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Bericht von der 25. Sitzung der Konzertierten Aktion der KBV mit den Berufsverbänden


Am 11. Dezember 2015 berichtete der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen im Berliner Hauptquartier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wie immer zuerst zur aktuellen politischen Lage. Der außerordentliche Bundesärztekammer-Tag zur möglichen GOÄ-Novelle (Gebührenordnung für Ärzte) 2016 sei gut für mehr Transparenz. Ein Ziel müsse sein, das private Krankenversicherungswesen zu stabilisieren. Zu den GOÄ-Verhandlungen merkte später ein Arzt an, man habe bei den Privat-Honoraren in 25 Jahren mittlerweile ca. 55% Inflationsverlust erlitten.

Die Bundesregierung sei fleißig, das E-Health Gesetz wurde verabschiedet (seit 1.1.2016 in Kraft). Negativ beurteilte Dr. Gassen die darin enthaltenen Sanktionsmöglichkeiten bei Fristversäumnis. Die Fristtermine zum Online-Versichertenstammdaten-Management, Juli 2016 für die KBV (Testphase) und Juli 2018 bei den Niedergelassenen (Flächendeckung) seien wegen dem offensichtlichen Rückstand der Industrie aberwitzig. Am Krankenhausstruktur-Gesetz (seit 1.1. 2016 in Kraft) sei zu kritisieren, dass damit 10 Mrd. € ohne Struktur mit der Gießkanne verteilt würden. Portalpraxen seien prinzipiell ein ganz netter Ansatz, jedoch unausgegoren. Mit dem vom Ministerium für Verbraucherschutz konzipierten Gesetzentwurf gegen Korruption im Gesundheitswesen sei die Kriminalisierung von Kooperationsstrukturen zu befürchten, die doch ansonsten so gewünscht seien. Zum Pflegeberufsgesetz-Kabinettsentwurf, der die Ausbildungen in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einer neuen generalistischen Pflegeausbildung zusammenlegt (soll 2016 verabschiedet werden und in Kraft treten, damit 2018 die neue Ausbildung starten kann), habe die KBV eine grundsätzlich zustimmende Erklärung veröffentlicht. Bezüglich des Sterbehilfegesetzes (seit 10.12. 2015 in Kraft) merkte Dr. Gassen an, dass nun schon wiederholte Sterbehilfe als gewerbsmäßig gelte und somit nach § 217 StGB „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ nun kriminalisiert werden könne. Da wäre es besser gewesen gar keine Neuregelung zu machen.

Nun zur Selbstverwaltung: Mit den Facharzt-Kapiteln des EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) sei man für einzelne Fachgruppen recht weit, in 2016 würden dann alle Kapitel abgeschlossen. Die Berufsverbände können und sollen auch weiterhin ihre Vorstellungen bei der KBV einbringen. Durch einen Mix von Pauschalen und Einzelleistungsvergütungen versuche man, die stetige Leistungsverdichtung abbildbar zu machen. Bei weiter andauernder Budgetierung werde man aber vorschlagen, einzelne Leistungen aus dem EBM, also der GKV herauszunehmen.

Zum öffentlichen Image der KBV selber, die ja aus den Schlagzeilen gar nicht mehr herauszukommen scheint, sprach Gassen erst nach Aufforderung der Anwesenden ein paar Sätze. Die Presseberichte über die Gesprächsabsage von Frau Michalks (MDB, CDU, Gesundheitsausschuss) solle man nicht überbewerten, denn an diesem Tag habe ein Treffen der KBV mit dem Gesundheitsausschuss stattgefunden. Aus rein formaljuristischen Gründen müsse man möglicherweise die Beauftragung von Prof. Lilie (Vorsitzender des unlängst installierten KBV-Vertrauensausschusses, u. a. zur Aufklärung der Vorwürfe in Zusammenhang mit den drei Strafanzeigen gegen den ehemaligen KBV-Vorsitzenden Dr. Köhler) wegen Vorwürfen der Befangenheit zurücknehmen. Dies würde aktuell mit dem BMG geklärt. Das habe jedoch nichts mit strukturellen Problemen innerhalb der KBV zu tun. Mit dieser Ansicht stimmten einige Diskutanten wenig überein, sie sprachen von irreparablen Imageschäden und heizten die Gerüchteküche weiter an: Dem Chefaufklärer sei vor Kurzem hier im Hause die Akteneinsicht verweigert worden. Dr. Gassen war bezüglich der Preisgabe dieses Details ‚not amused‘ und fragte,  woher der Diskutant diese Interna taufrisch wisse. Er könne aber beruhigen, der KBV-Datenschutzbeauftragte habe die Einsicht nur verweigern müssen, da keine schriftliche Formulierung des Einsichtsbegehrens vorgelegen habe und so die unumgängliche Anwesenheit eines KBV-Mitarbeiters während der Akteneinsicht nicht zeitnah zu organisieren gewesen wäre. Zum Vorwurf, es sei wenig vertrauenserweckend, wenn eine ehemalige ‚Köhler-Kanzlei‘ nun gegen Köhler agieren solle, erspare ich den LeserInnen die eher juristischen Gegenargumente. Im Januar findet zudem ein Gespräch im Ministerium (BMG) statt. Mein Eindruck als Zaungast war: Unterm Deckel brodelt’s wohl noch gewaltig in der KBV. Der letzte Tiefpunkt war ja erst wenige Tage alt, das Bundesgesundheitsministerium hat laut „Süddeutsche Zeitung“ Strafanzeige gegen den früheren Chef der Kassenärztlichen Vereinigung, Andreas Köhler, erstattet. Hier geht es um Mietzuschüsse, die dieser von seinem früheren Arbeitgeber KBV zu Unrecht erhalten haben soll[1]. Das KBV-System mit hochbezahlten hauptamtlichen Vorsitzenden scheint also nicht vor Korruption geschützt zu sein. Bereits im Dezember berichtete die Presse darüber, dass die KBV eine Klage gegen die vom Bundesministerium für Gesundheit per Ersatzvornahme verordnete Satzungsänderung prüfe. Bei Abstimmungen sollen Haus- und Fachärzte demnach in der KBV-Vertreterversammlung gleich viele Stimmen erhalten. Drei Mal hatte diese zuvor jene von ihr ministeriell verlangte Parität nicht selber beschlossen. Mittlerweile hat die KBV Klage gegen die aufsichtsrechtliche Verfügung der Satzungsänderung eingereicht.

Dr. rer. pol. Casser, Leiter des KBV-Dezernats Vergütung berichtete anschließend Näheres zum „Sachstand EBM-Weiterentwicklung“. Im Sommer 2014 hatte der Bewertungsausschuss (BA) ein Inkrafttreten zum Januar 2016 eingeplant, nun wird’s hoffentlich Sommer 2017. Die Ärzteschaft will eine Neubewertung der ärztlichen Leistungen, die Krankenkassen wollen Strukturänderungen. Beide wollen die fachärztliche Grundversorgung stärken. Die Kassen bestehen auf Kostenneutralität, die ÄrztInnen wollen neue Leistungen davon ausklammern und es sollen keine größeren Umverteilungen zwischen Fachgruppen entstehen. Wichtigste Stellschrauben jeglicher Weiterentwicklung sind die Taxierung der ärztlichen Leistung und der technischen Leistung. Mit Letzterer hatte die sogenannte Apparatemedizin viele Jahre viel Geld machen können, nun soll die genuin ärztliche Leistung wieder gestärkt werden.

Vorschläge für solcherlei strukturelle Änderungen konnten beispielsweise für die Psychotherapie von unseren Berufsverbänden, nach dem Unterlagenversand seit Mitte Juni 2015 bei der KBV eingereicht werden. Aber ich vermute, die vom Gesetzgeber angeordnete Novellierung der PT-Richtlinie bis Mitte 2016 dürfte ganz neue Gebührenordnungspositionen (GOP) in unser EBM-Kapitel bringen und damit neuerliche Rückmeldungen der Berufsverbände vor den Beratungen zu deren Bewertung im AK4 des BA nach sich ziehen. Gemäß eines fast schon rituellen Prozedere wird der kalkulatorische Arztlohn neu berechnet (Gassen: „Nur dieser bringt uns neues Geld!“). Zuerst werden stets Argumente zur Erhöhung (KBV) und zur Absenkung (GKV) dieses kalkulatorischen Arztlohns vorgelegt, dann verhandelt und schließlich ein Kompromiss gefunden. So nimmt die KBV diesmal als Bezugspunkt 157.437 €, gemäß einem leitenden Oberarzt in Entgeltgruppe IV, Stufe 2. Dabei geht sie von einer Wochenarbeitszeit von ca. 52 Std. aus, wovon ca. 38 Std. direkt patientenbezogen seien. Obendrauf wünscht die KBV ganz innovativ noch den Einbezug von Personalkosten für einen Praxismanager, der die ÄrztInnen von den sogenannten Overhead-Arbeitszeiten für delegierbare Verwaltungstätigkeiten (ca. 12 % der Gesamtzeit) entlastet. In der nachfolgenden Diskussion konnte ich es mir nicht verkneifen, von solch einer rechnerischen Aufspaltung in ärztliche und verwalterische Leistungsanteile abzuraten, mit dem warnenden Beispiel des jüngst von der KBV im EBA akzeptierten ‚Strukturzuschlags‘ in der Psychotherapie, den dann aber nur vielleicht ein Viertel der KollegInnen erhalte. Das sei ein Weg, der uns alle zu im Akkord arbeitenden Scheinselbständigen zu machen drohe.

Nach dem sog. Standardbewertungssystem (STABS) rechnet man derzeit mit ca. 140.000 Minuten ärztlicher Leistung (AL-Zeit) im Jahr. Nach Auswertung der ärztlichen Abrechnungsdaten von 2011 waren die Bruttokalkulationszeiten je nach Fachgruppe jedoch sehr unterschiedlich lang, bei PsychotherapeutInnen ca. 95.000 Min., bei den AllgemeinmedizinerInnen und ChirurgInnen ca. 211.000 Min., bei den OrthopädInnen stolze 303.000 Minuten. Diese Leistungs-Kalkulationszeiten und die tatsächlichen Arbeitszeiten klaffen also teilweise weit auseinander. Wieso? Die Leistungen der Psychotherapie sind im EBM fast komplett zeitgebunden, die der medizinischen Fächer fast gar nicht. Das heißt, MedizinerInnen können und dürfen fast so schnell wie der Wind arbeiten, bzw. abrechnen. Das will man nun schlicht und ergreifend durch eine simple Quotientenbildung, ‚Anpassungsfaktor‘ genannt, einebnen.

Im letzten Schritt wird man die Kostendaten aktualisieren. Vom statistischen Bundesamt liegen Daten für 2011 vor, die KBV will diese mit aktuelleren ZIPP-Daten ergänzt sehen. Mal sehen, ob die Krankenkassen das diesmal zulassen müssen, weil das Institut des Bewertungsausschusses (InBA) seit 2015 nicht mehr an juristisch belastbare offizielle Daten herankommt. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich.

In der Diskussion über die EBM-Reform zeigten sich die BerufsverbandsvertreterInnen illusionslos abgeklärt, sie ließen das Kleinklein der einzelnen Verhandlungsargumente schnell hinter sich und suchten nach einer gänzlich neuen strategischen Perspektive für bessere Arzthonorare. In den Selektivverträgen verdiene man ca. 30% mehr. International sei die BRD ein ärztliches Niedriglohnland, stimmte Dr. Gassen ein. Die Anderen fuhren fort: Wir müssen immer schneller arbeiten und die Arbeit wird immer komplexer. Der EBM bringe kein neues Geld, nur Umverteilung. Man sei auch nicht auf den erhofften Weg hin zu festen Preisen gekommen, zumal die Deckelung verhindern würde, dass diese etwas bringen könnten.

Dr. Casser berichtete in TOP 4 zum ‚Sachstand Telemedizin‘, der sich durchs E-Health-Gesetz ergibt. Elektronische Arztbriefe (aus dem PC-Praxisverwaltungs-programm heraus, via KV-Connect oder Safemail) sollen nun bereits vor Einführung der Telematik-Infrastruktur gefördert werden können, wenn hierbei ein Heilberufsausweis mit elektronischer Signatur verwendet wird. Dafür müssen die Praxisverwaltungssysteme dann Funktionen zur Erstellung einer qualifizierten elektronischen Signatur (QES) bieten. Die Anschubfinanzierung gilt für das Jahr 2017 wird, wie so vieles, eine Mengenbegrenzung sowie eine Quotierung haben. Das ist insgesamt nicht gerade das, was man eine Killer-Applikation nennt, die jeder haben will. Die 2 x 55 Cent pro Arztbrief dürften zumindest PsychotherapeutInnen nicht hinterm Berg hervorholen können. Auf der KBV-Vertreterversammlung am 4. März 2016 wird der Richtlinienentwurf erneut beraten werden, damit es 2017 losgehen kann. Das dann Folgende zur ‚Telemedizinischen Kontrolle bei kardiologischen Implantaten‘ erspare ich uns, diese Leistung wird zukünftig mit 511 Punkten vergütet.

Das E-Health-Gesetz enthält auch einige für unsere berufliche Zukunft folgenschwere Implikationen. So werden Möglichkeiten der elektronischen Behandler-Patienten-Fern-kommunikation geschaffen bzw. legalisiert, die ich bislang rechtlich nicht für nutzbar hielt. Dabei sollen auch Standards definiert werden, die dem Gesetzgeber scheinbar ausreichende Datensicherheit garantieren sollen. Sogar Smartphones und andere mobile Endgeräte sollen dabei nicht nur als Telefon für die Kommunikation im Gesundheitswesen nutzbar werden.

Zur Förderung der Telemedizin soll ab April 2017 die telekonsiliarische Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen und ab Juli 2017 die Online-Videosprechstunde in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen werden. Das soll PatientInnen die Kontaktaufnahme mit dem Behandler/der Behandlerin deutlich erleichtern. Ich bin gespannt, ob das auch für die Psychotherapie möglich werden wird. Bis Ende 2018 muss die gematik noch so einige Voraussetzungen schaffen. Daten der PatientInnen (z.B. Arztbriefe, Notfalldaten, Medikationsdaten) sollen in einer elektronischen Akte für sie bereitgestellt werden können. Damit können sie dann ihre BehandlerInnen informieren. Jedoch entscheidet der Patient/die Patientin, welche medizinischen Daten auf der Gesundheitskarte gespeichert werden, welche nicht und wer Zugriffsrechte darauf hat. Wegen der so möglichen Lückenhaftigkeit dieser Datensätze werden BehandlerInnen meines Erachtens nach auf diese Daten keine verantwortbaren Behandlungsentscheidungen aufbauen können. Damit wird die elektronische Akte auf der Gesundheitskarte behandlungsbezogen eigentlich wertlos. Aber vielleicht sehe ich das ja zu eng. Ein ganz handfester Gewinn für PatientInnen ist hingegen, dass sie durch das E-Health-Gesetz ab Oktober 2016 Anspruch auf einen Medikationsplan erhalten, falls sie drei oder mehr verschriebene Arzneimittel anwenden. Sobald es dann irgendwann mal die Telematik-Infrastruktur geben wird, können sie den Behandlungsplan dann auf ihre elektronische Gesundheitskarte laden lassen und vielleicht ja sogar auf ihr Handy.

Dr. Casser endete mit dem Ausblick, die Politik habe hohe Erwartungen in die Potentiale einer telemedizinischen Versorgung, insbesondere für strukturschwache Regionen. Weitere Aktivitäten der Politik zur Etablierung von telemedizinischer Versorgung seien zu erwarten. In der Diskussion kritisierten die VertreterInnen der Berufsverbände, dass bereits die erste telemedizinische Leistungsziffer in der Morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) „versenkt“ werde. Was habe die Verweigerungshaltung der Ärzteschaft dem Telematik-Infrastruktur-Etablierungsstreben der Kassen und der Politik gegenüber bislang eingebracht? Machen wir uns nichts vor, der Politik soll die Telemedizin zum Sparen dienen. Dieser Pragmatik wird durchaus gerne ein bisschen Datensicherheit und Behandlungsqualität geopfert.

Dr. Susanne Armbruster, Abteilungsleiterin Flexible Versorgungsformen und Patientenorientierung, berichtete dann noch über den aktuellen Stand der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Auf spezialisierte Palliativversorgung hat man nach § 37 b SGB V seit April 2007 Anspruch, den für den ambulanten Bereich die G-BA Richtlinie nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 regelt. Gemäß dieser Richtlinie entstanden jährliche Umsetzungsberichte. Voraussetzungen für SAPV sind: Eine fortgeschrittene, nicht heilbare Erkrankung und eine interdisziplinäre aufwendige Versorgung. Auch ihr Umfang wird dort definiert: Beratung, Versorgung und Koordinierung. Leistungsmenge und Ausgaben stiegen über die letzten Jahre stark. Laut einer Bertelsmann-Studie möchten 76% der Befragten zu Hause sterben, aber nur 20% davon können das derzeit tun. Das Hospiz-und Palliativgesetz vom 8.12.2015 zielt auf Stärkung der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV) sowie die flächendeckende Verbreitung der SAPV-Zentren. In Vorbereitung durch die KBV-Vertragswerkstatt sei eine Anlage zum Bundesmantelvertrag zur qualifizierten und koordinierten palliativ-medizinischen Versorgung. Das ist sicher eine gute Sache.

 

Jürgen Friedrich (Sprecher der DGVT-Fachgruppe Niedergelassene)

 


[1] Die Verhandlung darüber fand am 21.01.2016 im Berliner Landgericht statt. Dr. Andreas Köhler hat in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender zu Unrecht monatlich einen Mietkostenzuschuss in Höhe von 1450.07 Euro bezogen. Dieses Geld muss er nun zurückzahlen (94.000 Euro plus Zinsen).


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