Die Krankenhäuser stehen in Deutschland derart unter ökonomischem Druck, dass zunehmend das PatientInnenwohl darunter leidet. Es gehe immer häufiger um die lukrativste Behandlung statt um das PatientInnenwohl. Dies kritisiert der Deutsche Ethikrat in seiner letzten Expertise, die er am 5. April 2016 auf seiner Pressekonferenz vorstellte.
Mit der Stellungnahme „PatientInnenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus“ kritisiert der Ethikrat die zunehmende Ökonomisierung in den Kliniken und mahnt an, das Wohl der PatientIn in den Mittelpunkt zu stellen. Aufgrund des Abrechnungssystems haben Krankenhäuser die Tendenz, insbesondere gewinnbringende Behandlungen durchzuführen. Deutschland liegt bei bestimmten Operationen häufig weit über den internationalen Vergleichswerten, ohne dass dabei ein Gesundheitsgewinn für PatientInnen erkennbar sei. Als Ursache der Entwicklung sieht der Ethikrat, dass die Krankenkassen vor allem die Ausgaben verringern, während die Leistungserbringer ihre Erträge steigern wollen. Hier stelle sich die Frage nach dem leitenden normativen Maßstab der Krankenhausversorgung. Von den Ärzten sei zu hören – so der Ethikrat -, dass der ständige ökonomische Druck und die spezifischen Bedingungen des DRGs-Systems Handlungen nahelegten, die sie als ethisch problematisch empfinden. Dazu gehört u. a. eine frühe Entlassung von PatientInnen und eine später eingeplante Wiederaufnahme unter einer anderen Diagnose aus abrechnungstechnischen Gründen. Besonders besorgniserregend aus Sicht des Ethikrates ist es, dass eine angemessene Kommunikation unter den gegebenen Umständen kaum noch möglich sei. „Das PatientInnenwohl erfordert neben einer qualitativ hochwertigen medizinischen Behandlung auch eine patientInnenorientierte Kommunikation“. Dafür soll zukünftig mehr Zeit sein. Außerdem betont der Ethikrat, dass PatientInnen auch eine zweite Meinung einholen können und dass sie dass, häufiger als es bisher getan wird, auch tun sollten. Der Ethikbeirat mahnt auch an, dass PatientInnen mit besonderen Bedarfen stärker berücksichtigt werden müssen. Er nennt dabei Kinder und Jugendliche, Menschen mit hohem Lebensalter, mit Demenz, mit Behinderung und Migrationshintergrund. Die Ratsmitglieder empfehlen u. a. kinderspezifische DRGs einzuführen oder die Kindermedizin vom DRG-Abrechnungssystem zu entkuppeln. Viele Krankenhäuser seien auch mit der Behandlung von Behinderten überfordert, sodass manche Kliniken sogar behinderte PatientInnen mit nicht immer nachprüfbaren Argumenten abweisen würden. Menschen mit Behinderung sollte im Krankenhaus eine zusätzliche Assistenzpflege ermöglicht werden. Auch für die Pflege fordert der Ethikrat Veränderungen, und zwar einen sachgerechten Pflegeschlüssel. Es soll festgelegt werden, wie viele Pflegekräfte mit welcher Qualifikation für bestimmte Stationen mindestens eingesetzt werden müssen. Darüber hinaus schlägt der Deutsche Ethikrat vor, Kriterien für eine am PatientInnenwohl ausgerichtete Krankenhausplanung zu entwickeln und bundeseinheitliche Standards einzuführen sowie die Schnittstellenproblematik zwischen stationärem und ambulantem Sektor erneut unter dem besonderen Aspekt des PatientInnenwohls systematisch zu analysieren und zu evaluieren.
Waltraud Deubert
[1] Der Deutsche Ethikrat ist ein unabhängiger Sachverständigenrat, dem 26 Mitglieder angehören, die je zur Hälfte von der Bundesregierung und dem Bundestag bestimmt werden. Die Amtszeit beträgt 4 Jahre und kann einmal verlängert werden. Z Zt. gibt es einen größeren Wechsel in dem Gremium. Die neue konstituierende Sitzung fand am 28. April 2016 statt. Bislang gehörte der Diplompsychologe und Psychologische Psychotherapeut Michael Wunder dem Gremium an (vgl. Interview mit M. Wunder in PTJ 3/2014, S. 252-256). Dem nächsten Gremium wird der Diplompsychologe Prof. Dr. Andreas Kruse angehören.
Der Deutsche Ethikrat hat in der Vergangenheit immer wieder wichtige Themen aufgegriffen und in Statements und Positionen öffentlich Stellung bezogen, wie z. B. zum Inzestverbot, zum Hirntod, zur Organspende sowie zur Genitalbeschneidung.
Quelle: Rosa Beilage zur VPP 2/2016