Aus der Landeskonferenz der Richtlinienpsychotherapieverbände (LAKO) und dem Beratenden Fachausschuss Psychotherapie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (BFA-PT)
Am 12.06.2014 trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der LAKO mit der AOK Bayern und Vertretern der Firma Ge.on Team GmbH, um das Case-Management der Krankenkassen von psychisch erkrankten Patienten zu diskutieren.
Die AOK-Vertreter und die Mitarbeiter von GE.on wiesen als allgemeine Vorabinformation erst einmal darauf hin, dass die Krankengeldfallmanager der Krankenkassen oder Mitarbeiter von Beratungsunternehmen wie Ge.on selbstverständlich nicht in die Therapieentscheidung eines Therapeuten oder Arztes eingreifen dürfen. Hier muss man vorausschicken, dass jede Therapieentscheidung an den Approbationsvorbehalt des Psychotherapeuten und des Arztes gebunden ist. Es kann eben nicht jeder Psychologe oder Kassenmitarbeiter in die Therapiefreiheit und Indikationsentscheidung eines approbierten Heilberufstätigen eingreifen.
Soweit sollten also alle Kollegen erst einmal klar sehen, dass Vorschläge der Krankenkassen, z.B. eine leitliniengerechte Behandlung bei einem konkreten Patienten anzuregen, eben nur Anregungen sein können. Die Entscheidung darüber hat der Patient im Dialog mit seinem Psychotherapeuten oder Arzt zu treffen.
Grund und Anlass für das Gespräch waren die vielfachen Klagen von KollegInnen bei den Mitgliedsverbänden der LAKO, dass sich immer mehr Krankengeldfall-Manager, externe Berater und Management-Gesellschaften in die Psychotherapie von unseren Patienten einmischen. Die Arbeit dieser neuen Zwischeninstanz „Case-Management“ ist nach unserer Erfahrung nicht immer zum Wohl der Patienten und richtet nicht wenig Schaden bei einzelnen Psychotherapiepatienten an. So wird beispielsweise oft die Symptomatik von depressiven Patienten oder Angstpatienten durch das implizite „Droh-Potential“, den Krankengeldschutz verlieren zu können, wenn nicht ausreichend kooperiert wird, verstärkt. Es kann auch nicht im Sinne der veranlassenden Krankenkassen sein, dass kranke Menschen zusätzlich belastet werden.
In dem Gespräch mit der AOK Bayern wurde sehr deutlich, dass die Krankenkassen großes Interesse zeigen, aber auch den gesetzlichen Auftrag haben, die steigenden Krankengeld-Bezugszeiten, die durch psychische Erkrankungen ausgelöst werden, zu reduzieren. Die Zunahme sei lt. AOK Bayern gravierend und zwinge alle Kassen, nicht nur die AOK, zum Handeln. Waren es bei der AOK-Bayern im Jahr 2006 noch 310 Mio. Euro, die für den Krankengeldbezug ausgegeben werden mussten, so sind es im Jahr 2013 bereits 528 Mio. Euro gewesen und für das Jahr 2014 werden Kosten von 567 Mio. Euro erwartet.
Dabei sind die psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren an die zweite Stelle des Diagnose-Spektrums aufgestiegen. Nach den orthopädischen Erkrankungen, die mit 38% an erster Stelle liegen, folgen 2013 bereits die psychischen Erkrankungen mit 20% (Zahlen der AOK Bayern).
Versorgungsdefizite (79% der psych. Erkrankten sind bei einem Allgemeinmediziner in Behandlung) und Kostensteigerungen haben die Krankenkassen, die per Gesetz auch zum wirtschaftlichen Handeln verpflichtet sind, veranlasst, Überlegungen anzustellen, wie man dem Problem auch im Sinne der Versicherten konzeptionell begegnen kann.
Neben speziellen Versorgungsformen ist die zusätzliche Einbindung von externen Beratungsfirmen, wie der Ge.on Case Management GmbH bei Fällen, in denen psychische Erkrankungen die Arbeitsunfähigkeit ausgelöst haben, einer der Lösungsansätze.
In dem Gespräch wurde zunächst deutlich, dass man das Krankengeldfallmanagement, das von Mitarbeitern der Krankenkassen durchgeführt wird, von den speziellen Beratungsangeboten, das von den Mitarbeitern der Ge.on in den Räumen der Krankenkassen durchgeführt wird, unterscheiden muss.
In Bayern sind derzeit bei der AOK etwa neun solcher Fachberater mit psychologischer Kompetenz im Einsatz. Bundesweit sind etwa 40 Berater von Ge.on für verschiedene Krankenkassen tätig.
In Bayern arbeiten die Ge.on-Berater in den AOK-Direktionen, die einen Schwerpunkt bei den psychischen Erkrankungen zu verzeichnen haben. Das sind München, Ingolstadt, Würzburg, Augsburg, Nürnberg, Rosenheim und Bamberg, also die Ballungsräume. Dort werden neben den bayernweit etwa 550 Krankengeldfallmanagern, die bei der AOK angestellt sind und Mitarbeiter der AOK sind, eben diese Spezialberater der Firma Ge.on hinzugezogen, wenn es sich um Langzeitkrankheitsfälle mit einer F-Diagnose handelt. Diagnosen aus dem Kapitel F 2, den Schizophrenieformen Erkrankungen, werden explizit nicht von diesem Angebot der Ge.on erfasst.
Pro Jahr, so die Informationen, werden etwa 500 bis 1.000 Fälle von Langzeit-Krankheiten mit F-Diagnosen von diesen Ge.on-Mitarbeitern betreut. Diese machen explizit keine Psychotherapie, sondern sollen nur beratend tätig werden, um speziell den Patienten notwendige Behandlungsmöglichkeiten, -abfolgen und -schritte transparenter zu machen, ggf. auch zunächst zur Behandlung zu motivieren und in diese zu vermitteln. Das Ziel ist eine zeitnahe Versorgung und damit einhergehend die Möglichkeit, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Der Schwerpunkt der Beratungsarbeit in den Ballungsräumen liegt, so die Ge.on-Mitarbeiter, im Bereich der Suchterkrankungen und der affektiven Störungen. Der Anteil der Beratenen mit Migrationshintergrund sei sehr hoch. Aufgabe der Krankengeldfallmanager ist u.a. die Aufklärung über sozialrechtliche Fachfragen, wie lange z.B. der Krankengeldbezug ist oder wie die Auszahlung des Krankengeldes technisch erfolgt.
In der Beratung durch Ge.on gehe es vor allem auch um die Unterstützung der Patienten, eine möglichst leitliniengerechte Behandlung zu erhalten. Daneben spiele auch die Motivation der Patienten zur Therapie eine wichtige Rolle in den Beratungen. Zunehmend kommt es zu längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten mit F-Diagnosen (F48.0, F43.2, Z56) verbunden mit Arbeitsplatzkonflikten/ -problemen und in selteneren Fällen zu Mobbing. Hier dient die Beratung der praktischen Unterstützung der Konfliktklärung am Arbeitsplatz.
Die Ge.on, so die Auskunft, würde nur Hochschulabsolventen der Psychologie/Sozialarbeit/Sozialpädagogik mit therapeutischer Zusatzqualifikation oder Beratungstechniken (Counseling) einsetzten, die nur bei F-Diagnosen beraten. Im Unterschied dazu sind die etwa 550 Krankengeldfallmanager der AOK in Bayern für alle Erkrankungen zuständig. Sie sind direkte Krankenkassen-Mitarbeiter und verfügen in der Regel über eine Berufsausbildung als Sozialversicherungsfachangestellte mit Schwerpunkt Krankenversicherung. Beide Einrichtungen sollen sich nach Auskunft der AOK nicht in Psychotherapien einmischen. Ganz im Gegenteil sei man bei der Ge.on sehr froh, wenn sich ein Patient bereits in Psychotherapie befinde. Ziel sei es, ein zusätzliches Hilfsangebot zu schaffen, das die Patienten dezidiert rasch einer leitliniengerechten Behandlung zuführt. Hauptproblem der Ge.on-Beratungen sei es aber zeitnah einen Therapieplatz zu finden. Deshalb dienten die Beratungen auch oft der Überbrückung der Wartezeit.
Nachdem 75% der Krankschreibungen im Bereich der psychischen Erkrankungen durch die Hausärzte erfolgt, soll das Angebot auch dafür sorgen, dass die Patienten nicht unnötig lange in der somatischen Medizin gehalten werden.
Deshalb sind alle Krankenkassen mehr oder wenig aktiv geworden, die Fälle von Langzeiterkrankungen im Bereich der F-Diagnosen gezielt zu „managen“. Neben der Ge.on, die für die AOK-Bayern tätig ist, gibt es noch andere Beratungsfirmen wie „health-care“ oder „3LG“, die für andere Kassen tätig sind. Dass es nicht wenige Fälle von misslungenem „Fallmanagement“ gibt, konnten die Vertreter der LAKO den Vertretern der AOK-Bayern und der Firma Ge.on in dem Gespräch am 12.6.14 deutlich machen, wobei es sich in den geschilderten Fällen nicht nur um AOK-Versicherte handelte[1].
Man wolle mit diesem neuen und zusätzlichen Angebot den Patienten helfen und nicht schaden. Dass es dennoch wiederholt zu ungünstigen Verläufen kam, ist vermutlich auf Schnittstellenprobleme der Informationsweitergabe innerhalb der AOK zurückzuführen.
Wichtig ist deshalb zu wissen, dass die Krankengeldfallmanager der Krankenkassen aber auch die Ge.on-Mitarbeiter nicht immer Kenntnis davon haben, ob ein Patient bereits in Psychotherapie ist. Dies liegt zu einen an der internen Informations-Weitergabe der Krankenkassen aber auch an dem eher schwerfälligen bzw. langdauernden System der Kassenabrechnung. Deshalb, so das Fazit des Gesprächs am 12.06.14, seien die einzelnen, misslungenen Fälle der Zusammenarbeit darüber erklärlich, dass eben der Krankengeldfallmanager von der bereits stattfindenden Psychotherapie keine Kenntnis hatte oder die Krankenkasse erst über die Abrechnung auf die laufende Therapie aufmerksam wurde. Warum die Weitergabe der Kenntnis über einen erfolgten Therapieantrag, der ja in der Regel von der Kasse vor Beginn der Psychotherapie bearbeitet wird, nicht immer zeitnah funktioniert, konnte nicht gänzlich aufgeklärt werden.
Sowohl in der LAKO als auch im Beratenden Fachausschuss Psychotherapie der KV Bayerns wurde mit Verwunderung aufgenommen, wie die neu bayerische Gesundheitsministerin Melanie Hummel in der Öffentlichkeit sich für die Belange der stationären Versorgung psychisch kranker Menschen positioniert. Der ambulante Sektor, der doch einen Großteil der Versorgung leistet, wurde von der Ministerin eher am Rande erwähnt.
Beide Gremien haben daraufhin das Gespräch mit der Ministerin gesucht und in den letzten Wochen vorsprechen können. Zu den Ergebnissen wird bei der nächsten Ausgabe näheres berichtet.
Arztnetze zur Behandlung von Depression, ein Pilotprojekt der AOK Aufgrund zunehmender Frühberentung und längerer Krankentagegeldzahlungen bei psychischen Erkrankungen, insbesondere Depression, fühlen sich die Krankenkassen dazu aufgerufen die Hausärzte mit in diese Behandlungen einzubeziehen, z.B. auch Telefonate zur „Aufklärung“ von entsprechenden Patienten zu führen, und mit Fallmanagern seitens der Krankenkasse zusammenzuarbeiten. Pilotprojekte wurden in Forchheim, Nürnberg, Rosenheim, Augsburg und München eingerichtet. Der Schwerpunkt liegt in einem Monitoring und der leitliniengerechte Therapie. Das Depressions-Management beinhaltet neben ausführlicher ärztlicher Beratung die regelmäßige telefonische Befragung der Patienten durch Medizinische Fach-angestellte (mindestens einmal monatlich) mit anschließender Berichterstattung an den Arzt. So sei gewährleistet, dass der behandelnde Arzt fortwährend über den Gesundheitszustand seines Patienten informiert ist und seine Behandlung entsprechend anpassen kann. Das kontinuierliche Monitoring soll dazu führen, dass die Betroffenen zeitnah geeignete Therapien erhalten und leitliniengerecht behandelt werden, um die Symptome der Depression zu reduzieren und ihre Lebensqualität zu verbessern. Für Allgemeinärzte, ärztliche Psychotherapeuten und Medizinische Fachangestellte, die als Multiplikatoren für interessierte Arztpraxen in den Arzt-Netzen fungieren, fanden bereits unterstützende Workshops zur „Qualitätsgesicherten Versorgung von Depressionspatienten“ statt. Er stehen Materialien und Schulungskonzepte zur Verfügung, die laufend weiterentwickelt werden. Soweit der „Originalton AOK“.
Hier klaffen jedoch die Vorstellungen über eine „leitliniengerechten Therapie à la AOK“ und das Selbstverständnis der Psychotherapeuten weit auseinander. Dies wurde auch in beiden Gremien moniert. Vor allem ist zu bemängeln, dass die Berufsgruppe der Psychologischen Psychotherapeuten (PP) keine Erwähnung bei den AOK-Vorstellungen findet und diese in dem Pilotprojekt auch nicht mit einbezogen wurden.
Es kann nicht sein, dass Medizinische Fachangestellte einmal im Monat nach der Befindlichkeit des Patienten fragen und dem Hausarzt berichten. Das ist eine Verballhornung des Anspruchs von leitliniengerechter Therapie von Depressionen. Unser Ziel ist es, das hier nachgebessert wird und die Berufsgruppe der PP mit einbezogen wird.
Willi Strobl
Landessprecher Bayern
Kontakt:
bayern@dgvt.de; bayern@dgvt-bv.de
[1] Sollten Sie, als Mitglied des DGVT-Berufsverbands, in Einzelfällen Probleme mit dem Krankengeldfallmanagement oder dem Einsatz der Ge.on-Mitarbeiter im Bereich der AOK Bayern haben, so wenden Sie sich an Willi Strobl von der Landesgruppe Bayern der DGVT und des DGVT-Berufsverbands.