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Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit – Eröffnungsveranstaltung am 6. Juni 2018


Die Eröffnungsveranstaltung des Hauptstadtkongresses stand im Zeichen des Kongressmottos „Digitalisierung und vernetzte Gesundheit“.

Ein Pionier der Digitalisierung, Prof. Dr. h. c. Hasso Plattner, Gründer und heute Vorsitzender des Aufsichtsrats des Softwarekonzerns SAP stellte sein Projekt einer Health Cloud vor, die am Hasso-Plattner Institut in Potsdam entwickelt wird. In ihr sollen sämtliche diagnostischen Daten von Patient*innen abgelegt werden, um allen behandelnden Ärzt*innen zur Verfügung zu stehen; sie soll aber auch durch Auswertung der Gesamtheit der Daten in der Health Cloud mittels künstlicher Intelligenz neue medizinische Erkenntnisse und Therapien hervorbringen.

Ziel ist es, so Hasso Plattner, durch gezielten Einsatz digitaler Technik die medizinische Behandlung zu verbessern und damit auch gleichzeitig die Kosten zu senken.

Danach befragte Prof. Dr. Erwin Böttinger, Direktor des im vergangenen Jahr gegründeten Digital Health Center des Hasso-Plattner-Instituts der Universität Potsdam, Forscher für personalisierte Medizin, den Neurowissenschaftler und Physiologen Dr. Martin Hirsch zu seiner Entwicklung „Ada“. Ada ist eine App, die als Chat-Bot in Dialog mit den Nutzer*innen tritt. Sie fungiert dabei als persönliche Gesundheitshelferin: Mit Ada kann die Nutzerin eine Vielzahl körperlicher und seelischer Beschwerden abklären. Ada nutzt künstliche Intelligenz und kennt bereits über eintausend Krankheiten mit mehreren Milliarden Symptomkombinationen -von einer einfachen Erkältung bis hin zu seltenen Erkrankungen. Dr. Frank-Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, sagte, dass Ada „ein tolles Tool sei, das Patient*innen und Ärzt*innen nutzt“. Alle, die solche Produkte auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz anbieten, „haben uns als Partner, mit dem sie zusammenarbeiten können“, allerdings sei ihm klar, dass er da nicht für alle Ärzt*innen spreche, so Montgomery weiter. Er freue sich, wenn Ada den Ärzt*innen die medizinische Weltliteratur in der Hosentasche zur Verfügung stelle“.

Im Anschluss daran stellten in einer Gesprächsrunde fünf Diskutant*innen aus dem Gesundheitswesen ihre Visionen für die Gesundheitsversorgung vor, die sich aus den Chancen der Digitalisierung ergeben könnten. Einige Aussagen der Podiumsrunde hier in der Zusammenfassung:

Montgomery zur Digitalisierung

Wenn es bei diesen Lösungen darum geht, Tools zu schaffen, die Ärzt*innen helfen, steht auch die Ärzteschaft dahinter, erklärte Bundeskammerpräsident Prof. Frank Ulrich Montgomery bei der Eröffnungsdiskussion des Kongresses. Die Ärzt*innen hätten tatsächlich oft wenig Zeit für die wichtige Anamnese. Allerdings mahnt er auch die Rechtssicherheit an. Weshalb die Digitalisierung nicht vorankomme, liegt laut dem Bundesärztekammerpräsidenten aber vor allem an der Gesetzgebung, und zwar am Paragraphen 291a SGB V, der auf die Zeit von Ulla Schmidt zurückgeht. Dadurch sei die Gesundheitskarte zu einem Machtinstrument zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern geworden und dies hat uns bisher einen Milliarde Euro gekostet, so seine Kritik. Außerdem wurde die Gesundheitskarte zu einer Zeit angedacht, als es noch kein Smartphon gab.

Was die Fernbehandlung anbelangt, kennen die Ärzt*innen durchaus ihre Grenzen und Ferndiagnosen/-behandlung werden niemals den persönlichen Kontakt komplett ersetzen, stellte Montgomery klar.

Finanzierung von Telemedizin

Telemedizin und digitale Anwendung lassen sich nicht einem bestimmten Sektor zuordnen, deshalb brauchen wir eine große Finanzierungsinitiative, so Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorstandschefin an der Uniklinik Heidelberg. Digitalisierung schafft nicht die gläsernen Patient*innen, sondern macht sie zum Souverän ihrer Gesundheitsdaten, der darüber entscheidet mit wem er diese Informationen teilt. Gesundheitsdaten sollen auch in die industrielle Forschung einfließen können. Man ist dabei nicht an einzelnen Patientendaten interessiert, sondern nur an Kollektiven und anonymen Daten.

Algorithmen und künstliche Intelligenz: Die Ärzt*innen erhalten Informationen und Entscheidungshilfen, die sie selbst in ihrer Praxis nicht generieren können, aber es bleibt bei ihrer Verantwortung und Entscheidungsfreiheit.

Digital vor ambulant vor stationär: Vom Kampf um Digital-Budgets

Von der Digitalisierung in der Medizin werden vor allem Patient*innen mit chronischen Erkrankungen profitieren -etwa, wenn ihnen digitale Begleiter rund um die Uhr mit qualitätsgesicherten Empfehlungen zur Seite stehen. Für Diabetiker*innen gibt es bereits heute digitale Diabetes-Managementsysteme. Ähnliche digitale Entwicklungen für Patient*innen mit Depressionen, für die Begleitung von Schwangeren oder von Krebspatient*innen stehen zur Verfügung. Dies stellt vor allem althergebrachte Finanzierungs-schemata in Frage: Denn plötzlich gibt es eine neue Kategorie von Leistungserbringern. Diese sind digital, permanent verfügbar und deutlich preiswerter als ihre menschlichen Kolleg*innen. „Die Ärzteschaft wird in den nächsten Jahren die Erfahrung machen, dass es einen neuen Wettbewerb gibt“, so konstatiert Markus Müschenich vom Bundesverband Internetmedizin. Dieser werde sich in den Kategorien Qualität, Preis und Verfügbarkeit abspielen. Als Folge sei zu erwarten, dass Budgets bereinigt und neue Digitalbudgets geschaffen werden müssen, so Müschenich. Die Krankenkassen haben derzeit einige Pilotprojekte initiert, bei denen Apps bezahlt werden. Bevor eine flächendeckende Kostenerstattung möglich wird, muss aber eine wichtige Frage geklärt werden: Wer ist eigentlich der Leistungserbringer der digitalen Leistung? Nimmt man das Geld dem stationären Sektor weg oder dem ambulanten? Oder wie sonst sollte der digitale Sektor finanziert werden?

Digitalisierung in anderen Ländern

Dänemark und die USA sind uns in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen um Meilen voraus. Das Gesundheitswesen dort zeichnet sich durch eine umfangreiche Digitalisierung aus, das die elektronische Kommunikation zwischen den Leistungserbringern und die systematische Nutzung von Daten beinhaltet. Überweisungen zwischen Niedergelassenen und Kliniken etc. erfolgen fast ausschließlich elektronisch. Die Hausärzt*innen, die in Dänemark eine zentrale Rolle als Gatekeeper spielen, arbeiten sämtlich mit elektronischen Gesundheitsakten, 98 Prozent von ihnen tauschen die Akten mit Kolleg*innen aus. Die Bürger*innen können auf ihre Gesundheitsdaten ebenfalls zugreifen. In den USA haben wir eine ähnliche Situation. In beiden Ländern gab es erhebliche staatliche Investitionen für Forschung und Umsetzung der Digitalisierung.

Zur Verdeutlichung gewährte der Forscher Prof. Dr. Erwin Böttinger den Teilnehmer*innen Einblick in seine private Krankenakte in den USA, welche in die so genannte „Health Cloud“ hochgeladen worden war. In einer Cloud – also einem externen Speicherplatz - könnten sämtliche diagnostische Patientendaten allen behandelnden Ärzten von überall aus zur Verfügung stehen – rechtlich ist dies in Vereinigten Staaten den Angaben zufolge bereits möglich.

In seinem Eröffnungsvortrag nahm Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu vier Themen Stellung.

Digitalisierung

Er wies darauf hin, dass E-Health weltweit auf einem unaufhaltsamen Vormarsch sei. „Die Angebote sind da oder kommen: Amazon, Google, Dr. Ed“, sagte Spahn und fügte hinzu: „Es ist die Frage: Gestalten wir das, oder kommt das von außen?“ Spahn hob hervor, dass mittlerweile weniger die technischen Möglichkeiten ein Problem seien, sondern vor allem die Regulierung und Finanzierung neuer digitaler Medizin im deutschen Gesundheitswesen.

Für die Digitalisierung sei es notwendig, jetzt rasch eine Telematikinfrastruktur für ein sicheres Netz für eine Datenautobahn aufzubauen. Spahn appellierte an die Ärzt*innen, Investitionen in Konnektoren nicht aufzuschieben. Smartphones werden von so vielen genutzt, weil sie einfach zu handhaben sind. Deshalb solle man sie auch als komfortable Alternative zur Gesundheitskarte nutzenbar machen. Spahn zollte der Ärzteschaft seine Anerkennung, da sie mit den Beschlüssen des Ärztetages zur Fernbehandlung ihren Gestaltungsanspruch beim Digitalisierungsprozess gezeigt haben. Spahn kündigte ein Datengesetz an, mit dem eine Grundlage geschaffen wird, welche Gesundheitsdaten unter welchen Bedingungen für die Forschung und für die Verbesserung der Versorgung genutzt werden können. „Entweder gestalten wir die Digitalisierung oder wir erleiden sie“, nämlich durch ausländische Anbieter, die schon jetzt mit Apps auf den deutschen Markt drängten. Um deutschen Start-ups eine bessere Ausgangslage zu verschaffen, bräuchte es neben der Sicherheit, geprüfte Produkte auf der TI laufen zu lassen, auch eine Erstattungsfähigkeit durch die gesetzlichen Krankenversicherungen. „Hier brauchen wir sichere und verlässliche Wege. Ohne Erstattungsfähigkeit kannst du als Anbieter in Deutschland nicht wachsen.“ Man müsse nun schauen, ob das über den „Gemeinsamen Bundesausschuss geht oder anders“. Ein geregeltes Verfahren zu entwickeln, sei ein Fokus seiner ersten Monate im Amt, kündigte Spahn an.

Pflege

Sein Sofortprogramm von 13.000 zusätzlichen Pflegestellen müssen als Gesamtpaket gesehen werden. Dazu gehört auch der Anschluss der Pflege an die Telematikinfrastruktur und ein Programm, mit dem Investitionen von ambulanten Pflegeeinrichtungen mit bis zu 30.000 EUR und 40% des Aufwandes gefordert werden soll. Die Arbeitsverdichtung und die Selbstausbeutung soll umgekehrt werden und es sollen Anreize zur Rückkehr in den Beruf geschaffen werden und auch Möglichkeiten einer gezielten Zuwanderung aus dem Ausland genutzt werden.

Sektorale Spaltung

Bereits 2012 hat der Sachverständigenrat die sektorale Spaltung als eine „der zentralen Schwachstellen des deutschen Gesundheitssystem“ bezeichnet. Im Koalitionsvertrag ist nun vereinbart worden, das Problem mit einer aus Politikern zusammengesetzten Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft anzugehen. Jens Spahn zeigt sich optimistisch, die Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu überwinden. Schon 2019 erwartet er hier erste Ergebnisse der Arbeitsgruppe.

Bundeskabinett beschließt erstes Gesetzespaket

Spahn sprach von einem „guten Tag für die gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland“ und berichtete von dem Kabinettsbeschluss am Vormittag:

...Paritätische Finanzierung: Um Arbeitnehmer und Rentner zu entlasten, werde ab Januar 2019 der von den Kassen erhobene Zuatzbeitrag wieder zu gleichen Teilen von den Arbeitgebern oder Rentenversicherung auf der einen und den Kassenmitgliedern auf der anderen Seite bezahlt.

...Kleine Selbstständige: Kleinunternehmen sollen von einer Halbierung der Mindestbemessungsbeiträge profitieren. Damit halbiert sich auch der Mindestbeitrag, und zwar auf 171 Euro ab 2019.

...Beitragsschulden: Die Kassen führen fiktive Beitragsschulden in erheblicher Höhe in ihren Büchern. Grund sind ungeklärte Mitgliedschaften. Künftig soll gelten: Wenn ein Mitglied nur noch als "Karteileiche" existiert, sollen die Kassen die Mitgliedschaft beenden können. Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich müssen an den Fonds zurückgezahlt werden.

...Altersrückstellungen: Der Aktienanteil an Anlagen, mit denen die Krankenkassen ihre betriebsinternen Altersrückstellungen absichern, wird von 10 auf 20 Prozent erhöht. Das entspricht Regelungen im Versorgungsrücklagegesetz des Bundes.

...Soldaten: Ehemalige Zeitsoldaten sollen ab 1. Januar ein einheitliches Beitrittsrecht zur freiwilligen Versicherung in der GKV. Nach Ende ihrer Dienstzeit erhalten sie einen Zuschuss zu den Beiträgen, der anstelle der bisherigen Beihilfe geleistet werden soll. (…)

Waltraud Deubert


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