungswirkung auch gegenüber allen vertragsrechtlichen Institutionen Dritter und die Kassenärztliche Vereinigung hat deshalb bei der Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes nicht zu prüfen, ob die Zulassungsgremien den Status der Berufsausübungsgemeinschaft zu Recht anerkannt haben.

Allerdings ist bei der „angemessenen“ Berücksichtigung der Interessen des/der in der Praxis verbleibenden Vertragsärzte die Intensität und Dauer der bisherigen Zusammenarbeit mit zu bewerten. Nach einer sehr kurzen und nicht sehr intensiven Zusammenarbeit in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft ist den Interessen der verbleibenden Vertragsärzte entsprechend geringes Gewicht beizumessen. Der Senat führt aus, dass je deutlicher sich der Eindruck aufdrängt, dass die Berufsausübungsgemeinschaft vorrangig mit dem Ziel gegründet worden ist, Einfluss auf die Nachbesetzung zu nehmen, je kürzer die Berufsausübungsgemeinschaft bestanden hat und je weniger intensiv die Zusammenarbeit innerhalb der Berufsausübungsgemeinschaft war, ein desto geringeres Gewicht den Interessen der verbleibenden Ärzte bei der Auswahlentscheidung zukomme.

Durch die Gründung einer Berufsausübungsgemeinschaft mit kurz darauf folgender Nachbesetzung riskieren die in der Praxis verbleibenden Ärzte entweder, mit einem Bewerber zusammenarbeiten zu müssen, der nicht vollständig ihren Vorstellungen entspricht, oder das Scheitern des Nachbesetzungsverfahrens, weil der Gesellschaftsvertrag nicht zustande kommt und der ausgewählte Bewerber den Sitz dann nicht übernehmen kann. Im zuletzt genannten Fall kommt eine neue Ausschreibung nur in Betracht, wenn auch zu diesem Zeitpunkt noch eine fortführungsfähige Praxis existiert.

Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.12.2013, Az: B 6 KA 49/12 R

RA Susanne Locher-Weiß, Reutlingen


Zurück