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Raum für Verbesserung – Gesundheitsversorgung in Österreich [1]


In der Gesundheitsversorgung sollte es in Österreich keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern geben. Doch ob das so ist, wissen wir gar nicht, zeigt ein Rechnungshofbericht.

von Sylvia Groth

Geschlechtergerechtigkeit ist eines der Ziele der österreichischen Politik, das sie über strategische Vorgaben und gesetzliche Bestimmungen (u. a. Rahmengesundheitsziele, Bundeshaushaltsgesetz, Bundesfinanzgesetz – BFG 2015) erreichen will. Im Bereich Gesundheit bedeutet dies: gleicher Zugang zur Versorgung für Männer und Frauen und, wie es im Bundesfinanzgesetz heißt, die „Verbesserung der Gesundheit beider Geschlechter unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Gesundheitsversorgung und des Gesundheitsverhaltens“.

Rechnungshof prüft Zweckbestimmtheit der Finanzgebarung

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Unterschiede im Gesundheitszustand und der Krankheitslast sowie in der Krankenversorgung von Frauen und Männern in Österreich bekannt sein. Dazu ist es erforderlich, die Gesundheitsdaten und die Daten der Krankenversorgung geschlechterspezifisch zu erfassen, zu analysieren und zu veröffentlichen. Dabei geht es sowohl um Daten zu den biologischen Unterschieden und/oder Gleichheiten („biologisches Geschlecht“) wie auch um Daten zu den Auswirkungen der jeweiligen sozialen Rollen und Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern („soziales Geschlecht“ oder auch „Gender“) auf den Gesundheitszustand und Krankheiten.

Der Rechnungshof als Organ der externen öffentlichen Finanzkontrolle überprüft grundsätzlich, inwieweit Bund, Länder und Gemeinden die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel sparsam, wirtschaftlich spezifisch auch im Sinne der Zweckbestimmungen eingesetzt haben. Da Geschlechts- und Genderspezifik eines der Ziele der österreichischen Politik ist, standen in den vergangenen Jahren verstärkt genderrelevante Themen im Fokus dieser Behörde. Sie führte 2014 insgesamt 14 Gebarungsüberprüfungen mit genderrelevanten Aspekten durch.1

Tabelle 1: Kenndaten zur Gendergesundheit in Österreich

Quelle: Gendergesundheit in Österreich. Bericht des Rechnungshofes 2015, Seite 397

 

Grundlagen für Gendergesundheit

Rahmen–Gesundheitsziele; Wirkungsziele gemäß BHG 2013, BGBl. I Nr. 139/2009 i.d.g.F.; Gesundheit Österreich GmbH–Gesetz, BGBl. I Nr. 132/2006 i.d.g.F.; Gesundheitsförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 51/1998 i.d.g.F.;
Allgemeine Rahmenrichtlinien für die Gewährung von Förderungen aus Bundesmitteln, BGBl. II
Nr. 51/2004 i.d.g.F.;
Suchtmittelgesetz, BGBl. I Nr. 112/1997 i.d.g.F.

Förderungen und Projekte mit Genderbezug

2009

2010

2011

2012

2013

 

BMG

Anzahl

6

6

6

5

5

 

in Mio. EUR

Förderungssumme

0,16

0,19

0,22

0,16

0,18

 

FGÖ

Anzahl1

2

2

0

3

0

 

In Mio. EUR1

Förderungssumme

0,10

0,32

0,00

0,32

0,00

 

GÖG/ÖBIG

Anzahl

20

11

12

22

14

 

In Mio. EUR

Investitionen

3,43

3,37

3,30

3,53

2,52

 

1 jeweils Projektende dargestellt, meist zwei– bis dreijähriger Projektzeitraum

 

 

Tabelle 2: Geförderte Projekte des BMG mit Genderbezug

                Quelle: Gendergesundheit in Österreich, Bericht des Rechnungshofes 2015, Seite 409.

 

 

2009

2010

2011

2012

2013

Summe

2009 bis 2013

 

in Mio. EUR

Förderungen1

5,60

7,31

5,34

5,44

6,36

30,05

davon mit Genderbezug1, 2

0,16

0,19

0,22

0,16

0,18

0,91

Anzahl

Geförderte Projekte

35

34

34

28

30

161

davon mit Genderbezug

6

6

6

5

5

28

1VA-Ansatz 1/24206
2Förderungen durch Abt. III/8 bearbeitet

 

 

Erste Hinweise

2012 hatte der Rechnungshof die Versorgung von Schlaganfallpatienten in Oberösterreich und Steiermark überprüft und einen Bericht vorgelegt.2 In der Steiermark hatte sich gezeigt, dass Frauen mit Schlaganfall eine höhere Sterblichkeit haben als Männer, für die geschlechts- und genderspezifische Unterschiede in der Versorgung verantwortlich sind. Darauf hatte der Fachbeirat Frauengesundheit der Gesundheitsplattform Steiermark hingewiesen.3 Erst gezielte Maßnahmen wie umfassende Dokumentation und Auswertungen sowie politischer Wille und Fortbildungen der ärztlichen-, Pflege- und Rettungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter werden sicherstellen, dass alle Beteiligten diese Ungleichheit in der gesundheitlichen Versorgung von Patientinnen mit Schlaganfall wahrnehmen und ändern.4 In einer Follow-up-Überprüfung stellte der Rechnungshof 2015 fest, dass die von ihm empfohlenen Maßnahmen großteils umgesetzt wurden, ein Schlaganfall-Register existiert in der Steiermark allerdings immer noch nicht.5

In dem zu Anfang dieses Jahres veröffentlichten Bericht Gendergesundheit in Österreich fokussiert der Rechnungshof nun die hierfür zuständigen Einrichtungen. Dies ist das Bundesministerium für Gesundheit, das auch Alleingesellschafter für die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) mit Österreichischem Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG), Fonds Gesundes Österreich FGÖ und Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG) ist.6

Auffallend sind die wenigen Fördermittel für den Bereich Gendergesundheit, die zersplitterten Kompetenzen und die insgesamt geringe Rolle der Gendergesundheit in Österreich. So hat das Gesundheitsministerium im Berichtszeitraum 2009 bis 2013 insgesamt 161 Projekte mit rund 30 Millionen Euro gefördert. Lediglich drei Prozent dieser Förderungen (rund 910.000 Euro) entfielen auf Projekte mit Genderbezug. Die GÖG führte 79 Projekte mit Genderbezug durch (keine Angabe zum Anteil an der Gesamtförderung), der FGÖ förderte sieben Projekte mit Genderbezug (auch hier fehlt die Angabe zum Anteil an der Gesamtförderung) (siehe Tabellen 1 und 2).

Keine geschlechtsspezifische Aufschlüsselung

Weiters kritisiert der Bericht konkret, dass die Ausgaben für Frauen und Männer mit Diabeteserkrankungen in Höhe von 2,8 Milliarden Euro nicht geschlechterspezifisch aufgeschlüsselt werden. Für das Disease-Management-Programm (DMP) Therapie aktiv, an dem, wie der Bericht anmerkt, nur sieben Prozent der an Diabetes Mellitus erkrankten Personen teilnahmen, fehlen geschlechtsspezifische Erhebungen und die Darstellung der Wirkungen des Programms. Auch den Programmen zur Suchtprävention, zu Nikotin- und Alkoholkonsum fehlt der Genderbezug meist ganz, obwohl sich Inzidenz, Mortalität wie auch die Lebenswirklichkeiten der Frauen von denen der Männer mit diesen Erkrankungen signifikant unterscheiden, wie der Bericht vermerkt.

Im Sinne einer effektiven Mittelverwendung bietet sich die prioritäre Evaluierung der (niedrigen) Teilnahmezahl wie auch die (mangelnde) Berücksichtigung geschlechterspezifischer Aspekte im DMP Therapie aktiv an, was der Rechnungshof auch ausdrücklich empfiehlt. Schon die geringe Teilnahme am DMP von sieben Prozent der Erkrankten hat dem Bericht zufolge (Seite 416) Einsparungen in der Diabetikerversorgung im Ausmaß von 24 Millionen Euro jährlich gebracht. Warum der Rechnungshofbericht auch das Netzwerk der österreichischen Frauengesundheitszentren – als eines der wenigen Netzwerke, die seit Jahren nachgewiesen geschlechterspezifisch arbeiten und mit seinen sieben österreichweiten Organisationen in fünf Jahren insgesamt 555.000 Euro erhielt – zur Evaluation vorschlägt, ist in Anbetracht dieser Summe dagegen nicht ganz nachvollziehbar.

Die Empfehlungen weiter verfolgen

In 19 Punkten empfiehlt der Rechnungshof sehr konkret den aufgeführten Programmen und Förderungen durchgehend, geschlechterspezifische Angaben zu machen, die gendergerechten Wirkungen zu überprüfen, die Fördermittel gendergerecht zu verteilen sowie die Rahmengesundheitsziele umzusetzen. Es kommt nun auf die Regierung und die Nationalratsabgeordneten an, diese Empfehlungen weiter zu verfolgen. Der Gleichbehandlungsausschuss des Parlaments befasst sich bereits mit der Problematik.7 Der Rechnungshofbericht ist allerdings nicht nur für die Nationalratsabgeordneten handlungsleitend, sondern kann es auch für die Zivilgesellschaft sein. Für Nichtregierungsorganisationen und für die Vertretungen der Patientinnen und Patienten kann er eine gute Basis darstellen, um ihren Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit und nach Förderungen, die dies ermöglichen, Nachdruck zu verleihen.

Mag. Sylvia Groth
Frauengesundheitsaktivistin
sylviagroth@gmx.at

 

Literatur:

1 Angabe der Presseverantwortlichen Doris Grabherr vom 6.5.2015.

2 Versorgung von Schlaganfallpatienten in Oberösterreich und Steiermark. Bericht des Rechnungshofes. TZ 9, Bund 2012/6. Zugang: www.rechnungshof.gv.at/fileadmin/ downloads/_jahre/2015/berichte/teilberichte/steiermark/Steiermark_2015_02/Steiermark_2015_02_1.pdf; www.gesundheitsfonds-steiermark.at/Seiten/Reformpool-2.aspx; www.gesundheitsfonds-steiermark.at/Documents/Jahresbericht-1/Jahresbericht_2011.pdf. Zugriff: 20.7.2015.

3 Zugang: www.gesundheitsfonds-steiermark.at/Seiten/Frauengesundheit-1.aspx. Zugriff: 20.7.2015.

4 Rásky É, Sladek U, Groth S (2012): Ungleich versorgt. Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ 2012/12, 53, 31-34.

5 Versorgung von Schlaganfallpatienten in der Steiermark. Follow-up Überprüfung. Bericht des Rechnungshofes 2015. Zugang: www.rechnungshof.gv.at/fileadmin/downloads/_jahre/2015/berichte/teilberichte/steiermark/Steiermark_2015_02/Steiermark_2015_02_1.pdf. Zugriff: 20.7.2015.

6 Gendergesundheit in Österreich. Bericht des Rechnungshofes 2015. Zugang: www.rechnungshof.gv.at/fileadmin/downloads/_jahre/2015/berichte/teilberichte/bund/Bund_2015_03/Bund_2015_03_5.pdf; Zugriff: 20.7.2015.

7 Zugang: www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/A/A_01004/index.shtml.Zugriff: 19.7.2015. Beratungen noch nicht aufgenommen.


[1]Quelle: Das österreichische Gesundheitswesen ÖKZ, 56. JG (2015) 8-9 (Schaffler-Verlag); Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin.

Quelle: VPP 2/2016


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