Vom 25.-27.5.2017 fand in Heidelberg der Kongress „Was ist der Fall? Und was steckt da-hinter?“ statt.
Im Zuge der (möglichen) Veränderungen des Psychotherapeutengesetzes stellt sich auch für systemische Verbände die Frage, ob sie die Bedingungen erfüllen, die das Sozialrecht erfordert und ob diese Verbände auch in diese Richtung gehen wollen/sollen. Ob die systemische Therapie sich weiterhin bemühen soll, sozialrechtlich anerkannt zu werden oder nicht - da die berufsrechtliche Anerkennung wahrscheinlich nicht ausreicht, die Existenz der Verbände auf Dauer zu sichern - stellte das eigentliche Thema dieses Kongresses dar.
Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist dabei stets die Frage, ob Diagnosen erstellt und vergeben werden oder nicht, da dies die bisher grundsätzliche Haltung der „Systemiker“ in Frage stellt. Bereits im Ankündigungsflyer wurde beschrieben, dass „in Psychotherapie und Beratung, in Familien-, Kinder- und Jugendhilfe, im Coaching, in Psychiatrie, Psychosomatik und allgemein im Gesundheitswesen immer eine Ausgangslage definiert wird. Man kann das Diagnose oder, eher handlungsorientiert, auch die Klärung eines Auftrages nennen. Wer macht das wie? Und wie könnte es stattdessen ablaufen? Wir wollen bei dieser Tagung her-ausfinden, was eigentlich dahinter steckt, wenn gefragt wird: Was ist hier der Fall? Und wir fragen, wie die unterschiedlichen Antworten darauf die therapeutische und beraterische Praxis beeinflussen“.
Da ich natürlich nicht an allen Panels, Workshops und Falldarstellungen teilnehmen konnte, beschränkt sich meine Betrachtung auf die Veranstaltungen, bei denen ich selbst eine aktive Rolle gespielt habe.
Zunächst gab es ein Panel unter dem Titel: „Historische Entwicklung von Therapieverfahren im Kontext des Gesundheitswesens“. Hier konnte ich meine ambivalente Haltung darstellen, da einerseits durch die beschreibende Diagnostik seitens ICD und DSM die unwissenschaftliche Diagnostik der Jahre bis 1992 ersetzt wurde, andererseits aber bis heute eine Entwicklung zu beobachten ist, dass „Diagnosen“ als existierende Entitäten betrachtet werden. Der Grund-gedanke der beschreibenden Diagnostik wird damit wieder ad absurdum geführt. In der Zwischenzeit ist bei vielen TherapeutInnen eine Veränderung der Betrachtung der PatientInnen entstanden, die aus VT Sicht in die falsche Richtung geht; es wird so getan, als hätten die PatientInnen eine Störung und nicht als würde beschrieben, wo sie Probleme haben. Diese veränderte Sichtweise spiegelt die Bedenken wider, die viele Mitglieder in den Systemischen Verbänden ebenfalls umtreibt, da auf diesem Wege die PatientInnen eher stigmatisiert werden und TherapeutInnen deren Problemen nicht gerecht werden. Genau diese Bedenken, dass sich eine eingeschränkte Sichtweise der Menschen etabliert, bringt viele KollegInnen dazu, ein Eingliedern der systemischen Therapie in das medizinische Gesundheitssystem als sehr kritisch zu betrachten.
Die Fallbesprechung, an der ich wieder die VT-Position zu vertreten hatte, machte sehr schnell klar, dass der Unterschied zwischen systemischem und verhaltenstherapeutischem Denken an vielen Stellen sehr ähnlich ist, besonders wenn es um die Therapie von Kindern und Jugendlichen geht. Denn gerade bei diesen PatientInnen Klientel wird die Symptomatik in erster Linie von der Umwelt aufrechterhalten (es geht ja um die Verstärkermechanismen, die das Verhalten aufrechterhalten). Aus meiner Sicht werden hier scheinbar unterschiedliche Positionen nur durch unterschiedliche Worte aufrechterhalten.
In den verschiedenen Gesprächen, die ich geführt habe, blieb der Eindruck, dass der innere Konflikt sich nicht weiter geklärt hat. Die meisten TeilnehmerInnen haben sich noch nicht positioniert, ob die Verbände sich um eine Aufnahme der systemischen Therapie in die Kassenversorgung bemühen sollten, mit dem Risiko, dass die Haltung der zukünftigen TherapeutInnen sich in Richtung medizinisches Denken verändern wird, aber die Existenz im Rahmen einer Ausbildung sichert. Oder ob man die Haltung gegenüber den Menschen weiter beibehalten soll mit dem Risiko, dass die Systemische Therapie aus der Patientenversorgung ver-schwinden wird. Es zeigte sich auch, dass sich dieser Riss zwischen den Berufsfeldern auftut. Die (angestellten) Personen in Beratungsstellen sind eher für ein Aufrechterhalten der jetzigen Ablehnung von Diagnosen und damit gegen eine weitere Integration in das Medizinsystem und gegen KollegInnen, die in Richtung ambulanter Praxis gehen.
Ich finde es spannend zu beobachten, wie diese Zerreißprobe sich weiter entwickeln wird.
Rudi Merod