Die besondere Herausforderung für das geplante Deutsche Zentrum für psychische Gesundheit wird es sein, neben der biologischen Dimension, den Kontextbedingungen und der psycho-sozialen Zusammenhänge, Public Health Aspekte, die Entwicklung präventiver Strategien und die gesellschaftlichen Megatrends wie Digitalisierung, demographischen Wandel, Urbanisierung, Individualisierung, neue Arbeit und Mobilität in den Fokus der psychiatrischen Forschung zu rücken. Hierbei gilt es, die Expertise von Betroffenen mit eigener Krankheitserfahrung durch partizipative Forschungsansätze zu integrieren.
Versorgungsforschung sollte in den translationalen Prozess eingebettet werden, ausgehend von der klinischen Grundlagenforschung bis hin zur Evaluation nachhaltig eingeführter evidenzbasierter Maßnahmen im Versorgungs- und Behandlungsalltag. Die gesellschaftlich zentralen Forschungsfragen betreffen die Entstehung psychischer Erkrankungen (z. B. soziale Determinanten, traumatische Belastungen in der Kindheit), die Strategien der Krankheitsbewältigung (z. B. individuelle Genesungswege im Sinne des Recovery-Modells, Ermöglichung von Inklusion und Teilhabe) sowie die Umsetzung entsprechender Behandlungspfade und Versorgungsangebote in den Alltag. Lebenswelten, Milieus, Stadt-Land- Unterschiede, Diversität, Migration sowie regionale Variabilität müssen zur Sicherstellung flächendeckender Translation in den Versorgungsalltag ebenfalls berücksichtigt werden.
Die Entwicklungsperspektive sollte in der Versorgungsforschung gestärkt werden. Sie erfordert Forschungsansätze über die Lebensspanne, die von der perinatalen Entwicklung über das Kindes- und Jugendalter bis in das Erwachsenen- und hohe Alter reichen. Insbesondere die sozialen Determinanten psychischer Krankheit und Gesundheit (z. B. Gewalterfahrungen, Ausgrenzung, Verluste im Alter) sollten mit längsschnittlichen Studiendesigns und mit biographischem Bezug untersucht wer- den.
Kindheitsbelastungen müssen in der psychosozialen Versorgungsforschung stärkere Berücksichtigung finden. Rechtzeitige Förderung schulischer und sozialer Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Belastungen ist auf wissenschaftlicher Grundlage und mit wissenschaftlichen Methoden erforderlich.
Die gelingende Implementation Evidenzbasierter psychosozialer Interventionen im Lebensumfeld und der Einbezug in das Arbeitsleben sind von zentraler Bedeutung für die soziale Teilhabe. Weitere dringend zu bearbeitende Forschungsthemen im Rahmen der psychosozialen Interventionen sind die Stärkung der Selbstwirksamkeit (Empowerment) und die Förderung der individuellen Krankheitsbewältigung (Recovery) sowie Fragen der Beziehungsgestaltung und der partizipativen Entscheidungsfindung.
Die Disseminations- und Implementierungsforschung kann Aufschluss darüber geben, wie das bekannte Potenzial von E-Health-Interventionen in Prävention, Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen ihren Nutzen entfalten kann.
Erforderlich sind partizipative sowie nutzergeleitete Ansätze zur Stigma-Bewältigung und zum Abbau gesellschaftlicher Vorurteile sowie die Klärung ihrer Wirksamkeit und Implementierbarkeit unter Alltagsbedingungen.
Mitbestimmende und gestaltende Beteiligung von Menschen mit psychischen Erkrankungen an der Forschung, ist von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung des Feldes. Sie setzt konsequent die Forderung der UN-BRK nach aktiver Teilhabe um, indem relevante Forschungsfragen identifiziert und nutzergerechte, innovative Angebote entwickelt werden.
Während die biologische Grundlagenforschung durch Konzentration von Ressourcen durchaus von einer Zentralisierung profitieren kann, ist für die Versorgungsforschung die Etablierung von flächendeckenden Netzwerken, die auch die Zugänge zu schwer erreichbaren Populationen ermöglicht, von großer Bedeutung. Lebenswelten sind zentral für die Entstehung und den Verlauf psychischer Erkrankungen. Die Erkenntnisse evidenzbasierter Medizin müssen für die Verbesserung des Versorgungsalltags genutzt und die soziale Inklusion psychisch erkrankter Menschen verbessert bzw. eine drohende Ausgrenzung verhindert werden. Forschung zur psychischen Gesundheit soll vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen und ihren Angehörigen dienen. Deshalb sollte solche Forschung unter Einbezug Betroffener und der Angehörigen konzipiert werden. Nur eine partizipative Netzwerkstruktur mit direktem Bezug zu den Lebenswelten aller Altersgruppen in Deutschland kann den Herausforderungen der Gesundheitsforschung zur psychischen Gesundheit umfassend gerecht werden. Die APK setzt sich dafür ein, diesen Aspekt bei Ausschreibung und Ausgestaltung eines Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit einzubeziehen und die erfolgreich aufgebauten Versorgungsforschungsstrukturen der letzten Jahrzehnte für die anstehenden Zukunftsaufgaben zu nutzen und weiter zu entwickeln.
Berlin, 11.02.2019