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Sachverständigenrat Gesundheit legt Gutachten 2014 vor


Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat am 23. Juni Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sein diesjähriges Gutachten mit dem Titel „Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche“ übergeben.

Die Ausführungen des 629 Seiten starken Werkes konzentrieren sich in einem ersten Teil auf die Leistungsbereiche Arzneimittel, Medizinprodukte und Rehabilitation. Dabei stehen im Rahmen der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten Themen der Qualitätssicherung bzw. der Patientensicherheit und im Bereich der Rehabilitation Aspekte der Evidenzbasierung, der Regionalität, der Vergütung und des Wettbewerbs im Vordergrund der Betrachtungen und Analysen. Daneben geht es in einem ausführlichen zweiten Teil darum, wie sich auch vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden demografischen Entwicklung in strukturschwachen Regionen, insbesondere dem betroffenen ländlichen Raum, eine bedarfsgerechte Versorgung, d. h. eine bundesweit flächendeckende Versorgung auf hohem Qualitätsniveau, sicherstellen lässt.

Um die Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen, empfehlen die GutachterInnen hierfür einen Vergütungszuschlag (Landarzt) in strukturschwachen Gegenden von 50% und im Gegenzug überschüssige Arztsitze in Ballungsräume zu schließen. Außerdem empfehlen die Gutachter lokale Gesundheitszentren zur Primär- und Langzeitversorgung. Der Ratsvorsitzende Prof. Ferdinand Gerlach sagte bei der Vorstellung des Gutachtens: „Die meisten ÄrztInnen arbeiteten dort, wo sie am wenigsten gebraucht werden.“ Die mit dem Versorgungsstrukturgesetz eingeführten Instrumente zum Abbau von Unter- sowie Überversorgung scheinen noch nicht gegriffen zu haben. Eine Umfrage des Rats bei den KVen hat ergeben, dass die Förderung für einen freiwilligen Verzicht auf einen Arztsitz noch nicht ein einziges Mal nachgefragt worden sei. Bundesweit sei bislang nur eine einzige Arztpraxis aufgekauft worden. Der Gesundheitsrat schlägt deshalb eine von der bisherigen Gesetzeslage abweichende Regelung vor, und zwar, dass zukünftig der Sicherstellungsauftrag an das Land übergehen soll, wenn die KVen diesen nicht mehr erfüllen können. Die Länder sollen dann die Möglichkeit haben, die Versorgung komplett auszuschreiben. Der Anreiz könne dann nach Auffassung des Rates in einem deutlich aufgestockten Budget für die zu versorgende Region bestehen. Das Fach Allgemeinmedizin bei der Medizinerausbildung sollte gezielt gefördert werden, schlagen die ExpertInnen vor; Fakultäten, die die Ausbildung im Fach Allgemeinmedizin fördern, sollten bei der Hochschulfinanzierung bevorzugt werden.

Erstmals für die Versorgung im ländlichen Raum besonders relevante Änderungen brachte das Vertragsarztänderungsgesetz im Jahr 2007, das u. a. Zweitpraxen, Teilzeitarbeit von Vertragsärzten und den unterversorgten Gebieten eine Berufsausübung über die Altersgrenze von 68 Jahren hinaus ermöglichte. Zahlreiche auf Über- und Unterversorgung bezogene Maßnahmen, u. a. die Aufhebung der sog. Residenzpflicht, folgten mit dem Versorgungsstrukturgesetz (vom 22. Dezember 2011). Mit Hilfe einer Befragung aller KVen, die von der KBV koordiniert wurde, hat der Rat für dieses Gutachten neben der regionalen Versorgungssituation die Nutzung insbesondere der im Versorgungsstrukturgesetz vorgesehenen Instrumente untersucht. Unterversorgte Bezirke bei der allgemeinen fachärztlichen Versorgung gibt es nach den von den KVen angegebenen Zahlen in Planungsbereichen der Augen-, der Haut-, der HNO-Ärzte sowie der PsychotherapeutInnen und der Nervenärzte. Zugleich sind nach diesen Angaben mehr als Dreiviertel aller Planungsbereiche der allgemeinen fachärztlichen Versorgung über der 110%-Versorgungsgradgrenze; in Facharztsitzen ausgedrückt betrifft dies ca. 8000 Arztsitze in Deutschland. Zum Vergleich: In der hausärztlichen Versorgung liegen aktuell 43,9% über dieser Grenze; dies entspricht etwa 2200 Arztsitzen. Die fehlende Differenzierung der Nervenärzte in Neurologen und Psychiater verdeckt, auch angesichts unterschiedlich intensiv ausgeprägter psychotherapeutischer Tätigkeit, möglicherweise einen Mangel an Psychiatern. Hierzu steht in dem Gutachten, dafür sei zukünftig eine differenziertere Erfassung notwendig. Bei den PsychotherapeutInnen können die einzelnen KV-Bereiche kaum verglichen werden, da unterschiedliche Psychotherapeutengruppen einbezogen sind, außerdem fehlen z. T. Angaben zum Planungssoll. Da in vier KVen die Versorgung im Mittel unter 100% liegt, ist von einem Mangel an PsychotherapeutInnen in diesen Bereichen auszugehen.

Entgegen der ursprünglichen Erwartung des Gemeinsamen Bundesausschusses
(G-BA), mit der Neufassung der Bedarfsplanungsrichtlinie würden sich mehr Arztsitze im Bundesgebiet und letztlich neue Zulassungsmöglichkeiten für bundesweit ca. 3000 Hausärzte, über 1300 Fachärzte unterschiedlicher Versorgungsebenen und mehr als 1300 PsychotherapeutInnen ergeben, reduzierte sich die Gesamtzahl von Arztsitzen nach der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie. Dies bedeutet nicht, dass nicht im Einzelfall auch neue Niederlassungsmöglichkeiten entstanden sind, da Planungsbezirke neu zugeschnitten und neue Bedarfszahlen umgesetzt wurden. Die Reduktion der geplanten Arztsitze betrifft in unterschiedlichem Ausmaß alle bisher „beplanten“ Fachgruppen mit Ausnahme der PsychotherapeutInnen. So reduziert sich gemäß der Befragung aller KVen durch den Sachverständigenrat auch die Sollzahl der Hausarztsitze um knapp 1 400 und die Sollzahl der Facharztsitze in der allgemeinen fachärztlichen Versorgung um rund 1800 Sitze, wobei die PsychotherapeutInnen aufgrund unvollständiger Angaben nicht mitgerechnet sind. Bei der spezialisierten fachärztlichen Versorgung (Anästhesisten, fachärztliche Internisten und Radiologen zusammengerechnet, bei den Kinder- und Jugendpsychiatern fehlen ältere Vergleichsdaten) findet eine Reduktion um 3,0% oder rund 200 Arztsitze statt. Aus den neuen Bedarfsplanungszahlen ergibt sich also, dass die ambulante Versorgung zukünftig mit insgesamt weniger Ärzten als heute gemeistert werden soll.

Was die Krankenhausfinanzierung anbelangt, erscheint ein Übergang zu einer monistischen Finanzierung, in der auch die Investitionskosten über die Leistungsentgelte refinanziert werden, dringlicher denn je angesichts des Rückzugs der Länder aus der Investitionsfinanzierung. Der Interessenskonflikt, dass die Länder planen und die Krankenkassen zahlen, müsse politisch gelöst werden, so die ExpertInnen. Ein weiterer Aspekt ist die Einrichtung eines Fonds zum Abbau von Überkapazitäten im stationären Sektor. Dieser sog. Restrukturierungsfonds solle danach mit 500 Mio. Euro aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds gespeist werden. Das Gutachten greift damit einen Vorschlag auf, der ursprünglich in einem Entwurf des Koalitionsvertrages stand, allerdings dann wieder gestrichen wurde.

Professor Wille stellte dann noch einige ausgewählte Leistungsbereiche aus dem Gutachten vor. Medizinprodukte sollten – ähnlich wie in der USA – einem strengen Prüfverfahren unterliegen. Bei Arzneimittelbewertungen sei dringend eine Harmonisierung in Europa angezeigt, um Synergieeffekte zu nutzen. Die Preisverhandlungen könne dann jedes Land für sich durchführen. Reformbedarf sehen die Gutachter auch bei der Apothekenhonorierung, die einen Preiswettbewerb erfahren soll. Sie schlagen „apothekenindividuelle Handelsspannen“ vor.

Das umfangreiche Gutachten wird Gesundheitsakteure sicher noch länger beschäftigen. Am 30. September 2014 stellt der Sachverständigenrat sein Gutachten im Rahmen eines Symposiums vor.


Waltraud Deubert

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Der Sachverständigenrat hat im deutschen Gesundheitswesen eine besondere Stellung: Seit fast 30 Jahren analysiert dieses interdisziplinäre Gremium regelmäßig die aktuelle Entwicklung und die Herausforderungen des Deutschen Gesundheitssystems. Dabei zeigt der Sachverständigenrat meist konkrete Handlungsmöglichkeiten zur Weiterentwicklung der bestehenden Strukturen und Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen auf.
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Quelle: Rosa Beilage 3/2014, S. 6f.

 


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