< vorheriger Artikel

„Das Soziale – in der Krise?“ - Paritätisches Jahresgutachten 2014

Der Paritätische Wohlfahrtsverband will mit seinem Gutachten „Das Soziale – in der Krise?“ eine umfassende und unabhängige Berichterstattung über die Entwicklung des sozialen Zusammenhalts liefern, die zurzeit fehle. Bezug genommen wird u.a. auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und die zunehmende Altersarmut.


Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat das Gutachten „Das Soziale – in der Krise?“ am 24.4.2014  veröffentlicht und fordert darin einen sozialpolitischen Kurswechsel sowie eine andere Steuerpolitik. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die soziale Spaltung in Deutschland deutlich zugenommen hat, immer weniger Menschen am wachsenden Wohlstand teilhaben und die Kluft zwischen Arm und Reich größer werde. Die Analyse ausgewählter Kennziffern ergebe, dass der soziale Zusammenhalt in Deutschland akut gefährdet sei.

Die Wirtschaftsentwicklung werde in Deutschland detailliert beobachtet, prognostiziert, und es werden politische Handlungsempfehlungen abgeleitet. Dafür lege der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR)  seine jährlichen Gutachten vor. Was fehlt, sei eine umfassende und unabhängige Berichterstattung über die Entwicklung des sozialen Zusammenhalts. Welche Auswirkungen haben politisches Handeln oder aber auch politische Unterlassungen auf den sozialen Zusammenhalt? Diese Lücke will der Paritätische mit seinem Jahresgutachten „Das Soziale – in der Krise?“ schließen und wird dieses nun jedes Jahr, als Korrektiv zur einseitigen ökonomischen Perspektive des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, vorlegen. Denn, so der Paritätische, Deutschland ist nicht nur Wirtschaftsstandort, sondern vor allem Lebensstandort.

Das Gutachten ist in drei Teile gegliedert, in denen es sich in den folgenden Fragen widmet:

  1. Wie stellt sich die soziale Lage in Deutschland gemessen an regelmäßig erhobenen, validen und reliablen Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung im Berichtsjahr und im Zeitverlauf dar? – Empirische Bestandsaufnahme
  2. Welche Aktivitäten entwickelte der Gesetzgeber, und trugen diese zur sozialen Kohäsion der Gesellschaft bei? Welche anstehenden Herausforderungen wurden nicht bearbeitet? Zusammenfassung und Bewertung der gesetzgeberischen Tätigkeit im Berichtszeitraum
  3. Welche Empfehlungen hat der Paritätische zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und für eine Politik der sozialen Kohäsion? – Handlungsempfehlungen an die Politik

Bei der Auswahl der Indikatoren hat sich der Paritätische auf die Aspekte Teilhabe und Ressourcen konzentriert. In einer Erwerbsarbeitsgesellschaft wie Deutschland, ist die Erwerbsarbeit der entscheidende Schlüssel zur Teilhabe und die entscheidende Ressource ist das Geld. Sozialer Zusammenhalt kann allerdings nur wachsen, wenn „gute Arbeit“ (Qualität der Arbeitsverhältnisse) zunimmt. Bei der Ressource Geld geht es um die Frage der Verteilung, Entwicklung von Einkommensarmut, Gewährung von Mindestsicherungsleistungen sowie um Daten zur Überschuldung und zur Vermögensentwicklung.

Das Jahresgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland im Hinblick auf Teilhabe und Ressourcen tief gespalten ist. Am wachsenden Wohlstand haben immer weniger Menschen teil. Die sozialen Fliehkräfte in unserem Land haben zugenommen.

  • Es gab zwar noch nie so viele Erwerbstätige wie heute, aber auch noch nie so viele Mini-Jobs, nicht auskömmliche Teilzeitbeschäftigung und befristete Arbeitsverhältnisse. „Gute Arbeit“ wird immer seltener.
  • Die Zahl der Arbeitslosen ist zwar gesunken, die Zahl der Langzeitarbeitslosen stagniert aber auf einem ungebrochenen hohen Niveau
  • Die Armutsquote hat mit 15,2 Prozent einen Höchststand erreicht. Insbesondere die Dynamik der aktuell noch vergleichsweise niedrigen Altersarmut hat besorgniserregend an Fahrt aufgenommen. Das zeigt sich an der steigenden Zahl von Menschen, die Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung in Anspruch nehmen müssen.
  • Es gab noch nie so viel Privatvermögen in Deutschland wie heute, aber auch noch nie einen so hohen Anteil an Menschen in privaten Überschuldungssituationen – jeder zehnte Erwachsene gilt als überschuldet und hat im Durchschnitt über 30.000 Euro Schulden.

Die politischen Maßnahmen des vergangen Jahres haben laut Paritätischem so gut wie nichts dazu beigetragen, an dem Trend der wachsenden Spaltung in Deutschland etwas zu ändern.

  • Keine wirksamen Angebote für Langzeitarbeitslose
  • Das Thema Kinderarmut wird nicht thematisiert im Koalitionsvertrag
  • Die Kürzung des steuerlichen Bundeszuschusses an die Gesetzlichen Krankenkassen und alle künftigen Mehrkosten sind in Zukunft vom Versicherten allein zu tragen.
  • Die Rente mit 63 ist ein Privileg für langjährig Versicherte und trägt nichts dazu bei, Altersarmut zu bekämpfen.
  • Die Einführung des Mindestlohns ist zu begrüßen, aber sie ist letztlich kein Instrument der Armutsbekämpfung. Man schätzt, dass nur 60.000 der sog. „Aufstocker“ künftig dadurch nicht mehr auf zusätzliche Grundsicherungsleistungen angewiesen sein werden.
  • Keine sozialpolitische Flankierung der Energiewende, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen.

Der Paritätische leitet aus den Befunden seines Jahresgutachtens folgende Handlungsempfehlungen ab zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts:

  • Die Bundesregierung muss mehr gegen die Langzeitarbeitslosigkeit tun (individuelle Beschäftigungsförderung, neue Investitionen für Langzeitarbeitslose)
  • Die Armut muss entschiedener bekämpft werden. Die Regelsätze müssen erhöht werden.
  • Das Bildungs- und Teilhabepaket muss komplett reformiert werden.
  • Die Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung muss bürgernah und auf breiter Grundlage finanziert werden.
  • Das Rentenpaket muss im parlamentarischen Verfahren überarbeitet werden (Verbesserung für Erwerbsminderungsrentner und eine grundlegende Reform der Altersgrundsicherung)
  • Die Energiewende muss sozialpolitisch flankiert werden.
  • Große Einkommen müssen künftig stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen – Eigentum verpflichtet!

Waltraud Deubert


Zurück