Im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen auf diesem gut besuchten Symposium stand der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (Psych-VVG). [1]
Von eigentlich allen Vortragenden wurde der Referentenentwurf als mutiger Schritt in eine im Grundsatz richtige Richtung gewürdigt. Alle waren sich aber auch darüber einig, dass er an vielen Stellen noch zu schwammig sei und insbesondere die Maßnahmen zur vernetzten, sektorenübergreifenden Versorgung nicht wirklich ausgearbeitet seien.
Der zeitliche Fahrplan wurde folgendermaßen angegeben: 22./23. September 2016: Lesung im Bundestag und Bundesrat; 2. und 3. Lesung im November 2016; 01.01.2017 Inkrafttreten des Gesetzes.
Der Bundesminister für Gesundheit Hermann Gröhe betonte in seinem Vortrag die Wichtigkeit der Diskussion mit den Verbänden und die Bereitschaft des Ministeriums Veränderungsvorschläge umzusetzen. Er wies sowohl auf die steigende Inanspruchnahme psychotherapeutischer und psychiatrischer Leistungen und den damit wachsenden Versorgungsbedarf hin, aber auch darauf, dass ein neues Entgeltsystem nicht die Lösung für alle Versor-gungsprobleme bringen könne, sondern dass ein Ringen um knappe Ressourcen auch zu-künftig bestehen bleibe. Dabei ordnete Minister Gröhe das PsychVVG in den seiner Meinung nach wichtigen größeren Kontext der Reform der Psychotherapieausbildung, der Stärkung der sektorenübergreifenden Versorgung und der Möglichkeit der Nutzung des Innovationsfonds zur Überprüfung des Einsatzes sektorenübergreifender Maßnahmen, der Möglichkeit der Sonderversorgung durch Selektivverträge, der Verabschiedung des Präventionsgesetzes sowie der Überarbeitung der Psychotherapierichtlinien ein. Alle diese Maßnahmen sollen in der Zusammenschau dazu dienen, dem Thema „Seelische Gesundheit“ in seiner Komplexität gerecht zu werden.
Als besonders positive Punkte des neuen Gesetzesvorschlags betonte Minister Gröhe die Wichtigkeit der leistungsgerechteren Bezahlung durch mehr Transparenz, die empirische Kostenermittlung von Leistungen durch das InEK, die für Kalkulationskrankenhäuser vorgeschriebene Einhaltung der Psych-PV, die Ermittlung von Personalmindeststandards durch den GBA bis 2020 sowie die regelmäßige Überprüfung der Angemessenheit des Dokumentationsaufwands.
Besonders wichtig waren dem Minister die Themen sektorenübergreifende Versorgung und Prävention. Hier betonte er die Einführung stationsäquivalenter Leistungen als wichtigen Schritt für die sektorenübergreifende Versorgung und wies insbesondere auf die Überarbeitung der Psychotherapierichtlinien als wichtiges Instrument für Prävention und Versorgung hin.
Die Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde von Dr. Stefan Rutz (BARMER GEK) vorgestellt, der den Referentenentwurf sowohl als mutig wie auch erstaunlich betitelte, da dieser neue Wege in der psychiatrischpsychosomatischen Versorgung vorsehe. Besonders positiv wurde die stationsäquivalente Versorgung gesehen. Als wichtig wurde insbesondere angesehen, dass hausindividuelle Besonderheiten durch das InEK berechnet werden und dass in der Personalausstattung Mindeststandards vorgesehen sind. Diese sollten jedoch nicht wie vorgesehen durch ein Wirtschaftsprüfungstestat überprüft werden, sondern durch den MDK. Rutz wies vehement darauf hin, dass es hinsichtlich von Budget-Obergrenzen nur zu punktuellen Überschreitungen kommen dürfe und dass aus Sicht der GKV die Grenzen der Budgetüberschreitung auf Grundlage des Krankenhausvergleiches zu weit gefasst seien. Als besonders problematisch wurden die Regelungen hinsichtlich der Psychiatrischen Institutsambulanzen gesehen, diese seien zu schwammig und hätten besser integriert werden müssen.
Auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), vertreten durch Herrn Urban Roths, wurden die meisten Vorschläge des Referentenentwurfs begrüßt. Er wies jedoch darauf hin, dass bei den Budgetverhandlungen bedacht werden müsse, dass nicht 100% der Leistungen abgebildet werden könnten, dass die Zweckbindung der Personalkosten ein Paradigmenwechsel darstelle und die Refinanzierung der Personalkosten gegenwärtig noch vollkommen unklar sei und dass ebenfalls nicht klar sei, was leistungsbezogene strukturelle Besonderheiten genau sind. Auch sei es wichtig, dass das Angebot der stationsäquivalenten Versorgung freiwillig von den Krankenhäusern angeboten werden könne, da es nicht für alle sinnvoll oder finanzierbar sei. Insgesamt trügen augenblicklich die Krankenhäuser das gesamte finanzielle Risiko. Die DKG schlägt vor, die verbindliche Einführung des neuen Finanzierungssystems um ein Jahr zu verschieben. Bis dahin sei es wichtig, die Bedeutung des Krankenhausvergleichs auf Länderebene zu präzisieren, denn wenn der Landesmittelwert der Zielwert für die Budgetverhandlungen sei, dann sei das eine Konvergenz auf Landesebene. Auch sei es wichtig, den Dokumentationsaufwand, der augenblicklich primär durch Misstrauen der Krankenkassen gegenüber den Krankenhäusern geprägt sei, zu verringern, wobei sich die DKG dem Vorschlag der BPtK anschließt, zur Verschlankung des PEPPs Diagnosegruppen einzuführen.
Die im Grundsatz positive Einschätzung des PsychVVGs wurde von den Vertretern der Fachgesellschaften geteilt, wobei auch hier auf einige Schwachpunkte aufmerksam gemacht wurde.
Prof. Arno Deister von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) stellte an den Anfang seines Vortrags die Frage, ob das neue System geeignet sei, die Ziele der Zukunft zu unterstützen. Er betonte insbesondere die positiven Aspekte, dass sich zum einen die Politik kümmere und zum anderen sich die Verbände zu einer gemeinsamen Stellungnahme zusammengeschlossen hätten und dass sie auf diese Weise etwas in Bewegung haben bringen können. Deister wies darauf hin, dass regionale Besonderheiten in die Budgetverhandlungen einbezogen werden können. Auch unterstrich er die Wichtigkeit der Transparenz, wobei er aber auch die Frage aufwarf, wie sich therapeutische Leistung auf qualitativer Ebene definieren lassen (z.B. Umsetzung von Konzepten, quantitativ und qualitativ angemessene Personalausstattung). Hier sei eine weitere intensive Diskussion notwendig. Auch müssten Konzepte zur Ausgestaltung der sektorenübergreifenden Versorgung weiter ausgearbeitet werden.
Prof. Johannes Kruse (Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie, DGPM) zeigte die Besonderheiten der psychosomatischen Ver-sorgung auf. So seien die Strukturen sehr unterschiedlich, von Fachabteilungen hin zu ganzen psychosomatischen Kliniken, häufig eng eingebunden in die somatische Versorgung, wie Onkologie, Transplantationsmedizin etc. Daher sei die Budgetfindung im psychosomatischen Bereich sehr schwierig. Auch wies er darauf hin, dass die Psych-PV in der Psychosomatik keine Anwendung findet, hier könnten die errechneten Minutenwerte möglicherweise helfen, Personalbemessungen abzuschätzen. Wichtig sei nach Ansicht der DGPM, dass sich weniger Personal in einem Jahr nicht auf das Budget des nächsten Jahres auswirke und dass die Psychosomatischen/Psychiatrischen Institutsambulanzen nicht auf die ambulante Versorgung angerechnet würden.
Prof. Renate Schepker von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) wies in ihrem Vortrag auf die besonderen Schwierigkeiten und Probleme bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen hin und auf die Wichtigkeit spezifische Strukturmerkmale der KJP in den Budgetverhandlungen berücksichtigen zu können, wie kleinere Abteilungen, kleinere Tageskliniken, hohes Notfall- und Krisenaufkommen, Schule für Kranke und Bereitschaftsdienststrukturen. Mit Sorge be-trachtete Schepker, dass sich viele Maßnahmen der Gesetzesvorlage eher an den Bedürfnissen der Erwachsenen ausrichteten, wie z.B. die stationsäquivalente Versorgung, dabei aber kinderspezifische Besonderheiten wenig berücksichtigt würden, wie z.B. die notwendige kontinuierliche Betreuung über teilstationäräquivalente und ausschleichende Betreuung, wie die Weiterversorgung im ambulanten Sektor.
Prof. Michael Löhr von der Deutschen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege (DFPP) betonte insbesondere die Wichtigkeit der Nachweispflicht für die Besetzung von Stellen als zentrales Element der Verbesserung der Versorgungsqualität, da es gegenwärtig keine Zahlen zur vorhandenen Stellenumsetzung gäbe. Darüber hinaus schlug er eine Nachweispflicht für Stationsgrößen als Qualitätsmerkmal vor und den Wegfall von Malus-Regeln, z.B. bei der Nichtbesetzung von Stellen.
Dr. Dietrich Munz (BPtK) regte zur Vereinfachung der Dokumentation die Bildung leistungshomogener Gruppen an. Auch sollten die Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) so gestaltet sein, dass sie aussagekräftige Informationen über die erbrachte Leistung sowie die Personalvorgaben machten. Munz betonte, dass die stationsäquivalente Versorgung zwar ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sei, jedoch nur eine kleine Gruppe von Patienten beträfe, so dass es dringend erforderlich sei, das Konzept der ambulanten Komplexbehandlung mit einzubeziehen.
Im Anschluss an die Vorträge fand unter der Moderation von Cornelia Warnke eine rege Podiumsdiskussion zwischen Abgeordneten der einzelnen Parteien, die im Gesundheitsausschuss des Bundestags vertreten sind, statt. Überraschenderweise lag bis dahin nicht allen an der Podiumsdiskussion teilnehmenden Abgeordneten - Ute Bertram (CDU), Dirk Heidenblut (SPD), Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Birgit Wöllert (DIE LINKEN) – der Referentenentwurf vor.
Insbesondere von Frau Klein-Schmeink aber auch von Herrn Heidenblut und Frau Wöllert wurde angemerkt, dass der Gesetzesentwurf keine adäquate Umsetzung der sektorenübergreifenden Versorgung beinhalte und dass die stationsäquivalente Versorgung zwar ein Schritt in die richtige Richtung sei, aber in ein komplexeres Versorgungssystem eingebunden werden müsse. Hier fehlten zukunftsweisende Strategien.
Alle verweisen auf die Problematik, dass für die Berechnung der Personalbemessung augenblicklich wenig belastbare Zahlen vorlägen. Von allen wird die Wichtigkeit des patienten-orientierten Dialogs betont.
Insgesamt wurde der Gesetzesentwurf von den meisten Teilnehmern des Symposiums positiv bewertet, jedoch die Schwachstellen - insbesondere im Hinblick auf die sektorenübergreifende Versorgung - klar benannt. Auch waren sich alle darüber einig, dass die Umsetzung kritisch begleitet werden müsse.
PD Dr. Monika Sommer,
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum
[1] In der Rosa Beilage 2/2016 hatten wir über das Eckpunktepapier vom 18.2.2016 berichtet, welches den langjährigen Streit über die ursprünglich geplante PEPP-System zur Finanzierung der stationären Psychiatrie/Psychosomatik beenden sollte und ein neues Konzept zur Finanzierung ankündigte, welches viele Einwände berücksichtigten sollte. Der im Mai d. J. vorgelegte Entwurf für ein PsychVVG soll diese Eckpunkte nun umsetzen. IN der Tagung der BPtK sollte diskutiert werden, wie realistisch und sachgerecht die neuen Regelungen zu beurteilen sind.