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Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) mit neuer Trägerschaft und erweitertem Konzept für die Patientenberatung ab dem 1.1.2016[1]


Am 21. September 2015 haben der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann (CDU), und der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) die neue Trägerorganisation der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) mit ihrem Konzept vorgestellt. Neuer Träger wird eine Tochtergesellschaft des Duisburger Callcenters Sanvartis. Über die Sommermonate hatte es einen heftigen Streit über die Auswahl dieses Unternehmens gegeben.[2] Die bisherigen Träger der UPD, der Verbund unabhängige Patientenberatung VuP e.V., der Sozialverband VdK und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kritisierten, Sanvartis könne nicht neutral sein; das Unternehmen habe auch schon für Krankenkassen und die Pharmaindustrie gearbeitet. Entsprechenden Protesten schloss sich ein vielstimmiger Chor vor allem aus dem grünen Lager und der SPD an, aber auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

Auch Mitglieder des Beirats der UPD hatten protestiert: Professorin Marie-Luise Dierks von der Medizinischen Hochschule Hannover und Professor Rolf Rosenbrock, ehrenamtlicher Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – Gesamtverband, haben schließlich wegen der Vergabeentscheidung ihr Mandat niedergelegt.

Die Neuvergabe der UPD-Fördermittel war notwendig, weil die gesetzlichen Vorgaben (§ 65b SGB V) immer nur eine zeitlich befristete Vergabe dieser Mittel erlauben und die zurzeit noch laufende Förderphase Ende dieses Jahres ausläuft. Die im Verfahren unterlegenen bisherigen Trägerorganisationen haben das Ausschreibungsverfahren durch die Vergabekammer des Bundes prüfen lassen. Das sei ihr gutes Recht, versicherte Laumann, stellte dann aber fest, die Kammer sei in ihrem Beschluss vom 3. September zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen: „Schließlich gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der GKV-Spitzenverband das Vergabeverfahren manipulativ zugunsten der Sanvartis GmbH betrieben hätte.“ Klar sei also: „Es hat ein faires und rechtmäßiges Vergabeverfahren gegeben.“

Laumann versicherte in diesem Zusammenhang, er habe in einem gesonderten Rechtsgutachten prüfen lassen, ob die im Angebot der Sanvartis vorgeschlagenen Maßnahmen die Neutralität der Beratung auch wirklich sichern können. Wenn er von seinem – verfahrenstechnisch möglichen – Vetorecht hätte Gebrauch machen wollen, hätte er dies natürlich „rechtlich sauber“ begründen müssen. Aber auch dieses Gutachten sei zu dem Schluss gekommen, die vorgeschlagenen Maßregeln seien überzeugend. Vor allem um dieses Thema ging es bei der Pressekonferenz.

Die zentralen Elemente zur Sicherung der Unabhängigkeit im Konzept des Ausschreibungssiegers sind nach Darstellung von Gernot Kiefer, dem zuständigen Vorstandsmitglied des GKV-SV, die folgenden:

  1. Die neue UPD wird durch eine neu gegründete gemeinnützige Gesellschaft durchgeführt.
  2. Die in der Patientenberatung tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, mit Ausnahme weniger Fachärzte, deren Expertise in Einzelfällen nachgefragt wird, bei der neuen UPD angestellt. Sie werden nicht gleichzeitig für andere Anbieter – auch nicht für die Sanvartis GmbH – tätig und unterliegen keinen Interessenkonflikten.
  3. Der Geschäftsführer arbeitet ausschließlich für die neue UPD.
  4. Die neue UPD wird über ein eigenes IT-System verfügen. Ein Zugriff des Mutterkonzerns darauf ist nicht möglich.
  5. Künftig wird es einen unabhängigen Auditor geben. Er soll im Auftrag des Beirats die Geschäftsprozesse kontinuierlich unter den Aspekten Unabhängigkeit und Neutralität überwachen.
  6. Auf Neutralität und Unabhängigkeit wird auch durch die wissenschaftliche Evaluation ein besonderes Augenmerk gelegt. Sie wird für den gesamten Förderzeitraum in Kürze ebenfalls neu ausgeschrieben.
  7. Zudem enthält auch die Fördervereinbarung, die mit der neuen UPD geschlossen werden soll, Sanktionen, sollten Neutralität und Unabhängigkeit gefährdet sein. Das beginnt bei Rückforderungen und reicht bis zur Vertragskündigung.
  8. Außerdem erhält der Beirat – nach den Worten Laumanns –Weisungsrechte gegenüber der UPD.

Zur Kontroverse um die Vergabeentscheidung erklärte Kiefer: „Statt Fakten zu diskutieren, vermengten sich in der öffentlichen Wahrnehmung Mutmaßungen, vermeintliche Kenntnisse und Halbwahrheiten zu einer interessanten Melange.“ Das Konzept der neuen UPD sei jedoch überzeugend und biete den Ratsuchenden deutlich mehr Leistungen. Die „Marke UPD“ bleibe dabei erhalten; Logo und Signet gingen an die neue Trägerorganisation über. Eine deutliche Verbesserung der Qualität der Patientenberatung erwartet Laumann durch die folgenden Maßnahmen:

  • Die Erreichbarkeit der UPD wird verbessert: Bereits ab 2017 soll die Anzahl der Beratungen auf jährlich über 200.000 erhöht werden. Zum Vergleich: Aktuell werden rund 81.000 Beratungen pro Jahr durchgeführt. Um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Versicherten Rechnung zu tragen, wird die neue UPD über verschiedene Zugangswege erreichbar sein: telefonisch, schriftlich, online und auch persönlich vor Ort.
  • Die telefonische Beratung wird verbessert: Die neue UPD wird länger erreichbar sein – Montag bis Freitag von 8:00 bis 22:00 Uhr, an Samstagen von 8:00 bis 18:00 Uhr (anstatt wie bisher Montag bis Freitag von 10:00 bis 18:00 Uhr und donnerstags von 10:00 bis 20:00 Uhr). Neu wird übrigens auch sein, dass alle Anrufe für die Ratsuchenden kostenfrei sind – nicht nur aus dem Festnetz, sondern künftig auch aus den Mobilfunknetzen.
  • Die persönliche Beratung vor Ort wird verbessert. Bislang gibt es bundesweit 21 Beratungsstellen. Die neue UPD wird künftig an mindestens 30 Standorten in Volkshochschulen und Bürgerdiensten erreichbar sein. Neu ist auch: In Ausnahmefällen kann die persönliche Beratung sogar als aufsuchende Beratung erfolgen, z. B. beim Ratsuchenden zuhause.
  • Die neue UPD wird für die persönliche Beratung vor Ort außerdem über drei UPD-Mobile verfügen, die jenseits der festen Standorte nach Vorankündigungen in der lokalen Presse erreichbar sind.
  • Ratsuchende können sich natürlich auch schriftlich an die UPD wenden. Anfragen per Brief sollen dabei in der Regel innerhalb von 48 Stunden, Anfragen per Mail oder per Fax innerhalb von 24 Stunden beantwortet werden.
  • Das Internetangebot wird deutlich verbessert. Mit der Einbindung von Chats und Webinaren werden Ratsuchenden moderne Informationswege angeboten. Dazu kommen ein Rückruf-Service sowie eine online-Beratung über eine Registrierung oder wahlweise per E-Mail.
  • Die Beratung vulnerabler Zielgruppen wird verbessert: Montag bis Samstag von 8:00 bis 18:00 Uhr erbringen türkisch- und russischsprachige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine allgemeine Beratung. Ist ein Gespräch mit einem Experten notwendig, wird hierzu mit den Ratsuchenden ein Rückruftermin vereinbart, an dem zusätzlich ein Dolmetscher teilnimmt.

Das klingt durchaus überzeugend. Dennoch bleiben offene Fragen. So ist z. B. die Anerkennung der Gemeinnützigkeit noch keineswegs sicher. Trotzdem erklärt Thorben Krumwiede, designierter Geschäftsführer der neuen Trägerorganisation, dass die versprochenen Leistungen auch ohne die Steuervorteile der Gemeinnützigkeit uneingeschränkt erbracht werden könnten. Auch das Motiv der Sanvartis GmbH, sich überhaupt in Sachen UPD zu engagieren, ist unklar. Sie macht damit keinen Profit, sich selbst aber Konkurrenz, weil sie für die UPD-Aufgaben möglicherweise ihr eigenes Personal abwerben muss. Linus Drop, Geschäftsführer der GmbH, räumt dieses Problem im Gespräch ein, sieht jedoch für sein Unternehmen einen Vorteil darin, dass es die IT und andere administrative Leistungen an die künftige UPD verkaufen kann. Die Konditionen des entsprechenden Angebots habe die Vergabekammer in ihrem Bescheid ausdrücklich als „marktüblich“ eingeschätzt. Hinzu käme durchaus das Engagement für eine gute Sache.

Sicher hat die Sanvartis GmbH einen Image-Gewinn durch das UPD-Projekt, dessen Übernahme ihre Qualität und Neutralität auch für andere Auftraggeber glaubwürdig macht. Auch ohne einen Bruch des Datenschutzes erwartet man wohl auch, wenigsten informell, an den Erfahrungen der UPD zu partizipieren. Unklar ist jedoch, wie bis zum Jahresanfang 2016 das System mit seinem personellen Angebot funktionstüchtig sein kann bzw. wie bis zum 1. April 2016 – so die Versprechung von Krumwiede – „alle Beratungsleistungen zur Verfügung stehen sollen“. Die Unabhängigkeit der neuen UPD wird sich somit an vielen praktischen Fragen erweisen, z.B. wie man sozialrechtlich und medizinisch qualifizierte Mitarbeiter gewinnt, die sich nicht nur von Krankenkassen oder Leistungserbringern befristet „ausleihen“ lassen, sondern mit der UPD das volle Job-Risiko eingehen. Oder wie man fachärztliche Experten für eine Zusammenarbeit auf Honorarbasis findet, die sich auch für ihre weiteren Tätigkeiten auf die strengen Compliance-Regeln einlassen. Man darf z. B. auch gespannt sein, wie viele der rund 80 Beschäftigten der bisherigen UPD durch den neuen Träger übernommen werden.

Befremdlich wirkt außerdem der von Kiefer und Laumann als selbstverständlich unterstellte Wachstumsbedarf der UPD: Warum sollte es wünschenswert sein, dass sich die Anzahl der Beratungen künftig um über 150 Prozent steigern soll, wenn die Inanspruchnahme der UPD doch nur durch ernsthafte Probleme in der medizinischen Versorgung bzw. beim Handeln der Kassen veranlasst sein sollte?

Das zentrale Problem liegt offensichtlich in der Pflicht zur Ausschreibung, die auch der neuen Trägerorganisation spätestens in sieben Jahren zu schaffen machen dürfte: Es spricht zwar einiges dafür, dass auch Beratungsleistungen wie die UPD immer wieder konzeptionell auf den Prüfstand müssen. Auch Personalwechsel helfen dabei, eingefahrene Routinen und auch Vorurteile neu zu überdenken. Wenn man aber solche Institutionen wie die UPD mit Hilfe einer Ausschreibung ihrer Leistungen vor institutioneller und personeller Sklerose bewahren möchte, muss man auch die damit verbundenen Risiken akzeptieren, z. B. dass Erfahrungen teilweise verloren gehen, Personal freigesetzt wird und neue Akteure eine Bewährungsphase brauchen.

Diese eigentlich banale Konsequenz wurde wohl im Zusammenhang mit der UPD von vielen Beteiligten nicht gezogen: Die feste Etablierung der UPD in § 65b SGB V wurde nämlich mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG, Inkrafttreten am 1. Januar 2011) erreicht. Dabei hatte man sich auch auf das Ausschreibungsverfahren festgelegt. Eine nennenswerte Kritik daran gab es nicht. Die Freude über die dauerhafte Institutionalisierung einer Einrichtung, die bis dato nur als prekärer Modellversuch bestand, hat augenscheinlich andere Problempunkte überdeckt.

Dann kam der nächste Schritt: Im Juni 2014 verabschiedete der Deutsche Bundestag das GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz (GKV-FQWG). Es enthielt die Änderungsanträge, die – letztlich durch politischen Druck des damals neuen Patientenbeauftragten Karl-Josef Laumann – die Laufzeit der UPD-Vergabe auf sieben Jahre verlängert und die jährlichen Fördermittel auf 9 Mio. Euro erhöht haben. Zu diesen Änderungen gab es fast nur Zustimmung. Selbst von der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Patient/inn/enstellen (BAGP) und dem Sozialverband VdK wurde keine Kritik an der Pflicht zur Ausschreibung geäußert. Die bisherigen Trägerorganisationen der UPD, der Verbund unabhängige Patientenberatung VuP e.V. (dem die BAGP angehört), der VdK und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gingen offenbar davon aus, dass sie künftige Ausschreibungen selbstverständlich wieder gewinnen. Dass das Erbhofdenken im Ergebnis die Realität verfehlte, hat diese Organisationen sichtlich verblüfft.


[1]Quelle: Gesundheitspolitischer Informationsdienst ‚gid‘; Ausgabe 24/25 vom 9.10.2015; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

[2] Auch die DGVT hatte in der VPP und der Rosa Beilage mehrfach über den Ärger im Zusammenhang mit der Vergabeentscheidung berichtet.


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