Prof. Dr. Babette Renneberg
Prof. Dr. Albert Lenz
Prof. Dr. Hanna Christiansen
Dipl.-Soz.Päd. Petra Majumder
unter Mitarbeit von Dr. Charlotte Rosenbach, PD Dr. med. Rieke Oelkers-Ax und dem anwesenden Fachpublikum
Diese Analyse wurde am 1. März 2018 im Symposium „Zwischen den Hilfesystemen: Kinder psychisch kranker Eltern“ auf dem DGVT Kongress in Berlin zusammengetragen.
National und international leben ca. 25 % der Kinder und Jugendlichen mit einem psychisch erkrankten Elternteil zusammen. Das Lebenszeitrisiko für diese Kinder, selber an einer psychischen Störung zu erkranken, ist im Vergleich zu Kindern gesunder Eltern signifikant erhöht (bis zu 77 %); damit sind diese Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächste Generation psychisch Erkrankter. Diese Schätzungen bedeuten für Deutschland, dass ca. 3,8 Millionen Kinder im Verlaufe eines Jahres mit einem Elternteil mit irgendeiner psychischen Erkrankung zusammenleben; dazu zählen auch Kinder von Eltern mit einer Suchterkrankung (Christiansen et al., 2014; Mattejat, 2014). Ca. 15% der betroffenen Kinder sind unter drei Jahre alt. Dies bedeutet, dass etwa 500.000 bis 600.000 Säuglinge und Kleinkinder unter drei Jahren von psychischen Erkrankungen der Eltern betroffen sind (Lenz, 2017).
Knapp 50% der Kinder und Jugendlichen in psychotherapeutischer Behandlung haben auch ein psychisch erkranktes Elternteil. Hinsichtlich der Transmission der psychischen Erkrankungen gibt es Hinweise auf Spezifität (Kinder von Eltern mit Angststörungen entwickeln auch eher Angststörungen), aber auch auf Mulitifinalität (die elterliche Erkrankung erhöht allgemein das Risiko für verschiedene psychische Störungen).
Eltern mit psychischen Störungen erleben schon auf Grund ihrer Erkrankung hohen psychosozialen Stress. Mit der psychischen Störung sind in der Regel ein niedriger Selbstwert sowie ein sehr starker Selbstfokus verbunden. Die Erziehung von Kindern stellt daher eine für diese Eltern extreme Herausforderung und Belastung, wenn nicht eine Überforderung dar. Die Interaktion mit den Kindern ist häufig gestört, die Bedürfnisse - auch Grundbedürfnisse - der Kinder können teilweise nicht adäquat wahrgenommen und befriedigt werden.
Neben genetischen Faktoren, bilden Interaktion und Kommunikation zwischen Eltern und Kind einen „Übertragungsweg“ der elterlichen psychischen Erkrankung und den damit verbundenen Belastungen auf das Kind. Problematische Interaktionsstile psychisch erkrankter Mütter und Väter sind eher krankheitsunspezifisch (kommen aber zum Teil bei einzelnen Krankheitsbildern verstärkt vor) und können zusammengefasst werden als: Unterstimulation, Überstimulation und stark wechselnde Interaktionsmuster.
Allgemeiner Konsens ist, dass es einer Förderung der elterlichen Beziehungs- und Erziehungskompetenzen bedarf. Gleichzeitig ist die Versorgungslage für eine integrierte Eltern-Kind-Therapie desolat, es gibt erhebliche Versorgungslücken, sowohl ambulant als auch (teil)-stationär. Punktuell existieren zwar etliche Projekte oder Initiativen (z. B. Patenschaftsprojekte, Gruppenprojekte, Frühe Hilfen, Elterntrainings) für die Unterstützung der Eltern und ihrer Kinder, aber es gibt keine festen Strukturen, die eine verlässliche Versorgung über längere Zeit und ohne Altersgrenzen ermöglichen. Diese fehlenden Strukturen stellen bei einer hochbelasteten und schwer erreichbaren Gruppe eine hohe Hürde für die Versorgung dar. Zusätzliche psychosoziale und soziale Hilfen sind hier erforderlich und es besteht ein hoher Bedarf an multimodalen Interventionen.
Auf Seite 22 des aktuellen Koalitionsvertrags steht folgendes: "Wir wollen die Situation von Kindern psychisch kranker Eltern verbessern. Die Schnittstellenprobleme bei ihrer Unterstützung werden wir mit dem Ziel einer besseren Kooperation und Koordination der unterschiedlichen Hilfesysteme beseitigen."
Aufbauend auf diesem Ziel fassen wir folgende Handlungsbedarfe zusammen:
1. Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Jugendhilfesystem und dem Gesundheitssystem
2. Finanzierung
3. Kinder „mitdenken“
4. Risikofaktoren im Kindesalter identifizieren
5. Forderungen an die Versorgungsinstitutionen