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Laudatio für Babette Renneberg anlässlich der Verleihung des DGVT-Preises 2018 Berlin, 1.3.2018


Liebe Babette,Sehr geehrte Damen und Herren.

Es ist mir eine große Freude, die Laudatio zur Verleihung des diesjährigen DGVT-Preises an Frau Professorin Dr. Babette Renneberg zu halten. Der DGVT-Preis wird bereits seit dem Jahr 2000 verliehen und wird auch liebevoll als „Distinguished German Visionary Trophy“  bezeichnet, die für (und hier zitiere ich aus den Richtlinien zur Vergabe des Preises) „hervorragende Leistungen auf den Gebieten der Entwicklung der Verhaltenstherapie/Psychotherapie in gesundheitspolitischer Verantwortung und der Weiterentwicklung gesundheitsförderlicher psychosozialer Prävention und Intervention“ verliehen wird. Welches sind nun die hervorragenden Leistungen von Frau Prof. Dr. Renneberg, die das DGVT-Preiskuratorium zur einstimmigen Entscheidung für sie als Preisträgerin des Jahres 2018 bewegt haben?

Zunächst die berufbiografischen Eckdaten: Babette Renneberg ist seit 2008 Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie HIER, also an der Freien Universität Berlin.  Sie leitet die Hochschulambulanz der Freien Universität und das Zentrum für Seelische Gesundheit (ZGFU), ein staatlich anerkanntes Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (VT) hier an der FU. Sie ist approbierte Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Verhaltenstherapie, ihr wissenschaftliches Werk umfasst weit über 100 wissenschaftliche Originalarbeiten, die größtenteils in sehr renommierten Fachzeitschriften veröffentlich wurden sowie mehrere Bücher. Ihre Arbeiten umfassen dabei das ganze Spektrum der klinischen Psychologie und Psychotherapie von experimentalpsychologischer Grundlagenforschung (aktuell zu sozialer Interaktion und sozialem Ausschluss bei Borderline-Störung) über die Anwendung klinisch-psychologischen Wissens im Bereich von Störungen, die in der kognitiven Verhaltenstherapie bereits gut „erschlossen“ sind (wie etwa soziale Angststörungen) bis hin zur Entwicklung und Evaluation von Behandlungsprogrammen für Menschen mit besonders ausgeprägten Beeinträchtigungen. Insbesondere diese letztgenannten Arbeiten entsprechen aus Sicht des Preiskuratoriums in hervorragender Weise „der Entwicklung der Verhaltenstherapie/Psychotherapie in gesundheitspolitischer Verantwortung und der Weiterentwicklung gesundheitsförderlicher psychosozialer Prävention und Intervention“.

Beispielhaft sollen an dieser Stelle drei Forschungsprogramme etwas ausführlicher dargestellt werden, die diese besondere gesundheitspolitische Verantwortung durch die Entwicklung von Behandlungsansätzen für Menschen mit ausgeprägter Beeinträchtigung von Babette Rennebergs Arbeit exemplarisch zeigen:

  • Therapie von Menschen mit extremen sozialen Ängsten und ängstlich-vermeidender Persönlichkeitsstörung: wer psychotherapeutisch mit Menschen aus dieser Störungsgruppe arbeitet ist vertraut damit, wie schwer es ist, eine tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen: die ausgeprägte Angst vor Zurückweisung führt dazu, dass diese Menschen nur sehr schwer Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen können – und das gilt natürlich auch im Kontakt mit Therapeutinnen und Therapeuten. Das Behandlungsprogramm, das Babette Renneberg zusammen mit u.a. Dianne Chambless entwickelt hat, ermöglicht es Therapeutinnen und Therapeuten im Gruppensetting mit diesen Menschen erfolgreich zu arbeiten. In Kürze: Babette Renneberg arbeitete hier bewusst mit den am stärksten durch soziale Ängste beeinträchtigten Patientinnen und Patienten.
  • Rehabilitation schwer brandverletzter Patienten mit Narben und Entstellungen: in unserer Gesellschaft kommt es im Rahmen von Unfällen häufig zu schweren Verbrennungsverletzungen. Die notfallmedizinischen und chirurgischen Fortschritte haben dazu geführt, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit selbst sehr schwer brandverletzter Patienten enorm gestiegen ist. Diese Verletzungen hinterlassen jedoch körperlich und psychisch Narben und  sonstige Entstellungen. Davon betroffene Patienten leiden also  nicht „nur“ unter den körperlichen Folgen, sondern vor allem auch unter den psychischen Spätfolgen, nicht zuletzt durch verletzende Reaktionen der sozialen Umwelt und damit einhergehendem Vermeidungsverhalten auf Seiten der Betroffenen. „Weiterleben lernen“ auch mit Entstellungen ermöglicht das Programm – und auch hier ist Babette Renneberg und ihre Kolleginnen und Kollegen nicht den „einfachen Weg“ gegangen, hinlänglich bekannte Patientengruppen zu behandeln, sondern ein neues Feld zu erschließen und damit Betroffenen, die sonst kaum verhaltenstherapeutische Unterstützung erhalten hätten, nachhaltig zu helfen.
  • Gruppentraining für Mütter mit einer Borderline-Störung, um diese bei der Erziehung ihrer kleinen Kinder zu unterstützen: Seit den Arbeiten von Marsha Linehan steht die Erforschung und Behandlung von Menschen mit Borderline-Störung im Fokus verhaltenstherapeutischer Anstrengungen. Trotz des Moduls „interpersonelle Fertigkeiten“ im Skills-Training ist diese Behandlung auf die betroffenen Menschen fokussiert und weist keinen Schwerpunkt auf ihre alltäglichen Problemlagen auf. Das Gruppentraining für Mütter mit einer Borderline-Störung greift dabei eine der zentralen Herausforderungen dieses Störungsbildes auf: wie kann die Erziehung von Kindern bei und trotz der charakteristischen emotionalen Dysregulation erfolgreich bewältigt werden? Die von Babette Renneberg und ihren Kolleginnen bereitgestellten Strategien können demnach auch (und in erster Linie) als angewandter Kinder- und Elternschutz verstanden werden: für die Kinder, die vor Traumata wie dem „shaken baby syndrome“ bewahrt werden, das in Folge emotionaler Dysregulation auftreten kann, für die Mütter mit Borderline-Störung, die so ihrem Erziehungsauftrag besser gerecht werden und so z. B. den Verlust des Sorgerechts abwenden können. Auch hier wieder geht die Behandlung und Forschung von Babette Renneberg nicht den einfachen Weg, sondern begibt sich in die Mitte gesellschaftlich relevanter Fragen.

Bei einer so vielfältigen und reichen Tätigkeit in der Klinischen Psychologie und Verhaltenstherapie dürfte es äußerst schwer sein, einen „roten Faden“ von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung zu identifizieren (wie in ihrem jüngst bewilligten Forschungsprojekt zur Evaluation des Trainings für Mütter mit Borderline-Störung, das „von Epigenetik bis zum Jugendamt“ reicht) – und doch ist dies im Falle von Babette Renneberg verblüffend klar und sogar einfach: im Zentrum ihrer Arbeit standen und stehen stets Menschen in ihren teils belastenden und oft widrigen sozialen Beziehungen: sei es im familiären Verbund, sei es in vielfältigen sozialen Interaktionen, auf dem Hintergrund von Entstellungen und schwierigen sozialen Lagen. Gerade ihre grundlagenorientierten Arbeiten zur Verarbeitung von sozialem Ein- und Ausschluss bei der Borderline Persönlichkeitsstörung und der sozialen Angststörung (für die sie den Hamburger Preis Persönlichkeitsstörungen erhalten hat) zeigen dieses zentrale Interessens- und Forschungsfeld. Im Laufe der letzten Jahre hat sich das Forschungsinteresse zunehmend auf Kinder und Jugendliche ausgedehnt – obwohl dieses Feld verglichen mit der Erwachsenentherapie schwieriger ist, bietet es die Möglichkeit, psychische Störungen „an der Wurzel“ zu behandeln und damit präventiv zu wirken. Und das ist Babette Renneberg ein besonders wichtiges Anliegen.

Wer Babette Renneberg persönlich kennt (und ich bin persönlich sehr froh und dankbar, sie seit ihrer Vertretungsprofessur an der Universität Frankfurt am Main 2006  als “befreundete Kollegin” und “kollegiale Freundin” sehr zu schätzen) mag sich zunächst wundern, wie eine durch und durch sozial kompetente und engagierte Kollegin, die seit Jahrzehnten erfolgreich in Teams arbeitet, neben der anspruchsvollen Arbeit eine tolle Ehe führt und dabei auch zwei Kinder großgezogen hat und über einen ausgedehnten Freundes- und Kollegenkreis verfügt, sich auf dieses Forschungsfeld verlegen kann – aber auch das mag sich leicht erklären: nur wer wie Babette den Wert und die Bedeutung sozialer Unterstützung spürt und zu schätzen weiß, kann die Verzweiflung erahnen, die Menschen mit Problemen und Defiziten im sozialen Bereich erleben.

Liebe Babette, herzlichen Glückwunsch zu diesem mehr als verdienten Preis! Trotz der im 16./17. Jahrhundert noch nicht geläufigen Gender-gerechten Sprache möchte ich diese Laudatio mit John Donnes berühmten Zeilen beenden:

No man (and no woman) is an island
Entire of itself
Every man (and woman) is a piece of the continent
A part of the main
(...)

Deine Arbeit aktuell und in der zurückliegenden Zeit zeigt (um in der Metaphorik von John Donne zu bleiben), dass Du Dich vor allem für die Menschen interessierst, die drohen, vom gesellschaftlichen Kontinent wegzubrechen und „ins Meer gewaschen zu werden“.

Thomas Heidenreich und Ulrike Willutzki


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