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Selbsttötung ist kein unabwendbares Schicksal

Welttag der Suizidprävention rückt ein häufig verdrängtes Thema in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) e. V.


Jedes Jahr sterben mehr Menschen in Deutschland durch Selbsttötung als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten, illegale Drogen und Aids zusammen. Auch wenn die Zahl der Suizide seit den 1980er-Jahren sinkt, so ereignen sich doch immer noch mehr als 10.000 Fälle pro Jahr. Das bedeutet: Statistisch begeht alle 54 Minuten in Deutschland jemand eine Selbsttötung, sogar alle fünf Minuten unternimmt jemand einen Suizidversuch. Dass sich weltweit rund eine Million Menschen jährlich das Leben nehmen, darauf macht der seit 2003 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Association for Suicide Prevention (IASP) ausgerufene Welttag der Suizidprävention am 10. September aufmerksam.

Trotz dieser alarmierenden Zahlen ist suizidales Verhalten noch immer weitgehend tabuisiert. „Dass Medien über Selbsttötungen im konkreten Fall nur sehr zurückhaltend berichten, ist zur Vermeidung von Nachahmungstaten sinnvoll und wünschenswert“, sagt Dr. Heiner Vogel, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Verhaltentherapie (DGVT) und des DGVT-Berufsverbands Psychosoziale Berufe (DGVT-BV). „Leider sind jedoch auch generelle Informationen zu Präventionsmöglichkeiten und Therapieangeboten für suizidgefährdete Menschen in den Medien häufig Mangelware.“

Dies liegt auch an der Komplexität des Themas. Suizidales Verhalten kann auf sehr verschiedene soziale oder kulturelle, individuell-psychologische sowie gesundheitliche und demografische Faktoren zurückzuführen sein. Andererseits zeigen systematisch aufgebaute Suizidpräventionsprogramme, dass die Zahl der versuchten und vollendeten Selbsttötungen durchaus durch gezielte Information und Intervention verringert werden kann.

Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Förderung psychischer Gesundheit und speziell der Früherkennung und qualifizierten Behandlung von Depressionen zu. Experten gehen davon aus, dass etwa 15 Prozent aller Menschen mit einer schweren Depression Suizid begehen. Eine verbesserte gesundheitliche Versorgung von depressiv Erkrankten und besonders auch von Überlebenden von Suizidversuchen ist daher ein wichtiger Beitrag zur Suizidprävention. „Ähnliches gilt für alle Maßnahmen, die auf die positive Beeinflussung psychischer Gesundheit abzielen, wozu ausdrücklich auch die Bekämpfung sozialer Ungleichheit gehört“, betont Heiner Vogel.

Soeben hat WHO-Generaldirektorin Margaret Chan den ersten globalen Bericht ihrer Organisation zur Suizidprävention vorgestellt. In diesem Zusammenhang verwies sie auch darauf, dass alle 194 Mitgliedstaaten der WHO im vergangenen Jahr einem Aktionsplan zugestimmt haben, der die Reduzierung von Selbsttötungen um zehn Prozent bis zum Jahr 2020 zum Ziel hat. Um dies zu erreichen, seien größere Anstrengungen als bisher seien nötig, um suizidgefährdeten Menschen zu helfen, sagte Margaret Chan.

„Jeder, der Hilfe sucht, sollte unkompliziert und schnell qualifizierte Hilfe finden können“, lautet auch eine zentrale Forderung des Nationalen Suizid-Präventionsprogramms für Deutschland. „Davon sind wir leider noch weit entfernt, was auch an dem von der Gesundheitspolitik und den Krankenkassen verordneten Mangel an Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten liegt“, so Vogel. Die DGVT nimmt daher den Welttag der Suizid-Prävention auch zum Anlass, erneut auf die individuellen und gesellschaftlichen Folgen dieses Missstands hinzuweisen und die zuständigen Personen und Institutionen erneut dazu aufzufordern, ihrer Verantwortung für eine bedarfsgerechte psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung nachzukommen.

Tübingen, September 2014


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