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Bericht über die 17. DGVT-Praxistage der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie am 3. und 4. November 2018 in Münster


Die 17. DGVT-Praxistage standen dieses Mal unter dem Motto: „Am Limit – Therapeutische Grenzsituationen” und fanden im November 2018 in den Räumen der Fachhochschule in Münster statt. Die Vorbereitungsgruppe, bestehend aus Vertreter*innen der Fachgruppe Kinder und Jugendliche, der Aus- und Weiterbildungskommission (AWK), des gastgebenden Ausbildungsinstitutes in Münster sowie aus hauptamtlichen Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle in Tübingen, hatte ein abwechslungsreiches Programm zum Thema zusammengestellt, an dem in diesem Jahr über 170 interessierte Personen teilnahmen.

Das ausgewählte Motto und der Veranstaltungsort Münster fanden dabei nicht zufällig zueinander. Seit nunmehr 370 Jahren ist diese Stadt eng mit dem westfälischen Frieden verbunden. Ein Ereignis, das eine Zeitenwende hervorrief, als ein Großteil Europas sich ebenfalls in einer Grenzsituation und deutlich am Limit befand. Damals wie heute kommen Staaten im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen, vor allem dann, wenn sie mit belastenden Situationen oder Ängsten vor Neuem oder Fremdem konfrontiert werden.

In unserer täglichen Arbeit als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen haben wir es in der Regel zwar nicht mit weltpolitischen Zusammenhängen zu tun, jedoch sind auch wir mit Menschen konfrontiert, die an ihre persönlichen Grenzen geraten oder diese bereits überschritten haben. Das können zum einen die Belastungsgrenzen der Kinder und Jugendlichen selbst sein, zum anderen aber auch die der direkten Bezugspersonen oder des weiteren Umfelds. Aber auch wir, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen, sollten als reflektierte Fachkräfte in der Lage sein zu erkennen, dass uns unser Gegenüber häufig selbst an unser Limit bringen kann. Schwierige Therapieverläufe mit chronifizierendem Verhalten der Kinder und Jugendlichen (z.B. Schulverweigerung, selbstverletzendes Verhalten, Impulsdurchbrüche) oder eine nicht immer zufriedenstellende Problemlösung sind für Fachleute ebenso eine Herausforderung wie für Bezugspersonen und die Kinder und Jugendlichen selbst.

Eingeleitet wurden die Praxistage in diesem Jahr mit dem Vortrag „Jugendliche und Therapeut*innen am Limit“, für den Herr Dr. Wilhelm Rotthaus gewonnen werden konnte. Dr. Wilhelm Rotthaus, langjähriger ärztlicher Leiter des Fachbereichs Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Rheinischen Kliniken Viersen, begleitete sowohl individuelle Lebensläufe von Kindern und Jugendlichen als auch komplexe Helfersysteme. In einem sehr humorvollen und anregenden Vortrag ließ uns der Referent an seinen persönlichen Erfahrungen teilhaben, streute immer wieder amüsante Anekdoten ein und vermittelte praxisnahe Interventionen, die in der ein oder anderen Grenzsituation sicherlich hilfreich sein können.

Bei den diesjährigen Praxistagen wurden getreu des Mottos: „Von Praktikern für Praktiker“ insgesamt 15 durchweg gut besuchte Kurz- und Langworkshops zu verschiedensten Facetten unseres beruflichen Handelns angeboten. In diesen widmeten sich die Referent*innen einzelnen Grenzsituationen, stellten neue wissenschaftlich fundierte Interventionen sowie ermutigende Konzepte vor und regten so zu einer lebhaften Diskussion an.

Am Thema „Grenzsituationen“ orientiert, umfassten die Workshops u. a. Inhalte zu psychotherapeutischem Arbeiten mit schwer strukturell beeinträchtigten Kindern – Technik und Förderung der Symbolisierung (Carsten Edert, Bremen); CANDIS – Modulare Therapie bei Cannabisstörungen (Nora Gerstner, München); Umgang mit Tod und Trauer (Melanie Gräßer, Lippstadt); Selbstverletzendes Verhalten (Khalid Murafi, Drensteinfurt); Alles anders? - Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrungen im Beratungskontext (Aline Deinert und Marie Peikert, Berlin) oder die Behandlung von Kindern psychisch erkrankter Eltern (Albert Lenz, Paderborn).

An dieser Stelle sollen exemplarisch zwei Workshops detaillierter betrachtet werden:

Timo Lindenschmidt (Köln) vermittelte im Workshop „Multimodale Verhaltenstherapie für Kinder mit aggressivem Problemverhalten“ sehr anschaulich, warum gerade aggressive und oppositionelle Verhaltensstörungen sowohl Bezugssysteme als auch Therapeut*innen schnell an ihre Grenzen bringen können. Nach der Vermittlung des notwendigen theoretischen Hintergrundes wurde insbesondere auf die praktische Umsetzung möglicher verhaltenstherapeutischer Behandlungsansätze eingegangen. Hierbei standen vor allem das „Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten“ (THAV) sowie das „Soziale computerunterstützte Training für Kinder mit aggressivem Verhalten“ (ScouT) im Fokus. Herr Lindenschmidt ging dabei sehr praxisnah und lösungsorientiert auf Rückfragen und eigene Erfahrungen der zahlreichen Teilnehmer*innen ein, wodurch sich eine sehr anregende und bereichernde Atmosphäre entwickelte.

Im Workshop „Schwierige Therapiesituationen – Wege aus der Sackgasse“ legten Ulrike Bondick und Frederike Rawe (Krefeld) den Fokus auf Selbsterfahrungselemente, anhand derer beispielhafte Situationen von Grenzerfahrungen näher betrachtet wurden. In einer angenehmen Gruppengröße von 18 Personen entstand recht schnell eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der die einzelnen Teilnehmer*innen in Dreiergruppen Grenzerfahrungen aus ihrem beruflichen Alltag sowie deren Auswirkungen auf die eigene Handlungsfähigkeit bzw. emotionale Lage genauer betrachten konnten. Hierbei war es jeder/m selbst überlassen, wie weit sie/er bereit war, sich zu einzelnen Themen zu öffnen.

Wie in jedem Jahr gab es auch dieses Mal den themenunabhängigen Workshop „Der Weg ist das Ziel oder: Was soll ich nur nach dem Studium machen? Ein Workshop für Studierende mit Interesse an einer Psychotherapie-/ Verhaltenstherapie-Ausbildung“, geleitet von Gerd Per (Herne) und Kristin Pfeiffer (Stuttgart). Wobei dieser „themenunabhängige“ Workshop selten so nah am Thema war wie in diesem Jahr, bedenkt man die doch anspruchsvollen Ausbildungsbedingungen, die die Teilnehmer*innen hin und wieder an ihr persönliches Limit bringen.

Ebenfalls traditionell stellte die Fachgruppe KiJu sich und ihre Arbeit am Samstagabend vor. Darüber hinaus hielt Frau Kerstin Bender von der Schulpsychologischen Beratungsstelle der Stadt Münster einen Kurzvortrag zum Thema „Schulabsentismus“. Auch hier wurde noch einmal deutlich, an welche Grenzen das Schulsystem, Bezugspersonen und Fachleute geraten können. Das Interesse am Treffen der Fachgruppe KiJu war wie in den vergangenen Jahren groß.

Die Evaluation der Praxistage ergab ein positives Bild. Die Wahl des Themas und der Referent*innen fand großen Zuspruch. Der deutliche Praxisbezug, die Vorstellung zahlreicher neuer Methoden und Handwerkszeuge für die tägliche Arbeit von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen wurden von den Teilnehmer*innen rückblickend als Zugewinn bewertet. Auch die freundliche und überschaubare Organisation, das gute räumliche Angebot und das Catering wurden gelobt.

Das Organisations-Team der DGVT-Praxistage freut sich auf die 18. DGVT-Praxistage am 09. und 10. November 2019 in Konstanz, bei denen es um das Thema „Von Macht und Ohnmacht – Gewalt als Thema in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie“ gehen wird.

 

Bernd Reimer (PiA, DGVT Ausbildungszentrum Münster)


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