Aus der Landeskonferenz der Richtlinienpsychotherapieverbände (LAKO) und dem Beratenden Fachausschuss Psychotherapie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (BFA-PT)
Böse Zungen, zumindest „preußische“, behaupten in Bayern gingen die Uhren anders. Selbst als gebürtiger Bayer muss man dem manchmal zustimmen.
Ein Paradebeispiel an rückwärtsgerichteter Gesundheitspolitik lieferte die 2. stellvertretende Vorsitzende der KVB, Dr. Ilka Enger, mit einen Brief, den sie an Minister Gröhe, die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages und an die Bayerischen Mitglieder des Deutschen Bundestages schickte. Diesen Brief sandte sie einen Tag vor der dritten Lesung des GKV Versorgungsstärkungsgesetzes (VSG).
Was war der Inhalt dieses Briefes? Die Vertreterin der niedergelassenen Psychotherapeuten in Bayern fordert Minister Gröhe zu Folgendem auf:
„[…] Allerdings soll durch einen Änderungsantrag auch die Befugniseinschränkung für Psychotherapeuten zurückgeführt werden. Hier unterstütze ich die geplanten Änderungen nicht, sondern erbitte eine erneute Reflexion. Die vorgesehenen Kompetenzerweiterungen sollten auch zukünftig auf Ärzte begrenzt werden, da nur sie über die Möglichkeiten der notwendigen Organdiagnostik und eines mehrdimensionalen Therapieansatzes aus Psychotherapie, Pharmakotherapie und Soziotherapie verfügen. Eine Krankenhausbehandlung darf im Sinne der Patienten, aber auch des Wirtschaftlichkeitsprinzips nur erfolgen, wenn andere Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichend sind. Dies muss im Rahmen der Verordnung einer Soziotherapie (vgl. §4 Abs. 1 der Richtlinie über die Durchführung von Soziotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung) beurteilt werden. Dies bedeutet, dass alle Möglichkeiten eines ambulanten Therapieansatzes ausgeschöpft sein müssen, bevor eine Krankenhauseinweisung angezeigt ist. Dies kann auf Grund der erworbenen Kompetenzen im Studium und Ausbildung nur ein Arzt beurteilen.
Grundsätzlich unterstütze ich im Rahmen der Ausbildungsreform der Psychologischen Psychotherapeuten die Vermittlung medizinischer Basiskenntnisse. Dies sollte zukünftige Psychologischen Psychotherapeuten noch besser in die Lage versetzen, in welchen Situationen Ärzte zur differentialdiagnostischen Klärung oder zur Einleitung einer zusätzlichen pharmakotherapeutischen Intervention hinzuzuziehen sind. Ohne medizinisches Studium können aber nicht die notwendigen pathophysiologischen, neuroanatomischen, pharmakologischen aber auch sozialmedizinischen Kenntnisse erworben werden, um den möglichen Erfolg, der durch die Kombination von Psychotherapie mit weiteren therapeutischen Maßnahmen auch unter ambulanten Bedingungen eintreten könnte, abschätzen zu können.
Die Überarbeitung der Psychotherapierichtlinie und damit verbunden die Aufnahme einer offenen Sprechstunde und weitere Angebote wie Krisenintervention, Prävention u.a. werden eine Veränderung des Praxisalltags der psychotherapeutischen Praxen bedeuten. Die Praxen werden sich einer neuen Struktur und einem neuen Ablauf stellen müssen und darüber hinaus auch einen stärkeren Anteil an Bürokratie in ihren Alltag integrieren müssen. Darüber hinaus hat der G-BA erst Anfang dieses Jahres eine jahrelange Diskussion mit einem Beschluss auf die Neufassung der Soziotherapierichtlinie beendet, die vom Bundesministerium Anfang April nicht beanstandet wurde.
Sehr geehrter Herr Bundesminister: Die Rückführung der Befugniseinschränkung für Psychotherapeuten stärkt nicht die Versorgung psychisch kranker Menschen in Deutschland. Vielmehr sollte die anvisierten Änderungen der Ausbildung und der Psychotherapierichtlinie die volle Aufmerksamkeit zu Teil werden und eine angemessene Zeit zur Umsetzung auch der neuen Soziotherapierichtlinie gegeben werden.“
Für Experten war diese für uns PP/KJP brüskierende Initiative von Frau Enger überraschend und unverständlich. Zu den Aufgaben von Frau Enger im KV-Vorstand gehört die besondere Sorge um die Bedürfnisse der Psychotherapeuten, insbesondere der PP und KJP. Häufig wirkt sie auch sehr bemüht, Ausgleich und Verständnis zu erreichen. Wieso dann dieses Schreiben – wem sollte es dienen? Jeder Insider weiß, dass der Text für ein Gesetz am Tag vor der dritten Lesung im Bundestag nicht mehr verändert werden kann, zumindest nicht durch die öffentliche Initiative einer Lobbyistin. Sollte sie hier den Einflüsterungen ärztlicher PsychotherapeutInnen erlegen sein, und wollte sie hier zumindest symbolisch besonderes Verständnis zeigen wollen? Ohne Rücksicht auf Verluste? Ihre Beziehungen zu den PP/KJP hat sie zumindest nachhaltig geschädigt. Die Verbände der Psychotherapeuten haben die nächste Gesprächsrunde mit Frau Enger als zuständigem KV-Vorstand im Juli unter Hinweis auf das beschädigte Vertrauensverhältnis abgesagt.
Aber es geht auch vorwärts in Bayern, zumindest in einigen Teilen Bayerns. So hat der Bezirk Oberbayern beschlossen, ein Projekt mit dem Ziel „wohnortnahe Hilfen für Menschen in seelischer Not“ über fünf Jahre zu fördern flächendeckend auszubauen.
Der Krisendienst sei ihm für mich ein „Herzensanliegen“, sagte Bezirkstagspräsident Josef Mederer. „Endlich können Menschen in akuten seelischen Krisen wohnortnah und rasch einen Hilferuf absetzen, ohne dass sie fürchten müssen, mit dem Notarzt auch die Polizei im Haus zu haben. Zudem werden sie fachkompetent unterstützt, das jeweils am besten für sie geeigneten Hilfeangebote zu finden.“ Das Projekt sei erfreulicherweise das Ergebnis der hervorragenden Kooperation zwischen den Trägern der freien Wohlfahrtspflege, den Kliniken des Bezirks Oberbayern (kbo) und dem Bezirk Oberbayern, so Mederer weiter.
Der Ausbau des Krisendienstes erfolgt laut dem Beschluss des Bezirkes stufenweise. Geplant sind vier Versorgungsgebiete, die fast deckungsgleich mit den vier Planungsregionen sind.
Der Startschuss wird im Landkreis München fallen – gefolgt von der Region 10 (Ingolstadt, LK Eichstätt, LK Neuburg, LK Pfaffenhofen), weil dort die Vorbereitungen am weitesten gediehen sind.
Die Leitstelle ist weiterhin beim Atriumhaus in München angesiedelt. Bei ihr gehen – wie beim bestehenden Krisendienst München – die telefonischen Erstkontakte ein. Sie ist ärztlich geführt, mit speziell geschulten Fachkräften besetzt und übernimmt die Erstberatung. Die Leitstelle koordiniert die geeigneten Hilfen. Erreichbar ist sie künftig über eine zentrale 0180-Rufnummer aus ganz Oberbayern von 9 Uhr bis 24 Uhr.
Das wichtigste Anliegen ist die bestmögliche Wohnortnähe der Hilfeangebote. Deshalb übernehmen in den vier Versorgungsregionen dezentral verortete Fachstellen (u. a. Sozialpsychiatrische Dienste und Psychiatrische Institutsambulanzen) die persönliche Krisenintervention. Je nach Bedarf erfolgt dies über kurzfristige ambulante Beratungstermine, Kriseneinsätze vor Ort oder stationäre Klinikeinweisungen.
In den Krisendienst können sich alle Bürger und Bürgerinnen Oberbayerns in akuten seelischen Notlagen wenden ebenso wie deren Angehörige, Betreuer und sonstige beteiligte Dritte im sozialen Umfeld. Auch Experten aus Medizin und Fachstellen finden dort ein offenes Ohr. Eingerichtet ist der Dienst auf Anrufer aller Altersgruppen ab 16 Jahren, Menschen mit und ohne Behinderungen sowie verschiedener Kulturkreise und aller gesellschaftlichen Gruppen.
Das Projekt wird derzeit ausschließlich über Mittel des Bezirkes gefördert, da die Krankenkassen bisher eine Unterstützung ihrerseits abgelehnt haben, mit der Begründung, dass dieser Bedarf über das Notfallsystem für somatische Erkrankungen abgedeckt werde, das von ihnen mitfinanziert werde.
Dieses reiche aber aus Sicht des Bezirks Oberbayern nicht aus, um die vielfältigen Problemlagen von Menschen mit einer akuten seelischen Erkrankung zu bewältigen.
In diesem Kontext hat die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bezirksverband Oberbayern, vom Bezirk den Auftrag erhalten ein Konzept zu erarbeiten, wie ein möglicher Kriseninterventionsdienst für Jugendliche aussehen könne und aufgebaut werden kann.
Willi Strobl war beim ersten Arbeitsgruppentreffen dabei und es kristallisierte sich deutlich heraus, dass die Bedürfnisse der jungen Menschen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die an einer seelischen Krise leiden, ganz anderer Natur sind und auch ein völlig anderes Herangehen notwendig machen. Ob sich auch für Jugendliche eine entsprechende Institution etablieren lässt, wird sich zeigen.
Willi Strobl
Landessprecher Bayern
Aus der Psychotherapeutenkammer
Delegiertenversammlung der Kammer am 26.6.2015
Die Delegiertenversammlung hat sich neben vielen notwendigen Routinen (Jahresabschluss, Entlastung Vorstand, Bericht über Umsetzung Weiterbildungsordnung u.a.) intensiv mit der psychotherapeutischen Versorgung von Flüchtlingen beschäftigt. Unser Fraktionsmitglied Dr. Maria Gavranidou hat hierzu einen spannenden Fachvortrag gehalten. Nach einer längeren Diskussion wurde noch eine Resolution zum Thema verabschiedet, die sich auf die bessere Verfügbarkeit von Dolmetschern bezieht und insgesamt eine bessere psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen fordert.
Wichtig noch: Die Kammer wächst und hat nunmehr Anrecht auf einen weiteren Bundesdelegierten (zum Deutschen Psychotherapeutentag). Hier wurde unser Fraktionskollege Priv.-Doz. Dr. Markos Marakos gewählt (1. Stellvertreter: Willi Strobl, 2. Stellvertreter Frank Mutert)!
Maßregelvollzugsgesetz verabschiedet und eine kleine Revolution ist geglückt!
Man mag es sich kaum vorstellen, aber es gab nun auch in Bayern einen Schritt zur Gleichstellung von PP/KJP mit Ärzten. Als der erste Gesetzentwurf im vergangenen Jahr vorgelegt wurde, war er konservativ gefasst, wie es nicht anders zu erwarten war: Klinikleitung und Zuständigkeit für Anordnungen (über Maßregeln): Alles in ärztlicher Hand. Seitens der Kammer haben wir anschließend viele gute Argumente zusammengetragen und fortschrittliche Beispiele aufgezählt. Es half alles nichts (zunächst mal) – das zuständige Sozialministerium meinte (ganz ähnlich wie Frau Enger, s.o.), Psychotherapeuten seien per se derart (begrenzt) ausgebildet, dass sie einer ärztlichen Aufsicht bedürfen. Dann begannen den Herbst/Winter über viele intensive Diskussionen mit Beteiligten und Insidern. Unser Fraktionskollege Dr. Christian Hartl als Mitarbeiter in der Forensischen Klinik im Universitätsklinikum Regensburg beispielsweise traf sich zum Gespräch mit dem regionalen Landtagsabgeordneten. Die Gewerkschaft ver.di nutzte gute Kontakte und auch die Kammer, die über Jahre hinweg manche wertvolle Kontakte zu Gesundheitspolitikern im Landtag (gerade bei der CSU) hatte, nutzte diese für Überzeugungsarbeit. Und alles zusammen fruchtete letztlich: Eine Gruppe von CSU-Abgeordneten aus dem Sozialausschuss des Landtages unter Leitung des Ausschussvorsitzenden Hr. Unterländer beantragte eine Änderung des Gesetzentwurfes. Zukünftig sollten Maßregelvollzugseinrichtungen in besonderen Fällen auch von PP geleitet werden können, und diese sollen auch, gleichberechtigt zu Ärzten, sofern die Leitung des Hauses nicht erreichbar ist, in ihre Verantwortungsbereich über Disziplinarmaßnahmen etc. entscheiden können. Am 8. Juli wurde das Gesetz mit diesen Änderungen verabschiedet.
Das neue bayerische Maßregelvollzugsgesetz enthält auch sonst einige fortschrittliche Regelungen: Die Untergebrachten haben Anspruch auf einen Therapieplan und eine Behandlung nach anerkannten Standards. Es gibt Regelungen für die Aufsicht der Einrichtungen (externe Fachaufsicht) sowie verschiedene Vorschriften zur Erhöhung der Transparenz und zu Beschwerdestellen.
Heiner Vogel