Mit Wirkung zum 1. März 2015 hat sich durch eine neue Gesetzgebung die rechtliche Grundlage für die psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen geändert. Neben anderen Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz wurde auch festgelegt, dass AsylbewerberInnen 15 Monate nach Stellung des Asylantrags Anspruch auf Gesundheitsleistungen auf dem Niveau der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben. Bisher betrug diese Frist 48 Monate. Innerhalb dieser Frist können Asylsuchende lediglich sehr eingeschränkte und im Wesentlichen auf Akut- und Schmerzversorgung beschränkte Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen.
Diese Verbesserung ist grundsätzlich sehr zu begrüßen. Allerdings zeigt sich in der Praxis ein gegenteiliger Effekt. Die psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen ist in akuter Gefahr, in einem Streit um Zuständigkeiten und die Finanzierung auf der Strecke zu bleiben. Dies ist nicht nur angesichts der ständig steigenden Flüchtlingszahlen ein humanitäres Desaster. Vor dem Hintergrund zunehmender Konflikte in vielen Regionen der Welt, die mit äußerster Gewaltanwendung und Grausamkeit ausgetragen werden, wächst auch die Zahl der Flüchtlinge, die Opfer von Folter, Vergewaltigung, Misshandlung und anderen traumatisierenden Erfahrungen geworden sind.
Dass sich die bisher schon unzureichende psychotherapeutische Versorgung solcher Flüchtlinge weiter zu verschlechtern droht, hat mehrere Ursachen. So kommt es derzeit zu Verzögerungen in der Bewilligung der Projekte im Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU, die eine Hauptfinanzierungsquelle fast aller spezialisierten psychosozialen Zentren für Flüchtlinge in Deutschland darstellt, weil die Bundesregierung die entsprechenden Richtlinien noch nicht umgesetzt hat. Zudem haben diese Zentren allesamt keine Kassenzulassung, weshalb die Krankenkassen die Finanzierung der Therapien verweigern. Ausnahmeregelungen zum Beispiel nach dem Prinzip des Kostenerstattungsverfahrens werden in jedem Einzelfall von den Kassen geprüft und häufig abgelehnt. Die Landkreise wiederum stellen ihre bisherigen Zahlungen an die Zentren unter Verweis auf die neue Rechtslage ein.
Die Bundesregierung, die dafür sorgen könnte, dass die Psychosozialen Zentren von den Kassen anerkannt werden, verweist auf die alleinige Zuständigkeit der Länder und Kommunen für die Gesundheitsversorgung von AsylbewerberInnen. In diesem Schwarzer-Peter-Spiel werden die Flüchtlinge erneut zu Opfern gemacht. In Psychosozialen Zentren begonnene Therapien mussten bereits abgebrochen werden, mehrere Zentren schränkten mangels Finanzierung ihre Angebote stark ein oder stehen kurz vor einem solchen Schritt. Hinzu kommt, dass die Bezahlung von Dolmetschern für die Verständigung in der Therapie nach Ansicht der Bundesregierung nicht zum Leistungsanspruch von GKV-Versicherten zählt. Sie verweist auf ein entsprechendes Urteil des Bundessozialgerichts. Unter diesen Voraussetzungen können auch niedergelassene PsychotherapeutInnen kaum als Anlaufstelle für Flüchtlinge fungieren.
Die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) e. V. appelliert an die Verantwortlichen in Bund, Ländern, Kommunen und Gesetzlichen Krankenkassen, sich ihrer Verantwortung zu stellen und gemeinsam Lösungen zu finden, um eine adäquate psychosoziale Versorgung traumatisierter Flüchtlinge sicherzustellen. Ausdrücklich unterstützt die DGVT die Forderungen der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BafF) und der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), die auf eine verbindliche Finanzierung der psychosozialen Zentren abzielen.
Tübingen, 26. Mai 2015