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Sind psychische Krankheiten ansteckend? - Protokoll zur Statuskonferenz 17 Gemeinsam Gesundheit fördern.


 „Prävention nichtübertragbarer Krankheiten – der WHO-Aktionsplan und seine Umsetzung in Deutschland“ beim Verband der Ersatzkassen e. V. (VDEK) 10. Dezember 2018 Berlin – veranstaltet durch Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung

Die WHO (2012) hat sich im Rahmen eines novellierten Aktionsplans zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (non communicable diseasesNCD) in der Europäischen Region der WHO im Kontext des Rahmenkonzepts „Gesundheit 2020 mit der Vermeidung nichtübertragbarer Krankheiten beschäftigt. „Ausgehend von der Kenntnis, dass „in der Europäischen Region der WHO nichtübertragbare Krankheiten für mindestens 86% aller Todesfälle und 77% der Krankheitslast verantwortlich sind“ befasst sich die WHO (2016) erneut mit dem Thema: „Der Entwurf des Aktionsplans zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten in der Europäischen Region der WHO ist als Fortschreibung und Überarbeitung des bisherigen Aktionsplans zur Umsetzung der Europäischen Strategie zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (2012–2016) gedacht. Er strebt anhand von vorrangigen Handlungsfeldern und Interventionen für die nächsten zehn Jahre (2016–2025) und unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse, ermutigender Veränderungen sowie der bestehenden Verpflichtungen und bisherigen Fortschritte der Mitgliedstaaten die Verwirklichung der regionsweiten und globalen Zielvorgaben in Bezug auf die Senkung der vorzeitigen Mortalität und der Krankheitslast, die Verbesserung der Lebensqualität und eine ausgewogenere Verteilung der gesunden Lebenserwartung an (WHO, 2016, S.2).

Dazu wurde am 10.10.18 von der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG) eine nationale Tagung zur Rezeption des Aktionsplanes in der BRD veranstaltet. Die Deutschen Ziele übernehmen im Wesentlichen die der WHO, in dem sie sich auf die Stärkung des Tabak- und Alkoholverzichts konzentrieren, etwas zur gesunden Ernährung, Bewegung und Lebensstile beitragen wollen, um so einer Vielzahl von schweren Erkrankungen vorzubeugen. Dabei tat man sich - wie auch bei der WHO – schwer, sich auch mit den Risiken, Ressourcen und Kompetenzen zur Vorbeugung psychischer Krankheiten zu befassen. Im Vordergrund stand die Vermeidung kardiovaskulärer Erkrankungen, von Diabetes, Krebs und chronischen Lungenerkrankungen. Da aber auch psychische Erkrankungen zu einer erheblichen Verkürzung der Lebensdauer führen (weniger durch Suizid denn durch schlechtes Gesundheitsverhalten und ungünstige Lebensbedingungen), und auch von hohen Komorbiditäten zwischen somatischen Erkrankungen und psychischen Störungen auszugehen ist, lag es an sich nahe, sich auch mit dieser Krankheitslast zu befassen (Patel & Chatterji, 2015). Trotz entsprechender Kenntnisse, wurde dieses Thema erst auf Anfrage auf dieser Tagung angesprochen, obwohl eine Befragung der Mitglieder des BVPG (die DGVT ist Mitglied) dies nahegelegt hat. Im Ergebnis dieser Befragung zeigte sich, dass ein großer Teil der BVPG-Mitglieder sich auch mit den genannten körperlichen Erkrankungen beschäftigten (wobei allerdings nur stark die Hälfte die WHO-Pläne kannte). Deutlich aber wurde auch, dass 51% der Antwortgebenden sich auch mit psychischen Krankheiten befassen (vgl. BVPG, 2018b).

Nach Angaben der OECD (2018) starben aber in 2015 über 84 000 wegen psychischer Störungen und Suizid in der EU. Man kann aus einer Vielzahl anderer Studien davon ausgehen, dass diese Zahlen extrem konservativ gehalten sind, weil sie die Koinzidenz von psychischen Störungen und ungesunden Lebensformen und auch die vergleichsweise geringe Rate psychischer Störungen im Alter zu wenig berücksichtigt haben. Dies gilt auch für weltweite Schätzungen, welche die Todesrate bedingt durch psychische Störungen mit 4% angeben (vgl. Vos et al. 2015). In über 23 Studien aber beträgt der Verlust der Lebenszeit bis zu 18 Jahren bei psychisch kranken Menschen. Beispielsweise ließ sich in Australien nachweisen, dass psychisch Kranke 10-12 Jahre Lebenszeit verlieren (Lawrence, Hancock & Kisely 2013). Wahrscheinlich liegt das Sterberisiko bei psychisch Kranken wesentlich höher als dies bei Übergewichtigen und Adipösen - neuerdings mit 7% - angenommen wird (The GBD 2015 Obesity Collaborators, 2017).

In vielen Ergebnissen zeigt sich, dass man die Rate nicht übertragbarer Erkrankungen und deren Ursachen, wie mangelhafte Ernährung, Alkohol- bzw. Tabakkonsum, fehlende Bewegung und psychische Lasten hinreichend kennt und dass sie insgesamt über die Jahre von 1990 bis 2015 abgenommen haben. Sie bleiben jedoch nach wie vor auf einem hohen Niveau. Im Jahr 2014 trat ein Drittel aller Todesfälle in der Europäischen Region der WHO vor dem 70. Lebensjahr auf (in der BRD haben sich die Mortalitätsrisiken von 20 auf ca. 18% gesenkt). Ziel der WHO ist es, die verbleibende Rate noch um weitere 30% bis 2030 zu senken, so die Ausführungen von Manfred Huber, Vertreter des WHO-Regionalbüros für Europa in seinem Eröffnungsvortrag. Ermutigend waren seine Äußerungen, wie sich regulierende Maßnahmen im Rahmen von politischen Eingriffen (z.B. über Steuern und Werbeverbote), aber auch die Beobachtung der Risikofaktoren und durch die Angebote verbesserter Gesundheitssysteme sich in der EU positiv ausgewirkt haben. Leider wurden Erkenntnisse zur Minimierung der Mortalität durch psychische Erkrankungen und die sie begünstigenden Faktoren auch hier nicht erwähnt. Hier wäre erkennbar gewesen, dass sich bei konservativen Schätzungen die Rate der psychischen Störungen gehalten hat, global jedoch aber angenommen wird, dass sie um 5% zugenommen hat (Vos et al., 2013).

Ähnlich argumentierte man für Deutschland auch auf der Ebene des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Maria Becker, Leiterin der Unterabteilung Prävention im Bundesministerium für Gesundheit, hob die Geschichte des Präventionsgesetzes hervor und lobte Fortschritte, wie die Einführung von Stressbewältigungskursen, häufigere Vorbeugeuntersuchungen, und die Qualifizierung der Präventionsangebote. Sie versprach positive Ergebnisse auch des für 2019 anstehenden ersten vierjährigen Präventionsberichts. Auch hier stellte man körperliche Erkrankungen (insbesondere Diabetes und damit zusammenhängend Übergewicht und Adipositas) und deren Risiken in den Vordergrund. Auf Nachfrage erkannte sowohl der Vertreter der WHO als auch die Vertreterin des BMG die Bedeutung psychischer Störungen. Man ging aber nicht auf die damit verbundenen Risiken ein. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass dieses Thema unangenehm ist; weil deutlich werden könnte, dass dieses Problem nicht mit einigen Stressverarbeitungstrainings angegangen werden kann. Auch hier hätte deutlich werden müssen, dass viele der nichtübertragbaren körperlichen Erkrankungen, auch bei psychischen Störungen vermehrt in den unteren sozialen Schichten auftauchen. Auch hier müsste die Bedeutung von Verhältnisprävention, die allemal beschworen wurde, hervorgehoben werden.

Nach diesen einführenden Vorträgen wurden risikospezifische Beiträge angeboten, in denen die Entwicklung der erwünschten Verhaltensweisen (Verzicht auf Tabak, Alkohol, gesunde Ernährung, Bewegung) anhand zahlreicher Daten vorgeführt wurden (Ute Mons & Katrin Schaller, Ulrich John, Barbara Bitzer, Klaus Pfeifer). In vielen Bereichen wurden dabei Erfolgsberichte aufgezeigt, jedoch wurden auch in einigen Sektoren, wie z.B. beim Wasserpfeifenrauchen, Nutzen von Zigarillos, etc. oder Übergewicht Defizite kenntlich gemacht.

Durchgängig beklagt wurde bei den verschiedenen Redebeiträgen ein Mangel an ordnungspolitischen Maßnahmen, wie Werbeverbote, Tabak- oder Zuckersteuer etc. Auch der Mangel an Einsicht, dass legale Drogen wie Alkohol noch zu sehr verharmlost werden und der Umgang damit manipulativ von der Industrie als Strategie der „Harm reduction“ zum Aufrechterhalten der schädigenden Verhaltensweisen genutzt wird. Offensichtlich wartet man wie schon früher auf die Eigeninitiative der Industrie; allerdings wurden Eingriffe angedroht. Vorgetragen wurden auch Strategien zur Umsetzung von gesundheitsfördernden Maßnahmen, wie Information, Motivierung, Vernetzung und Einsatz von Stakeholdern. Hätte man sich mit den Risiken, psychisch zu erkranken, beschäftigt, müssten ordnungspolitische Maßnahmen gefordert werden, die ein menschenwürdiges, gerechtes, chancenreiches Leben und all die damit verbundenen Bedingungen einer angemessenen Lebensqualität in den Mittelpunkt stellen müsste.

Ein abschließender Vortrag von Christa Scheidt-Nave zu den epidemiologischen Bemühungen des Robert-Koch-Institutes zeigte nochmals deutlich auf, wie in weiten Teilen sich die NCD‘ reduziert haben mit Ausnahme der Brustkrebserkrankungen) und auch die gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen erwiesen sich mit Ausnahme des Ernährungsverhaltens (Adipositas) als verbessert. Als kommende Strategie wurden die WHO-Ziele Gesundheit 2020 aufgegriffen und vermehrt das Konzept des kollektiven Wohlbefindens aufgegriffen und weniger die Reduktion von Krankheiten betont. Übergreifend wurde das Ziel hervorgehoben, die soziale und genderspezifische Ungleichheit in der Verteilung der Erkrankungen und Risiken zu bekämpfen. U.a. soll dies durchmehr Kooperation der Akteure und Netzwerke und konsequentes Monitoring geschehen. Bleibt zu hoffen, dass sich dies auch auf psychische Störungen hin entwickelt.

Durchgängig blieb über alle Beiträge immer wieder, dass die Bedeutung psychischer Erkrankungen und ihre Mortalitätsrate zu wenig berücksichtigt wurde. Auch der enge Zusammenhang zwischen der psychologischen Bedeutung gesundheitsförderlichen Verhaltens für die Psyche wurde wenig deutlich (so liegen zahlreiche Meta-Analysen vor, dass Bewegung Depression und Angststörungen vorbeugen kann). Damit wurde auch nicht hinreichend auf die Bedeutung krankmachender Lebensverhältnisse (soziale Ungerechtigkeit, soziale Lage, Arbeitslosigkeit, Armut, zerfallende soziale Systeme, verarmtes soziales Kapital, geringe Chancengleichheit etc.) hingewiesen. Auch die Bedeutung von Verhaltensweisen, die sinnstiftend und bedürfnisbefriedigend sein können, wie es uns z.B. ressourcenorientierte Zugänge, positiv psychologische Denkformen und humanistische Orientierungen empirisch vorgeben, blieben im Verborgenen. Bleibt zu hoffen, dass die immer wieder kehrenden Einwände und Hinweise des Protokollanten dieser Tagung den Blick auf diese Monita geschärft haben.

 

Bernd Röhrle

 

 

 

Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung (2018a). Statuskonferenz 17. Gemeinsam Gesundheit fördern. Prävention nichtübertragbarer Krankheiten – der WHO-Aktionsplan und seine Umsetzung in Deutschland. Berlin (https://www.bvpraevention.de/bvpg/images/Statuskonferenzen/BVPG_Statuskonferenz_17_Programm.pdf; 23.12.18).

Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung (2018b). Ergebnisse der Mitgliederumfrage „Prävention nichtübertragbarer Krankheiten. https://bit.ly/2PDrPvZ; (23.12.18)

Lawrence, D., Hancock, K. J. & Kisely, S. (2013). The gap in life expectancy from preventable physical illness in psychiatric patients in Western Australia: retrospective analysis of population based registers. British Medical Journal, 346:f2539. DOI: 10.1136/bmj.f2539 (Published 22 May 2013).

OECD/EU (2018). Health at a glance: Europe 2018: State of health in the EU cycle. Paris: OECD Publishing. https://doi.org/10.1787/health_glance_eur-2018-en

Patel, V. & Chatterji, S. (2015). Integrating mental health in care for noncommunicable diseases: An imperative for person-centered care. Health Affairs, 9, 1498–1505.

The GBD 2015 Obesity Collaborators (2017). Health effects of overweight and obesity in 195 countries over 25 years. The New England Journal of Medicine, 3771), 13-27.

Vos, T. et al (2012). Years lived with disability (YLDs) for 1160 sequelae of 289 diseases and injuries 1990–2010: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2010. Lancet, 380, 2163–2196.

WHO (2012). Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Strategie zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (2012–2016). Kopenhagen: WHO Regional Office for Europe. http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0011/174629/e96638-Ger.pdf?ua=1 (23.12.2018)

WHO (2016). Aktionsplan zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten in der Europäischen Region der WHO. Kopenhagen.
https://www.dank-allianz.de/files/content/dokumente/66wd11g-NCDActionPlan_160522.pdf


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