Mit gut zwölfmonatiger Verspätung hat das BMG nun seine Vorstellungen für eine zukünftige Aus- und Weiterbildungsstruktur für Psychotherapeut*innen vorgelegt. Es wurde viel spekuliert: darüber welche inhaltlichen Vorstellungen das BMG präsentieren wird, aber auch darüber, in welcher Form das passieren wird. Von einem Arbeitsentwurf, einem Referentenentwurf, ja gar einem ersten Gesetzesentwurf war die Rede. Herausgekommen ist nun ein gut siebenseitiges Eckpunktepapier. Gedacht ist dieses, wie verlautet, als Diskussionsaufschlag. Nun folgen Gespräche mit der Bundespsychotherapeutenkammer, den Hochschulvertreter*innen und mit den Verbänden. Und in allererster Linie dürfte dieses Eckpunktepapier eine Grundlage bilden für Gespräche mit den Gesundheits- und Kultusministerien der Länder. Eine gesetzliche Neuregelung der Psychotherapieausbildung ist zustimmungspflichtig – das heißt, der Bundesrat muss zustimmen. Systematische Gespräche zwischen Bund und Ländervertreter*innen werden demnach auch im Laufe von 2017 angestrebt. Was damit nun aber auch schon klar sein dürfte: Ein Reformgesetz wird realistisch betrachtet in der laufenden Legislaturperiode des Bundestages nicht mehr verabschiedet werden. Das Thema wird also einem Ende 2017 neu gewählten Bundestag vererbt.
Zu den Inhalten des Eckpunktepapiers. Das BMG schlägt ein zehnsemestriges Psychotherapiestudium vor. Wie beim Medizinstudium steht am Ende eine staatliche Abschlussprüfung: das Staatsexamen. Zwei Prüfungsabschnitte sind vorgesehen. Das BMG schlägt eine Mindestgesamtstundenzahl von 5200 Stunden vor und definiert dabei Inhalte genauso für einen ersten dreijährigen (2100 Stunden Theorie und 900 Stunden Praxis) wie für einen zweiten zweijährigen Abschnitt (800 Stunden Theorie und 1400 Stunden Praxis). Es wird also ein durchgängiger Studienverlauf festgelegt – eine Struktur wie man sie aus dem Medizinstudium kennt. Das ist insoweit bemerkenswert, als dass das BMG damit Spekulationen ein Ende bereitet, nach denen es selber dem Approbationsstudium Bologna-kompatible Bachelor-Master Curricula vorgeben würde.
Das BMG hat sich durchaus über akademische Abschlüsse Gedanken gemacht, aber nur im Sinne einer Ausweichmöglichkeit. Demnach sieht das Bundesministerium die Hochschulen frei darin, eigenständig Bachelor- und Masterstudiengänge zu konzipieren, die mit einem Psychotherapiestudium „kompatibel“ wären. Die Hochschulen können so Bologna-konforme akademische Qualifikationswege eröffnen, was Psychotherapiestudierenden helfen würde, die im Verlauf auf andere Berufsziele umschwenken. Zentral bleibt aber die klare Festlegung des BMG, dass solche etwaigen Erweiterungen zur Erlangung der Psychotherapieapprobation keine verpflichtende Voraussetzung bilden.
Damit rückt der für das Approbationsstudium avisierte Gesamtumfang von 5200 Stunden in den Fokus. Er bleibt auf den ersten Blick weit hinter den 7500-9000 Stunden für ein sukzessives Bachelor- + Masterstudium zurück. Doch das BMG ließ offen, ob es sich um der Systematik des Medizinstudiums entlehnte ‚Kontaktzeiten‘ handelt bzw. lieferte keine Übersetzung in das ECTS-Punktesystem (European Credit Transfer System), das den Vor- wie Nachbereitungsaufwand einbeziehen würde. So bleiben viele Fragezeichen, ob das europaweite Qualifikationsniveau „EQR 7“ für Hochschulabschlüsse überhaupt erreicht wird. Wenn nicht, wäre das Psychotherapiestudium künftig unter Masterniveau und damit auch die sogenannte ‚Facharzt-Äquivalenz‘ des Berufstandes bedroht. Wenn doch, stellte sich die Frage, wie hier von den Hochschulen noch die Mehraufwände von Bachelor- bzw. Masterabschlüssen angefügt werden könnten. Ohne nachvollziehbare Angaben kann keine fundierte Bewertung vorgenommen werden. Erkennbar ist aber: die Konstruktion des BMG weist ein ungeklärtes Binnenverhältnis von Approbationsstudium zu Bachelor-Master Studium auf. Und in diesem ungeklärt Gelassenen verbergen sich bislang scheinbar völlig unbearbeitete Sollbruchstellen des gesamten Modells. Hier hätte man schon lange über Verhandlungen mit den Länderministerien vorankommen sollen.
Bei den Inhalten selbst, die das BMG für ein Psychotherapiestudium vorsehen möchte, fällt auf, dass ein überraschend hoher Praxisanteil definiert wird. Entsprechende Forderungen sind im Vorfeld insbesondere von Fachverbänden immer wieder laut geworden. Auch die DGVT hatte sich in diese Richtung immer wieder stark gemacht. Insbesondere überrascht die Vorgabe, wonach im Rahmen von mindestens 250 Stunden ambulanter praktischer Behandlungstätigkeit von den Studierenden mindestens zwei psychotherapeutische Behandlungen eigenständig durchgeführt werden sollen, deren Dokumentation dann auch den Kern des zweiten Prüfungsabschnittes bilden soll. Eine besondere Herausforderung für viele Universitäten dürfte dabei darstellen, dass diese hierfür Hochschulambulanzen vorhalten sollen, die ermöglichen, solche Behandlungen in einem aus drei anzubietenden wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren durchzuführen. Sollten Universitäten solche praktischen Möglichkeiten nicht allein anbieten können, bestünde die Möglichkeit mit geeigneten Einrichtungen zu kooperieren. Dies gilt dann analog auch für den ebenfalls geforderten praktischen Erfahrungserwerb in klinischen Einrichtungen von zusammengenommen 1000 Praxisstunden (im Eckpunktepapier: Berufsqualifizierende Tätigkeit I + II). Nicht einbezogen wurde der Vorschlag der Bundeskammer nach einem zusätzlichen elften Praxissemester, was vergleichbar dem Praktischen Jahr in der Medizin angedacht war.
Im Vorfeld ebenfalls sehr kontrovers debattiert worden ist die Frage, welche Hochschulen für ein solches Psychotherapiestudium in Frage kommen sollen. Hier hat sich das BMG auf „Universitäten und gleichgestellte Hochschulen“ festgelegt. Eine hochschulpolitische Wendung, welche üblicherweise meint, dass ein Promotionsrecht bestehen muss. Damit ist insbesondere der Weg zu den (Fach-)Hochschulen, über welche heute häufig noch der Zugangsweg zur KJP-Ausbildung eröffnet wird, künftig verstellt. Übrig geblieben ist von deren Inhalten die Festschreibung von 120 Stunden Theorievermittlung in Pädagogik. Führt man sich vor Augen, dass zukünftig ja eine Approbation vergeben werden soll, die zur Behandlung von Erwachsenen wie Kindern und Jugendlichen gleichermaßen befähigt, kommt die Frage nach der Kompetenzvermittlung zur KJP-Behandlung auf. Hierzu finden sich im Eckpunktepapier keine expliziten Ausformulierungen. Es bleibt also spannend, ob hier noch konkretere Vorschläge folgen werden, die sicherstellen, dass dieser Bereich nicht zu kurz kommt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Eckpunktepapiers ergibt sich ebenfalls eher aus einer Lücke, die offengelassen wird. Ausdrücklich weist das BMG nämlich darauf hin, dass die Weiterbildung in die Überlegungen bisher nicht einbezogen worden ist. Das überrascht zunächst nicht wirklich, wird Weiterbildung –anders als die bundesrechtlich geregelte Ausbildung heute- doch zukünftig formal von den Bundesländern zu regeln und zu verantworten sein. Nun war sich unser Berufsstand bei allen Differenzen in der bisherigen Reformdebatte allerdings auch immer einig, dass eine zukünftige Weiterbildung, die zur Fachkunde und der sozialrechtlichen Anerkennung führt, zusätzlicher finanzieller Mittel bedarf und so vor allem neue bundesrechtliche Vorgaben im Sozialrecht zwingend nötig macht. Um hier eine Situation zu vermeiden, in der eine zukünftige Psychotherapiequalifikation wegen fehlender Finanzierungsregelungen und –ressourcen nicht angemessen umgesetzt werden kann, hatte sich zuletzt u.a. der Deutsche Psychotherapeutentag zu einer eindeutigen Haltung bekannt. Demnach dürfe eine Neuordnung der Approbation, wie sie jetzt vom BMG skizziert worden ist, eben nicht ohne Sicherstellung der Weiterbildungsfinanzierung erfolgen. Auch hier wird der Berufsstand in den kommenden Wochen und Monaten gefordert sein, deutlicher zu machen, dass sozialrechtliche Regelungen durch das BMG hierfür unverzichtbar sind.
Zur Finanzierung der Veränderungen in der Hochschullandschaft, die zur Umsetzung des angedachten Psychotherapiestudiums notwendig werden, gibt es im Eckpunktepapier hingegen Aussagen. Diese bleiben aber noch vage und beinhalten außerdem hochschulpolitischen Sprengstoff. So wird zur Finanzierung u.a. auf die Verlagerung „freiwerdender Kapazitäten“ aus dem bisherigen Psychologiestudium verwiesen, was finanziell kaum hinreichen dürfte. Explizit genannt werden dabei die Felder der Arbeits- und Organisationspsychologie, der Verkehrspsychologie und der Werbepsychologie. Wo aber sollen diese dann bleiben?
Insgesamt wirft das Eckpunktepapier diverse Fragen auf, die eine spannende Debatte erwarten lassen. Letztlich zeigen die Überlegungen des BMG eindrücklich auf, dass es fast der berühmten Quadratur des Kreises nahekommt eine gegenüber künftigen Patient*innen verantwortbare Approbation in einem fünfjährigen Direktstudium, noch dazu ohne wesentliche Mehrausgaben, zu realisieren. Von den im Eckpunktepapier unbehandelt gebliebenen Problemfeldern der anschließenden Weiterbildungen ganz zu schweigen.
Bedenkt man die heute erreichte Qualität des bisherigen postgradualen Ausbildungswegs und konstatiert die im Eckpunktepapier fehlenden Voraussetzungen für eine vergleichbar hochwertige Direkt-Aus- und Weiterbildung sowie die weitgehend unklar bleibende Finanzierung, wird es spannend, ob und wie der Transitionsprozess wirklich weiterkommen kann. Ob im Laufe des offenbar weiterhin mehrjährigen Prozesses eines Tages möglicherweise alternative Strukturüberlegungen wieder an Attraktivität gewinnen? Mit dem Eckpunktepapier ist es jedenfalls keineswegs klarer geworden, ob und wann ein Gesetzgebungsprozess zu einer adäquaten Direktausbildung gelingen kann. Zwei Jahre nach dem Öffnungsbeschluss des DPT ist das eine uns enttäuschende Zwischenbilanz.
Rudi Merod, Judith Schild, Wolfgang Schreck (Vorstand DGVT)
Günter Ruggaber, Jürgen Friedrich