TVöD, TV-L, Tarifverträge der Wohlfahrtsverbände oder der großen Klinikkonzerne – Eingruppierung für Psychologische PsychotherapeutInnen (PP) und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen (KJP)? Bislang weitgehend Fehlanzeige!
Eine neue TVöD-Entgeltordnung für Gesundheitsberufe
Seit 17 Jahren gibt es die akademischen Heilberufe der Psychologischen PsychotherapeutInnen und der Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen. Im ambulanten Sektor waren sie von Anfang an hinsichtlich der Vergütung den Ärztlichen PsychotherapeutInnen gleichgestellt. An die 20.000 KollegInnen arbeiten in Krankenhäusern, Rehakliniken, Beratungsstellen oder anderen Beschäftigungsverhältnissen. Sie sind gesucht und nicht immer können offene Stellen umgehend besetzt werden. Warum kommt ver.di als die Gewerkschaft im Gesundheitswesen hier nicht von der Stelle? Warum mauern die öffentlichen Arbeitgeber? Und warum verstecken sich die Wohlfahrtsverbände und Konzerne hinter dem Öffentlichen Dienst, dem sie sonst so gern die Rolle des Schrittmachers und Innovators absprechen?
Im Frühjahr 2016 sickerte überraschend die Information durch, dass elf zähe Jahre nach Ablösung des alten Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) endlich um eine Entgeltordnung für alle Gesundheitsberufe verhandelt wurde. Als das Ergebnis Anfang Mai stolz präsentiert wurde, waren die PP und KJP tatsächlich namentlich eingruppiert, aber trotzdem unzufrieden. Es wurde nur die Entgeltgruppe 14 (EG 14). Das entspricht der früheren Entgeltgruppe Ib im BAT, die Diplom-PsychologInnen als Bewährungsaufstieg erhielten. Mit anderen Worten: Was man sich früher ersessen hat, muss man sich jetzt mit einer zweiten Ausbildung in Psychotherapie und einem Staatsexamen hart und teuer erarbeiten.
Heiner Vogel und Klaus Thomsen starteten daraufhin am 8. Juni spontan eine Unterschriftenaktion für angestellte PsychotherapeutInnen, die in anderthalb Monaten in 750 Rückantworten mit 4816 Unterschriften mündete. Diese wurden am 28. Juli der zuständigen Bundesfachbereichsleiterin und ver.di-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler präsentiert.
Die Bedeutung gewerkschaftlicher Organisierung
Der Rücklauf übertraf die Erwartungen der Initiatoren bei weitem. Er übertraf sogar den Rücklauf der Angestelltenbefragung der BPtK 2013. Besonders aktive Unterschriftensammler waren die Bayern mit 72,9% Rücklauf, gefolgt von Schleswig-Holstein (60,3%), dem Saarland (54,8%) und Baden-Württemberg (46,0%) und Bremen (42,3%).
Gefragt wurde auch nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft. 402 Antwortende bejahten dies. Das entspricht einem Anteil von 8,4% der Rückläufe.
Warum ist das wichtig? Gewerkschaften sind immer so durchsetzungsstark, wie sie von zahlenden Mitgliedern profitieren können und im Falle eines Arbeitskampfes auch konkret von ihnen unterstützt werden. Organisationsgrade im Öffentlichen Dienst von 20% gelten oft schon als verhältnismäßig gut. Viele öffentliche Krankenhäuser liegen leider unter 10% gewerkschaftlich Organisierte. Das ist kein Geheimnis. Umso wichtiger ist daher der Organisationsgrad einer Berufsgruppe, die hohe Erwartungen an den Tarif hat. Ver.di verfügt leider über keine Daten, die die gewerkschaftliche Organisierung von PsychotherapeutInnen belegen. Gleichzeitig gab es immer Stimmen, die bezweifelten, dass unsere Berufsgruppe sehr gewerkschaftsaffin sein könnte. PsychotherapeutInnen seien ja bekanntlich eher individualistisch geprägt. Letzteres wollten wir mit der Umfrage nicht infrage stellen, aber wir können jetzt zeigen, dass die Organisierung der PsychotherapeutInnen bundesweit bei den Gesundheitsberufen im sehr guten Durchschnitt liegt. Wenn man berücksichtigt, dass über 30 % der Unterschriften von PiA kamen, die in den Institutionen ihre Praktische Zeit ableisten in der sie kaum Geld bekommen, darf man annehmen, dass die Organisationszahlen bei angestellten PsychotherapeutInnen, die schon länger tätig sind, eher höher anzusetzen sind. Berücksichtigt man weiter den Umstand, dass einige große Bundesländer mit höheren Organisationsgraden bei den Unterschriften zahlenmäßig eher unterrepräsentiert waren, dann kann man den gewerkschaftlichen Organisationsgrad in unserer Berufsgruppe auf deutlich über 10% ansetzen. Wir schätzen aufgrund unserer Zahlen jetzt an die 2000 ver.di-Mitglieder unter den angestellten PP und KJP. Das Engagement von vielen PiA (Psychotherapie-AusbildungsteilnehmerInnen) bei dieser Aktion verweist auf viel Entwicklungsspielraum für die Gewerkschaft, wenn erkennbare Tariferfolge für die Berufsgruppe erzielt würden. Dieses Potenzial wird in der Umfrage in jenen Institutionen sichtbar, in denen bereits Tarife ausgehandelt wurden, in denen sich die PsychotherapeutInnen wiederfinden (z. B. ZIP = Unipsychiatrie Kiel und Lübeck, in den DRK-Kliniken Berlin oder in den ehemaligen Damp-Kliniken). PsychotherapeutInnen sind also nachweislich gut für Gewerkschaften zu erreichen.
„noch nicht“ oder „nicht mehr“ – Engagement für und in ver.di
Viele KollegInnen versahen ihre Unterschriften mit Kommentaren: man sei „noch nicht“ oder „nicht mehr“ Gewerkschaftsmitglied. Hier erkennt man den Appellcharakter an die Gewerkschaft. Bedacht werden muss dabei, dass Austritte Gewerkschaftsfunktionäre i. d. R. nachdenklicher machen als noch nicht erfolgte Eintritte, denn erfahrungsgemäß werden Gewerkschaften nicht durch gute Tarifabschlüsse mit mehr Eintritten belohnt, sondern nach vermeintlichen Verhandlungsschlappen mit Austritten bestraft. Gibt es nach 16 Jahren des ergebnislosen Wartens eine Welle von Austritten? Ver.di hat hierüber keine gesicherten Erkenntnisse. Vereinzelt haben wir von KollegInnen gehört, dass ihre GewerkschaftssekretärInnen kein Verständnis für die Erwartungen unserer Berufsgruppe hätten und dass sie die Erwartung einer facharztäquivalenten Vergütung als überzogen bezeichnen würden. Hier bedarf es möglicherweise unter hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären besserer Aufklärung.
Bei ver.di sollte eigentlich eine Strategie erfolgreich sein, die mit vielen Eintritten und Engagement geräuschvoll auf sich aufmerksam macht, bevor in Verhandlungen das letzte Wort gesprochen wird. Das notwendige innergewerkschaftliche Engagement geht seit 14 Jahren unübersehbar von der Fachkommission PP/KJP aus. Mehrere Broschüren, zwei Tagungen und mehrere Bundeskongressbeschlüsse zur Gleichstellung der Vergütungen von PsychotherapeutInnen mit Fachärzten sind das Ergebnis. Kaum eine andere Berufsgruppe aus dem Gesundheitswesen ist in ver.di derart aktiv wie die der Psychologischen PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen.
Teilnehmer beim Gespräch am 28.7.2016 in der ver.di-Bundesgeschäftsstelle: Heiner Vogel, Würzburg, Jürgen Tripp, Münster, Delphine Pommier, ver.di, Harry de Maddalena, Tübingen, Klaus Thomsen, Flensburg, Sylvia Bühler, ver.di, Sabine Noack-Schönian, Berlin (nicht auf dem Foto: Willi Drach, München, und Melanie Wehrheim, ver.di)
Teilnehmer beim Gespräch am 28.7.2016 in der ver.di-Bundesgeschäftsstelle: Heiner Vogel, Würzburg, Jürgen Tripp, Münster, Delphine Pommier, ver.di, Harry de Maddalena, Tübingen, Klaus Thomsen, Flensburg, Sylvia Bühler, ver.di, Sabine Noack-Schönian, Berlin (nicht auf dem Foto: Willi Drach, München, und Melanie Wehrheim, ver.di)
Und jetzt? Die Entgeltgruppe 14 TVöD ist ein kaum akzeptables Zwischenergebnis
In ihrem Vorwort zur ver.di-Broschüre „Reform der Psychotherapieausbildung“ schreibt die für den Gesundheitsbereich zuständige ver.di-Fachbereichsleiterin Sylvia Bühler: „Da die Weiterbildung mit Approbation und Fachkunde abschließt, fordert ver.di für die Psychotherapeut/-innen eine Eingruppierung auf Facharztniveau.“
Die erzielte Einigung mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ist die EG 14 in der neuen Entgeltordnung (EGO) zum TVöD. Rechnerisch liegt jetzt der Abstand der monatlichen Einkommen von PsychotherapeutInnen zur Facharztgruppe in der Ärztetabelle (Ä II) zwischen 750 bis 1.350 €. Bei dieser Berechnung wurden unterschiedliche Arbeitszeiten schon angepasst. Eine gewaltige Differenz. Was ist passiert?
Bei dem Treffen von Mitgliedern der Fachkommission PP/KJP mit Sylvia Bühler am 28. Juli 2016, bei dem auch die gesammelten Unterschriften präsentiert wurden, sollten die Hintergründe für diese Entscheidung erfragt werden. Sylvia Bühler fühlt sich grundsätzlich an die ver.di-Beschlüsse gebunden, aber „Die Verhandlungsdelegation der kommunalen Arbeitgeber reagierte mit betoniertem Nein. Keine Bereitschaft über die Entgeltgruppe 14 hinaus zu gehen. Überhaupt keine Verhandlungsbereitschaft und auch kein Wissen über oder Interesse an dieser Berufsgruppe.“
Die anwesenden Fachkommissionmitglieder verwiesen auf logische Brüche zu den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen in den Entgeltgruppen 13 bis 15 hin und auf die Gleichstellung mit Ärztlichen PsychotherapeutInnen in der ambulanten Psychotherapie. Warum würden die öffentlichen Arbeitgeber in den Gesundheitsdiensten Fachärzte und auch Fachzahn- und sogar Fachtierärzte kommentarlos in der Entgeltgruppe 15 akzeptieren, aber verlangen, dass die PsychotherapeutInnen gleichauf mit den ApothekerInnen (ohne Fachweiterbildung) der EG 14 zugeordnet würden? Dies könne nicht erklärt werden, meint Sylvia Bühler. In Tarifverhandlungen gehe es letztlich um Machtfragen und Geld. Logik sei bei den öffentlichen Arbeitgebern scheinbar nachrangig. Mehr sei nicht durchzusetzen gewesen, wenn man nicht das Gesamtergebnis mit positiven Folgen insbesondere im Bereich der Pflege hätte riskieren wollen. Selbst die Tatsache, dass insbesondere in Süddeutschland, aber auch in vielen großen Institutionen andernorts, die Bezahlung nach EG 14 und darüber hinaus schon die Regel sei, ändere nichts an der beschriebenen Haltung. „Aber nichts ist in Stein gemeißelt. Wir bleiben dran!“
Weitere Verhandlungen stehen an
Die beim Gespräch anwesenden KollegInnen äußerten ihre Enttäuschung und Sorge, dass diese unbefriedigende Lösung im TVöD für lange Zeit gelten könne und Auswirkungen auf die anstehenden Verhandlungen zur Anpassung der Entgeltordnung (EGO) im TV-L-Bereich, in Tarifverträgen von Wohlfahrtsverbänden und von Klinikkonzernen haben könne. Was müsse jetzt getan werden, um die Anpassung der EGO im Länderbereich 2017 in unserem Sinne zu beeinflussen? Betroffen seien dann die vielen PsychotherapeutInnen in Unikliniken und in Landespsychiatrien einiger Bundesländer. Sylvia Bühler versprach, hier Informationen über die geplante Verhandlungsstrategie des ver.di-Bundesvorstandes einzuholen. Sie betonte die Notwendigkeit flankierenden politischen Drucks auf die Verhandler der Bundesländer. Hier wären auch Kammern und Fachverbände in ihrer Lobbyarbeit gefordert.
Alle Beteiligten der Gesprächsrunde zeigten sich beeindruckt von der Mobilisierungsfähigkeit der PsychotherapeutInnen, wie sie sich in der Unterschriftenaktion manifestiere. Die PsychotherapeutInnen seien der letzte akademische Heilberuf, der in ver.di maßgeblich vertreten sei.
Klaus Thomsen, Flensburg, und Heiner Vogel, Würzburg