Am 12. September 2014 berichtete Dr. Gassen, KBV-Vorsitzender, im Berliner Hauptquartier der KBV wie immer zuerst über die aktuelle politische Lage. Über die Sommerpause sei am Referentenentwurf eines Gesetzes zur Qualität der Gesundheitsversorgung weitergearbeitet worden. Ende Oktober werde dieser im Bundeskabinett beraten, vor April / Juli 2015 sei also kaum mit einem Inkrafttreten zu rechnen. Das Gesetz zur Stärkung der Pflege sei da bereits weiter, wie auch der Berufshaftpflichtversicherungs-Ausgleich für Hebammen. Die Ärzteschaft sieht nun bei sich ähnliche Bedarfe, dazu später mehr.
Das Ergebnis der GKV-KBV Honorarverhandlungen für 2015 sei ja schon in der öffentlichen Diskussion. Eigentlich sei das eher eine jährliche Orientierungspunktwert-Aktualisierung, den Charakter einer Hono-rarverhandlung habe eher die Überarbeitung von EBM-Kapiteln. Ein Plus von 1,4 % beim Orientierungspunktwert und extrabudgetäre 0,8 %, zusammen 964 Mio. €, über 2,2 % Steigerung sei ein ganz gutes Ergebnis. Weiter habe der unparteiische Vorsitzende des Bewertungsausschusses signalisiert gehabt, dass der Vergleich mit einem Oberarzt-Gehalt keineswegs bindend vorgeschrieben sei, vom Disput über dessen Höhe mal abgesehen (Gassen hatte hierbei von 3 Mrd. € gesprochen). Von daher sei er nun mit der Protokollnotiz zur künftigen Überprüfung der Relation zum OA-Gehalt zufrieden, ansonsten hätten die Kassen vor jede Verhandlung von strukturellen Facharzt-EBM Änderungen wieder die finanzielle Ergebnisneutralität gestellt.
In Zeiten der Deflationsgefahr gebe es weniger Kostensteigerungen, auch nur wenig höhere Lohntarife, so dass bei den jährlich zu verrechnenden Maßzahlen nicht viel herausgekommen sei, zudem konnten die Krankenkassen mit dem gesetzlich verankerten Einbezug von Wirtschaftlichkeitsreserven gut gegenhalten. Diese seien durch die KBV von 2 Mrd. € lt. GKV auf letztlich 500 Mio. € gut runterverhandelt worden. Als günstig für kommende Verhandlungen wertet er, dass man auf das zuletzt fast schon rituelle öffentliche 'Bashing' des Kontrahenten verzichtet habe. Alles in allem seien die 964 Mio. € nun eine gute Ausgangsbasis für die anstehenden konkreten Ausverhandlungen im erweiterten Bewertungsausschuss sowie die länderweisen Honorarverteilungsmaßstabs-Verhandlungen, bei denen ja bislang immer noch mehr Geld hinzugekommen sei.
Dr. Gassen hob perspektivisch hervor, dass das bisherige KBV-"Mantra" einer steigenden Morbiditätsrate nicht mehr stimme, in zwei Bundesländern sei sie sogar gesunken. Unverändert gebe es jedoch in der ambulanten kassenärztlichen Versorgung eine Unterfinanzierung. Man solle seiner Meinung nach besser einen anderen "Leistungsverdichtungsnachweis" entwickeln. Dabei seien Pauschalen kontraproduktiv, man müsse hin zu Einzelleistungs-Abrechnungen. Drei Milliarden würden aber auch beim EBM wegen "anderer Baustellen" kaum drin sein, die GKV drängten auf realistische Absenkungen der Schnitt-Naht Zeiten und zielten damit nicht nur auf die Plausibilitätsprüfungen, sondern auf Punktesenkungen. Das müsse die KBV mit Punktwerterhöhung kontern. Nach dem 30.9., wenn die Arbeit am Hausarzt-EBM-Kapitel abgeschlossen sei, werde man sich voll dem Facharzt-EBM Kapitel widmen.
Anschließend referierte Hr. Casser die konkreten Vorstellungen der KBV zur Verwendung der 0,8 % zusätzlichen extrabudgetären 264 Mio. €, die paritätisch für HÄ und FÄ halbiert werden. Die Positionen der GKV dazu werde man im EBA kennenlernen und dann verhandeln müssen. Im fachärztlichen Bereich wolle man die 132 Mio. € komplett für Erweiterungen der Pauschalen für die fachärztliche Grundvergütung (PFG) nutzen. Neben einer für alle Fachgruppen einheitlichen prozentualen Erhöhung der bisherigen PFG (in 2015 um 26,5 %, das ist der Löwenanteil der 132 Mio. €) wolle man nun auch den Schwerpunkt-Internisten, so sie denn in einem Behandlungsfall grundversorgerisch tätig seien, eine PFG (GOP 13220, 41 Punkte, prognostiziert 6,55 Mio. €) zukommen lassen, wenn sie im Quartal bei einem Pat. nur die Grundpauschale abrechnen würden. Diese beinhaltet ja wie bei uns allen neben dem Verwaltungsaufwand zumindest einen direkten Arzt-PatientInnen Kontakt. Die ca. 6,55 Mio. € sollen jedoch in die morbiditätsorientierte Grundvergütungs-Gesamtsumme (MGV) der Schwerpunkt-Internisten einfließen.
Es wurde nicht erläutert wieso. Das Ganze entzieht sich m. E. sowieso jeglicher Logik, die bislang hinter den PFG stand. Zudem hatte wenige Minuten zuvor Dr. Gassen noch Pauschalen generell als kontrapro-duktiven Weg bezeichnet. Das Köhlersche Erbe der PFG muss man aber wohl einfach weiter sachwalten. Das gute Ziel, die Verringerung der finanziellen Benachteiligung der grundversorgerischen "sprechenden Medizin", wird leider durch das Mittel der Pauschale verwässert. Niemand wird z.B. prüfen, ob überhaupt tatsächlich immer ein Arzt-Pat. Kontakt passiert, wenn die Versichertenkarte bei Schwerpunkt-Internisten eingelesen wird. Die PFG wird dann aber automatisch von der abrechnenden KV hinzugesetzt. Interessant in diesem Zusammenhang: z. B. die GynäkologInnen nutzten so systematisch eine Ausweich-Ziffer nur um die PFG auszulösen, dass jetzt ihre PFG-Konditionen verschärft und ihre PFG-Punktzahl reduziert werden müssen.
Für unsere Fachgruppe, PsychotherapeutInnen und psychosomatische MedizinerInnen, kämen jedenfalls zu den 2014er 164 Punkten = 16,61 € pro ausgelöster PFG in 2015 44 Punkte = 4,52 € hinzu. Wenn ich die projizierte Tabelle richtig las, macht das dann insgesamt 6,18Mio. € PFG (für die größte Fachgruppe unter den FachärztInnen weniger als für die Schwerpunkt-Internisten (wie viele sind das wohl?). Auch für unsere Fachgruppe ist die PFG m. E. ein eher künstliches Konstrukt, wir sind zwar 100 % "sprechende Medizin", aber mit ca. 60 Pat. pro Quartal auf eine prinzipiell andere Art grundversorgerisch tätig. Und diese wird ja wiederum prinzipiell zu niedrig honoriert im von Kassen und KBV dominierten EBM. Witzigerweise ist einen Tag (24.9.) vor unserer Aktionstag-Demo in Berlin (25.9.) die nächste Sitzung des Bewertungsausschusses, da fallen dann die endgültigen Beschlüsse zu Obigem.
Schließlich stellte Herr Rein erste Resultate einer ZI-Befragung zur ärztlichen Berufshaftpflichtversicherung vor. Die Prämien seien von 2009 – 2013 um 5 – 29% gestiegen (PT/Psysom.: 8%). Für ChirurgInnen (3500 €), GynäkologInnen (1900 €), OrthopädInnen und GenetikerInnen war’s im Schnitt am teuersten. In Einzelfällen sei es noch viel teurer. Die freiberuflichen Entscheidungen im Heilberuf gerieten hier unter zu großen ökonomischen Druck. Dabei seien die Schadenshäufigkeiten nicht gewachsen, wohl aber die Schadenssummen. Kritisch sei auch, dass die Prämien meist völlig unabhängig von der Zahl behandelter Fälle seien und Angestellte immer zu Prämiensteigerung führten. Allzu häufig folgten auf Schadensmeldungen Beitragsanhebungen, führten Schadensfeststellungen zur Kündigung durch den Versicherer. Man hafte übrigens noch etliche Jahre nach Berufsende, brauche dann die Versicherung also weiter. Verbesserungsmöglichkeiten wären: der Staat könne diese Risiken übernehmen oder per Gesetzesänderung regulieren (10 Jahre Kündigungsfrist für den Anbieter, über gemeinsame Pflichtversicherung größerer Fachgruppen das Risiko auf viele Schultern legen).
In der nachfolgenden Diskussion aller TOPs wurde zuerst die Morbiditätsrate thematisiert. Es wurde klar: auch wenn epidemiologisch Anstiege ermittelt werden (z.B. Hautkrebs), sagt diese Morbidität aller nur wenig über eine zunehmende Morbidität der Behandelten aus. Und nur um diese geht es in den Verhandlungen. Denken wir es mal für die Psychotherapie durch (ohne Behandlungspauschalen, rein zeitgebundene Leistungen): hier könnte eine höhere Patienten-Morbidität sich allenfalls in schwerer zu behandeln-den Störungen äußern, oder aber in immer größerem Zeitaufwand beim Führen der Warteliste bzw. beim Absagen. Bei uns passt das also eh nicht, bei den Medizinern auf ganz andere Weise auch nicht mehr. Dr. Gassen hat wohl Recht, wenn er meint, was die Mediziner plage, sei eher die stete Leis-tungsverdichtung. Fünf Minuten reichen für multimorbide alte Pat. halt hinten und vorne nicht. Meiner Meinung nach haben sich die Mediziner das allerdings von den Krankenkassen in den jährlichen Verhandlungen willig einbrocken lassen. Solange sie damit mehr Honorare generieren konnten, war ihre Welt in Ordnung. Aber nun, wie sagte es ein Arzt: „Wir sind am Ende der Morbiditäts-Kodier-WM!“. Und wären die Plausibilitätszeiten vieler Mediziner Wirklichkeit, hätten diese eigentlich keine Schlafenszeiten mehr. Insofern könnten wir ganz froh sein, dass dieser Kelch (hypertrophe Ausdehnung der abrechenbar-en Leistungsmengen) an uns Zeitgebundenen so spurlos vorüberging, dass die Kassen sogar ‚wagen‘ konnten, unsere Leistungen auszubudgetieren. Besser für alle wäre jedoch gewesen, man hätte höhere Punktwerte erkämpft. Stattdessen verstrickte man sich mit den Kassen in den nicht auflösbaren Disput, ob die Pat. älter werden, weil sie einfach gesünder sind, oder weil sie besser behandelt werden? Wie auch immer, für die nächste BA-Verhandlungsrunde sollten die PsychotherapeutInnen fordern, dass auch unsere nicht genehmigungspflichtigen Leistungen ausbudgetiert werden. Bis auf die Grundpauschale (und die PFG) sind sie doch auch alle zeitgebunden… . Und, erneut ein Mediziner-Zitat: “In einem budgetierten Honorarsystem machen Einzelleistungen keinen Sinn!“. Der letzte große Erfolg sei die Ausbudgetierung der Psychotherapie gewesen, hieß es. Ansonsten sei man danach nur ganz kleine Schrittchen weitergekommen auf dem Weg zu festen Preisen. Dr. Gassen erwiderte, den Sicherstellungsauftrag zurückgeben, sei leider keine Alternative. Man sei nicht die GDL oder Cockpit, sondern eine Körperschaft.
Dann kreiste die Diskussion um eine Beschlussvorlage von Dr. Gassen für die KBV-VV, die den Koalitionsbeschluss einer Parität von hausärztlichem und fachärztlichem Sektor in der KBV entschärfen soll. Er meinte, eine Sektionierung der KBV in drei Teile (HÄ, FÄ, PT) würde den gemeinsamen Versorgungsauf-trag innerhalb von 5 Jahren erlöschen lassen und alle dreie schwächen. Denn bei der (gegen Rechtsprinzipien verstoßenden) Parität, würden alle separaten Beschlüsse der dreie beklagbar, alles wäre nur noch unter juristischem Vorbehalt gültig. Leider war Frau Feldmann nicht anwesend; ihrem Hausärzteverband unterstellten andere hausärztliche Verbandsvertreter, eine solche Aufteilung der KBV trotz dieser Risiken zu wollen. Allen voran die hausärztlichen KV-Vorstände würden aktiv darauf hinarbeiten. Alle gemischten ärztlichen Berufsverbände waren naturgemäß strikt dagegen, sie verwiesen darauf, dass der Hausärzte-verband keineswegs die Mehrheit der Hausärzte vertrete. Dr. Gassen informierte, dass CDU-Politiker die Gefahren einer KBV-Zerschlagung mittlerweile einsähen, nur die SPD sei noch nicht soweit. Zur Sensibili-sierung der kurz bevorstehenden Vertreterversammlung für diese Gefahren, aber auch als Signal an die Politik, wurde unter Mitwirkung des Vorsitzenden der Vertreterversammlung, Dipl.-Psych. Weidhaas, spontan eine Resolution gegen die Teilung und damit für die Einheit der Vertragsärzte und –psychotherapeuten entworfen. Sie wurde von den allermeisten Berufsverbänden unterzeichnet. Auch der DGVT-Berufsverband hat sich der Resolution angeschlossen.
Jürgen Friedrich
Sprecher der DGVT-BV-Fachgruppe
Niedergelassene