Am 25.11.2015 fand in Bochum das vom Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit NRW organisierte Fachforum zum Thema „Geschlecht Gewalt Depressionen. Risiken Ressourcen Resilienzen“ statt, an dem ca. 100 Frauen und vielleicht 10 Männer teilnahmen. Es wurde eröffnet von den Veranstalterinnen Marion Steffens, Ulrike Janz, Andrea Stolte und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes-Nordrhein-Westfalen, Barbara Steffens. Daran schlossen sich Grußworte von Prof. Dr. Susanne Schwalen als Vertreterin der Ärztekammer Nordrhein und Dr. Michael Schwarzenau als Vertreter der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Schließlich folgte eine etwas längere Begrüßung durch das Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit NRW vertreten durch Marion Steffens und Prof. Dr. Claudia Hornberg (Uni Bielefeld). Schon mit diesen Eingangsstatements wurde klar, dass sich die folgenden Beiträge weniger auf die Auswirkungen von Gewalt auf die Gesundheit von Frauen und Männern beziehen würden, sondern ausschließlich auf die von Frauen. Und so kam es dann auch.
Prof. Dr. Anke Rhode (Uni Bonn), eine ausgewiesene Expertin für Gynäkologische Psychosomatik, referierte zu „Depressionen in der Lebensspanne von Frauen“. Sie gab zunächst einen sehr klar strukturierten, guten Überblick über die neuesten Zahlen zur Prävalenz von Depressionen bei Frauen und Männern. Danach konzentrierte sie sich auf die biopsychosozialen Ursachen und Zusammenhänge von Depressionen im Leben von Frauen.
Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand zum einen der Menstruationszyklus, der sich auf die Befindlichkeit aller Frauen auswirkt, jedoch nur bei 3-5 % der Frauen zu einem Prämenstruellen Syndrom (PMS) führt, was sich u.a. in hoher Reizbarkeit und Wut äußern kann. Hinter dieser Wut kann man eine Depression vermuten, die Zusammenhänge müssen allerdings noch genauer untersucht werden. Das PMS sollte entsprechend diagnostiziert und behandelt werden, was insofern schwierig ist, weil es bislang in Deutschland keine anerkannte Diagnose ist. Auch darum wird das PMS oft übersehen bzw. falsch eingeordnet und entsprechend falsch oder gar nicht behandelt.
Zum andern ging die Referentin ausführlich auf alle Störungen und Probleme ein, die sich rund um den Kinderwunsch und um eine Schwangerschaft gruppieren können. Frauen, die Kinder wollen, aber keine bekommen können, haben ebenso ein erhöhtes Risiko, darauf mit einer – chronischen – Depression zu reagieren, wie Frauen, die zwar schwanger werden, deren Schwangerschaft aber mit Komplikationen verbunden ist. Dazu gehören ungewollte Schwangerschaften, Komplikationen während der Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbrüche, Fehlgeburten, Totgeburten, Frühgeburten, Geburten von Kindern mit Behinderungen und ganz einfach auch gelungene Geburten mit gesunden Babys, aber Müttern, die nachgeburtlich nicht nur unter einem „Baby-Blues“ leiden, sondern eine postpartale Depression entwickeln. Diese postpartale Depression setzt in der Regel erst ein bis zwei Wochen nach der Geburt ein und kann sich unbehandelt chronifizieren. Die Referentin wies wiederholt darauf hin, dass alle Depressionen im Zusammenhang mit dem hormonellen Zyklus (also auch Depressionen in den Wechseljahren) und rund um die Schwangerschaft und die Geburt behandelt werden sollten. Als Quintessenz sagte sie, dass alle Depressionen – im Prinzip – leicht zu behandeln seien. Sie empfahl eine Kombination aus psycho- und soziotherapeutischen Ansätzen und einer (passenden) medikamentösen Behandlung. Auf diese Einschätzung und Hinweise zur Behandlung wurde in der anschließenden sehr kurzen Diskussion allerdings nicht eingegangen.
Es folgte ein Beitrag von Dr. Jayne Bailey (Universität Bristol) zum Thema: “Domestic violence and abuse and mental health: Findings from a UK program of research”. Die Referentin stellte aus den Projekten PROVIDE (Programme of Research On Violence in Diverse Domestic Environments) und PATH (Psychological Advocacy Towards Healing) eine Vielzahl von empirischen Daten zur psychischen Gesundheit einerseits und zur häuslichen Gewalt andererseits dar, sowie zu ihrer wechselseitigen komplexen Interdependenz. Metaanalysen belegen, dass Frauen (und Männer), die unter einer psychischen Störung leiden (wie z.B. Depression) ein höheres Risiko haben, Opfer von häuslicher Gewalt zu werden als Menschen, die nicht unter einer psychischen Störung leiden. Gewalterfahrungen in der Partnerschaft können psychische Störungen auslösen bzw. verstärken diese. Frauen (und Männer) mit psychischen Störungen und/oder Gewalterfahrungen befinden sich also in einem negativen Zirkel, der eine eigene Dynamik entwickelt. Umso wichtiger ist es, den Betroffenen eine angemessene psychosoziale Unterstützung zukommen zu lassen. Dieser Ansatz wird mit dem Projekt PATH verfolgt. Zur Einstimmung in diesen Teil des Projekts präsentierte die Referentin ein Video, in dem ein Gespräch mit einer Frau aufgezeichnet worden ist, die häusliche Gewalt erlebt hat und depressiv ist. Erste Ergebnisse zeigen, dass Frauen von den Angeboten von PATH signifikant und mindestens über 12 Monate hinweg profitieren. Allerdings ist dieser Teil des Projekts noch nicht abgeschlossen. Die endgültigen Ergebnisse werden erst in den kommenden Jahren publiziert.
Nach der Mittagspause führte Dr. Georg Kremer (Bielefeld) mit vielen lebhaften Beispielen und in flotter Darbietung in die motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI) ein. Er betonte den Ansatz von MI als partnerschaftliches Gespräch, das die Chancen einer Verhaltens- oder Lebensveränderung unterstreicht. Er zeigte überzeugend, dass MI auch im Gespräch mit Depressiven eingesetzt werden kann und nachweislich erfolgreich ist. Der Referent gab den Zuhörerinnen viele Anregungen, wie MI in der konkreten Arbeit ein- und umgesetzt werden kann und wie vergnüglich MI-geleitete Gespräche sein können.
Abschließend hatten die Teilnehmerinnen – die wenigen Männer hatten zu diesem Zeitpunkt die Tagung bereits verlassen – die Gelegenheit, einige Übungen aus der Energetischen Psychologie, der Stressbewältigung, der Selbstregulation und zur Emotionalen Stabilisierung selbst kennenzulernen. Notwendigerweise waren das nur sehr kleine Häppchen, die zum Teil unter etwas widrigen Umständen angeboten wurden.
Insgesamt war es eine interessante Tagung, da viele Daten und Fakten zum Thema: Frauen, Gewalt und psychischen Störungen (Depressionen) behandelt wurden. Männer als Betroffene von Gewalt (oder als Gewalttäter) kamen nur am Rande vor. Es wäre fair gewesen, das von vornherein im Titel klar zu machen.
Prof. Dr. Irmgard Vogt, Frankfurt am Main