Die DGVT setzt sich seit Jahren dafür ein, Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken und diese neben Therapie/Behandlung, Rehabilitation und Pflege zu einer vierten Säule des Gesundheitswesens und zu einem eigenständigen Feld der Gesundheitspolitik aufzubauen. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, der zunehmenden sozialen Ungleichheit in der Bevölkerung, der nicht ausgeschöpften Präventionspotentiale im Bereich der chronischen Krankheiten und der Zunahme an psychischen Erkrankungen stellt die Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention eine zentrale gesundheitspolitische Aufgabe dar.
Die DGVT begrüßt daher die Absicht der Bundesregierung, durch ein Präventionsgesetz zur Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung beizutragen. Folgende Punkte sind u. E. zu berücksichtigen:
1. Gesamtgesellschaftliche Verantwortung:
Insbesondere gilt es vor dem Hintergrund dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, alle Akteure zu verpflichten und die Gesundheitschancen in der Bevölkerung in einem partizipativen Prozess zu verbessern. Dazu bedarf es einer alle gesellschaftlichen Ebenen umfassende Strategie. Die DGVT fordert, dass sich alle Sozialversicherungsträger sowie Bund, Länder und Kommunen unter Berücksichtigung ihrer föderalen Strukturen an der Finanzierung beteiligen.
2. Keine Beschränkung auf den § 20 SGB V:
Die Beschränkung auf den § 20 SGB V kann dieser Verantwortung in keiner Weise gerecht werden - weder vom Geist und der Zielsetzung dieses Paragrafen noch von seinem Finanzvolumen aus betrachtet.
3. Kommunale und föderale Strukturen:
Keine alleinige Konzentration der Verantwortung in der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung); dies wäre zu zentralistisch und sorgt zu wenig für eine kommunale und föderale Strukturfestigung. Wir fordern regionale Strukturen mit regionalen Präventionskonferenzen oder Gesundheitsforen.
4. Keine einseitig medizinisch geprägte Ausrichtung:
Das wäre eine unverantwortliche Reduktion des Präventionsgedankens weg von gesellschaftlichen Realitäten, gewachsenen Risiken und Belastungen sowie pathogener Verhältnisse hin zu einer eher biologischen und individualistischen bzw. stark auf Selbstverantwortung des Einzelnen beruhenden Konzeption. In Deutschland liegt vor allen Dingen ein Defizit im Bereich der nicht-medizinischen Primärprävention vor. Die DGVT fordert diese zu verstärken und zu verstetigen als eigenständiges Entwicklungsfeld der Gesundheitspolitik, wie es in anderen Ländern betrieben und auch seit Jahren von Organen der Europäischen Union und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) propagiert wird. Der vielfach belegte Zusammenhang zwischen sozialen Lebensbedingungen und Gesundheitszustand ist zu berücksichtigen. Die Gesundheitsbelastungen beginnen bei niedrigem Sozialstatus bereits im frühen Kindesalter: Den erhöhten Risiken, übergewichtig zu sein, im Straßenverkehr zu verunglücken, Gewalt zu erfahren oder psychische Probleme zu haben, stehen geringere Bewältigungsressourcen gegenüber. Es ist Aufgabe eines Präventionsgesetzes, eine Verminderung von sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen zu erzielen.
5. Betriebliche Maßnahmen sind gut, reichen aber nicht aus:
Keine Reduktion von präventiven Maßnahmen nur auf die betriebliche Ebene. Dies wäre angesichts der in unserer Gesellschaft vorkommenden Risiken wie Armut, soziale Ungerechtigkeit, Exklusion, Zerfall von Gemeinschaften, Belastungen durch Migration und unzureichend funktionierende Sozialisationseinrichtungen nicht tragbar. Es sind vor allem die sozialräumlich bestimmbaren Lebenswelten und spezifischen Settings auch nichtbetrieblicher Art, in denen sich der Alltag der Menschen vollzieht. Dies müssten die zentralen Bezugspunkte gesundheitsförderlicher Maßnahmen sein.
Prävention ist hinreichend über die Lebensspanne zu verorten. Die DGVT fordert eine Gesundheitsförderungs- und Präventionsstrategie, die sich auf jedes Alter bezieht und die Verhaltens- und Verhältnisprävention gleichermaßen berücksichtigt.
6. Aufklärung:
Medial getragene Aufklärungskampagnen sind wichtig. Aber: Wissenschaftliche Erkenntnisse lehren, dass Aufklärung zwar notwendig, aber für sich genommen allein wenig wirksam ist.
7. Förderung psychischer Gesundheit:
Aus Sicht der DGVT ist es besonders wichtig, die Förderung der psychischen Gesundheit zum Thema zu machen; dies ist alleine durch die epidemiologischen Daten aus Krankenkassenberichten, aber auch durch Meta-Studien hinreichend begründet. Es gilt eine Präventionsstrategie zu definieren, welche von einer Wechselwirkung körperlicher und seelischen Erkrankungen ausgeht.
8. Datenerfassung:
Einrichten einer „Ständigen Präventionskonferenz“, deren Aufgaben definiert werden. Sie sollte in der Lage sein, evidenzbasierte, effektive, zertifizierte Präventionsmaßnahmen in einer Datenbank zu erfassen und zielgenau auf spezifische Bedarfslagen, z. B. innerhalb einer kommunalen Präventionskette, zu empfehlen/platzieren. Es darf nicht nur ein neues "Berichtswesen“ entstehen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Diskussion um ein Präventionsgesetz eine fundierte Diskussion zur Zukunft der Prävention in Gang setzt und seiner Zielsetzung gerecht wird.
Tübingen, September 2014